Abkunft der Deutschen. 5 Deutschland waren doch die Sachsen unter Heinrich I. und Otto I. und waren nicht gemischt, und schließlich die Nieder- lande sind doch auch eine sehr bedeutsame germanische Staatsbildung und getragen von ungemischten Germanen. Das Richtige und Wertvolle in dieser Betrachtung ist aber, daß wir wiederum den Begriff „Volk“ nicht als etwas Ge- gebenes erkennen, sondern als etwas in den Kämpfen der Geschichte Gewordenes. Von wo an können wir nun diesem Werdenden, von dem wir eben erfahren haben, daß es aus ganz verschiedenen und entgegengesetzten Elementen zusammen- geschmolzen ist, einen Willen zusprechen? Seit dem gemein- samen Siege über die Ungarn auf dem Lechfelde im Jahre 955 haben sich die Stämme der Sachsen, Franken, Schwaben und Bayern allmählich in einem Einheitsgefühl als deutsches Volk zusammengeschlossen, aber noch im Jahre 1817 vermeinte jede Landschaft, z. B. Neu- Vorpommern und Altpommern eine besondere „Nation“ zu sein*) und auf dem Wiener Kongreß widersprach der württembergische Gesandte „der Absicht, aus verschiedenen Völkerschaften, z. B. Preußen und Württembergern, sozusagen, eine Nation zu bilden.“ In der Tat würden ja auch der pommersche und der württembergische Bauer, wenn sie in ihrer Muttersprache sprechen, sich untereinander nicht verständigen können. Nur indem man sie in der Volksschule künstlich die hochdeutsche Schriftsprache lehrt, schafft man die für das Wesen eines einheitlichen Volkes unentbehrliche Spracheinheit. In noch größere Verlegenheit geraten wir, wenn wir nun von dem heute trotz dieser Vorbehalte in einer großen nationalen Einheit dastehenden Volke der Deutschen absehen und etwa zu den Österreichern oder Ungarn gehen. Wo ist *) Treitschke, Deutsche Gesch. II., 196 ff.