Regierung
und Volkswille
Eine akademische Vorlesung
von
Hans Delbrück.
Verlag von Georg Stilke, Berlin NW. 7
Hofbuchhändler Sr. Kaiserl. u. Königl. Hoheit des Kronprinzen
1914
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
Copyright 1914 by Georg Stilke, Berlin.
Vorwort.
Vor etwa zwei Jahren wurde ich einmal von Studenten
gebeten, eine Spezialvorlesung über „Parteien und Partei-
regierung“ zu halten. Ich kam diesem Wunsche in einigen
Stunden nach und fand dabei, daß der Gegenstand sich
eigne, zu einer vollständigen Vorlesung für ein Semester er-
erweitert zu werden. Diese Vorlesung habe ich im Sommer 1913
gehalten, und indem ich sie begann, machte ich mir klar,
daß, was ich vorzutragen gedachte, auch geeignet sein möchte,
in den Druck gegeben zu werden. Ich ließ also die Vor-
lesung nachstenographieren und lege sie nunmehr vor, nach-
dem ich sie hier und da überarbeitet, ergänzt und auch den
Titel geändert habe. Es sind die Ideen und Tendenzen, die ich
seit 29 Jahren in den „Preußischen Jahrbüchern“ vertrete,
psychologisch analysiert und breiter fundamentiert durch die
Ergebnisse meiner historischen Werke und Studien; auch
manche Berichtigung hergebrachter Anschauungen, über die
meine Untersuchungen noch nicht veröffentlicht sind, ist ein-
geflochten.
Wie man auch theoretisch über das Verhältnis des
Historikers zum Politiker urteile, bei mir hängen beide
jedenfalls in der Weise zusammen, daß meine politische
Stellungnahme durchaus beherrscht ist durch meine Auf-
fassung als Historiker und nicht umgekehrt. Ganz gewiß
4 Vorwort.
ist es nicht das Wesen und der Zweck der Geschichte, aus
ihr Lehren zu ziehen für das praktische Handeln. Das
Wesen der echten Geschichtsschreibung ist die reine Betrachtung.
Es gibt keine Gesetze der Geschichte, und man kann keine
Verhaltungsregeln aus ihr ableiten. Das schließt aber
nicht aus, daß eine klare Einsicht in den Ursprung und
das Werden der Zustände, in denen wir leben, ein un-
schätzbares Hilfemittel ist, die Gegenwart zu verstehen, und
das bessere Verständnis der Gegenwart, wenn es auch noch
keine Prophetengabe für die Zukunft verleiht, schärft doch
den politischen Blick. Nicht minder werden wir das von
der Einsicht in das Werden und Vergehen anderer Völker
erwarten dürfen. Wenn es wahr ist, daß Politik Voraus-
sehen verlangt, so hat schon hierdurch die echte Geschichts-
kenntnis ihren hohen Wert für die Politik, wenn schon ihr
eigentlicher Zweck darin nicht liegt. Das Voraussehen in
der Politik erleichtert des weiteren ihre praktische Aufgabe,
die Zielsetzung, der dann endlich der Wille zur Tat in der
praktischen Staatskunst das volle Leben verleihen muß.
Nationale Gesinnung verlangen wir heute von jedem, aber
auch wenn die Gesinnung sich paart mit der Willenskraft,
kann sie den nationalen Staat doch nur dann gedeihlich
führen, wenn sie die wohl überlegende und durchgebildete
Einsicht an der Spitze hat.
In diesem Sinne sind Wissenschaft und Politik in den
„Preußischen Jahrbüchern“ von je verbunden gewesen, und
was dort nach den Forderungen des Tages gegeben wird,
habe ich nun hier, freilich nur in der flüssigen Form einer
Vorlesung, versucht systematisch zu entwickeln. Die
„Preußischen Jahrbücher“ haben sich oft dem Strom der
öffentlichen Meinung entgegengestemmt, zuweilen auch bei
guten Freunden Widerspruch erregt. Ich gebe mich der
Vorwort. 5
Hoffnung hin, daß diese zusammenhängende Darstellung
manchen Widerspruch, der mehr auf Mißverständnis als
auf sachlichem Gegensatz beruht, überwinden, auch manchen
wirklichen Gegner stutzig machen und schließlich diesen
meinen Anschauungen neue Anhänger gewinnen wird.
