z B. JInhalt der Reichsgesetze und Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung. 171 Ermessen und der richterlichen Gesetzesauslegung gegeben haben, bedeutet die Be- hauptung, daß die Handhabung des Straf-, Proceß-, Obligationen-, Handels- rechts u. s. w. durch 25 verschiedene, unter keiner gemeinschaftlichen obersten Instanz stehende Gerichte erfolgen soll, den unbedingten Ausschluß, die Verneinung des gemeinschaftlichen Rechts und des gemeinschaftlichen Verfahrens. Es war deshalb rechtlich unnöthig, daß der Bundesrath den Entwurf des Gerichtshofs eines Ober- handelsgerichts mit Zweidrittelmehrheit 1 annahm, und es enthalten weder die Ein- setzung eines Reichsgerichts?, noch der Reichskonsulargerichte, der Prisengerichte, noch des Bundesamts für das Heimathwesen, noch des Reichs-Verficherungsamtes Zuständigkeitserweiterungen oder Verfassungsänderungen. Der Reichsgesetzgebung ist unter Ziff. 14) unterstellt „das Militairwesen des Reichs und die Kriegsmarine“, und zwar ohne Einschränkung; ferner unter Ziff. 15) „Maßregeln der Medizinal= und Veterinairpolizei“. Bei der Allgemeinheit und Uneingeschränktheit dieser Ausdrücke muß es als im Nahmen der Verfassung liegend erachtet werden, wenn § 12 des Gesetzes, Maaß- regeln gegen die Rinderpest betreffend, vom 7. April 1869 (B.-G.-Bl. 1869, S. 105) dem Bundes-(Reichs-Rkanzler die Pflicht auferlegt, die Ausführung dieses Gesetzes und der auf Grund desselben erlassenen Anordnungen zu überwachen, und hinzufügt: „Erforderlichen Falls wird der (Bundes-)MReichskanzler selbstständig An- ordnungen treffen, oder einen (Bundes-Reichs-Kommissar bestellen, welcher die Be- Behörden des betheiligten Einzelstaates unmittelbar mit Anweisung zu versehen hat. Tritt die Seuche in einer solchen Gegend des Bundesgebietes oder in solcher Aus- dehnung auf, daß von den zu ergreifenden Maaßregeln nothwendig die Gebiete mehrerer Bundesstaaten betroffen werden müssen, so hat die (Bundes-MReichs- Kommission für Herstellung und Erhaltung der Einheit in den Seitens der Landesbehörden zu treffenden oder getroffenen Maaßregeln zu sorgen und deshalb das Erforderliche anzuordnen.“ Die Reichsverfassung sagt nicht, daß Maßregeln nur von den Landesregierungen getroffen werden dürfen, und giebt dem Reiche, da fie seiner Gesetzgebung den Erlaß von Maßregeln der Medicinal= und Veterinär= polizei überträgt, auch das Recht, selbst bezw. durch seine Organe solche Maßregeln zu treffen. Was von § 12 des Gesetzes vom 7. April 1869 ausgeführt ist, gilt auch von dem damit übereinstimmenden § 4 des Gesetzes vom 23. Juni 1880/1. Maie 1894, betr. Viehseuchen 8. Endlich unterstellt Ziff. 16) der Reichsgesetzgebung: „die Bestimmungen über die Presse und das Vereinswesen.“ Diese Ziffer 16 ist durch die Verträge mit den süddeutschen Staaten in die Reichsverfassung gekommen. Vereine find hier sowohl politische wie nicht politische. Andererseits betrifft Ziff. 16 nur die öffentlichrechtliche Seite der Vereine, da die privatrechtliche bereits in Ziff. 13 der Reichszuständigkeit unterstellt ist. Die Religionsgesellschaften, die evangelische, die römisch-katholische Kirche und andere, werden nach dem gemeingebräuchlichen und rechtlichen Sprachgebrauche nicht als Vereine bezeichnet und fallen daher nicht unter Ziff. 16". Als Vereine gelten dagegen in diesem Sinne Orden und Klöster 5. Der § 1 des Gesetzes, betr. den Orden der Gesellschaft Jesu vom 4. Juli 1872 (R.-G.-Bl. 1872, S. 253), wonach Angehörige des Ordens Jefu und der ihm verwandten Orden der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Orten untersagt oder ausgeschlossen werden kann, liegt daher im Rahmen der Vorschrift in Ziff. 16 und bewegt sich also nicht außerhalb der Reichszuständigkeit . — 1 Eine solche war 1869 bei der Vorschrift in 4 Ebenso Seydel, Comm., S. 113; der ent- Art. 78 der Norddeutschen Bundesverfassung #engesehten t war Windthorst, Sten. für Verfassungsänderungen nothwendig. er. des Reichstages, II. außerordentl. Session 2 Andererseits find die Deductionen von 1870, S. 118. änel, Staatsrecht, I, S. 724, und Laband, 5 Ebenso Seydel, Comm,, S. 113; pvgl. S. 318, wohl nicht mit Unrecht von auch Hänel, Staatsrecht, I, S. 610, E. Seh- Seydel. Comm., S. 101 f., bemängelt. ling, Die religiöse Erziehung der Kinder u. s. w., Seydel, Comm., S. 110, meint dagegen, Erlenzen und Leipzig 1891, S. 20 ff. daß die cit. Vorschriften „beträchtlich“ über die * Anderer Ansicht Seydel, Comm., S. 113. derfafsungsmäßige Zuständigkeitsgrenze gehen.