Erstes Kapitel Ubernahme der Regierung und Waffenstillstandsangebot Ich traf am 1. Oktober um 4 Uhr in Berlin ein. Um 4 LUhr 30 sah ich Herrn v. Haeftent in meinem Absteigequartier. Er machte mir im Auftrag der Obersten Heeresleitung die Mitteilung: Unsere militärische Lage habe sich entscheidend verschlechtert. Am 29.Sep- tember sei in Spa der Entschluß gefaßt worden, sich an den Präsidenten Wilson zu wenden, seine 14 Dunkte anzunehmen und ihn um die Ver- mittlung eines Waffenstillstandes zu bitten.? Wir konnten beide längere Zeit nicht sprechen. Dann fragte ich: „Man gibt mir also nicht Zeit bis zum November?" Haeften verneinte. Ich erklärte, dann müsse ich ablehnen; meine ganze Politik basiere darauf, daß wir die Kampagne durchhbielten. Ich hätte keine Vorstellung davon gehabt, wie furchtbar unsere Lage sei, übrigens die Welt auch nicht; sie würde es erst durch unser Angebot erfahren. Haeften erwiderte, es sei unter allen Amständen geboten, der ermüdeten Armee NRubhe zu verschaffen, und man hoffe zuversichtlich darauf, daß Dräsident Wilson sofort die Vermittlung eines Waffenstillstandes in die Hand nehmen würde. Wir fuhren zu Herrn v. Dayer. Auch ihm war das Angebot fürchter- lich; aber er sprach davon wie von einer unabänderlichen Tatsache. Er rief Major v. d. Bussche herbei, um mich über die militärische Lage zu orien- tieren. Herr v. d. Bussche war am 29. September eigens vom Hauptquartier nach Berlin entsandt worden, um die politischen Instanzen aufzuklären. Er erstattete mir (dem Inhalt nach) folgenden Bericht: In wenigen Tagen habe sich die Lage grundlegend verändert. Der Zusammenbruch der bulgarischen Front habe alle Dispositionen über den Haufen geworfen. Für die Westfront bestimmte Truppen mußten 1 Bagl. Auszüge aus einem Ende 1918 der Obersten Heeresleitung erstatteten dienstlichen Berichte des Obersten v. Haeften über seine Tätigkeit 1918, Das Werk des Untersuchungsausschusses, 2. Bd., 1926, S. 374. 2 VPgl. Amtliche Urkunden Nr. 13 und Ludendorff, a. a. O., S. 583 ff. 335