— 119 — Es kann dahin gestellt bleiben, ob W. vermöge seiner Anstellung als Lokomotioführer der Main-Weser-Bahn mit Anweisung der Station Frankfurt a. M., in dieser Stadt ein Domizil im zivilrechtlichen Sinne erlangt hat. Jedenfalls hat er seinen thatsächlichen Wohnsitz in Bockenheim genommen, wo er, wie Verklagter zuglebt, eine Miethwohnung inne hatte, und wohin er zu seiner Familie stets zurückkehrte, sobald ihn der Dienst nicht in Anspruch nahm. Dieses thatsächliche Ver- hältniß des gewöhnlichen Aufenthaltes ist nach §. 10 des Relchsgesetzes vom 6. Juni 1870 das entscheidende. Auch kommt es nicht darauf an, daß W. als Staatsdiener möglicher Weise genöthigt werden konnte, seine Wohnung an dem Stationsorte Frankfurt zu nehmen, da er, so lange dies nicht geschah, immerhin seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Bockenheim hatte. Wenn Verklagter die Eigenschaft dieses Aufenthaltes als eines gewöhnlichen ununterbrochenen in Abrede stellt, well W. den größten Theil seiner Zeit außerhalb Bockenheim zugebracht habe, so übersieht er, daß die Fahrten, welche W. als Lokomotioführer zu machen hatte, und welche ihn allerdings meist von Bockenheim, ebenso aber auch von Frankfurt fern hielten, als Unterbrechung der Anwesenheit nach §. 13 des Reichsgesetzes nicht gelten können. Ganz irrelevant ist endlich auch der Umstand, daß W. mit seinem Diensteinkommen der Kommunal-Besteuerung in Frankfurt a. M. und nicht in Bockenheim unterworfen war, da das Besteuerungsrecht der Gemeinde keineswegs, wie Verklagter annimmt, das nothwendige Korrelat der Unterstützungspflicht ist. Da W. durch seine Anstellung in Frankfurt nicht behindert war, an seinem frei gewählten Aufenthaltsorte Bockenheim ein Hilfsdomizil zu erwerben; und da sein, den gesetzlichen Erforder- nissen entsprechender Aufenthalt daselbst unbestritten zwei Jahre, vom 1. Juli 1871 ab, gewährt hatte, bevor öffentliche Unterstützung nothwendig wurde, so ist er in erster Instanz mit Recht für ortsangehörig in Bockenheim erklärt worden. In Sachen des Ortsarmenverbandes der Stadt Buckau gegen den Landarmenverband der Pro- vinz Sachsen hat das Bundesamt ausgesprochen, daß nach den Grundsätzen des preußischen Armenpflege- gesetzes vom 31. Dezember 1842 die im damaligen Auslande d. h. außerhalb des preußischen Staats, ge- währte Armenunterstützung nicht geeignet sei, den Ablauf der dreijährigen Frist des §. 4 jenes Gesetzes auszu- halten. Der Fall lag, wie folgt: Der längst großjährige Fabrikstellmacher N. aus Buckau hatte diese Stadt, in welcher er den Unterstützungswohnsitz besaß, am 7. Dezember 1867 verlassen, war zuerst nach Langeln und von da nach Braunschweig gezogen und an letzterem Orte am 29. September 1870, also vor Ablauf von 3 Jahren seit der Aufgabe seines Aufenthaltes in Buckau, dauernd hülfsbedürftig und aus öffent- lichen Armenmitteln unterstützt worden. Die Stadt Braunschweig hatte ihn in Folge dessen ausge- wiesen und mittelst eines erst am 13. Januar 1871 in Buckau eingegangenen Schreibens vom 31. Dezember 1870 den dortigen Magistrat zur Uebernahme des N. aufgefordert. Der Armenverband Buckau hat sich demgemäß auch der vorläufigen Unterstützung des N. vom 1. Juli 1871 an unter- zogen, glaubte aber, daß der N. landarm sei, da er seinen Unterstützungswohnsitz in Buckau bei Eingang der Aufforderung vom 31. Dezember 1870 bereits in Folge mehr als dreijähriger Ab- wesenheit verloren und seither einen anderen Unterstützungswohnsitz nicht erworben habe. Die deßhalb gegen den Landarmenverband auf Erstattung der bisherligen Kosten und Ueber- nahme des N. erhobene Klage wurde von der Sächsischen Deputation für das Heimathwesen durch Er- kenntniß vom 9. Oktober 1872 abgewiesen. Die Deputation führte aus, daß es für die Unter- brechung der im §. 4 des preußischen Armenpflegegesetzes vom 31. Dezember 1842 bestimmten Frist, Mangels einer entgegenstehenden Unterscheidung im Gesetze, nicht darauf ankommen könne, ob die Hülfsbedürftigkeit des zu Unterstützenden im Inlande oder in dem nach der damals noch in Kraft stehenden Gesetzgebung zum Auslande zählenden Herzogthum Braunschweig hervorgetreten sei, und daß folgeweise, da der N. in Braunschweig bereits am 29. September 1870 der Armenpflege an- heimgefallen sei, die dreijährige Frist auch bereits an diesem Tage unterbrochen worden. Das Bundesamt hat diese Entscheldung am 2. März 1874 abgeändert und den verklagten Landarmen- verband nach dem Klageantrage verurtheilt. In den Gründen heißt es: