105 Eine Wesens unschreibung ist es, wenn wir sagen: Die Familie ist eine von der menschlichen Natur geforderte gesellschaftliche Grundform zur Fortpflanzung des Menschengeschlechts und zur Entwicklung des einzelnen Menschen. Die Familie ist jene Gesellschaftsform, die sich gründet auf die Geschlechtsverschiedenheit und die Fortpflanzungs- fähigkeit. Ihr Entstehen verdankt die Familie dem Ehevertrag, der die Gemeinschaft des Blutes zwi- schen den beiden vertragschließenden Teilen bewirkt durch das gegenseitige Recht auf die Leiber. Der Gebrauch des Vertragsrechtes der Bluts- gemeinschaft zwischen den beiden Eheleuten dient der Fortpflanzungsfähigkeit, die dadurch in Tätig- keit tritt und in der Blutsgemeinschaft neue Menschenwesen schafft. Diese gehören derselben Blutsgemeinschaft an, da ihnen dasselbe Blut eigen ist. Das gilt in gleicher Weise von allen, die aus einer Blutsgemeinschaft hervorgehen, so daß sie dadurch unter sich im gleichen Verhältnis stehen. Diese Art von Blutsgemeinschaft zwischen Eltern und Kindern und der Kinder untereinander heißt gewöhnlich Blutsverwandtschaft. Sie ist durch die Fortpflanzung bzw. Abstammung be- gründet im Unterschied von der durch Ehevertrag begründeten. Es sind so zwei Arten der Bluts- gemeinschaft, die sich zueinander wie Wirkung und Ursache verhalten. Die Natur nun dringt auf Er- weiterung der Blutsgemeinschaft in der Art, daß sie auf die Dauer einer Blutsgemeinschaft wider- strebt, die sowohl durch Fortpflanzung bzw. Ab- stammung wie auch durch Ehevertrag begründet wäre. Das Widerstreben der Natur gegen diese sog. Inzucht äußert sich in der Entartung und im Aufhören der Fortpflanzungsmöglichkeit bei den betreffenden Individuen. Die von der Natur gewollte Erweiterung der Blutsgemeinschaft ist die, daß Mann und Weib, die nicht derselben Blutsverwandtschaft angehören, sich zur ehelichen Blutsgemeinschaft zusammen- finden. Dadurch werden dann allerdings auch die beiderseitigen Blutsverwandten miteinander in engere Beziehungen gesetzt, aber nicht so eng wie die zwei Eheleute durch den Ehevertrag, noch auch in der Art der durch Fortpflanzung hergestellten Blutsgemeinschaft. Diese neue Art von Gemein- schaft wird Schwägerschaft genannt. Durch diese Gemeinschaftsbildung wirkt die Familie grundlegend und aufbauend für die Organisation des Gesellschaftslebens überhaupt. Durch Abstammung, Verwandtschaft und Schwägerschaft werden größere gesellschaftliche Gruppen gebildet, die sich über der Familie auf- bauen. Die wichtigste davon ist die „Sippe“, d. h. eine Gruppe von Personen, die sich durch gemeinsame Abstammung sowohl in der geraden Linie wie in den seitlichen Linien und ihren Ver- zweigungen verbunden fühlen (Fuchs). Über der Sippeerhebt sich der Stamm und darüber das Volk. Der natürliche Zuwachs der Familie kann auch ersetzt werden durch die Rechtsform der Adop- Familie. 106 tion, die Aufnahme fremder Kinder in den Familienverband mit den Rechten der natürlichen Kinder (s. d. Art. Eltern). Eine Erweiterung des Familienkreises ist auch das Dienstbotenver- hältnis (s. d. Art. Gesinde). 3. Sittliche Ordnung. Die Familie ist der Kern der gesellschaftlichen Organisation, die sich aus ihr fortwährend entwickelt und erneut. Damit ist schon ausgedrückt, daß die Familie kein unabhängiges Nebeneinander von mehreren Men- schen ist, sondern ein geordnetes Gebilde. Die Ordnung, die darin herrschen soll, gehört dem sitt- lichen Gebiet an, weil die Mitglieder der Familie sittliche Wesen sind. Und da die sittliche Ordnung der Familie in innigster Beziehung zu Gottes Wille und Wirken steht, da zudem das Christen- tum die Familie im Sakrament der Ehe über- natürlich heiligt und kräftigt, wird sie zugleich eine religiöse christliche Einrichtung. Der Einheits- punkt, um den sich die Menschen in der Familie zu ordnen haben, ist die Autorität des Gatten und Vaters. Die Pflichtenkreise gliedern sich in die Gattenpflichten, Eltern= und Kindespflichten, und diesen analog in die Pflichten von Herrschaften und Dienstboten. Natürlich wurden im Lauf der Zeit je nach der ethisch-religiösen Auffassung diese Pflichten verschieden aufgefaßt oder auch vernachlässigt. Das Christentum hat gerade in der Familie mit seiner welterneuernden Macht eingesetzt, indem der Sohn Gottes durch seine Menschwerdung in den Schoß einer Menschen- familie herabstieg. Das organisierte Christentum, die Kirche, hat dann im Lauf der Zeit auf die Umgestaltung und Höherbildung der Familie den nachhaltigsten und tiefstgehenden Einfluß ausgeübt durch seine Pflichtenlehre und Gnadenvermittlung. II. Zur Geschichte. Die Familie, das Wort im engsten Sinn genommen, ist gegeben mit der Natur des Menschen, christlich gesprochen, durch seine Erschaffung als Mann und Weib mit dem Auftrag, sich fortzupflanzen. Die Geschichte der Familie ist nun nichts anderes als das Schicksal dieser ursprünglich in die Natur des Menschen hineingeschaffenen Organisation in den verschieden- sten Zeiten und Ländern und Völkern. An die ursprüngliche Gestalt der Familie knüpfte das Christentum an, mit dem Bestreben, sie wieder- herzustellen und in eine höhere Ordnung zu er- heben. Dadurch wurde das Christentum zum ge- waltigsten Ereignis in der Geschichte der Familie und ist es bis in die Gegenwart geblieben. Indem die Kirche die ethisch-religiöse Ordnung der Ehe und Familie betonte, machte sie dieselbe frei vom Joch des Staates und der andern weltlich-irdischen Gewalten. Durch die grundsätzliche Freiheit des Ehevertrages für Mann und Weib wurde die starre Härte der römisch-rechtlichen patria pote- stas und der deutsch-rechtlichen väterlichen Munt gebrochen, der hauptsächlich die Tochter fast recht- los preisgegeben war. Auch die Form des Braut- kaufs war damit des Inhalts entleert. Durch das