Gleich darauf kam die Schreckensnachricht, welche die Grundlage aller Zuversicht zerbrach: Die Naumburger Jäger sind zu den Aufständischen übergegangen. Ich gab die Nachricht nach Spa weiter, ebenso wie die nachfolgenden, sich häufenden Meldungen über versagende und meuternde Truppen. Ich forderte die Entscheidung und habe sagen lassen, es handelte sich nicht um Stunden, sondern um Minuten. Unsere Telephonate wurden in Spa ent- gegengenommen durch die Herren v. Hintze, Grünau, Graf Schulenburg, General Gröner und andere. In diesen Telephongesprächen, die bis gegen 11 Uhr stattfanden, wurden wir immer aufs neue vertröstet: die Entscheidung stünde bevor, die Sache ginge ihren Gang. Wir sollten noch etwas warten, und dergleichen mehr. Der übereinstimmende Eindruck in der Reichskanzlei war, daß die Dinge sich im Hauptquartier so entwickelten, wie sie nach dem Vortrag der Obersten Heeresleitung sich eigentlich naturnotwendig entwickeln mußten, d. h. daß der Kaiser abdanken würde. Nach 11 Uhr lauteten die Nach- richten bestimmter; die für mich maßgebenden Telephonmeldungen waren: Die Angelegenheit sei jetzt sachlich entschieden; sie seien jetzt bei der Formulierung. — Der Kaiser habe sich zur Ab- dankung entschlossen. Wir würden in einer halben Stunde die Formulierung erhalten. Ich verständige mich mit Simons. „Ihr Gedanke von gestern ist richtig, Ebert ist in dieser Situation der einzig mögliche Reichskanzler.“ Ich sagte mir: die Revolution ist im Begriff, siegreich zu sein; wir können sie nicht niederschlagen, vielleicht aber ersticken. Jetzt heraus mit der Abdankung, mit der Berufung Eberts, mit dem Appell an das Volk, durch die Verfassunggebende Nationalversammlung seine eigene Staats- form zu bestimmen. Wird Ebert mir als Volkstribun von der Straße präsentiert, dann kommt die Republik, ist es Liebknecht, auch der Bolsche- wismus. Aber wenn der abdankende Kaiser Ebert zum ANeichskanzler er- nennt, dann besteht noch eine schmale Hoffnung für die Monarchie. Viel- leicht gelingt es, die revolutionären Energien in die legalen Bahnen des Wahlkampfes zu lenken. 1 Siehe Darstellung der Borgänge im Hauptquartier im „Nachwort“ am Schluß dieses Kapitels (S. 644 ff.). 3 Tatsächlich hat Emil Barth in seiner Schrift „Aus der Werkstatt der Revo- lution“ sich darüber beklagt, daß „die Evolution die Revolution erdrosselt“ habe und sein Traum des kommunistischen Umsturzes zuschanden wurde. „Der Ruf nach der Nationalversammlung hieß die Hinderung der diktatorischen Maßnahmen der Revolution“ (S. 130). 632