22 Erstes Buch. Enutstehung des heutigen Deutschen Reiches. § 64. Der Reichsgewalt liegt es ob, durch die Erlassung allgemeiner Gesetze über bürgerliches Recht, Handels= und Wechselrecht, Strafrecht und gerichtliches Verfahren die Rechtseinheit im deutschen Volke zu begründen. § 65. Alle Gesetze und Verordnungen der Reichsgewalt erhalten ihre ver- bindliche Kraft durch ihre Verkündigung von Reichswegen. § 66. Reichsgesetze gehen den Landesgesetzen vor, insofern ihnen nicht aus- drücklich eine nur subfidiäre Geltung beigelegt ist. § 77. Der Keiser schließt die Bündnisse und Verträge mit den auswärtigen Staaten ab, — — — « § 80. Der Kaiser hat das Recht des Gesetzesvorschlags. Er übt die gesetz- gebende Gewalt in Gemeinschaft mit dem Reichstage unter den verfassungsmäßigen Beschränkungen aus. Er verkündigt die Reichsgesetze und erläßt die zur Vollziehung derselben nöthigen Verordnungen. §# 84. Ueberhaupt hat der Kaiser die Regierungsgewalt in allen Angelegen- heiten des Reiches nach Maßgabe der Reichsverfassung. Ihm als Träger dieser Gewalt stehen diejenigen Rechte und Befuguisse zu, welche in der Reichsverfassung der Reichsgewalt beigelegt und dem Reichstage nicht zugewiesen sind. § 85. Der Reichstag besteht aus zwei Häusern, dem Staatenhaus und dem Volkshaus. § 100. Ein Reichstagsbeschluß kann nur durch die Uebereinstimmung beider Häuser gültig zu Stande kommen. § 102. Ein Reichstagsbeschluß ist in folgenden Fällen erforderlich: 1. Wenn es sich um die Erlassung, Aufhebung, Abänderung und Aus- legung von Reichsgesetzen handelt. 2. Wenn der Reichshaushalt festgestellt wird, wenn Anleihen contrahirt werden, wenn das Reich eine im Budget nicht vorgesehene Ausgabe übernimmt oder Matrikularbeiträge oder Steuern erhebt. 5. Wenn Handels-, Schifffahrts- und Auslieferungsverträge mit dem Auslande geschlossen werden, sowie überhaupt völkerrechtliche Ver- träge, insofern sie das Reich belasten. 6. Wenn nicht zum Reiche gehörige Länder oder Landestheile dem deutschen Zollgebiete angeschlossen oder einzelne Orte und Gebiets- theile von dem Zollverein ausgeschlossen werden sollen. 7. Wenn deutsche Landestheile abgetreten, oder wenn nicht deutsche Gebietstheile dem Reiche einverleibt oder auf andere Weise mit dem- selben verbunden werden sollen. § 125. Ueber die Einsetzung und Organisation des Reichsgerichts, über das Verfahren und die Vollziehung der reichsgerichtlichen Entscheidungen und Verfügungen wird ein besonderes Gesetz ergehen. — — § 129. Der Reichsgesetzgebung bleibt es vorbehalten, Admiralitäts= und Seegerichte zu errichten, sowie Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit der Gesandten und Consuln des Reiches zu treffen. § 193. Keine Bestimmung in der Verfassung oder in den Gesetzen eines Einzelstaates darf mit der Reichsverfassung in Widerspruch stehen. § 196. Abänderungen in der Reichsverfassung können nur durch einen Be- schluß beider Häuser und mit Zustimmung des Reichsoberhauptes erfolgen. Der Zustimmung des Reichsoberhauptes bedarf esnicht, wenn in den sich unmittelbar folgenden Sitzungsperioden derselbe Reichstagsbeschluß unverändert gefaßt werden follte.“ Ueberblicken wir den Inhalt der Reichsverfassung vom 28. März 1849, so zeigt sich, daß die Zuständigkeit des Reiches nicht minder weit gefaßt ist als nach der heute gültigen Reichsverfassung vom 16. April 1871. Die Reichsverfassung vom 28. März 1849, § 63 hat ebenso dem Reiche die Befugniß beigelegt, sich seine Zuständigkeit zu erweitern, wie das heutige Deutsche Reich die sog. Competenz- Competenz besitzt. Die Verfassung vom 28. März 1849 unterscheidet sich von der des 16. April 1871 darin, daß erstere den Kaiser als ein Gesetzgebungsorgan