§ 19. Der Reichstag. 117 zu Grunde liegenden Verträgen und der Absicht der Regierungen, wie der Landtage und des Reichstages das Wahlgesetz dem Reichswahlgesetz vom 12. April 1849 entsprechen sollte und dieses im Wefentlichen die gleichen Einschränkungen des Wahl- rechts (nur Männer, nicht unter 25 Jahren, nicht bevormundete, nicht mit Ehren- verlust bestrafte Personen) hatte. Hiernach ist das Wahlgesetz vom 31. Mai 1869 zwar nicht als Bestandtheil der Reichsverfassung, aber als verfassungsgemäß anzuerkennen. Aenderungen des Wahlgesetzes, welche das Wahlrecht weiter einschränken, z. B. die Altersgrenze er- höhen oder einen Census einführen, nicht aber solche, welche die Zahl der Ab- geordneten vermehren, können nur gemäß Artikel 78 im Wege der Verfassungs= änderung herbeigeführt werden; s. Arndt, Komm., S. 148, Thudichum, in v. Holtzendorff's Jahrb., I. S. 28. Das Wahlgesetz vom 31. Mai 1869 ist in der dem § 2, Abf. 2 des Gesetzes, betreffend die Verfassung des Deutschen Reichs vom 16. April 1871, entsprechenden Fassung durch Gesetz vom 25. Juni 1873 (R.-G.-Bl. 1873, S. 161), § 6 in Elsaß-Lothringen und durch Gesetz vom 15. Dezember 1890 (R.-G.-Bl. 1890, S. 207), § 4 in Helgoland eingeführt. In den Kolonieen und Schutz- gebieten gilt es nicht. In diesen wird für den deutschen Reichstag nicht gewählt. § 15 des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869 ertheilte dem Bundesrathe die Ermächtigung, das Wahlverfahren, soweit es nicht durch das Gesetz selbst festgestellt worden ist, durch ein einheitliches, für das ganze Bundesgebiet gültiges Wahl- reglement zu ordnen, und fügte hinzu, daß dieses Wahlreglement nur unter Zu- stimmung des Reichstages abgeändert werden dürfe. Dieses Wahlreglement ist am 28. Mai 1870 (B.-G.-Bl. 1870, S. 275) ergangen. Berichtigungen und Ab- aänderungen desselben finden sich im Bundesgesetzblatt 1870, S. 488, 1871, S. 35 ff., und im Reichsgesetzblatt 1872, S. 38, 1873, S. 144, 374, 1876, S. 275 und 1891, S. 111. « Das Wahlgesetz beginnt mit dem Satze, daß „Wähler“ für den Reichstag jeder Deutsche ist, welcher u. s. w. Mit Recht bemerkt Seydel (Hirth's Annalen 1880, S. 359), daß es statt Wähler „wahlfähig“ heißen muß. Uebrigens ist nicht jeder Wahlfähige auch wahlberechtigt, z. B. wer nicht in den Wahllisten zur Zeit der Wahl steht, sich nicht in das Wahllokal begeben kann (vgl. auch Seydel l.c.). Wahlfähig sind Reichsangehörige, d. h. alle, welche die Angehörigkeit in einem deutschen Bundesstaate oder die Reichsangehörigkeit besitzen; s. oben S. 50. Nicht wahlfähig find Frauen, obwohl dies nirgends im Wahlgesetze ausgesprochen ist (val. v. Mohl, Reichsstaatsrecht, S. 342). Die Wahlfähigkeit beginnt mit Voll- endung des fünfundzwanzigsten Lebensjahres (Wahlgesetz § 1). Nicht wahlfähig find 1 Personen des Soldatenstandes des Heeres und der Marine, solange dieselben sich bei der Fahne befinden. Ihr Wahlrecht ruht, wie § 2 des Wahlgesetzes sagt. Das Reichs-Militärgesetz vom 2. Mai 1874 (G.-G.-Bl. 1874, S. 45) sagt in § 49, Absatz 1: „Für die zum aktiven Heere gehörigen Militärpersonen, mit Ausnahme der Militärbeamten, ruht die Berechtigung zum Wählen sowohl in Betreff der Reichsvertretung, als in Betreff der einzelnen Landesvertretungen .. . .“ Welche Personen zum activen Heere zu rechnen find, ist in § 38 des Reich-Militärgesetzes bestimmt, nämlich Offiziere, Aerzte und Mann- schaften, nicht Intendanturbeamte und Militärjustizbeamte. Beurlaubte Personen des activen Dienststandes, z. B. die sogenannten Königsurlauber, können nicht wählen (Bundesrathsbevollmächtigter v. Puttkamer in den Sten. Ber. des Reichstages 1869, S. 161), wohl aber die nicht zum Dienst einberufenen Personen des Beurlaubtenstandes (uvgl. Seydel, in Hirth's Annalen 1880, S. 360). Nicht wahlfähig find, „von der Berechtigung zum Wählen find nach § 3 des Wahlgesetzes ausgeschlossen“": 1) Personen, welche unter Vormundschaft oder Kuratel stehen (Bürgerliches Gesetzbuch §§ 1896 bis 1908, „die Vormundschaft über Voll- jährige“, und § 1910, Abs. 1). Wird einem Volljährigen nur für einzelne An- gelegenheiten ein Pfleger bestellt (§ 1910, Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches) 1 d. h. nicht wählen dürfen.