— 193 — ist, nach dem Tode ihrer Mutter und da ihr Stiefvater ihr den nothwendigen Unterhalt nicht gewährte, im Dezember 1872 hülfsbedürftig und von dem Ortsarmenverbande Leerhafe vorläufig unterstützt worden. Letzterer verlangte von dem Ortsarmenverbande Oerlinghausen die Erstattung der aufgewendeten Ver- pflegungskosten. Die Fürstlich lippesche Deputation zu Detmold hat ihn hierzu auch verurtheilt, indem sie annahm, daß nach den §§. 15, 18 und 21 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 die Hilke Marie E. in Folge der Verheirathung ihrer Mutter mit Johann Friedrich K. mit dieser den Unterstützungswohnsitz im Amte Oerling- hausen erworben habe. -- Auf die Berufung des Verklagten hat das Bundesamt durch Erkenntniß vom 27. Februar 1875 die erstrichterliche Entscheidung, jedoch aus anderen Gründen als denjenigen der Deputation, bestätigt. Dasselbe führte aus: Der Motivirung des ersten Richters kann nicht beigetreten werden. Denn die Verheirathung der Mutter Katharine E. mit dem ect. K. hat zu Farlage im Gemeindebezirk Leerhafe bereits am 1. August 1868, also vor dem Inkrafttreten des gedachten Reichsgesetzes stattgefunden; das letztere hat aber, wie sich aus dessen §. 65 init. und Nr. 1 und 2 ergiebt, die bereits unter dem älteren Rechte perfekt gewordenen Rechtsverhältnisse so lange unberührt gelassen, als nicht eine Aenderung durch den Eintritt der für die Bildung neuer oder das Erlöschen alter Rechtsverhältnisse im Reichsgesetze vorgeschriebenen thatsächlichen Voraussetzungen herbeigeführt ist. In diesem Sinne hat das Reichsgesetz namentlich ausgesprochen, daß derjenige, welcher am 30. Juni 1871 inner- halb des Landesgebiets ein Heimathsrecht oder einen Unterstützungswohnsitz besessen habe, an dem nämlichen Orte am 1. Juli 1871 einen Unterstützungswohnsitz mit den Folgen und Maßgaben des Gesetzes erlange, und in demselben Sinne hat es, im Einklange mit diesen Bestimmungen, vor- geschrieben, daß zur Feststellung des Unterstützungswohnsitzes für die Zeit vor dem 1. Juli 1871 die bis zu diesem Tage gültigen Gesetze auch ferner noch in Anwendung kommen sollen. Soweit es sich daher hier um die Entscheidung über den Unterstützungswohnsitz des unehelichen Kindes der Katharina E. am 1. Juli 1871 und zwar mit Rücksicht auf die Verheirathung seiner Mutter hau- delt, konnte darüber nicht nach dem Reichsgesetze, sondern nur nach der zur Zeit der Heirath in Kraft gestandenen älteren Gesetzgebung entschieden werden. Aber auch nach der letzteren recht- serligt sich die angegriffene vorderrichtliche Entscheidung. Nach §. 6 des lippeschen Heimathsgesetzes vom 2. März 1841 — Lippesche Verordnung Band VIII. Seite 530 — welcher über die Entstehung des Heimathsrechts durch Verheirathung handelt, folgt die Frau der Heimath des Mannes. Der Verklagte bezieht sich hiergegen zwar auf §. 18, welcher bestimmt: „Eine im Auslande vollzogene Tranung hiesiger Unterthanen wird rück- sichtlich der Heimathsverhältnisse als wirkungslos betrachtet, insofern nicht die Obrigkeit des hier- ländischen Heimathsbezirks ihre Einwilligung dazu ertheilt hat oder hinterher ertheilt.“ Allein der Mangel der hier geforderten Einwilligung konnte im vorliegenden Falle den Eintritt der sich aus dem §. 6 cit ergebenden Folgen nicht weiter verhindern, denn die Bestim- mung des §. 18 des allegirten lippeschen Gesetzes ist durch den §. 1 des Bundesgesetzes vom 4. Mai 1868 über die Aufhebung der polizeilichen Beschränkungen der Eheschließung bereits vor Eingehung der Ehe zwischen dem Ziegelarbeiter K. und der Katharine E. aufgehoben gewesen. Erlangte sonach die Katharine E. durch ihre Verheirathung das Heimathsrecht ihres Mannes, so kann dasselbe auch ihrem unehelichen Vorkinde, der Hilke Marie E., nicht versagt werden, da nach dem §. 4 in tine des allegirten lippeschen Gesetzes uneheliche Kinder der Heimath der Mutter solgen und auch die hannoversche Domizil-Ordnung vom 6. Juli 1827, in deren Geltungsgebiet die Katharine E. bis zu ihrer Verheirathung und nach §. 2 Nr. 3 derselben daher auch ihre Tochter Domizilrecht hatte, die unehelichen Kinder bei der Verheirathung der Mutter ohne Vorbehalt am neuen Domizilrechte Antheil nehmen läßt. Der Verklagte beruft sich zwar noch auf den §. 9 des Gesetzes vom 2. März 1841, welcher die Aufnahme eines Ausländers in einen Heimathsverband des Fürstenthums Lippe von der aus- drücklichen Aufnahmezusicherung der betreffenden Gemeindebehörde abhängig gemacht habe. Allein von einer Aufnahme im Sinne des allegirten Gesetzes handelt es sich hier gar nicht. Das be- zogene Gesetz regelt in seinen §§. 1—11 die Entstehung des Heimathsrechts, darunter handeln die §§. 8—10 von der Aufnahme und zwar §. 8 von der ausdrücklichen der Inländer, §. 9 von der ausdrücklichen Aufnahme der Ausländer, §. 10 von der stillschweigenden Aufnahme durch fünf- und mehrjährigen ordentlichen Wohnsitz an einem Orte. Im §. 9 handelt es sich sonach lediglich um die,