— 48 — In Deutschland war nun aber die ständische Rechtsordnung noch viel fester gewurzelt als in Frankreich. Unter dem Bürger konnte man sich nur den Städtebewohner denken. Bei der Über- tragung auf den Staat mußte man einen erklärenden Zusatz machen. Der Kant-Fichteschen Rechtsphilosophie entstammt daher das widersinnige Wort: Staatsbürger. Untertan und Staatsbürger sind der Ausdruck für zwei grund- verschiedene Auffassungen des Verhältnisses vom Staate und seinen Angehörigen. Es war daher begreiflich, daß jede Richtung die entsprechende Bezeichnung in die Gesetzgebung zu bringen suchte. Zur Vermeidung dieses Wortstreites hat man in neuerer Zeit die neutrale Bezeichnung Staatsangehörigkeit gewählt, die beiden Auffassungen freien Spielraum läßt. Im Bundesstaate verwickelt sich die Staatsangehörigkeit nun noch dadurch, daß Gesamtstaat und Einzelstaat nicht nur über dasselbe Gebiet, sondern auch über dieselben Personen herrschen. Es besteht daher ein doppeltes Indigenat gegenüber den beiden Staatsbildungen. Jeder Angehörige eines Einzelstaates ist gleich- zeitig Angehöriger des Reiches. Anfangs war auch jeder Bundes- und Reichsangehörige Angehöriger eines Einzelstaates. Seit jedoch das Reich in Elsaß-Lothringen und den Schutzgebieten reichsun- mittelbare Gebiete besitzt, in denen eine ergänzende Landesstaats- gewalt nicht besteht, ist auch die Möglichkeit einer bloßen Reichs- angehörigkeit gegeben. 8 14. SErwerb und Verlult der Reichs- und Staatsangebörigkeit. Da die Zugehörigkeit zu dem Gesamtstaate und dem Einzel- staate grundsätzlich zusammenfallen, mußten auch die Voraussetzungen des Erwerbs und des Verlustes einheitlich von Reichs wegen geregelt werden. Zwei fremde Vorbilder hatte man dabei. In den Ver- einigten Staaten von Amerika wird erworben und verloren nur das Unionsbürgerrecht, jeder Unionsbürger ist aber Bürger des Einzelstaates, in dem er seinen Wohnsitz hat. Umgekehrt in der Schweiz. Dort wird erworben und verloren nur das Kantons- bürgerrecht, jeder Kantonsbürger ist aber gleichzeitig Schweizer-