383 svstem aus staatsrechtlichen, und des Episkopalis= mus, welcher dasselbe aus kirchlichen Erwägungen bekämpft. Der Territorialismus geht von römisch- rechtlichen Anschauungen aus, ist inhaltlich nur eine Wiederholung des römischen Staatskirchen- tums, betont die unbedingte Selbständigkeit der weltlichen Gewalt (Landeshoheit) und vindiziert dem weltlichen Herrscher auf Grund des römischen Staatskirchentums gewisse Rechte in Bezug auf die äußere Ordnung der Kirche (Kirchenhoheit). Das Episkopalsystem stellte im 15. Jahrh. ins- besondere in seinen hauptsächlichsten Vertretern d'Ailly und Gerson, die Theorie von der Superio- rität des allgemeinen Konzils über den Papst auf. Das Resultat des gemeinsamen Kampfes der engen Verbündeten, Territorialismus und Episkopalis= mus, gegen das System der päpstlichen Zentral- gewalt, wie es seit dem 11. bis 13. Jahrh. zur juristischen Ausbildung und rechtlichen Herrschaft gelangte, war der Gallikanismus. Die Grundlage des französischen Staats- kirchenrechts bildet der zum Rechtssprichwort er- hobene Satz: Rex Francorum superiorem in temporalibus non agnoscit, von Papst Inno- zenz III. im Jahre 1213 feierlich anerkannt (c. 28 X 5. 33). Durch Verbot der Lehre des römischen Rechts in Paris und Frankreich wollte der Papst, wie er selbst sagt, die Unabhängigkeit Frankreichs gegen die Legisten schützen, welche dem Kaiser als dominus mundi eine Jurisdiktion über alle christlichen Fürsten und Nationen zuschrieben. Dieser Rechtssatz nun wurde bald von französischer Seite gegen den Papst selbst gewendet, um die Unabhängigkeit der weltlichen Gewalt von ihm festzustellen (Eichmann, De recursu ab abusu [1903)). Zunächst bestritt der königliche Advokat Pierre Dubois in seiner Schrift Quaestio de potestate papae die Lehre der Kanonisten, daß der Papst Herrscher aller Menschen sei. Nach Publikation der Bulle Unam sanctam Boni- faz'’ VIII. (18. Nov. 1302) schien das alte Vor- recht Frankreichs: Rex Francorum superiorem in temporalibus non agnoscit, beseitigt. König Philipp der Schöne rief zur Verteidigung des- selben die Professoren der Universität Paris in die Schranken, welche das Rüstzeug in diesem litera- rischen Kampf lieferten, nämlich Marsilius von Padua, Johannes von Jandun, den Minoriten Wilhelm von Occam und vor allem den Domini- kaner Johannes von Paris (De potestate regia et papali). Der Nachfolger Bonifaz' VIII., Papst Klemens V., mußte im Jahre 1306 Frankreich von der Bulle Unam sanctam wieder ausnehmen (Privil. Meruit c. 2 Extravag. comm. 5, 7 unter Anerkennung des Staates und des Königs Un- abhängigkeit auf weltlichem Gebiete. Um dieselbe Zeit stellte Marsilius von Padua, unterstützt von seinen Kollegen an der Pariser Hochschule, dem Dominikaner Johannes von Paris und dem Mi- noriten Ubertino von Casale, bezüglich der Kirchen- verfassung dem Papalsystem das Episkopal-= Gallikanismus. 384 system gegenüber, welches er in seinem 1324 er- schienenen Defensor pacis dahin formulierte: Der Primat des Papstes habe nur den Zweckh, die Einheit der Kirche zu repräsentieren und zu erhalten, er sei primatus honoris, nicht jurisdictionis; die Fülle der Kirchengewalt komme dem Episkopat zu; das Konzil stehe über dem Papste. Von be- deutsamer Weiterentwicklung für diese Rechtsan- schauungen waren die Beschlüsse der vom König Philipp VI. nach Vincennes im Jahre 1329 einberufenen Versammlung von Prälaten und weltlichen Rechtsgelehrten, und zur praktischen An- wendung kamen sie in der konziliaren Bewegung bei den allgemeinen Kirchenversammlungen von Konstanz (1414/18) und Basel (1431/44). So haben die monumentalen Vier gallikanischen Artikel vom 19. März 1682, verfaßt von Bossuet auf Betreiben Ludwigs XIV. und Colberts, schon lange vor ihrer eigentlichen Redaktion durch des Bischofs von Meaux geschickte Hand als Lehr- meinung ihre Rolle gespielt. Freilich ihren letzten Ursprung aufzusuchen, wäre eines der schwierigsten Probleme. Denn „Ideen lassen sich nicht auf Tag und Stunde datieren; sie kommen nicht mit dem Stammbaum in der Hand auf die Welt“. Anders die „gallikanischen Freiheiten“; sie sind Gesetz, und ihr Inhalt ist vom ersten Tage an unzweifelhaft: Ausschluß des Papstes von jeder direkten Verfügung über AÄmter und Einkünfte der französischen Kirche (J. Haller, Papsttum und Kirchenreform, 1903). Ebenso unzweifelhaft ist ihr Geburtstag. Am 18. Febr. 1407 sind sie auf einer Pariser Nationalsynode beurkundet, am 15. Mai 1408 im Pariser Par- lamente registriert worden. Wie ist man aber im Jahre 1407 darauf gekommen, Freiheiten der gallikanischen Kirche zu verkündigen oder, wie der Ausedruck lautete, ihre alten Freiheiten wiederherzustellen? Zunächst gebrauchte die fran- zösische Regierung bzw. die geistige Urheberin und eigentliche Trägerin dieser ihrer Politik, die Pariser Universität, die Losung von den Freiheiten der gallikanischen Kirche bei ihren Bemühungen um Beseitigung des abendländischen Schismas; von ihr ist sie in den Unionskampf hineingetragen worden. Schon in der Denkschrift der Hochschule, welche im Sommer 1394 die ganze Bewegung einleitet, klingt einmal das Motiv an von den ecclesiae libertates ereptae. Deutlicher spricht eine weitere Denkschrift vom Jahre 1395. Liberté et franchise de I’église de France ist auf der Synode vom Jahre 1398 ein geläufiges Schlag- wort, auf welcher zugleich der Pariser Theologie- professor Gilles Deschamps erklärt, wenn die Befreiung der französischen Kirche von dem päpst- lichen Drucke bei dieser Gelegenheit nicht erreicht werde, nachdem man so lange und so gründlich darüber gestritten, dann werde sie überhaupt nie zustande kommen. Die Unionsverhandlungen soll- ten demnach nur den willkommenen Anlaß zur Erreichung dieses Zieles bieten. Auf den zahl-