82. Rechtsstellung des Großherzogs. 3 Zweiter Abschnitt. Staat und Staatsverfassung. I. Kapitel. Staatsoberhaupt. § 2. a. Rechtsstellung. 1. Oberhaupt des Staats ist der Großherzog als konstitutioneller Monarch. Als solcher ist er zwar für seine Person allen Landes- gesetzen unterworfen, aber dennoch unverantwortlich und unverletzlich. Ein Strafprozeß z. B. ist gegen ihn unzulässig. 2. Der Grundsatz der Unverantwortlichkeit des Großherzogs ist in einer Beziehung durchbrochen: in Angelegenheiten der Civilliste und des Privatvermögens des Groß- herzogs ist — zwar nicht nach älterem hessischen Recht, aber doch jetzt nach Reichsrecht !) — der Civilprozeß gegen ihn zugelassen; doch soll sich das Verfahren erster Instanz immer in den Formen des landgerichtlichen Prozesses bewegen, und als Gerichtshof soll in erster Instanz ein mit fünf, in zweiter Instanz ein mit sieben Richtern besetzter Senat des Oberlandesgerichts zu Darmstadt, der vom Präsidium dieses Gerichts zu bilden ist, ent- scheiden; in dritter Instanz ist das Reichsgericht zuständig 2). Für nicht vermögensrecht- liche Civilstreitigkeiten des Großherzogs sind dagegen die Gerichte nur zuständig, soweit der Großherzog sich ihrer Entscheidung freiwillig unterwirft, so z. B. bei einer Klage auf Ehescheidung, mag die Klage vom Großherzog oder von seiner Gemahlin erhoben werden?). — Als Zeuge kann der Großherzog nur aufgerufen werden, wenn er sich zur Ablegung des Zeugnisses freiwillig erbietet. Parteieide leistet er in seiner Wohnung durch Unter- schreiben der die Eidesnorm enthaltenden Formel, ohne Zuziehung der Gegenpartei“). 3. Der Grundsatz der konstitutionellen Monarchie, daß jede Regierungshandlung des Landesherrn der Mitwirkung eines verantwortlichen Ministers bedarf, ist für Hessen nur durch einseitige, also jederzeit widerrufliche Verordnung des Großherzogs anerkannt 5), und daß die Regierungshandlung ohne die Mitwirkung eines Ministers geradezu ungültig sei, ist überhaupt nicht festgesetzt. Doch dürfte die eine wie die andere Regel in Hessen als Gewohnheitsrecht anzusehen sein. 4. Von Ehrenrechten des Großherzogs ist namentlich der Titel „Großherzog von Hessen und bei Rhein 2c.“, die Bezeichnung „königliche Hoheit“ und das Wappen (der hessische Löwe, aufrecht stehend, rechts gekehrt, weiß und roth gestreift, gekrönt) zu nennen. Die großherzogliche Würde steht grundsätzlich der königlichen gleich; deßhalb übt der Großherzog bei Verträgen mit Kaisern und Königen das Alternat, d. h. er nennt in dem für Hessen bestimmten Vertragsexemplar seinen Namen an erster Stelle ). Bis zum Jahre 1806 nannten sich die hessischen Landesherrn „Landgrafen“. Eine besondere staatsrechtliche Bedeutung kam diesem Titel nicht bei, er stellte nur eine Erinnerung daran dar, daß Hessen einst zur thüringischen Landgrafschaft gehört hatte. Der Gründer der hessischen Herrscher- familie, Heinrich das Kind, hatte den Titel zunächst eigenmächtig angenommen; erst 1373 ist der Titel kaiserlich bestätigt worden. Im Lauf der Zeit hat der Titel mit Rücksicht auf die neuen Landeserwerbungen Zusätze bekommen: Graf zu Ziegenhain und zu Nidda, Fürst von Hersfeld u. s. f.; wegen der Gesammtbelehnung, in der die Darmstädter und Casseler Linie saß, wurde bei 1) Einf. Ges. z. CPO. § 5. Vgl. 23. Landt., 2. Kammer, Beil. Bd. 3, Nr. 128. 2) Ges. v. 7. Juni 1879, Art. 9. 3) Entsch. des Reichsgerichts in Civilsachen Bd. 12, S. 418 ff. 4) Ges. v. 7. Juni 1879, Art. 9. CPO. 8§8§ 441 Abs. 2, 444 Absf. 3. 5) V. v. 28. Mai 1821. Weiß S. 1124l. 6) So z. B. in der preußisch- beischen Militärkonvention v. 13. Juni 1871. Siehe Heffter, Europ. Völkerrecht, 8. Aufl. (1888), S. 1