— 25 — S8S. Heimath-Wesen. Die verehelichte Erdmuthe L., welche in Hohenmölsen ihren Unterstützungswohnsitz hat, begab sich am 17. August 1876 nach Halle, um sich dort in der Königlichen Klinik vom Brustkrebse womöglich heilen zu lassen. Sie hatte vorher in Hohenmölsen bei dem Magistrat beantragt, derselbe möge sich durch ein Armuthszeugniß ver- pflichten, die Kosten ihrer Kur in Halle zu übernehmen. Diesem Ansuchen war aber nicht entsprochen, sie vielmehr zunächst an den Armenarzt in Hohenmölsen behufs Feststellung der Nothwendigkeit ihrer Kur in der Klinik gewiesen worden, hatte aber dieser Weisung nicht Folge geleistet, sich vielmehr eigenmächtig nach Halle be- geben. Sie fand dort in der Klinik wegen Mangels an Raum keine Aufnahme, wandte sich deshalb an das dortige städtische Hospital, und da der Arzt desselben sie der Aufnahme für bedürftig erklärte, sie auch nicht einmal die Mittel zur Rückreise besaß, wurde sie ausgenommen, in der Anstalt operirt und blieb in derselben bis zum 17. September 1876, wo sie von ihrem Manne abgeholt wurde. Nach dem Zeugnisse des Armenarztes zu Hohenmölsen ist die L. durch die in Halle vorgenommene Operation niemals von ihrem Leiden befreit worden, denn die Operationswunde ist nie geheilt, die Patientin nie wieder zu Kräften gekom- men, vielmehr hat die Schwäche allmälig so überhand genommen, daß der — inzwischen wirklich eingetretene — Tod der L. täglich zu erwarten stand. Halle hat gegen Hohenmölsen auf Erstattung der im städtischen Hospital entstandenen Kur= und Verpflegungskosten geklagt, Hohenmölsen aber die Abweisung der Klage beantragt, weil nach Lage der Sache für Halle keine Verpflichtung vorgelegen habe, sich ihrer anzunehmen, ihr vielmehr höchstens das Geld zur Rückreise hätte gewährt werden sollen. Hätte die Operation überhaupt noch Aussicht auf Erfolg gewährt, so hätte dieselbe ebensogut in Hohenmölsen von dem dortigen Arzte vor- genommen werden können. - Das Bezirks-Verwaltungsgericht zu Merseburg hat auch dem Antrage auf Abweisung gemäß erkannt; auf die Berufung des Armenverbandes Halle ist diese Entscheidung aber von dem Bundesamt für das Heimath- wesen durch Erkenntniß vom 24. November 1877 abgeändert, und der Verklagte nach dem Klageantrag ver- urtheilt worden. Die Gründe lauten: Die verehelichte Erdmuthe L. befand sich am 17. August 1876 in Halle in einem Zu- stande, in welchem sie unbedenklich als hülfsbedürftig im Sinne des Gesetzes zu betrachten war. Sie litt an hochgradigem Brustkrebs dergestalt, daß nach dem Gutachten des Anstaltsarztes Dr. R. zu Halle es nur noch darauf ankommen konnte, die ihr mit Rücksicht auf ihr letales Leiden noch zugemessenen Lebenstage ihr durch eine Operation erträglicher zu machen. Sie besaß selbst nicht nur die Mittel nicht, die Kosten einer solchen Operation und der dadurch nothwendig wer- denden weiteren Behandlung und Pflege zu bestreiten, sondern nicht einmal diejenigen zur ückreise. Wenn sie in solcher Lage die Hülfe der öffentlichen Armenpflege im städtischen Krankenhause zu Halle in Anspruch nahm, so wäre es nicht nur inhuman, sondern ungesetzlich gewesen, wenn der klagende Armenverband dieselbe ab= und etwa am folgenden Tage unter Bewilligung eines Reisegeldes nach ihrer Heimath zurückgewiesen hätte. Sie befand sich einmal in Halle; dort war, wenn sie auch aus gleichen Gründen bereits in Hohenmölsen hülfsbedürftig gewesen sein sollte, ihre Hülfsbedürftigkeit jedenfalls von neuem hervorgetreten und zur Kenntniß des Armen- verbandes gelangt. Nach dem Grundsatz des §. 28 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 war deshalb der Armenverband Halle verpflichtet, der p. L. die erforderliche Armenpflege vorläufig am Orte zu gewähren und er hätte gesetzwidrig verfahren, wenn er sich dieser Verpflichtung durch alsbaldige Zurückschiebung der p. L. nach Hohenmölsen entledigt hätte. Ob die zur zeitweisen Milderung ihres bekanntlich äußerst schmerzhaften Leidens erforderliche Operation auch von einem der Aerzte in Hohenmölsen hätte vollzogen werden können, ist unter solchen Umständen ebenso unerheblich, als es in Betracht kommen kann, ob diese Operation im vorliegenden Falle eine wenn auch nur zeitweise Befreiung der p. L. von ihrem Leiden, eine vorübergehende Heilung derselben wirklich zur Folge gehabt hat. Wenn die Wissenschaft die Operation eines Krebskranken 4