212 Fäustes Buch. Die Verwaltung des Innern. In Nachstehendem sollen nicht nur die Verwaltungsgebiete besprochen werden, rücksichtlich deren das Reich die Verwaltung führt, sondern alle die, rückfichtlich deren es die Gesetze gegeben hat. 5* 29. Die freie Bewegung der Reichsangehörigen im Reiche. Artikel 3 der Reichsverfassung gab jedem Reichsangehörigen das Recht, in jedem Bundesstaate Wohnsitz zu nehmen und Gewerbe zu betreiben unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische. Für Einheimische galt meist, aber nicht in allen Bundesstaaten, schon der Grundsatz der Freizügigkeit. Dieser Grundsatz ist nunmehr reichsgesetzlich festgestellt durch das Gesetz über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 (B.-G.-Bl. 1867, S. 55) 1. Jeder Bundesangehörige (Angehörige des Deutschen Reiches) hat (§ 1) das Recht, innerhalb des Reichs: 1) an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unter- kommen? sich zu verschaffen im Stande ist; 2) an jedem Orte Grundeigenthum aller Art zu erwerben; 3) umherziehend oder am Orte des Aufenthalts, bezw. der Niederlafsung Gewerbe aller Art zu betreiben, unter den für Einheimische geltenden gesetzlichen Bestimmungen 3. In der Ausübung dieser Befugnisse darf der Bundes- angehörige, soweit nicht das gegenwärtige Gesetz Ausnahmen zuläßt"“, weder durch die Obrigkeit seiner Heimath, noch durch die Obrigkeit des Ortes, an welchem er sich aufhalten oder niederlassen will, gehindert oder durch lästige Bedingungen? beschränkt werden. — Keinem Bundesangehörigen darf um des Glaubensbekennt- nisses willen oder wegen fehlender Landes= und Gemeindeangehörigkeit der Aufent- halt, die Niederlassung, der Gewerbebetrieb oder der Erwerb von Grundeigenthum verweigert werden. „Wer die aus der Reichsangehörigkeit folgenden Befugnisse in Anspruch nimmt“ — so bestimmt Art. 37 des Einführungsgesetzes zum Bürger- lichen Gesetzbuch — „hat auf Verlangen den Nachweis seiner Reichsangehörigkeit und, sofern er unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft steht, den Nachweis der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters zu erbringen. — Eine Ehefrau bedarf der Genehmigung des Ehemanns.“ Ist die Ehefrau minderjährig, so bedarf sie daneben noch der ihres gesetzlichen Vertreters (Bürgerl. Gesetzb. 8§ 1626, 1633, 1773 und 1800). § 3 des Gesetzes über die Freizügigkeit bestimmt: „Insoweit bestrafte Personen nach den Landesgesetzen Aufenthaltsbeschränkungen durch die Polizeibehörde unterworfen werden können, behält es dabei sein Bewenden "#. — Solchen Personen, welche derartigen Aufenthaltsbeschränkungen in einem Bundesstaate unterliegen, oder welche in einem Bundesstaate innerhalb der letzten zwölf Monate wegen wiederholten Bettelns oder wegen wiederholter Landstreicherei bestraft worden find, kann der Aufenthalt in jedem anderen Bundesstaate von der Landespolizeibehörde verweigert werden Vv. — Die besonderen Gesetze und Privilegien einzelner Ortschaften und Bezirke, welche Aufenthaltsbeschränkungen gestatten, sind aufgehoben.“ Be- stimmungen in den Landesgesetzen, z. B. in § 2, Nr. 2 des preußischen Gesetzes 1 Dieses Gesetz gilt im ganzen Deutschen lichen Charakter tragen und nur Entgelt für Reiche; s. für Baden und Südhessen B.-G.-Bl. 1870, S. 627 ff., Württemberg, B.-G.-Bl. 1870, S. 627 ff., und Bayern B.-G.-Bl. 1871, S. 9ff., Elsaß-Lothringen R.-G.-Bl. 1873, S. 51. *o D. i. auch eine Schlasstelle. * D.h. jetzt nach der Reichsgewerbeordnung, gußrr wo neben dieser das Landesrecht geltend ieb. * Diese Ausnahmen beruhen theils auf olizeilichen Gründen (§§ 3, 10 und 12 des Ge- etzes), theils auf Rücksichten der Armenlast (§§ 4, t 9 des ahelebe 6 Damit sind namentlich Aufenthalts- Pebühren gemeint; als solche gelten nicht urtaxen, da diese einen mehr privatrecht- eine bestimmte Leistung find. Auch Auflassungs= stempel und Umsatzgebühren seczen nicht mit der Vorschrift des reizüsigkeitsge etzes im Wider- spruch; f. u. A. Riedel, Verf.-Urk., S. 227. * Vgl. Reichsstrafgesetzbuch § 39. ç 7 Zur Auslegung und Anwendung dieses zweiten Absatzes in § 3 hat der Bundesrath Grundsätze aufgestellt, welche durch Circular- rescript des preuß. Ministers des Innern vom 28. Juli 1894 (Preuß. Minist.-Bl. f. die ges. Verwaltung des Innern 1894, S. 147) mit- getheilt sind; s. auch die Rescripte vom 24. Jan. 1895 (ebendort S. 28) und vom 2. Juni 1895 (ebendort S. 166).