g 63. Das Gesandtschaftsrecht. 715 auch aus Art. 11 der Reichsverfafsung, welcher nicht allein den Kaiser ermächtigt, Verträge für das Reich abzuschließen, sondern zugleich den Befehl enthält, diese Verträge zu befolgen?. Ob ein Gesetz oder ein Vertrag des Deutschen Reiches Gesetze oder Verträge eines Bundesstaates aufheben will, hängt einmal von der Zuständigkeit des Reiches und sodann von seinem Willen ab. Letzteres stellt eine Auslegungsfrage dar ?2. Unzweifelhaft ist, daß so wenig der Vertrag wie das Gesetz eines deutschen Bundes- —* ein Gesetz oder einen Vertrag des Deutschen Reiches abändern oder auf- eben kann. 5*63. Das Gesandtschaftsrecht?. Gesandte kann Jedermann entsenden wie empfangen: ein Monarch wie ein Privatmann, ein souveräner wie ein abhängiger Staat, ein Bundesstaat wie ein Staatenbund, ein zusammengesetzter wie ein Einheitsstaat. Das Staatsrecht hat es nur mit gewissen Arten von Gesandten zu thun, und zwar mit solchen, welche Beamte find und welchen zugleich völkerrechtlich oder, anders ausgedrückt, nach den vom Empfangsstaate anerkannten völkerrechtlichen Vorschriften gewisse Sonderrechte zustehen, namentlich die Befreiung von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Im Reichsstaatsrecht haben wir es zu thun mit Gesandten des Deutschen Reiches. Diese sendet der Kaiser (Art. 11 der Reichsverfassung); ihre Anstellung beruht auf der kaiserlichen Ernennung, nicht auf dem Etatsgesetze; sie find kaiserliche Beamte, weil unmittelbare Reichsbeamte", und dem Gesetze, betreffend die Rechtsverhältnisse der Reichsbeamten, vom 31. März 18783 (R.-G.-Bl. 1873, S. 61) unterstellt 5. Sie können wie alle diplomatischen Agenten nach § 25 dieses Gesetzes jederzeit und beliebig vom Kaiser mit Gewährung des gesetzlichen Wartegeldes einstweilig in den Ruhestand versetzt werden. Sie können nicht, wie z. B. der Reichskanzler und der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, jederzeit auch ohne eingetretene Dienst- unfähigkeit ihre Entlassung erhalten und fordern (§ 35 daselbst). Ueber die Be- rechnung ihres penfionsfähigen Dienstalters gelten besondere (günstigere) Vorschriften (6 51 daselbst). Für Gesandte kommt folgende, durch Gesetz vom 26. Februar 1876 (R.-G.-Bl. 1876, S. 25) in das Strafgesetzbuch als § 358# eingeschaltete Vor- schrift zur Anwendung: „Ein Beamter im Dienste des Auswärtigen Amtes des Deutschen Reichs, welcher die Amtsverschwiegenheit dadurch verletzt, daß er ihm amtlich anvertraute oder zugängliche Schriftstücke oder eine ihm von seinem Vorgesetzten ertheilte Anweisung oder deren Inhalt Anderen widerrechtlich mittheilt, wird, sofern nicht nach anderen Bestimmungen eine schwerere Strafe verwirkt ist, mit Gefängniß oder mit Geldstrafe bis zu fünftausend Mark bestraft.“ — „Gleiche Strafe trifft einen mit einer auswärtigen Mission betrauten oder bei einer solchen be- schäftigten Beamten, welcher den ihm durch seinen Vorgesetzten amtlich ertheilten 1 S. oben S. 710, ferner Stoerk, in v. Stengel's Wörterbuch, II, S. 527, und die dort angezogenen Erkenntnisse, namentlich des Reichsgerichts vom 22. September 1885, Entsch. in Straff., Bd. XII, S. 384. 2 Das Erkenntniß des Reichsgerichts vom 1. Juli 1889 in den Entscheid. in Civilsachen, Bd. XXIV, S. 12, nimmt nach den Motiven zur Reichskonkursordnung an, daß diese nicht beabsichtigt habe, die am 6. Januar 1854 wiischen Sachsen und Oesterreich abgeschlossene ebereinkunft wegen der wechselseitigen Dpano- lung von Konkursfällen außer Kraft zu etzen. Dies mag hier dahin gestellt bleiben. Anderer- seits un es als Regel gelten, daß Reichsgesetze ältere, ihnen widersprechende Verträge einzelner Bundesstaaten ipso jure außer Krast sepen. Die Gültigkeit des Vertrages beruhte für Sachsen nur auf dem Willen des Königs von Sachsen. nicht auf dem des Kaisers von Oesterreich, noch auf einem Vertrage. Willenserklärungen des Königs von Sachsen können aber ohne den Kaiser von Oesterreich durch Reichsrecht auf den der Reichszuständigkeit unterliegenden Gebieten außer Wirksamkeit gLergt werden. * Literatur: Außer den Lehrbüchern des Staats= und Verwaltungsrechts Miruß, Das europäische Gesandtenrecht, Leipzig 1847, Geff- cken, in v. Holtzendorff's Handbuch des Völker- rechts. Bd. III. S. 603, Stoerk, ebendort, II, S. 656, Zorn, in v. Stengel's Wörterbuch, 1, S. 573 f. 4 Oben S. 637. 5 Oben S. 639.