35 Bischof beigelegt, der jenem nicht angehörte. Vom 8. Jahrh. an kam aber dieser Zusatz bei Klerikern anderer Kirchen immer seltener in Anwendung und allmählich ganz außer Gebrauch, während er für die Kleriker der römischen Kirche ständig wurde und damit die Bedeutung eines offiziellen Titels erhielt. Aber auch in dieser Bedeutung blieb das Wort noch keineswegs ausschließlich und allein in seiner Anwendung auf den Klerus der römischen Kirche beschränkt; vielmehr haben jahrhundertelang auch einige Kleriker anderer Kirchen (Konstantinopel, Mailand, Ravenna, Trier, Magdeburg, Köln, Aachen u. a.) diesen Titel ge- führt, und zwar, wie bei den meisten nachweisbar ist, auf Grund einer besondern Verleihung (Privi- legium Leos IX. vom Jahre 1052 für Köln; Privilegium Gregors V. vom Jahre 997 für Aachen). Erst Pius V. hat in seiner Konstitution vom 17. Febr. 1567 unter Aupfhebung aller bis- herigen Privilegien die Führung dieses Titels den Bischöfen, Priestern und Diakonen der römi- schen Kirche reserviert (Ferraris s. v. Cardinalis art. 1, n. 6). Von besonderem Interesse ist es, den wahren Sinn des Wortes cardinalis zu ermitteln und damit die eigentliche und richtige Bedeutung dieses Titels festzustellen. Offenbar ist dasselbe etymo- logisch von dem Worte cardo herzuleiten. Cardo heißt zunächst die Türangel, sodann aber in Anknüpfung an diese Bedeutung metaphorisch der Haupt= und Schwerpunkt, um den sich bei einer Sache alles dreht. Mit dieser Bedeutung war die Anwendung dieses Ausdrucks auf eine bischöfliche Kirche als Hauptkirche, Mittel- und Schwer- punkt der Diözese und namentlich auf die römische Bischofskirche als Hauptkirche, Mittel- und Schwer- punkt des christlichen Erdkreises von selbst gegeben (c. 2, §86, D. XXII). Danach kann incardinare nur bedeuten: einer Hauptkirche einfügen oder mit derselben in Verbindung bringen, und incar- dinatus oder cardinalis ist jemand, der einer Hauptkirche eingefügt, ihr zugehörig ist. Wenn vielfach incardinatus oder cardinalis als gleich- bedeutend mit intitulatus aufgefaßt und dem- gemäß darunter ein bei irgend einer Kirche fest und dauernd Angestellter verstanden wird, so ist das gewiß insofern richtig, als auch in cardinalis die Idee der festen Anstellung zum Ausdruck kommt und der cardinalis immer auch intitula- tus ist. Aber beide Ausdrücke decken sich ihrer Bedeutung nach keineswegs. In dem Worte cardinalis liegt mehr, und darum ist seine Be- deutung enger; es wird in ihm die Anstellung an einer Hauptkirche betont, und hierin besteht eben seine Verschiedenheit von intitulatus. Ubri- gens darf man seine Anwendung nicht auf die Kleriker bischöflicher Kirchen beschränken. Jede Kirche, welche im Gegensatz zu andern als Haupt- kirche erscheint — so die Pfarrkirche gegenüber den Nebenkirchen, Oratorien und Kapellen —, konnte cardo genannt und den Klerikern an der- Kardinäle. 36 selben die Bezeichnung cardinalis gegeben werden (Diplom Karls III. vom Jahre 908; Hinschius, System 317, 2; Phillips, Kirchenrecht VI 49, 50). Mit der Zugehörigkeit zu einer Hauptkirche ist die Bedeutung des Wortes cardinalis aber noch nicht erschöpft. Nicht alle Kleriker an einer Haupt- kirche trugen diese Bezeichnung, sondern nur solche, die sich vor den andern durch etwas auszeichneten und deshalb diesen gegenüber eine hervorragende Stellung und einen höheren Rang hatten. Damit schließt dasselbe seiner vollen Bedeutung nach zwei wesentliche Momente in sich: das der Zugehörigkeit zu einer Hauptkirche und das der Auszeichnung und des höheren Ranges unter den Klerikern an derselben. Beide Momente treffen aber bei den Mitgliedern des römischen Presby- teriums ganz besonders zu: die Zugehörigkeit zu der römischen Kirche, die ja der cardo cardinum ist, und die hervorragende Bedeutung und beson- dere Auszeichnung, die darin begründet liegt, daß sie sich als Ratgeber und Gehilfen des Papstes an der Leitung und Regierung der Gesamtkirche beteiligten. So kam der alte Name Presbyterium außer Übung, und an dessen Stelle trat die Be- zeichnung Kardinalkollegium. Daß die Pöäpste sich des Kardinalkollegiums als Beirates bedienten und dieses ebenso wie früher das Presbyterium ihren ständigen Senat bildete und seine Mitglieder an der Ausübung des obersten Kirchenregiments in Form der Mit- wirkung oder Vertretung teilnahmen, bedarf keines näheren Nachweises. Aber die Art und Weise dieser Teilnahme war zunächst noch nicht ge- nau bestimmt und geregelt. Die Betätigung des Kardinalkollegiums wie die der einzelnen Kar- dinäle bewegte sich vorerst noch in keinen festen Formen; sie trug noch lange Zeit den Charakter einer ungebundenen, freien, sozusagen flüssigen Zuständlichkeit. Das jeweilige Bedürfnis und die Natur der Angelegenheiten, um deren Entschei- dung oder Erledigung es sich handelte, waren maßgebend, nicht bleibende Regeln und organi- satorische Bestimmungen. Damit hing es denn auch zusammen, daß die Kardinäle trotz der hohen Bedeutung, welche ihre Betätigung im Interesse der Gesamtkirche hatte, und trotz der hervorragen- den Stellung, die sie deshalb tatsächlich vor allen andern kirchlichen Würdenträgern einnahmen, diesen gegenüber rechtlich noch keinen äußern Vorrang hatten. Auch bezüglich der Kacdinäle war zunächst noch in voller Geltung der alte kirchliche Grundsatz, wonach über die Präzedenz der Weihegrad und innerhalb desselben entweder das Alter der Ordination oder die höhere juris- diktionelle Stellung — die Metropolitan= und Patriarchalwürde — entschied (Bulle Leos IX. vom Jahre 1052, Mansi XIX 771). Wenn auch schon in der zweiten Hälfte des 11. Jahrh. in einzelnen Fällen den Kardinalbischöfen vor andern Bischöfen der Vorrang eingeräumt wurde, so trat dieses bezüglich aller Kardinäle entschie-