— 356 — 6. Heimath-Wesen. —–.. — Welche Behörde hat darüber zu entscheiden, ob der Fall vorliegt, in welchem ein Deutscher auf Verlangen ausländischer Staatsbehörden aus dem Auslande übernommen werden muß? — # 33 Reichsgesetz vom 6. Jum 1870. — Der zu Buchholz in Pommern, dem Wohnorte seines Vaters, am 9. Mai 1823 geborene Schneider W. ist von da aus noch vor Vollendung des 24. Lebensjahres als Geselle auf die Wanderung gegangen und im Jahre 1873 in Frankreich geisteskrank geworden. Nachdem er sich eine Zeitlang in einer dortigen Irrenanstalt be- funden hatte, hat das Reichskanzler-Amt resp. das Auswärtige Amt m Folge eines Antrages der französischen Regierung den Fall der Uebernahme des W. für gegeben erachtet. Die Uebernahme hat demnächst an der deutsch-belgischen Grenze bei Aachen stattgefunden und ist wegen der Hülf= und Mittellosigkeit des Ueber- nommenen dem Ortsarmenverband Aachen durch eine Verfügung des preußischen Ministeriums des Innern die vorläufige Fürsorge für denselben übertragen worden. Der Ortsarmenverband Aachen hat nunmehr auf Grund des §. 33 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 und des §. 37 des preußischen Ausführungsgesetzes vom 8. März 1871 gegen den Landarmenverband von Alt-Pommern als denjenigen, in dessen Bezirk der W. seinen letzten Unterstützungswohnsitz gehabt habe, Klage auf Erstattung der entstandenen Auslagen und Ueber- nahme des Hülfsbedürftigen in umnittelbare Fürsorge erhoben. Der Verklagte hat die Abweisung der Klage hauptsächlich aus dem Grunde beantragt, weil die Vor- aussetzungen der ös. 33 und 37 loc. eit. nicht vorlägen, dieselben vielmehr nur zur Anwendung kommen könnten, wenn es feststehe, daß die inländische Behörde verpflichtet war, dem auf Uebernahme eines In- länders gerichteten Verlangen einer ausländischen Behörde stattzugeben, was hier nicht zutreffe, da der W. zur Zeit seiner Uebernahme die Qualität eines preußischen Staatsangehörigen und eines Deutschen längst ver- loren gehabt habe. Das Bezirks-Verwaltungsgericht zu Stettin hat unter dem 25. November 1875 den Verklagten nach dem Klageantrage verurtheilt. Auf die Berufung des Verklagten ist diese Entscheidung nur durch Herabsetzung des liquidirten Verpflegungssatzes von dem Bundesamt für das Heimathwesen durch das Erkenntniß vom 27. Mai 1876 abgeändert, die prinzipielle Frage also mit dem ersten Richter gegen den Verklagten ent- schieden worden. In den Gründen dieses Erkenntnisses heißt es: Der §. 33 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 und der s. 37 des preußischen Ausfüh- rungsgesetzes vom 8. März 1871 setzen gleichmäßig den Fall voraus, daß ein Deutscher, welcher keinen Unterstützungswohnsitz hat, auf Verlangen auswärtiger Staatsbehörden aus dem Auslande übernommen werden muß. Es scheiden deshalb, wie das Bundesamt in den vom Verklagten bezogenen Rechtsfällen — Entsch. Heft V. S. 100 und Heft VI. S. 82 — ausgeführt hat, solche Fälle bei deren Anwendung aus, in welchen ohne das Verlangen aus- wärtiger Staatsbehörden und ohne die auf Grund völkerrechtlicher, sei es auf Staatsverträgen, sei es auf Gewohnheit beruhender Verpflichtung erfolgte Uebernahme durch die inländische Be- hörde die Armenfürsorge für einen hülfsbedürftig aus dem Auslande zurückgekehrten landarmen Deutschen eintreten muß. Die endgültige Entscheidung aber, ob in einem gegebenen Falle eine solche Verpflichtung zur Uebernahme aus dem Auslande begründet ist, kann nur derjenigen Stelle zustehen, welche das Inland dem Auslande gegenüber zu vertreten, die Beziehungen zu letzterem zu pflegen und zu ordnen und die daraus sich ergebenden internationalen Rechte und Pflichten zur Geltung zu bringen bezw. zu vollziehen hat. Wenn das Bundesamt in der vom Verklagten bezogenen Entscheidung in Sachen des Landarmenverbandes der Oberlausitz ca. Ruhland vom 5. Januar 1875 — Entsch. Heft V. S. 115 — ausgesprochen hat, daß die Anerkennung der Staatsangehörigkeit des damals zu unterstützenden Knaben seitens einer Königlichen Bezirksre- gierung mittelst eines Heimathscheins den durch das Reichsgesetz vom 6. Juni 1870 begründeten Rechten preußischer Armenverbände nicht präjudiziren könne, so lag der Fall damals völlig anders als jetzt. Abgesehen davon, daß es sich nicht wie hier um einen Akt des Reichskanzler-Amts