— 443 — in eine Kranken-, Bewahr= oder Heilanstalt nicht begonnen werde. Ob die Erwerbsfrist nach dem Eintritt in eine solche Anstalt ruhe oder ob die an einem anderen Orte begonnene Erwerbsfrist fortlaufe, sagt das Gesetz nicht. Man muß also bei Beantwortung dieser Frage auf die allgemeinen Grundsätze des Gesetzes zurückgreifen. Der zum Erwerb des Unterstützungswohnsitzes führende Aufenthalt muß ein gewöhnlicher und ununterbrochener sein (s. 10 des Gesetzes). Als ein gewöhnlicher — im Gegensatz zum vorübergehenden (Fremden-) Aufenthalte — ist der Aufenthalt dann anzusehen, wenn die Verhältnisse, unter welchen er statt- gefunden hat, auf eine längere Dauer hinweisen. Die bestimmte Absicht, den Aufenthaltsort zum Mittel- punkt des bürgerlichen Lebens und der Geschäfte zu machen, eine Absicht, welche zur Begründnug des civil- rechtlichen Wohnsitzes erforderlich ist, verlangt das Gesetz nicht, um den Aufenthalt als einen gewöhnlichen zu karakterisiren. Der Aufenthalt kann im Sinne des Gesetzes als ein gewöhnlicher anzusehen sein, wenn- gleich von vornherein gar nicht die Absicht immerwährenden Bleibens vorhanden war, wenn nur die that- sächliche Dauer ihm den Stempel des gewöhnlichen aufdrückt. Hierin liegt der Unterschied vom cinvilrecht- lichen Wohnsitz. Auch ohne persönliche Anwesenheit kann Wohnsitz beginnen — wenn z. B. an einem Orte in der Absicht, denselben zum Mittelpunkt der wirthschaftlichen Thätigkeit zu machen, eine Wohnung gemiethet und mit dem erforderlichen Hausrath ausgestattet wird —; ohne persönliche Anwesenheit ist der Beginn des zum Erwerb des Unterstützungswohnsitzes führenden gewöhnlichen Aufenthaltes nicht denkkbar. Der zum Er- werb des Unterstützungswohnsitzes führende Aufenthalt muß ferner ein ununterbrochener sein. Hierzu giebt der §. 13 des Gesetzes eine Erläuterung. Als Unterbrechung des Aufenthalts — heißt es in diesem Para- graphen — wird eine freiwillige Entfernung nicht angesehen, wenn aus den Umständen, unter welchen sie erfolgt, die Absicht erhellt, den Aufenthalt beizubehalten. Die Präsidialvorlage hatte hinter dem Worte „Umständen“ noch die Worte: „oder aus der Kürze ihrer Dauer“ und motivirte die Bestimmung durch die Ausführung, daß an sich jede Entfernung den Aufenthalt unterbreche, daß aber nicht jede freiwillige Entfernung diese Wirkung haben dürfe, z. B. könne eine Geschäftsreise von kurzer Dauer, oder eine vorübergehende Abwesenheit blos zu dem Zwecke, eine auswärts sich darbietende Arbeitsgelegenheit zu benutzen, als eine beabsichtigte Auflösung des einmal angeknüpften Aufenthaltsverhältnisses nicht an- gesehen werden. Weder in der Kommission noch im Plenum des Reichstags sind gegen diese Motivirung Anstände erhoben, die Worte „oder aus der Kürze ihrer Dauer“ sind nur gestrichen, weil es nicht für zweckmäßig erachtet wurde, von den karakteristischen Umständen einen einzigen besonders hervor- zuheben. Hiernach ist in jedem einzelnen Falle, speziell auch wenn die Entfernung nach einer auswärtigen Kranken= 2c. Anstalt erfolgt, zu prüfen, ob die Umstände, unter welchen die Entfernung erfolgt, auf eine mit den thatsächlichen Verhältnissen vereinbare Beibehaltung oder auf eine Aufgabe des Aufenthalts schließen lassen und es kann dem ersten Nichter nicht beigepflichtet werden, wenn er annimmt, daß der Aufenthalt an einem Orte, von welchem aus der Eintritt in eine Kranken= 2c. Anstalt erfolgt, stets und unter allen Umständen rechtlich fortdaure. Der §. 23 des Unterstützungswohnsitz-Gesetzes, auf welchen Bezug genommen wird, bestimmt allerdings, daß durch den Eintritt in eine Kranken= 2c. Anstalt die Abwesenheit nicht begonnen wird und der Wortlaut dieses Paragraphen scheint der Auslegung des ersten Richters zur Seite zu stehen. Allein die Konsequenzen dieser Auslegung würden mit den Prinzipien des Gesetzes in grellen Widerspruch gerathen. Verließe z. B. N. N. seinen bisherigen Aufenthalt in A., begäbe sich nach B., um dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen, sähe sich aber nach wenigen Wochen genöthigt, sich in das Hospital in C. zu be- geben und dort mehr als 2 Jahre zu bleiben, so würde er nach der Ansicht des ersten Richters den Unter- stützungswohnsitz in B. erworben haben, wo er doch nur wenige Wochen hindurch wirthschaftlich thätig ge- wesen ist. Der §. 23 nöthigt aber keineswegs zu einer solchen Auslegung, vielmehr ist es nach der Ent- stehungsgeschichte dieses Paragraphen sehr wohl möglich, seinen Wortlaut mit der von dem Bundesamt an- genommenen Auffassung in Einklang zu bringen. Das Alinea 2 des §. 23 ist erst in der dritten Berathung als eine Konsequenz des in zweiter Lesung zu §. 11 gefaßten Beschlusses ausgenommen worden. Die Stellung, welche ihm im Gesetze gegeben worden ist, beweist, daß man hierbei lediglich eine zum Verlust des Unter- stützungswohnsitzes führende Abwesenheit im Auge gehabt hat und daß die Bestimmung nur auf die Berechnung der Verlustfrist Anwendung findet. Aber es hat keineswegs generell gesagt werden sollen, daß ungeachtet einer behufs Eintritts in eine Kranken= 2c. Anstalt erfolgten Entfernung der bisherige Aufenthalt unter allen Umständen als fortdauernd angesehen werden und die Erwerbsfrist weiter laufen solle. Es muß hiernach im vorliegenden Falle geprüft werden, ob der vom Kläger seit 7. April 1880 verpflegte 2c. G., als er sich im Februar 1878 beziehungsweise im Januar 1879 auf eigene Kosten in das Bremer St. Josephstift begab, den Umständen nach die Absicht hatte, den im August 1877 begonnenen Auf- 72“