50 Zweites Buch. Angehörige und Gebiet des Deutschen Reiches. für die dort naturalisirten Ausländer und die dort Eingeborenen, Reichsgesetz vom 15. März 1888 (R.-G.-Bl. S. 71), § 6. Es ist also weder thatsächlich richtig, noch begrifflich richtig, daß Jemand nur durch Vermittelung seines Staates die Reichsangehörigkeit erwerben kann, oder daß Jemand nur durch Vermittelung seines Staates der Reichsgewalt unterworfen und Reichsangehöriger wird. Das Richtige möchte das Folgende sein: Die Staatsgewalt ist eine souveräne. Der eine Theil derselben wird im Deutschen Reiche durch den Einzelstaat, der andere Theil durch das Reich — durch die zu einer neuen und selbstständigen Rechtspersönlichkeit zusammengefaßte Gesammtheit der Einzelstaaten — ausgeübt. Zu den Gebieten, deren Regelung dem Reiche zusteht, gehört das Heimaths- und Staatsbürgerrecht. Das Reich befiehlt, wann und wodurch das Bürgerrecht in jedem einzelnen Staate erworben wird. Das Reich befiehlt ferner, daß gewisse Befugnisse mit dem Besitz des Bürgerrechts in einem Bundesstaate verbunden sein sollen, Befugnisse, die er in Elsaß-Lothringen und in den Schutzgebieten auch un- abhängig von dem Besitze eines solchen Bürgerrechts verleiht. Diese Befugnisse giebt nicht der Staat, um dessen Bürgerrecht es sich handelt, sondern das Reich. Der Einzelne erwirbt sie nicht mittelbar durch Vermittelung seines Staates, sondern unmittelbar kraft Reichsgesetzes. Er ist unmittelbar dem Reiche unter- worfen, wenn er die Pflichten aus der Reichsangehörigkeit erfüllt, unmittelbar durch das Reich berechtigt, wenn er die Befugnisse aus der Reichsangehörigkeit wahr- nimmt (vgl. auch G. Meyer, Staatsrecht, § 193, Anm. 4). Der Inbegriff der Befugnisse und Pflichten, welche das Reich in Beziehung auf das Bürgerrecht er- theilt, ist die Reichsangehörigkeit (s. auch Motive zum Ges. v. 1. Juni 1870 in den Drucksachen des Reichstags 1870, J. Session, S. 155) oder das Reichsbürger- recht. Die Befugnisse und Pflichten, welche mit der Staatsangehörigkeit verbunden sind auf Grund des Rechtes dieses Staates, machen das Staatsbürgerrecht aus. Im Einzelnen ergeben sich folgende Sätze: 1. Jeder Angehöriger eines deutschen Staates ist dadurch Reichsangehöriger. Man kann aber Reichsangehöriger sein, ohne Angehöriger eines deutschen Staates zu sein. 2. Das Reich stellt die Regeln über Naturalisation von Ausländern auf, über- läßt aber der Regel nach die Vornahme der Naturalisation den Einzel- staateen — aber auch nur der Regel nach. Denn auch das Reich naturalisirt Ausländer, in den Schutzgebieten ohne Weiteres, sonst indem es ihnen ein Reichant mit Wohnsitz im Reichsgebiete giebt (§ 9 des Ges. v. 1. Juni 1870). 3. Die Reichsangehörigkeit erlischt, wenn die Staatsangehörigkeit in jedem Bundesstaate erloschen ist, also nicht schon mit dem Verluste der Staats- angehörigkeit in einem Bundesstaate, wie nach dem Wortlaute des § 1 des Ges. v. 1. Juni 1870 anzunehmen ist, sondern erst dann, wenn die Angehörigkeit zu irgend einem deutschen Staate aufgehört hat. 4. Ein Reichsangehöriger kann in mehreren Staaten die Staatsangehörigkeit haben. 5. Ein Reichsangehöriger kann in jedem anderen deutschen Staate, in welchem er seine Niederlassung bewirkt, die Aufnahme als Staatsbürger regelmäßig nachsuchen (§ 7 des Ges. v. 1. Juni 1870). Im Reichsdienste mit Be- soldung aus der Reichskasse angestellte Ausländer können, in welchem Bundes- staate sie wollen, die Naturalisation fordern, Ges. v. 20. Dec. 1875 (R.-G.-Bl. 1875, S. 324). §* 12. Rechte und Pflichten der Reichsangehörigen. Artikel 3 der Reichsverfassung bestimmt: „Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden Bundes- staates in jedem anderen Bundesstaate als Inländer zu behandeln und