216 7. Abschnitt. $ 30. Gesetzgebung, Verordnungen und Verträge. I. Der Begriff des Gesetzes. Das Wort Gesetz hat eine doppelte Bedeutung; man spricht von Gesetzen im materiellen und von solchen im formellen Sinn und will damit sagen, daß der Begriff des Gesetzes im ersteren Sinn durch seinen Inhalt, im letzteren durch seine Form bestimmt wird. Gesetz im formellen Sinn ist jede von den gesetzgebenden Organen aus- gehende, also von der Regierung mit Zustim- mung der Stände erlassene Anordnung. Gesetz im materiellen Sinn dagegen ist jeder Befehl der Staatsgewalt, welcher einen Rechtssatz Aufstellt und damit die Handlungsfreiheit beschränkt, d.h. eine erzwingbare Verpflichtung zu einem be- stimmten Handeln oder Unterlassen auferlegt. Zur Erlassung, Aufhebung, Abänderung und authentischen Erläuterung (d. h. Auslegung durch den Gesetzgeber) eines Gesetzes im materiellen Sinn ist nach $ 88 der V.U. die Zustimmung des Landtags erforderlich. Dasselbe gilt von den- jenigen Gesetzen im formellen Sinn, für welche durch die Verfassung oder durch Gesetz Gesetzes- form vorgeschrieben ist. Es ist aber auch möglich, daß ein Befehl der Staatsgewalt durch Über- einkunft von Regierung und Ständen in die Form eines Gesetzes gekleidet wird, obwohl die Re- gierung auch ohne ständische Zustimmung zum Erlaß der Anordnung berechtigt gewesen wäre; auch in diesem Fall liegt dann ein Gesetz im formellen Sinn vor, das ohne Zustimmung der Stände nicht abgeändert oder aufgehoben werden