XII. Reichsfinanzen. Art. 71. 655 praktische Schwierigkeiten — kein Gebrauch gemacht wurde. Wäre dies geschehen, so hätten bei einer genauen Handhabung der Bestimmung, die allerdings an der Unmöglichkeit einer sicheren Voraussicht der zukünftigen, d. h. für die nächsten Monate bevorstehenden Finanzlage des Reichs scheiterte, Uberschüsse nicht entstehen können. Nach der neuen Regelung der Matrikular- pflicht würde ein solches Verfahren nicht mehr im Interesse der Reichs- finanzen liegen; denn während früher die Uberschüsse durchweg zur mittel- baren Entlastung der Matrikularbeiträge des übernächsten Jahres dienten, ist dies jetzt nur noch so weit der Fall, als Ersatzansprüche für ungedeckte Matrikularbeiträge bestehen. Es liegt deshalb im Interesse der Reichs- finanzen, daß die Matrikularbeiträge in jedem Falle in voller Höhe aus- geschrieben werden, damit die Chance gewahrt bleibt, etwas für die Deckung der außerordentlichen Ausgaben, also für die Entlastung des Anleihebedarfs, bereit zu stellen. Das fiskalische Interesse der Einzelstaaten läuft natürlich in entgegengesetzter Richtung. Der Konflikt, zwischen diesen divergierenden Interessen wählen zu müssen, bleibt dem Reichskanzler erspart, weil nach der neuen Fassung des Art. 70 die Matrikularbeiträge stets in voller Höhe auszuschreiben find. Sieht man von der Frage ab, ob die Interessen des Reichs oder die der Einzelstaaten bei der Verwendung der Uberschüsse den Vorzug verdienen, so stellt vom Standpunkt allgemeiner Finanzpolitik die neue Regelung schon deshalb einen Fortschritt dar, weil damit dasjenige Element des Etats, das wie kein anderes Schwankungen unterworfen ist, da sich in ihm die ohnehin schon erheblichen Schwankungen der Zoll= und Steuereinnahmen potenzieren, vom ordentlichen in den außerordentlichen Etat versetzt ist und deshalb nicht mehr zur Deckung laufender Ausgaben dient. Bei dem außerordentlichen Etat aber muß man seiner Natur nach ohnehin darauf gefaßt sein, in jedem Jahr ein völlig neues Bild zu erhalten. Zu der Klausel, daß durch das Etatsgesetz etwas anderes über die Verwendung der überschüsse bestimmt werden kann, bemerken die Motive a. a. O. S. 45, daß die ausnahmsweise Verwendung der überschüsse zur Entlastung des ordentlichen Etats, namentlich zur Ausgleichung ungewöhn- lich großer Schwankungen bei den ordentlichen Einnahmen aus Rücksicht auf die Matrikularpflicht der Einzelstaaten vorbehalten werden muß. Artikel 71. Die gemeinschaftlichen Ausgaben werden in der Regel für ein Jahr bewilligt, können jedoch in besonderen Fällen auch für eine längere Dauer bewilligt werden. Während der im Artikel 60 normierten Übergangszeit ist der nach Titeln geordnete Etat über die Ausgaben für das Heer dem Bundesrate und dem Reichstage nur zur Kenntnisnahme und zur Erinnerung vorzulegen. I. Die Bewilligung für ein Jahr. üÜber das „Ausgabenbewilligungsrecht" val. Art. 69 VIII S. 630 ff. Gegen- stand der Bestimmung des Art. 71 ist nicht die Feststellung des Ausgaben- bewilligungsrechts an sich, das hier vielmehr schon als gegeben voraus-