wurde widerstandsfähiger gegen den Kriegstaumel und seinen Anspruch, gesunden Sinn, Menschlichkeit und Gerechtigkeit außer Kraft zu setzen. Der Gefangenenaustausch führte mich mit General Friedrich auch in Konstanz zusammen. Dorthin begab ich mich so oft wie möglich, wenn die Züge mit schwerverwundeten Deutschen von Lyon über die Schweiz eintrafen und schwerverwundete Engländer und Franzosen abtransportiert wurden. In Konstanz waltete Major v. Polentz als Stellvertreter des Kriegs- ministeriums seines Amtes. Es gelang ihm, sich großes Ansehen bei Freund und Feind und bei den neutralen Schweizern zu erwerben. Der Name „le roi de Constance“, der ihm bei den Franzosen beigelegt wurde, ist bezeichnend. Den überwältigenden Eindruck, den ich bei der Ankunff derersten schwerver- wundeten Deutschen empfing, habe ich in einem Brief an den Reichskanzler niedergelegt. Man stand in banger Erwartung gebrochener, verkrüppelter Menschen und suchte nach Worten, die den rechten Trost spenden sollten. Da fuhr der Zug ein, und wir wurden von einem Jubel umfangen, der unsere Herzen erhob: „Was liegt am eigenen Leid, wenn nur Deutschland siegt!“ Bei einem solchen Verwundetenaustausch hatte ich einen Konflikt mit dem Kriegsministerium. Deutsche und französische Offiziere sollten gleich- zeitig abtransportiert werden. Die Franzosen waren bereits in Konstanz eingetroffen, da erfuhr unsere Behörde, daß Frankreich seinen Teil des Abkommens nicht erfüllt hätte, und nun wurde den unglücklichen schwer- kranken Männern kurz vor Erreichung der ersehnten Freiheit mitgeteilt, daß sie in die Gefangenschaft zurück müßten. Da wandte ich mich tele- graphisch an den Kaiser und bat ihn, durch einen Akt der Großmut die französischen Behörden zu beschämen. Er würdigte sofort diesen Stand- punkt, und ich konnte den verzweifelten französischen Offizieren die Bot- schaft bringen, daß ihrem Weitertransport nichts im Wege stünde. Als ich sie verabschiedete, appellierte ich an ihre Ritterlichkeit, die von ihnen verlange, auch in ihrer Heimat zu bekennen, daß sie ihre Freiheit allein der Großmut unseres Kaisers, des in Frankreich am meisten verleumdeten Mannes, zu verdanken hätten. Es dauerte dann gar nicht lange, bis die deutschen Offiziere in der Heimat eintrafen. Die Herbeiführung des Gnadenaktes war ganz im Sinne des Keichs- kanzlers. Ich muß aber zugestehen, daß Frankreich gegenüber die Repressalien- politik in der Gefangenenbehandlung nicht vollskändig zu entbehren war. Vielfach halfen sich unsere Lagerkommandanten damit, daß sie anbefoh- lene Härten nicht ausführten, wohl aber die ihnen unterstellten Gefangenen veranlaßten, nach Hause zu schreiben, daß die angedrohten Maßnahmen in Kraft getreten wären. 13