BEGECGNUNGEN 311 raden, des bei der Schilderung meiner Kriegserlebnisse von mir erwähnten biedern Scharfenberg, ein begabter Architekt, erbaut hatte. Ich hatte während meiner Amtszeit das Hotel mehrmals besichtigt, da es dem Staat für das Landwirtschaf i und für das Oberpräsidium der Pro- vinz Brandenburg angeboten worden war. Der Besitzer war gern erbötig, uns ein geeignetes, nach vorn mit schöner Aussicht auf den Tiergarten ge- legenes Appartement einzuräumen, konnte es aber erst nach einigen Tagen freibekommen und bat uns, inzwischen eine von ihm in der Nähe des lIotels Eden besorgte kleinere Wohnung in einer Pension der Kurfürstenstraße zu beziehen. Dort begegnete ich einer Dame, über die viel und meist unfreund- lich gesprochen worden ist, die aber, wie mir scheint, besser ist als ihr Ruf. Die Gräfin Hetta Treuberg war die Tochter wohlhabender, fein gebildeter israelitischer Eltern, die sie in jungen Jahren mit einem bayrischen Olfizier vermählt hatten, der im Kriege wacker seinen Mann stand, aber nicht gerade geschaffen war, einer Frau von höheren geistigen Ansprüchen bimm- lische Rosen ins irdische Leben zu flechten. In den Sprüchen Salomonis beißt es: „Wer seine Rute schonet, der hasset seinen Sohn, wer ihn aber lieb hat, der züchtiget ihn bald.‘ Es steht aber nirgends geschrieben, daß Frauen gegenüber diese Erziehungsmethode erlaubt oder gar empfehlens- wert sei. Es war begreiflich, daß eine so üble Behandlung von seiten eines Aristokraten die Gattin in das rote Lager getrieben hatte. Sie trug ihre kommunistischen Ansichten mit Feuereifer zur Schau und wurde deshalb im letzten Jahr des Weltkrieges, unter dem alten System, in einem pom- merschen Städtchen interniert. Aber auch das republikanische Regime hat unter Ebert und Bauer die Ärmste schließlich aus Berlin ausgewiesen. Sie war emsig bemüht, uns den Aufenthalt in der Kurfürstenstraße angenehm zu machen. Sie wünschte namentlich, mir einige ihrer linksstehenden Freunde vorzu[ühren. Ich lernte auf diese Weise den Redakteur des „Vorwärts“ Herrn Stampfer kennen und den später oft genannten Abgeordneten Breit- scheid. In dem Erstgenannten fand ich einen Mann von feinem Verstand und guten Formen. Dr. Breitscheid, der übrigens mit vollendeter Höflich- keit und nicht ohne Geist diskutierte, schien mir einen Typus zu repräsen- tieren, der in romanischen Ländern häufiger ist als bei uns: den Radikalen, der sehr avancierte Meinungen zur Schau trägt, aber nur so lange, bis ein Ministerposten in greifbare Nähe rückt. Als das uns im Hotel Eden in Aus- sicht gestellte Appartement frei wurde, übersiedelten wir von der Kur- fürstenstraße nach dem Kurfürstendamm. Einige Tage nach unserer An- kunft erblickte ich im Korridor Uniformen und erfuhr, daß der Stab der Gardekavallerie-Division nach dem Hotel Eden verlegt worden wäre. Am nächsten Morgen wurde uns erzählt, daß in der Nacht Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg dem Militärgericht der Gardekavallerie-Division