— 138 — mehr und mehr entartet, so daß das Reich schließlich eine zu— sammengesetzte Staatsbildung war. Seinen Charakter festzustellen, war eine ebenso anregende wie schwierige, ja unmögliche Aufgabe für die Publizisten. Pufendorf, der größte Publizist des 17. Jahr- hunderts, traf den Nagel auf den Kopf, indem er das Reich, das unter keine der überkommenen Staatsformen paßte, für monstro simile erklärte. Seinem geschichtlichen Charakter gemäß hatte das Reich keine kodifizierte Verfassung, sondern nur einzelne Reichsgrundgesetze. Hierher gehörten a) die Constitutiones Friderici II. von 1220 (für die geistlichen) und 1232 (für die weltlichen Fürsten), b) die Konstitution Ludwigs des Bayern von 1338, c) die goldene Bulle Karls IV. von 1356, d) der ewige Landfriede von 1495, e) Passauer Vertrag von 1552 und Augsburger Religionsfriede von 1555, f) der westfälische Friede von 1648, g) die Wahlkapitulation seit 1519, ständig seit 1711, h) der Teschener Friede von 1779, i) der Reichsdeputationshauptschluß von 1803. Als Inhaber der Reichsstaatsgewalt galten Kaiser und Reich, d. h. der Kaiser in Verbindung mit den Ständen, denen ein Con- dominium zugeschrieben wurde. Das Kaisertum war rechtlich seit Rudolf von Habsburg reines Wahlreich. Die Wahl erfolgte nach der goldenen Bulle durch die Kurfürsten, drei geistliche und vier weltliche, später (nach 1648) in größerer Zahl. Bisweilen wird der Nachfolger schon bei Lebzeiten des Kaisers als römischer König gewählt. Der Kaisertitel ist seit Maximilian I. unabhängig von der pädpstlichen Krönung. Es ist ein römischer Kaiser, König in Germanien. Die Krönung erfolgt in Aachen, später in Frankfurt a. M. Der Kaiser hat nur noch einzelne, ihm vorbehaltene Regierungsrechte, die sog. Reservatrechte. Sonst bedarf er der Zustimmung des Reichstags. Der Reichstag setzt sich zusammen aus den drei Kollegien der Kurfürsten, Fürsten und Stände. Kurfürsten und gleichzeitige Inhaber von Erzämtern sind die drei geistlichen von Mainz, Trier und Köln und die vier weltlichen von Böhmen, Pfalz, Sachsen und Brandenburg, wozu nach Übergang der pfälzischen Kur auf Bayern 1648 eine achte für die Pfalz und 1692 eine neunte für