326 IV. Präsidium. Art. 16. stimmung nicht beteiligtes Mitglied des Bundesrats die geschäftliche Behand- lung der Angelegenheit einschließlich der Abstimmung leitet. Es könnte vielleicht eher noch der Fall der Art. 76, 77 R.V. in Betracht kommen, da es abzu- lehnen wäre, daß Preußen den Vorsitz führe, wenn das Verfahren, in welchem der Bundesrat Abhülfe in Sachen der Rechtsverweigerung oder in Verfassungs- streitigkeiten schaffen oder in Streitsachen zwischen verschiedenen Bundesstaaten eine Entscheidung treffen soll, gegen Preußen gerichtet ist. Ist Preußen selbst Partei, so kann es nicht den Vorsitz führen, und in diesem Falle wird es auch unzulässig sein, daß der Reichskanzler sich gemäß Art. 15 Abs. 2 ein anderes preußisches Mitglied zum Vertreter bestellt. Preußen ist dann an Handlungen der Geschäftsleitung ganz verhindert. Artikel 16. Die erforderlichen Vorlagen werden nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrates im Namen des Kaisers an den Reichstag gebracht, wo sie durch Mitglieder des Bundesrates oder durch besondere von letzterem zu ernennende Kommissarien vertreten werden. I. Die staatsrechtliche Stellung des Kaisers bei der Übermittelung der Vorlagen. II. Die staatsrechtliche Stellung des Reichskanzlers bei der Übermittelung der Vorlagen. III. Die staatsrechtliche Stellung des Reichstags nach der Übermittelung der Vorlagen. I. Die staatsrechtliche Stellung des Kaisers bei der Übermittelung der Vorlagen. Der Kaiser ist verfassungsmäßig verpflichtet, die Vorlagen nach Maß- gabe der Beschlüsse des Bundesrats an den Reichstag zu bringen. In diesem Satz ist enthalten, daß die Vorlegung weder überhaupt unterlassen noch länger verzögert werden darf, als sich aus politischen Zweckmäßigkeits- erwägungen rechtfertigen läßt; die Vorlagen dürfen endlich nicht anders eingebracht werden als fie der Bundesrat beschlossen hat; val. Laband II S. 24. Preußen kann im Bundesrate überstimmt werden, aber daß der Kaiser sich aus diesem oder einem anderen Grunde weigern sollte, eine Vorlage des Bundesrats an den Reichstag zu bringen, wäre ein Fall, den die Reichsverfassung nicht vorgesehen hat. In Angelegenheiten von geringer Bedeutung wird die Frage gewiß nicht praktisch werden. Liegt aber eine Angelegenheit vor, durch welche die Grundlagen des Reichs betroffen werden und steht dem Kaiser ein Reichskanzler zur Seite, der unter Ver- hältnissen, in denen er die moralische und politische Verantwortung für seine Weigerung tragen kann, auch die verfassungsmäßige Verantwortung tragen will, so kann der Kaiser durch die Unterlassung der Einbringung der Vorlage faktisch ein Veto gegen Gesetzentwürfe ausüben, das ihm nach der Verfassung nicht zusteht; vgl. Fürst Bismarcks Ausführungen in der Reichstags- sitzung v. 24. Febr. 188 1. St. B. 30f. Es handelt sich dabei also nur um Er- wägungen, die in Betracht kommen, wenn in einer außerordentlichen Situation die Frage aufgeworfen werden muß, ob die Voraussetzungen für den ver- fassungsmäßigen Lauf der Dinge noch gegeben sind. Im übrigen geht aus Art. 16 allerdings die Regel hervor, daß der Reichskanzler als verantwortlicher