Gegen England wurden die Repressalien mit der Zeit immer unnötiger. Bei den leitenden Stellen war dort sicher der Wille vorhanden, gerecht vorzugehen. Böse Einzelfälle sind zu verzeichnen — an ihnen trägt die Gesinnung der Hetzpresse die wesentliche Schuld.! Doch die Gerechtigkeit fordert, festzustellen, daß in England keine rohe Tat geschah und kein wüstes Wort gesprochen wurde, ohne daß anständige Menschen in zorniger Ab- wehr aufstanden. Die Quäker? vor allen haben die Fahne des Roten Kreuzes nie gesenkt. Ihre mutige Werbearbeit hat Dr. Markel den Weg bereitet, um der große Beschützer der deutschen Gefangenen zu werden. Rußland gegenüber war unsere Lage sehr schwierig. Dort verband sich gewissenlose Nachlässigkeit vielfach mit jener Grausamkeit, die im slawischen Charakter so unberechenbar hervorbricht und häufig mit echter Herzensgüte abwechselt. Das Ergebnis waren die furchtbarsten Greuel- taten des Krieges. Repressalien aber waren hier sinnlos. Dem Russen wogen die Leiden der eigenen Volksgenossen gering gegenüber der Lust an Rache, die besonders nach deutschen Siegen nicht zu zügeln war. Ich habe immer das Kriegsministerium vor Vergeltungsmaßnahmen gegen Rußland gewarnt, weil sie verhundertfacht auf unsere Landsleute zurückfallen würden. In ARußland konnte nur das Eingreifen einzelner gebietender Persön= lichkeiten rasche Hilfe bringen. Bei einer dramatischen Gelegenheit konnte ich die Kaiserinmutter zu einer rettenden Intervention bewegen. Ein öster- reichischer Offizier war unschuldig als Spion zum Tode verurteilt worden. Am Tage, da er gehängt werden sollte, setzte die Kaiserinmutter seine Be- gnadigung durch. Die Zustände beim Bau der Murmanbahn sind oft geschildert worden. Dort leisteten deutsche Gefangene, schlecht gekleidet, schlecht ernährt, in eisiger Kälte die härteste Fronarbeit. Sie starben zu Tausenden an Skorbut. Arzte waren kaum vorhanden, Hflegepersonal überhaupt nicht, es fehlte an den nötigsten Medikamenten. Teuflische Aufseher unternahmen es, noch die Todkranken zur Arbeit zu peitschen.3 Die amerikanische Gesandtschaft schritt nicht wirksam ein; sie hat den ihr anvertrauten Schutz der gefangenen Deutschen in Rußland lässig und 1 Am meisten tat sich in der Hetze gegen deutsche Gefangene und alle, die ihnen Gutes erwiesen, der „John Bull“ hervor. Leider konnte er in der Zeit der ärgsten Denunziationen berichten, daß seine Abonnentenzahl die Million erreicht habe. 2 Die „Emergency Committee of the Society of Friends for Helping Germans, Austrians and Hungarians in Distress“ bemühte sich besonders um die Zivil- gefangenen, während Dr. Markel sich der Kriegsgefangenen annahm. * Man kann verstehen, daß unser Kriegsministerium den Bericht der schwedischen Schwestern über die Zustände an der Murmanbahn geheim hielt, um den Anver- wandten der Unglücklichen nicht das Herz zu brechen. 14