116 Drittes Buch. Die Organisation des Deutschen Reiches. gegebenen Stimmen ungültig. Für die Ungültigkeit solcher Stimmen ist mit Recht auch auf die Vorschrift in Artikel 6 und 9 hingewiesen, wonach der Bundesrath die Vertretung der Fürsten ist und Niemand zugleich Mitglied des Bundesrathes und des Reichstages sein darf. (Vgl. hierzu die Verhandlungen im Reichstage 1874/1875, II. Session, Sten. Ber. S. 578, 579; 1877, Drucksachen Nr. 187, S. 517, 518; 1879, Drucksachen Nr. 228, S. 1570.) Thronfolger und Prinzen, da sie keine Vertretung im Bundesrathe haben, sind wahlberechtigt und wählbar. Der Regent eines Bundesstaates kann dagegen nicht wählen, noch gewählt werden. In dem preußischen Bundesentwurf vom 10. Juni 1866 (Bezold, Materialien der Deutschen Reichsverfassung, Bd. I, S. 64 f.) bestimmte Artikel IV: „Die Nationalvertretung geht aus direkten Wahlen hervor, welche nach den Bestimmungen des Reichswahlgesetzes vom 12. April 1849 vorzunehmen find.“ Artikel 20 der Verfassung des Norddeutschen Bundes schrieb sodann vor: „Der Reichstag geht aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor, welche bis zum Erlaß eines Reichswahlgesetzes nach Maaßgabe des Gesetzes zu erfolgen haben, auf Grund dessen der erste Reichstag des Norddeutschen Bundes gewählt worden ist.“ Richtiger hätte es geheißen: „der Gesetze, auf Grund deren der erste Reichs- tag gewählt worden ist“, da, wenn auch in der Hauptsache übereinstimmende, sormell für jeden Bundesstaat aber besondere Wahlgesetze erlassen wurden. Das in Artikel 20 der Norddeutschen Bundesverfassung in Aussicht gestellte Wahlgesetz ist am 31. Mai 1869 (B.-G.-Bl. 1869, S. 145) erlassen. Artikel 20 der Reichsverfassung wiederholt, daß der Reichstag aus allgemeinen und direkten Wahlen mit geheimer Abstimmung hervorgehen soll, und fügt in einem zweiten Absatze hinzu: „Bis zu der gesetzlichen Regelung, welche im § 5 des Wahlgesetzes vom 8 Mai 1869 vorbehalten ist, werden in Bayern 48 u. s. w. Abgeordnete gewählt.“ färse Reichsverfassung enthält über die Reichstagswahlen sonach nur vier Vor- riften: 1) Der Reichstag soll aus allgemeinen Wahlen hervorgehen. Das bedeutet, daß das Wahlrecht nicht auf bestimmte Klassen oder Stände beschränkt und nicht an einen Census gebunden sein soll. 2) Die Wahlen sollen direkt sein. Das bedeutet, daß die Wähler den Ab- geordneten nicht indirekt mittelst Wahlmänner, etwa wie beim preußischen Ab- geordnetenhause, sondern unmittelbar wählen müssen. 3) Die Abstimmung soll geheim sein. Dies bedeutet, daß die öffentliche Stimmenabgabe oder die Stimmenabgabe zu Protokoll ausgeschlossen find. Es be- deutet ferner, daß bei der Stimmenabgabe nicht bemerkbar gemacht werden darf, von wem der Wahlzettel herrührt, daß also die Unterschrift des Wählers die Stimme ungültig macht. 4) Bis zur gesetzlichen, d. h. reichsgesetzlichen Regelung soll die Zahl der Abgeordneten nicht geändert werden. Das Wahlgesetz vom 31. Mai 1869 selbst ist kein Bestandtheil der Reichs- verfassung; es kann wie jedes andere Reichsgesetz geändert werden. Die unter 1 bis 4 aufgezählten Grundsätze dagegen müssen bis zur Aenderung der Reichs- verfassung in jedem anderen Wahlgesetze wiederholt werden. Hier taucht die Frage auf, ob die Vorschriften des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869, welche mit den unter 1 bis 3 aufgestellten Grundsätzen, wenigstens scheinbar, in Widerspruch stehen, 3. B. daß Personen unter 25 Jahren, Personen des Soldatenstandes, solange diese sich bei der Fahne befinden, Bevormundete und Bestrafte nicht wahlberechtigt sein sollen (8§§ 2 und 38 des Gesetzes vom 31. Mai 1869), als verfassungswidrig anzusehen sind. Diese Frage ist zu verneinen. Denn die Verfassung des Norddeutschen Bundes erkannte die Wahlgesetze, auf Grund deren er gewählt ist, und welche an- nähernd die gleichen Beschränkungen enthielten, als auch für die Zukunft bis auf Weiteres bindend an. Ebenso liegt in Absatz 2 des Artikels 20 der Reichsverfassung die verfassungsmäßige Anerkennung für die im Wahlgesetze enthaltenen Einschränkungen des Wahlrechts. Aber auch von dem Standpunkte müssen die im Wahlgesetze vom 31. Mai 1869 enthaltenen Beschränkungen des Wahllrechts gerechtfertigt und dem Geiste der Verfassung entsprechend angesehen werden, daß nach den der Verfasfsung