Unsere Regierung rühmt sich über den Parteien zu stehen.
Auch die Wissenschaft steht über den Parteien. Die mensch-
liche Unzulänglichkeit wird es selten zulassen, daß dieser
hohe Standpunkt tatsächlich erreicht und innegehalten wird.
Aber schon daß er erstrebt wird, gibt eine große Überlegen-
heit über jeden Parteistandpunkt. Der praktische Staats-
mann sieht zunächst, wie er sich mit den Parteien aus-
einandersetze. Aber auch was die Wissenschaft sagt, ist
besonders in Deutschland immer sehr beachtet worden, und
es möchte ratsam sein, daß man das auch fürderhin wohl
in Obacht nehme.
Berlin- Grunewald,
den 11. November 1917.
Hans Delbrück.
„Regierung und Volkswille“ ist ein einzelnes Kapitel aus
dem Gebiete der Politik, das sich zur Spezialbehandlung be-
sonders eignet, da die Fragestellungen, die damit verbunden sind,
so recht in die Mitte aller der Probleme führen, die heute
unser Volk wie alle Völker bewegen, viel mehr, als wenn
man etwa über Monarchie und Republik oder über Liberalis-
mus, Klerikalismus und Sozialiomus sprechen wollte.
Man verlangt heute allenthalben, daß das Volk ver-
möge der abwechselnden Parteien sich selbst regiere. Der
Volkswille soll zum Ausdruck gebracht werden und den Staats-
willen bestimmen. Da wollen wir beginnen mit der Frage:
Was ist das Volk, nach dessen Willen man sich richten soll?
Was ist das deutsche Volk! Zum deutschen Volk gehören
nicht bloß die Reichsdeutschen, sondern auch die deutschen
Österreicher, die deutschen Schweizer, die vielen Millionen
von Deutschen in Ungarn, Rußland und Amerika. Von
vornherein müssen wir den Begriff des deutschen Volkes
auf die Reichsdeutschen einschränken. Sofort aber erkennen
wir dann, daß zu dem deutschen Volk in diesem Sinne
auch viele Millionen Polen, Dänen und Franzosen gehören.
Es gibt in Elsaß- Lothringen auch Deutschsprechende, die fort-
während den Willen bekunden, daß sie dem deutschen Volke
politisch anzugehören ablehnen. Sehen wir von diesen
immerhin sehr erheblichen Unstimmigkeiten ab und erblicken
im deutschen Volk in unserem politischen Sinne die Ein-
wohnerschaft des deutschen Reichs — mögen gewisse Bruch-
Volksregierung.
Was ist ein
Volk?
Sind die Elsaß-
Lothringer ein
Volk!
2 Was ist ein Volk?
teile damit einverstanden sein oder nicht — so haben wir
damit freilich eine Einheit, aber keineswegs eine von der
Natur gegebene, sondern eine durch die geschichtlichen Er-
eignisse unter tausend Zufälligkeiten gebildete.
Als vor einigen Jahren dem Reichslande Elsaß- Lothringen
eine Verfassung gegeben wurde, die dieses Gebiet den anderen
Gliedstaaten des Reiches gleichstellte, wurde vielfach verlangt,
daß gemäß dem Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der
Völker die Elsaß- Lothringer selber zugezogen werden und
ihre Verfassung bestimmen sollten. In diesem Verlangen,
das von vielen Liberalen mit Lebhaftigkeit befürwortet wurde,
waren also die Elsaß- Lothringer als ein Volk vorausgesetzt,
das einen eigenen Willen produzieren kann. Wer sind die
Elsaß- Lothringer? Der Abstammung nach zum Teil Alemannen,
zum Teil Franken, zum Teil Franzosen. Der Geschichte nach
gehörten einige Teile dieses Gebiets zu Frankreich seit dem
Jahre 1552, andere seit 1648, seit 1681, 1737, 1801; bis
dahin zu Deutschland; Mülhausen gehörte bis 1794 zur
Schweiz. Die von militärischen Erwägungen bestimmten
und insoweit durchaus willkürlichen Festsetzungen einerseits
des Friedens von Paris (1817), andererseits des Frankfurter
Friedens (1871) haben alle diese verschiedenen Territorien und
Stammesfragmente zu einer Einheit zusammengefügt. Bilden
nun die Bewohner dieser geographischen Einheit ein Volk?
