5 27. Das Verordunssrecht. 199 wir in alle Zukunft einig sein werden über die Bedeutung dieses Paragraphen, daß das, was logisch bereits aus der norddeutschen Bundesverfassung herzuleiten war, in Zukunft auch für die neue Verfassung gelten soll, neues Recht also nicht ge- schaffen wird. Es ist dies einer der Fälle, in Betreff deren ich Eingangs der Debatte gesagt habe, daß, wenn Zweifel entständen, die Entstehungsgeschichte das geeignete Material sein wird, die Zweifel zu beseitigen.“ Bei der Abstimmung wurde der Antrag Hänel abgelehnt und die jetzige Fassung des Abs. 2 in Art. 78 angenommen 1. Der Minister Delbrück hat in der Reichstagsfitzung vom 18. März 1881 (Sten. Ber. S. 395) sich gegen die Hänel'sche Auslegung der fraglichen Be- stimmung erklärt mit dem Hinzufügen, daß diese Bestimmung (nicht von einem süddeutschen Staate, sondern) von Sachsen beantragt war, und daß er die Ansicht Lasker's theile, wonach Absatz 2 am bestehenden Rechtszustande gar nichts ge- ändert habe. Bei dieser Entstehungsgeschichte muß die Ansicht, daß sich Abs. 2 in Art. 78 nur auf die süddeutschen Reservatrechte beziehe, um so mehr als ausgeschlossen gelten, weil sie auch in dem Wortlaute der Verfasfung keine Unterstützung findet. Andererseits bezieht sich die Bestimmung nur auf Vorschriften der Reichs- verfassung, nicht auf sonstige Abmachungen, indeß auf alle Vorschriften der Verfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Ver- hältniß zur Gesammtheit festgestellt find: auf alle den einzelnen Bundesstaaten in der Verfassung zurückbehaltenen (dem Reiche nicht mit übertragenen) Rechte — Neichsverfassung Art. 4, Ziff. 1 nebst bayerischem Schlußprotokoll Ziff. 1 und 1V, Art. 4, Ziff. 8, 10, Art. 84, Art. 835, Abs. 2, Art. 88, Abs. 4, Art. 45 und bez. württembergisches Schlußprotokoll, Ziff. 3, Schlußbestimmung zu Abschnitt XI und XII — und auf die einzelnen Staaten in der Verfassung verliehenen RKechte — die Präfidialrechte Preußens, die Stimmrechte im Bundesrath, die in Art. 8 üÜbertragenen Rechte (z. B. den Ausschuß für die auswärtigen Angelegen- heiten) und die in Art. 40, bezw. in dem dort aufrecht erhaltenen Zoll= und Steuervereinsrecht eingeräumten finanziellen Bevorzugungen". Als eine Vorschrift, „welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten im Verhältniß zur Gesammtheit feststellt“, ist aber auch Artikel 1 insoweit anzusehen, als er den einzelnen Bundes- staaten in ihrem ganzen damaligen Umfange und in ihrem Zustande als Monarchien oder Republiken zu Bestandtheilen des Bundesgebietes erklärt, woraus zu folgern ist, daß (abgesehen von Friedensschlüssen) ohne Zustimmung eines Bundesstaates dessen Gebiet weder ganz, noch theilweise aus dem Bundesgebiet durch Reichsgesetz ausgeschieden werden kann. Es ist ebenso unstatthaft, daß durch Reichsgesetz ein Staat einem anderen ganz oder theilweise einverleibt, oder daß durch Reichsgesetz der Herrscher eines Bundesstaates abgesetzt werden kann. 5*# 27. Das Verordnungsrecht. Es giebt vier Arten von Verordnungen. Die erste Art find die selbstständigen, d. h. solche, welche sich auf das eigene Recht des Anordnenden und nicht auf eine verfassungs= oder gesetzmäßige Ermäch- tigung stützen. Solche Verordnungen bestehen in einzelnen Verfassungen thatsächlich und zu Recht auf den Gebieten, welche die Verfassung noch nicht der Gesetzgebung überwiesen hat; z. B. in Preußen auf dem Gebiete des Unterrichtswesens, solange nicht das durch die Preußische Verfassung in Aussicht gestellte umfassende Unterrichtsgesetz erlassen ist. Die Statuten der Hochschulen, die Prüfungsordnungen für Lehrer und Lernende, die das ganze Volksschulwesen regelnden Schulregulative wurden und werden daher in Preußen im Verordnungswege erlassen, obgleich sie 1 Sten. Ber. S. 162, Bezold, III, S. 1271.) 1 Wesentlichen ebenso Seydel, Comm., S. 425.