— 243 — mehr als 2 Jahre Ragnit verlassen und (den Ausführungen der Vorerkenntnisse entgegen) den Unterstützungs- wohnsitz dort verloren hatte. Das Bezirks-Verwaltungsgericht zu Gumbinnen hat durch Erkenntniß vom 25. September 1875 den verklagten Ortsarmenverband schuldig erklärt, die fernere Fürsorge für die Bertha G. zu übernehmen und dem Kläger die vom 8. Dezember 1871 ab für die Bertha G. verausgabten Unterstützungskosten, welche in separato zu ermitteln, zu erstatten. Auf die Berufung des Verklagten hat das Bundesamt durch Erkenntniß vom 12. Februar 1876 die erstrichterliche Entscheidung bestätigt. Die Gründe lauten: In dem in dem gerichtlichen Vorprozesse zwischen dem Ortsarmenverband Ragnit und dem Land- armenverbande des gleichnamigen Kreises ergangenen Erkenntnisse ist nur über die Verpflichtung zur Armen- pflege für das Kind Anna und mittelbar für deren Mutter entschieden. Es handelt sich also gegenwärtig um einen Streit, in welchem nicht nur eine der Parteien eine andere, sondern, da jetzt die erst nach dem Tode der Mutter nothwendig gewordene Armenfürsorge für das zweite Kind — Bertha G. — in Frage steht, in welchem auch der Gegenstand ein anderer ist, als in jenem Prozesse. Es kann mithin nicht davon die Rede sein, die in demselben ergangenen Erkenntnisse in vorliegender Streitsache für maßgebend zu erach- ten. Wenn aber das Verwaltungsgericht für die ihm hiernach obliegende selbständige Feststellung der That- sachen nach §. 54 des preußischen Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 an bestimmte Beweisregeln grundsätzlich nicht gebunden ist, so konnte es eine solche Feststellung auch gründen auf die Aussagen der in dem früheren Prozesse eidlich vernommenen Zeugen, wie sich dieselben in den Vorerkenntnissen vollständig wiedergegeben finden. Der Verklagte, welcher bei den damaligen Zeugenvernehmungen als Partei zur Vertretung seines Interesses zugezogen war, kann um so weniger für berechtigt erachtet werden, eine solche Berücksichtigung dieser Aussagen ferner zu bekämpfen, als seine allgemein hingeworfene Be- merkung, daß sie ungenau seien und sich gegenseitig widersprächen, nach dem Inhalte der Aussagen sich nicht bestätigt und die übrigens durch den Nachweis spezieller Unrichtigkeiten nicht substan- ziirte Behauptung, daß die Zeugen nicht hätten wissen können, welche Häuser zu städtisch Ragnit, welche zu ländlich Ragnit-Preußen gehören, sich dadurch erledigt, daß der erste Richter bei seiner Entscheidung davon ausgegangen ist, daß die von den Zeugen dazu gerechneten Häuser wirklich zu städtisch Ragnit gehören, und damit implicite, und zwar nach §. 41 des Reichsgesetzes endgültig, über die Abgrenzung der in Frage stehenden Armenverbände entschieden hat. Wenn der Vorderrichter nun in Ueber- einstimmung mit jenen Erkenntnissen im gerichtlichen Vorprozesse auf Grund der dortigen Zeugenaussagen angenommen hat, daß die Wittwe Erdme G. — Mutter der Maria G. — durch mehr als 3 jährigen Aufenthalt in städtisch Ragnit den Unterstützungswohnsitz daselbst erlangt, und bis zu ihrem Tode nicht wieder verloren habe, so stellt diese Annahme sich nach dem Inhalte der Zeugenaussagen als eine wohl- begründete dar, und bedarf es deshalb der eventuell vom Kläger beantragten nochmaligen Vernehmung der im Vorprozesse verhörten Zeugen nicht. Hatte aber die Erdme G. bei ihrem im Jahre 1862 erfolgten Tode ihren Unterstützungswohnsitz in Ragnit, so hatte ihn ebendaselbst nach §. 20 des preußischen Armen- pflege-Gesetzes vom 31. Dezember 1842 auch ihre am 14. Januar 1844 geborene Tochter Maria G. und fragt es sich nur noch, ob diese denselben etwa bei ihrem am 25. August 1871 erfolgten Tode verloren hatte, wenn sie, wie Verklagter behauptet, seit dem Eintritt ihrer Großjährigkeit am 14. Januar 1868 — also über 33 Jahr — von Nagnit abwesend war. Dem Verluste ihres dortigen Unterstützungswohnsitzes trat nun aber die Thatsache entgegen, daß bereits vor Ablauf der Verlustfrist die öffentliche Armenpflege zu Gunsten ihres ältesten unehelichen Kindes, der Anna G., eintreten mußte. Es ergiebt sich zwar aus den vorgelegten landräthlichen Akten nicht, daß der Letzteren vor dem 3. Februar 1870 eine Beihülfe aus öffentlichen Armenmitteln habe gewährt werden müssen. Verklagter irrt aber, wenn er glaubt, daß die Frage: ob die unter der Herrschaft des Reichsgesetzes — am 25. August 1871 — verstorbene Maria G. bei ihrem Tode ihren Unterstützungswohnsitz noch in Ragnit hatte, der bereits am 3. Februar 1870 — also unter der Herrschaft der älteren Gesetzgebung — hervorgetretenen Hülfsbedürftigkeit der Anna G. und der durch deren Gewährung mittelbar auch der Mutter gewährten Armenunterstützung ungeachtet, lediglich nach dem Reichsgesetze zu beurtheilen sei, nach dessen Bestimmung allerdings die 2 jährige Verlustfrist in Folge der nicht unterbrochenen Abwesenheit der Maria G. schon am 14. Jannuar 1870 abgelaufen sein würde. Allerdings handelt es sich, wie bereits bemerkt, gegenwärtig um die Unterstützung der Bertha G., deren Hülfsbedürftigkeit jedenfalls erst nach dem Tode ihrer Mutter, also unter der Gesetzeskrast des Reichs- 36