Kann man diesem Volk einen Willen zusprechen, und wie ver-
hält sich dieser Wille zum Willen der Gesamtheit des deutschen
Volkes? Es ist doch offenbar unmöglich, daß jeder einzelne,
beliebig herausgeschnittene Bruchteil eines Volkes ein Selbst-
bestimmungsrecht habe. Sprechen wir es den Elsaß-
Lothringern im Ganzen zu, weshalb nicht jedem der drei
Stämme, Schwaben, Franken und Franzosen? Und weshalb
nicht schließlich jeder einzelnen Gemeinde? Es ist möglich,
Die Elsaß- Lothringer. 3
daß aus den Elsaß- Lothringern mit der Zeit einmal innerhalb
des deutschen Volkes eine gewisse Einheitlichkeit des Emp-
findens erwächst, so wie bei den Preußen oder Bayern.
Die Forderung aber, daß das elsaß- lothringische Volk jetzt
seine eigene Verfassung bestimme, war in doppelter Weise
sinnwidrig: Erstens, weil die Elsaß- Lothringer in ihrem
Empfinden noch gar keine organische Einheit darstellen, und
besonders weil sie nur ein Teilstück des deutschen Volkes
sind, so wie sie bis 1870 ein Teilstück des französischen
Volkes waren. Mit Recht hat deshalb die Entscheidung
über die Abtretung des Gebiets zwischen Rhein und Vogesen
der französische Staat als Ganzes, die Volksvertretung in
Bordeaux, gegeben und nicht eine irgendwie organisierte
Willenskundgebung der abzutretenden Gebiete selbst, und
mit demselben Recht hat jetzt die Gesetzgebung des deutschen
Reiches diesem Gebiete eine Verfassung gegeben.
Haben wir schon den Begriff des deutschen Volkes ein-
schränken müssen auf die Einwohner des deutschen Reiches,
so müssen wir den Begriff noch weiter einengen durch die
Feststellung, daß wir es auch in dem weiteren Begriff
„deutsches Volk“ nicht mit einem von der Natur gegebenen,
sondern mit einem durch den Lauf der Geschichte geschaffenen
Gebilde zu tun haben. Man pflegt das deutsche Volk zu
behandeln als die einfache Fortsetzung jenes Volkstums,
das vorher Germanen genannt wurde. Das ist nicht richtig.
Es ist gar kein Zweifel, daß nur ein geringer Teil des
heutigen deutschen Volkes, nämlich die Bewohner von
Hannover, Westfalen, Braunschweig, Oldenburg in der
Hauptsache Germanen sind. Sämtliche Deutsche aber am
Rhein wie südlich des Main sind sehr stark gemischt mit
Kelten, Rhätiern und anderen romanisierten Volkern, alle
Gebiete östlich der Saale und Elbe wiederum mit Slaven,
Das deutsche
Volk.
4 Mischrassen.
Preußen und Lithauern. Wie stark der Beisatz von fremdem
Blute ist, ist im einzelnen nicht zu berechnen. In manchen
Gegenden geht er unzweifelhaft sehr weit, noch weit über
die Hälfte hinaus.
