638 XII. Reichsfinanzen. Art. 70. treten, ohne Rücksicht auf die Notwendigkeit und Nützlichkeit der Ausgaben. Es ist nicht notwendig, dabei die Ausgaben in solche zu unterscheiden, die zur Ausführung der bestehenden Reichsgesetze notwendig sind und solche, bei denen dies nicht der Fall ist. Die Verfassung kennt diese Unterscheidung nicht und sie ist auch undurchführbar, weil es eine große Anzahl Ausgaben gibt, die für die Existenz des Reichs unabweisbar notwendig find und von denen man nicht sagen kann, daß sie durch die bestehenden Reichsgesetze festgelegt sind, mindestens find sie es nicht nach der quantitativen Seite, z. B. die Ausgaben für die Armee, von der nur die Friedenspräsenz und in großen Zügen die Organisation gesetzlich bestimmt ist; auch versagt diese Unterscheidung für die Fälle, in denen für neue, mit Ausgaben ver- bundene Einrichtungen das Bedürfnis so elementar hervortritt, daß sie eben- sowenig vermeidbar werden wie die Ausgaben zur Unterhaltung anderer längst festgelegter Einrichtungen; vgl. Zorn I S. 452 ff. A. 32, 38. Viel- mehr ist es bei dem Mangel eines Etatsgesetzes Recht und Pflicht der Reichs- verwaltung, unter ihrer vollen politischen und moralischen Verantwortung, die von der öffentlichen Meinung und von der Geschichte geltend gemacht wird, alle erforderlichen Ausgaben zu leisten. Allerdings ist anzunehmen, daß, wenn das Etatsgesetz nicht zustande kommt, der Dissens zwischen Bundesrat und Reichstag sich auch auf alle anderen politischen Fragen über- tragen und daß damit die ganze Gesetzgebung zum Stillstand kommen wird. Wird dieser Zustand unerträglich und führen wiederholte Auflösungen nicht zum Ziel, so ist es ein Ergebnis der einfachsten und selbstverständlichen Logik, daß dann für die Verbündeten Regierungen nur noch zweierlei übrig bleibt: Nachgeben oder der Staatsstreich. Artikel 70. Zur Bestreitung aller gemeinschaftlichen Ausgaben dienen zunächst die aus den Zöllen und gemeinsamen Steuern, aus dem Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen sowie aus den übrigen Verwaltungszweigen fließen- den gemeinschaftlichen Einnahmen. Insoweit die Ausgaben durch diese Einnahmen nicht gedeckt werden, sind sie durch Beiträge der einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung aufzubringen, welche in Höhe des budgetmäßigen Betrags durch den Reichskanzler ausgeschrieben werden. Insoweit diese Beiträge in den Überweisungen keine Deckung finden, sind sie den Bundesstaaten am Jahresschluß in dem Maße zu erstatten, als die übrigen ordentlichen Einnahmen des Reichs dessen Bedarf übersteigen. Etwaige Überschüsse aus den Vorjahren dienen, insoweit durch das Gesetz über den Reichshaushalts-Etat nicht ein anderes bestimmt wird, zur Deckung gemeinschaftlicher außerordentlicher Ausgaben. I. Zur Vorgeschichte des Art. 70. II. Die Einnahmen des Reichs. III. Die Matrikularbeiträge. a) Ihre wirtschaftliche Bedeutung. b) Ihre politische Bedeutung.