§ 20. Die Rechte des deutschen Reichstages. 131 aufgelöst hatte (Arndt, Komm., S. 19, Ministerialbl. für die gesammte innere Verwaltung 1849, S. 57 f.), die Wähler und die neugewählten Stimmen erst nach den vorgeschriebenen Fristen von sechzig und neunzig Tagen versammelt. Gleich- wohl erklärten beide Kammern (Verhandlungen der I. Kammer 1849, S. 614 ff., der II. Kammer 1849, S. 1690, 1691) den Erlaß der Verordnung vom 30. April 1849, „wodurch der Zusammentritt der Wähler und der Kammern über die durch den Art. 49 der Verfassungsurkunde (vom 5. December 1849) festgesetzten Termin binaus verschoben worden“, als durch die Umstände gerechtfertigt. Diese zu spät ge- wählte II. Kammer und diese zu spät zusammengetretene I. und II. Kammer haben die noch heute in Kraft stehende Verfassung vom 31. Januar 1850 mit beschlossen. Die Verfassungs--Kommission der Nationalversammlung (s. Arndt, Komm. zur Preuß. Verf., S. 13) hatte in Art. 70 ihres Entwurfs (Charte Waldeck) vor- geschlagen, daß die Kammern berechtigt sein sollten, sich am 30. November jedes Jahres, wenn sie bis dahin nicht berusen worden, sowie spätestens am zehnten Tage nach dem Tode des Königs von Rechts wegen zu versammeln. Dies wurde durch die Bemerkung gerechtfertigt, daß solche Bestimmungen zur Sicherung der unabhängigen Wirksamkeit der Kammern unerläßlich wären (Protokolle der Kom- mission, herausgegeben von Rauer, S. 114 und 131). Indeß sind diese Vor- schläge weder in die Verfassungsurkunde vom 5. December 1848 ausgenommen, noch im folgenden Jahre bei Auflösung der II. Kammer thatsächlich berücksichtigt worden. Bei der Revifion der Verfassung vom 5. December 1848 ist man auf die Frage nur noch im Falle eines Regierungswechsels zurückgekommen. Jedoch wurden alle Anträge, welche den Kammern das Recht geben sollten, von selbst zusammen- zutreten, abgelehnt (vgl. v. Rönne, Bearbeitung der Preuß. Verfassungsurkunde, S. 109 und 110). Wenn andere Verfassungsurkunden, z. B. die Belgische in Art. 70, die Norwegische in § 68, die Schwedische in § 49, eine solche Be- fugniß dem Landtage einräumen, so beruhen diese Verfassungen auf dem Grundsatze der Volkssouveränetät. Der Sinn des Artikels 12 der Reichsverfassung geht dahin, daß Bundesrath und Reichstag wenigstens in jedem Jahre versammelt sein sollen; nicht, daß sie gerade in jedem Jahre einberufen werden müssen; ebenso Seydel, Komm., S. 168, der mit Recht bemerkt, daß formelle Einberufungen des Bundesrathes seit 1883 nicht mehr vorgekommen seien. Ueber den Ort, an dem der Reichstag einzuberufen ist, bestimmt die Reichsverfassung ebenso wenig wie die Preußische Ver- fassungsurkunde etwas. Daraus ergiebt sich, daß der Kaiser bezw. der König von Preußen in der Wahl des Ortes rechtlich nicht beschränkt ist (Arndt, Komm. zur Preuß. Verfassung, und v. Rönne, Preuß. Staatsrecht, 4. Aufl., § 67, S. 271). Observanz- mäßig erfolgt die Zusammenberufung nach Berlin!. Der Reichstag darf nie ohne den Bundesrath, wohl aber der Bundesrath ohne den Reichstag versammelt sein (Reichsverfassung Art. 13). Vertagung umd Schließung. Da Berufung, Eröffnung, Vertagung und Schließung des Reichstages zur Prärogative des Kaisers gehören, so muß der Reichstag so lange, bis es zur Ver- tagung, Auflösung oder Schließung kommt, versammelt bleiben. Eine Verschiebung der Sitzungen wegen eintretender Feste oder Mangel an Berathungsgegenständen, das sog. adjournment des englischen Rechts, ebenso wie eine Festsetzung des Be- ginnes und Schlusses der Sitzungen stehen dagegen dem Reichstage zu (Schwartz, Preuß. Verfassung, S. 148, Geschäftsordnung des Reichstages vom 10. December 1876, § 37: „Der Präßident des Reichstages] eröffnet und schließt die Sitzung, er verkündet Tag und Stunde der nächsten Sitzung“, Arndt, Komm. zur Reichs- 1 Die Nationalversammlung wurde durch die lurg verlegt (Ministerialbl. für die ges. innere Verordnung König Friedrich Wilhelm IV.|Verwaltung 1848, S. 308). — Die Observanz vom 8. Nov. 1848 von Berlin nach Branden-begründet kein Recht. 9*