— 254 — Im Gegensatze zur Gesellschaft hat nun aber der Staat als Quelle ausgleichender Gerechtigkeit das Lebensprinzip in sich, die Beherrschung durch gesellschaftliche Interessen nicht zu dulden, im Gegenteile über ihnen zu stehen und jedem das Seine zu gewähren. Diese seine Aufgabe wird dem Staate dadurch erschwert, daß er auch seinerseits auf Menschen angewiesen ist, die einer Gesellschaftsklasse angehören und bei Erfüllung der Staatsaufgaben ihre sozialen Anschauungen und Interessen mitbringen. Ja eine schwache Staatsgewalt kann hier vollständig den sozialen Mächten unterliegen, indem wie während des Mittelalters die besitzenden Klassen in Stadt und Land die obrigkeitlichen Befugnisse zu eigenem Rechte erwerben und zum Zubehöre ihres Besitzes machen. Die Folge der Uberwältigung der obrigkeitlichen Gewalt durch soziale Mächte ist die Beurteilung aller öffentlichrechtlichen Verhältnisse unter dem Gesichtspunkte des Privatrechts. Ein berufsmäßiges Beamtentum ist durch die gewohnheitsmäßige Handhabung staatlicher Aufgaben als Lebensberuf eher an die Wahrnehmungen staatlicher Gesichtspunkte gewöhnt, unterliegt aber doch auch sozialen Einflüssen. Die volle Vertretung der Staatsidee gegenüber der Gesellschaft ist nur möglich, wenn ein Faktor so hoch über allen sozialen Inter- essen steht, daß sich in ihm die von der Gesellschaft unabhängige Staatsgewalt verkörpert. Dieser Faktor ist gegeben in dem germa- nischen Königtume. In ihm liegt der gewaltige Fortschritt der Staatsbildung des Mittelalters und der Neuzeit gegenüber dem Altertume. Mag es vhnmächtig sein wie in der ständischen Mo- narchie des Mittelalters, in dem parlamentarischen Königtume der Gegenwart, der selbständige Staat schläft nur in ihm und ist nicht tot. Die Staatsidee kann wieder erwachen und sich geltend machen, wie dies die Umbildung der ständischen zur absoluten Monarchie gezeigt hat. Und selbst die großen republikanischen Flächenstaaten halten in der Präsidentschaft der Republik den letzten Abglanz des germanischen Königtums fest. Dabei bewegt sich das Verhältnis von Staat und Gesell- schaft der modernen Kulturwelt in zwei Gegensätzen. Der Staat der Volkssouveränetät bedeutet, da das Volk nichts anderes ist als der soziale Organismus, die Sonveränetät der