Letzthin ist der Grund für den leidenschaftlichen Widerstand der Konservativen gegen die Abschaffung des Oreiklassensystems der Mangel an Selbstvertrauen. Sie sind eben keine Aristokraten mehr, sie trauen sich nicht die Kraft zu, Führer zu sein, wenn nicht mehr Privilegien, sondern das Volksvertrauen sie tragen soll. Darum haben sie nicht die Courage, sich von ihren entnervenden Standes- vorteilen zu befreien. Dieser Mangel an Selbstvertrauen ist vielfach unbegründet: Noch ist das Rohmaterial in Deutschland vorhanden, aus dem eine konservative Golkspartei werden kann. r□N— Allerdings auch unter den Liberalen fehlen die Rufer im Streit. Man liest nicht ohne Wehmut die Worte, die der englische Historiker Headlam in der Zeit- schrift „New Europe“ geschrieben hat: „Wir kenmnen von alters her diese deutschen Liberalen — gelehrt, doktrinär, behaglich, gern argumentierend, die ein Jahrhundert lang bereits geredet und OHläne gemacht und geschriftstellert und diskutiert haben. Aber das eine, woran sie es beständig haben fehlen lassen, das ist das Handeln ... Die Energie der Dropaganda, die Initiative beim Handeln findet sich nicht bei ihnen, sondern bei ibren Gegnern.“ r# In dieser Not sucht man unwillkürlich Hilfe bei der Krone. Der monarchische Gedanke macht gegenwärtig überall die schwerste Krisis durch. Sollte der Krone die Führertat gelingen, nach der das Volk sich sehnt, die aber die Staatsmänner nicht wagen, verschüchtert durch die erregten Parteileidenschaften, dann würde Über Nacht zur lebendigen Wirklichkeit jenes Volkskönigtum, von dem Friedrich Naumann in seinem Buchet so schön zu erzählen weiß.“ Am 27. Januar erhielt ich einen neuen Hilferuf aus Berlin. „.. Deutschland ist in der größten Gefahr seit Kriegsbeginn, trotz unserer glänzenden militärischen Lage. Ich nehme nicht an, daß eine Niederlage über uns kommen wird, die es der Entente ermöglicht, einen Frieden zu diktieren. Aber es liegen häßliche Instinkte in den Volksmassen auf der Lauer, gerade wie in England, gerade wie in Osterreich, gerade wie in Rußland. Es herrscht ein ge- heimnisvolles Zusammenarbeiten zwischen ihnen. Noch sind nationale Schranken vorhanden, aber sie sind dünn, und eines schönen Tages, unter dem Druck einer allgemeinen Weltdepression und einer Weltknappheit, brechen diese Instinkte los und schließen einen Frieden, der das Deutschland in Trümmer schlagen wird, das allein imstande und würdig ist, seine Sendung in der Welt zu erfüllen. Unser Land ist fester, ist mehr geschützt gegen die Ansteckung durch die „Un- ordentliche Demokratie“ als irgendein anderes Land. Gelingt es aber während der kommenden furchtbaren Monate den Feinden, die Verantwortung für die Fortsetzung des Krieges unserer Regierung anzuheften, so brechen sicher revo- lutionäre Zuckungen los. Darum ist es notwendig, heute dem Kriege den Cha- rakter des Verteidigungskrieges zu bestätigen. Das geschieht nicht durch ständige Wiederholung, sondern für das Volksgefühl muß dieser Krieg ein Volkskrieg 1 Demokratie und Kaisertum, Berlin 1000. 214