— 59 — geber sicher nicht entgangen. Es hätte daher, wenn solche Fälle für unzulässig erachtet worden wären, sehr nahe gelegen, zu 8. 30 b hinzuzufügen, daß und unter welchen Voraussetzungen eine Ausnahme von der Regel gemacht werden dürfe. In dem ganzen Gesetze ist aber hierüber nicht die entfernteste Andeutung zu finden. Das Gesetz bezeichnet ausnahmslos denjenigen Landarmenverband als den ersatzpflichtigen, in dessen Bezirk der unterstützte Landarme bei Eintritt der Hülfsbedürftigkeit sich befunden hat. Der Rekurrent sucht seine abweichende Ansicht durch den Hinweis auf die Familieneinheit zu begründen. Dieser Gesichtspunkt mag dann, wenn es sich um die Ermittelung des Unterstützungswohnsitzes eines Unter- stützten, also um einen Fall, der im §. 30 a bezeichneten Art handelt, seine Berechtigung haben. Er schlägt aber nicht ein bei Fällen, die nach §. 30 b zu entscheiden sind. Zwischen den Fällen unter a und b besteht ein sehr wesentlicher Unterschied, welcher es auch klar erkennen läßt, daß und warum in den Fällen unter b nach ganz anderen Gesichtspunkten entschieden werden soll als in den Fällen unter a. In den Fällen von §. 30 à ist der Ersatzpflichtige stets der Ortsarmenverband des Unterstützungs- wohnsitzes. Das Wort „Unterstützungswohnsitz“ bezeichnet ein wirklich vorhandenes Rechtsverhältniß, in welchem sich ein bestimmter Armenverband befindet, theils dem Hülfsbedürftigen, theils einem anderen Armen- verbande gegenüber, welcher vorläufige Unterstützung gewährt hat. Der Unterstützungswohnsitz kann daher erworben, getheilt, verloren werden, und das Gesetz giebt in den §s. 9 ff. hierüber sehr genaue Vorschriften. Aehnliche Bestimmungen bezüglich der Landarmen wird man aber in dem Gesetze vergeblich suchen; das Gesetz besitzt nicht einmal ein Wort zur Bezeichnung dessen, was für den Landarmen an die Stelle des Unterstützungswohnsitzes treten soll. Und dies hat seinen guten Grund. Denn der Begriff, welcher mit dem Morte „Landarmer“ beziehentlich „Landarmenverband" ausgedrückt wird, ist einfach eine Verneinung. Land- armer ist nach den Worten des Gesetzes derjenige, „welchen zu unterstützen kein Ortsarmenverband ver- pflichtet ist". Die Landarmen-Eigenschaft beruht also auf dem Nichtvorhandensein der an einen Unterstützungs- wohnsitz sich knüpfenden Rechte und Pflichten. Die Landarmen-Eigenschaft kann daher auch von niemandem „erworben“ oder „getheilt" werden. Denn wo nichts ist, da giebt es auch nichts zu erwerben oder zu theilen. Sie tritt von selber ein, wo das Dasein eines Unterstützungswohnsitzes verneint werden muß, und verschwindet von selber wo das letztere anerkannt werden muß. Deshalb mußte in §. 30 a und b ein Unterschied gemacht werden bezüglich der Ersatzleistung, je nachdem der Unterstützte einen Unterstützungswohnsitz hat oder Landarmer ist. Uebrigens ist die von dem Rekurrenten betonte Familieneinheit, in Fällen wie der vorliegende, auch nicht einmal thatsächlich vorhanden. Denn da der Landarmenverband stets einen räumlich sehr ausgedehnten Bezirk umfaßt, so müssen Glieder einer Familie, welche in den Bezirken verschiedener Landarmenverbände zu gleicher Zeit unterstützungsbedürftig werden, auch thatsächlich bereits in räumlicher Entfernung von einander leben. Auf das Familienleben des Unterstützten kann es aber niemals einen Einfluß haben, welcher Land- armenverband die Unterstützungskosten zu erstatten hat. Denn der hülfsbedürftige Landarme empfängt die Unterstützung niemals von dem Landarmenverbande unmittelbar, sondern stets durch den Armenverband seines Aufenthaltsortes. Aus diesen Gründen war das Rechtsmittel des Rekurrenten als unbegründet zu verwerfen. 2. Erkenntniß des Bundesamts für das Heimathwesen vom 10. Februar 1883 in Sachen Stendal c/Landarmenverband des Königreichs Sachsen. Entscheidungsgründe. Die Familie des im klägerischen Armenverbande vom 7. Juli bis 23. August 1880 unterstützten, unbestritten landarmen Schlossers Karl Hermann M. wird seit März 1877 von dem Landarmenverbande des Königreichs Sachsen fortlaufend mit Armenpflege versehen. Kläger beansprucht deshalb die für die gegenwärtig in Streit stehende Verpflegung liquidirten Kosten mit 47 M( und 2,86 — Porto- verläge von demselben Landarmenverbande. Die Vorinstanzen haben den Anspruch abgewiesen, weil sie die auf den Fall anzuwendenden Gesetzesbestimmungen anders auslegen als das Bundesamt für das Heimath- wesen. Letzteres hat aber auch in dieser Sache seine in zahlreichen Präjudikaten entwickelte Ansicht festgehalten. Der Richter zweiter Instanz will — wie in dem in Bezug genommenen Erkenntniß näher aus- geführt ist — das Prinzip der Familieneinheit nur dann gelten lassen, wenn es sich um Feststellung eines Unterstützungswohnsitzes handelt, nicht aber dann, wenn ein fürsorgepflichtiger Landarmenverband zu ermitteln ist. Der Begriff „Landarmer“ enthalte — so wird deduzirt — lediglich eine Verneinung, die Landarmen= Eigenschaft könne daher weder erworben, noch getheilt werden, da es nichts zu erwerben oder zu theilen gebe, 11“