Fünftes Kapitel Der „Ethische Imperialismus“!1 Wie wäre unsere Lage, wenn heute Verhandlungen stattfänden? 1. Unsere militärische Lage ist so glänzend wie noch nie. Rußland ist aus- geschaltet. Es wird in den nächsten Monaten noch kein großes amerikanisches Heer in Frankreich stehen. Wie Stegemann es ausdrückt: die Einkreisung ist vorüber. Bisher war es immer unser Geschick in diesem Kriege, im ent- scheidenden Augenblick durch Ereignisse an einer anderen Front daran ver- bindert zu sein, an der gerade von uns bevorzugten Front unseren mili- tärischen Erfolgen ihre größtmögliche Auswirkung zu geben. In den Worten: „Viele Hunde sind des Hasen Tod“ lag das ausgesprochen, was unsere Feinde immer wieder ermutigte und uns schwere Sorge machte. 2. Heute sind unsere Feinde nervös. Diese Nervosität gründet sich nicht allein auf die Abschätzung unserer materiellen Machtmittel, sondern das unheimliche Gefühl steht im Hintergrund, der unberechenbaren Erfindungs- kraft einer genialen Heerführung gegenüberzustehen. Als Hindenburg Generalstabschef wurde, entfuhr Repington das Wort: „Wir dürfen uns keine Freiheiten mit dem alten Marschall herausnehmen.“ Die Namen Hindenburg und Ludendorff sind eine große moralische Kraftquelle für Deutschland und eine große moralische Schwächequelle für unsere Feinde. 3. Dieses Gefühl von der Lberlegenheit der deutschen Strategie ist be- sonders niederdrückend, weil das Mißtrauen in die eigene Strategie bei den Feinden so groß ist. Fünf Minuten vor Zwölf wechselt England seinen Generalstabschef. Hier liegen Elemente der Unsicherheit, die im Rücken der Entente-Anterhändler zu wissen, für uns gut, für die Entente schlecht wäre. 4. Stegemann sagt: „Die strategische Drohung ist politisch besser zu fruktifizieren als der geglückte Angriff.“ Wir können es auch anders aus- drücken: Ob wir uns am Verhandlungstisch durchsetzen werden oder nicht, 1 Ich gebe die Denkschrift gekürzt wieder, nicht in der Form, wie sie als Pro- memoria für den Kaiser und den Kanzler hergestellt wurde. 240