Reise nach der Schweiz Friedens- absichten des russischen Minister- Präsidenten Stürmer XIX. KAPITEL Winter 1915/1916 in Luzern + Graf Ledochowski, General S. J. + Initiative des Kaisers für Friedensangebot der Zentralmächte, Verfehltheit dieses ungeschickten Schrittes - Letzte Begegnung des Fürsten Bülow mit Wilhelm II. ». Umsichgreifen des Defaitismus in Deutschland » Energie der französischen Regierung gegenüber ähnlichen Erscheinungen in Frankreich « Pamphlet des Fürsten Lichnowsky »- Unterredung mit Bethmann Holl- weg + Allgemeine Wehrpflicht in England m Dezember 1915 begab ich mich mit meiner Frau, der von ärztlicher Seite ein längerer Aufenthalt in reiner Bergluft angeraten worden war, nach der Schweiz. Den einst von mir so sehr geliebten Genfer See wollte ich wegen der fanatischen, um nicht zu sagen ridikülen Franzosen-Schwärmerei der Waadtländer nicht aufsuchen. Die Mehrheit im Canton de Vaud rühmte sich, noch antideutscher zu scin und die „Boches“ noch mehr zu hassen, als dies selbst in Frankreich der Fall wäre: „Paris peut pardonner, Lausanne jamais!“ Das Engadin war uns in dieser erusten Zeit zu unruhig und zu weltlich. Wir entschieden uns für Luzern, an das mich Kindheits- erinnerungen knüpften. Zweimal war ich mit meinen lieben Eltern als kleiner Junge dort gewesen. Ich erinnerte mich gut der alten Brücke mit ihren Totentänzen, ihren Bildern aus der Stadtgeschichte und ihren treu- herzigen Inschriften. Ich erinnerte mich an den Löwen von Thorwaldsen, den ich als Gesamteindruck nur mit dem Hamburger Bismarckdenkmal vergleichen kann. In der gut gewählten Umgebung, an dunkler Felsenwand über dem kleinen Weiher ist der sterbende Löwe, der mit seiner Tatze die Lilie deckt, eine schöne Verherrlichung soldatischer Treue bis in den Tod, Noch immer befuhr den See der alte „Vierwaldstätter“, der Raddampfer, den ich schon sechzig Jahre früher erblickt hatte. Ich enthielt mich während unseres Aufenthaltes in Luzern jeder po- litischen Betätigung. Die Sorgen, denen sich Bethmann aus angeborener Ängstlichkeit und auch weil er mir gegenüber kein reines Gewissen hatte, hingab, waren unbegründet. Aber ich verfolgte den Gang der Ereignisse mit Aufmerksamkeit in der großen europäischen Presse. Ich las, um mich über die Stimmung in England und in Frankreich zu orientieren, die „Times“ und den „Temps“. Gern sahen meine Frau und ich die Herren der deutschen Gesandtschaft in Bern sowie meinen alten Freund, den früheren Unter-