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sind ohne Unterscheidung der innern Gründe dieser Pflichten
unter denselben Gesichtspunkt gebracht und man hat versucht,
ihnen gleichmässig durch erzwungene Almosen abzuhelfen.
Dies hat eine sehr beklagenswerthe Verwirrung der Begriffe bei
den Wohlhabenden wie bei den Bedürftigen verursacht. Die
Wohlhabenden schwanken und sind in ihren Ansichten getheilt.
Bald tragen sie die schwere Bürde der Armenlast unwillig und
bestreiten ebensowohl die Weisheit als die Gerechtigkeit der
Gesetzgebung. Bald klagen sie — Angesichts des Elendes, für
welches keine Hilfe bereit steht — den Staat wegen der mangel-
haften Erfüllung seiner Verpflichtungen an. Die Bedürftigen
gewöhnen sich mehr und mehr, die ihnen gewährte Unterstützung
als ein ihnen zustehendes Recht anzusehen, weil sie dieselbe
aus den Händen von Personen und aus den Mitteln von Körper-
schaften empfangen, welche das Gesetz zu dieser Hilfsleistung
verpflichtet, und weil sie nicht ohne Grund fühlen, dass
ihnen in vielen Fällen mindestens theilweise ein Anspruch
zusteht. Eine sehr erklärliche, wenn auch ganz falsche und
höchst beklagenswerthe Entwickelung dieses dunkeln Bewusstseins,
führt sie dahin, das Maass ihrer Rechtsansprüche nach den eigenen
Begriffen ihrer Bedürfnisse, sowie der Mittel der Wohl-
habenden, (der Gemeinde oder des Staates) zu beurtheilen,
welche letztere sie meistens für unbegrenzt halten. Nur zu häufig
werden sie in ihren irrigen Ansichten durch die Lehren und
Aeusserungen der Gebildeten und. Wohlhabenden selbst bestärkt.
Um so nothwendiger ist es, die Berichtigung der Begriffe
von Recht und Pflicht, sowie die Kräftigung des sittlichen
Willens als das wahre Ziel jeder Gesetzgebung hier wie überall
mit Klarheit zu erkennen und mit Festigkeit in Auge zu be-
halten.
III. Gesichtspunkte der Reform.
Die gesetzliche Armenpflege ist, wie wir sahen, überall wo
man energische Maassregeln zu ihrer Durchführung ergriffen hat,
zu einer erdrückenden Last für die Gesellschaft geworden und
verwickelt dieselbe in einen Widerspruch zwischen Anspruch und
Leistungsfähigkeit. Die grossen Opfer, welche in vielen Orten