40 Erstes Buch. Entstehung des heutigen Deutschen Reiches. erweiterungen sind Verfassungsänderungen (Reichsverfassung, Artikel 78, Abs. 1). Verfassungsänderungen sind unmöglich, wenn im Bundesrath vierzehn Simmen gegen sie abgegeben werden (Reichsverfassung, Artikel 78, Abs. 1), und Preußen verfügt allein über siebzehn Stimmen im Bundesrath. Ohne Preußens Willen kann hiernach kein Titelchen von preußischen Hoheitsrechten an das Reich verloren gehen. Preußen ist also, wenigstens nach dieser Begründung, ein souveräner Staat. Jener Umstand trifft aber selbst für die übrigen deutschen Staaten nicht zu. Denn wenn auch einer von ihnen allein — soweit ihm nicht Singularrechte vorbehalten sind — die Ausdehnung der Reichszuständigkeit nicht hindern kann, so muß doch jede Ausdehnung der Reichszuständigkeit vom Bundesrathe beschlossen und sanc- tionirt werden (Reichsverfassung, Artikel 78, Abs. 2) — vom Bundesrathe, das ist von eben diesen Staaten selbst, welche dort ihren Willen zum Ausdruck bringen. Und ferner: Der Staat kann, wenn er will, einzelne Gemeinden, Kreise und Provinzen verändern oder aufheben (preußische Landgemeindeordnung für die sieben östlichen Provinzen der Monarchie vom 3. Juli 1891, § 2, Kreisordnung vom 13. December 1872 in der Fassung des Gesetzes vom 19. März 1881, § 3, Provinzialordnung vom 29. Juni 1875 in der Fassung des Gesetzes vom 22. März 1881, 5 3). Das Deutsche Reich dagegen kann per majora nur gemeinsame, allen Staaten gegenüber gleiche Souveränetätsbeschränkungen vornehmen. Daraus folgt, daß, was ein einzelner Staat an unmittelbarer Herrschaft verliert, er in der Antheilnahme am Reiche von den übrigen Staaten wieder gewinnt. Stellt man aber die Frage so: Ist die Gewalt eines einzelnen Staates, für sich betrachtet, noch unbeschränkt und ausschließlich, so muß diese Frage verneint werden. Ein zum Deutschen Reiche gehöriger Einzelstaat kann weder Krieg er- klären, noch Frieden schließen, er muß vielmehr die Namens des Deutschen Reiches erfolgten Kriegserklärungen und Friedensschlüsse für sich gelten lassen; er kann weder das bürgerliche, noch das Straf-, noch das Handels-, noch das Militärstraf- gesetzbuch ändern oder aufheben; seine Behörden und Unterthanen haben diese Reichsgesetze unbedingt zu befolgen; seine Unterthanen müssen, mag der Staat wollen oder nicht, die vom Reiche auferlegten Militärlasten tragen, in den vom Reiche erklärten Krieg ziehen, die vom Reiche ausgeschriebenen Steuern leisten u. s. w. Der Einzelstaat kann weder Zoll= noch Handelsverträge abschließen. Die aller- wesentlichsten Theile seines gesammten Staats-, Rechts= und Erwerbswesens find nicht mehr von ihm allein abhängig. Souveränetät im Sinne einer un- beschränkten und ausschließlichen Herrschaft besitzt hiernach der Einzelstaat nicht mehr. Wenn auf der andern Seite gefragt wird: ist die Macht des Deutschen Reiches eine unumschränkte und ausschließliche, so muß auch diese Frage verneint werden. Das Reich z. B. kann die Kirchen-, Schul= und Communalangelegenheiten nicht, wenigstens nicht ausschließlich, regeln. Es bedürfte hierzu erst noch einer Verfassungsänderung, also der Zustimmung der Einzelstaaten, nämlich des Bundes- rathes. Das Deutsche Reich besitzt also, wenigstens nach den ihm zur Zeit zu- stehenden Befugnissen, auch nicht die Souveränetät. Die Staatsgewalt, nicht die des Deutschen Reiches allein und nicht die der einzelnen Staaten allein, ist aber eine souveräne, sie ist eine ausschließliche und un- umschränkte. Diese Staatsgewalt wird theils von den Einzelstaaten und theils von der Gesammtheit der Staaten, das heißt vom Reiche, ausgeübt . Die Einzelstaaten sind in dem Sinne und nur in dem Sinne souverän, daß sie, soweit sie die Staatsgewalt nicht selbst und allein ausüben, an der Ausübung durch das Reich betheiligt sind, weil sie in ihrer Gesammtheit das Reich darstellen, insbesondere dessen Gesetzgebungs= und Verordnungsorgan, den Bundesrath, bilden. 1 Bielleicht meint Hänel (Studien, I, S. und handelnde politische Gemeinwesen. Staat 63 ff., und in Hirth's Annalen 1877, S. 82 ff., schlechthin ist nur der Bundesstaat als die vgl. auch Staatsr. 1, S. 798) das Gleiche, Totalität beider.“ Agl. auch O. Gierke in wenn er sagt: „Nicht der Einzelstaat, nicht der Schmoller's Jahrbuch. Bd. 7, S. 1125 ff., und Gesammtstaat sind Staaten schlechthin, sie sind S. 1167 ff. nur nach der Weise von Staaten organisirte!