Ganz ebenso wie die Deutschen sind auch alle die anderen
großen Kulturvölker — die Engländer, Franzosen, Spanier,
Italiener Mischrassen, durch den Gang der geschichtlichen
Ereignisse miteinander verschmolzene Bestandteile der aller-
heterogensten Stämme, und es ist ein Beweis der
Herrschaft des Geistes über die Natur, daß die Einheit,
die sie darstellen, aus physisch so disparaten Elementen auf-
gebaut ist. Selbst dann, wenn, was wir selten genug
finden, der Volkseinheit eine physische Stammes- Einheit
zugrunde liegt, so ist doch das Wesen des Volkstums
nicht in der gemeinsamen Abstammung, sondern in seiner
geistigen Einheit zu suchen. Die Wissenschaft ist hierüber
völlig einig, und Treitschke hat sogar den Satz aufgestellt,
daß gerade die staatsbildenden Völker stets stark gemischt
gewesen seien, wie die Römer und die Engländer. Die
Araber und Juden seien besonders reinen Blutes, und von
ihnen könne man nicht behaupten, daß sie vorzüglich staats-
bildend gewirkt hätten; ihre Kraft liege auf ganz anderen
Gebieten. „Freilich,“ fügt er hinzu, „fast alle edlen Völker,
wie die Athener, nannten sich selber autochthon; aber fast
alle mit Unrecht.“ Noch heute könne man erkennen, wo
in Deutschland die Mädchen die Lasten auf dem Kopfe
tragen, da seien einmal die Römer gewesen. Die Schwaben
im Mittelalter, die Preußen in der Neuzeit, seien die staats-
bildenden Träger des Deutschtums gewesen, und gerade sie
seien besonders stark gemischt. Ich möchte mir diesen
Schluß, daß Blutmischung hervorragend befähigt mache zur
Staatsbildung, nicht aneignen. Die ersten Staatsbildner in
Abkunft der Deutschen. 5
Deutschland waren doch die Sachsen unter Heinrich I. und
Otto I. und waren nicht gemischt, und schließlich die Nieder-
lande sind doch auch eine sehr bedeutsame germanische
Staatsbildung und getragen von ungemischten Germanen.
Das Richtige und Wertvolle in dieser Betrachtung ist aber,
daß wir wiederum den Begriff „Volk“ nicht als etwas Ge-
gebenes erkennen, sondern als etwas in den Kämpfen der
Geschichte Gewordenes. Von wo an können wir nun diesem
Werdenden, von dem wir eben erfahren haben, daß es aus
ganz verschiedenen und entgegengesetzten Elementen zusammen-
geschmolzen ist, einen Willen zusprechen? Seit dem gemein-
samen Siege über die Ungarn auf dem Lechfelde im Jahre 955
haben sich die Stämme der Sachsen, Franken, Schwaben
und Bayern allmählich in einem Einheitsgefühl als deutsches
Volk zusammengeschlossen, aber noch im Jahre 1817 vermeinte
jede Landschaft, z. B. Neu- Vorpommern und Altpommern
eine besondere „Nation“ zu sein*) und auf dem Wiener
Kongreß widersprach der württembergische Gesandte „der
Absicht, aus verschiedenen Völkerschaften, z. B. Preußen
und Württembergern, sozusagen, eine Nation zu bilden.“
In der Tat würden ja auch der pommersche und der
württembergische Bauer, wenn sie in ihrer Muttersprache
sprechen, sich untereinander nicht verständigen können. Nur
indem man sie in der Volksschule künstlich die hochdeutsche
Schriftsprache lehrt, schafft man die für das Wesen eines
einheitlichen Volkes unentbehrliche Spracheinheit.
In noch größere Verlegenheit geraten wir, wenn wir
nun von dem heute trotz dieser Vorbehalte in einer großen
nationalen Einheit dastehenden Volke der Deutschen absehen
und etwa zu den Österreichern oder Ungarn gehen. Wo ist
*) Treitschke, Deutsche Gesch. II., 196 ff.
6 Kulturvolk und Staatsvolk.
das österreichische oder ungarische Volk? Zehn verschiedene
Nationalitäten, meist auch nur wieder Bruchstücke von
größeren Stämmen, sind hier zu einer politischen Einheit
vereinigt. In Ungarn herrschen die Magyaren, die nach
ihrer eigenen Zählung gerade die Hälfte der Einwohnerschaft
des Königreichs ausmachen, nach der Meinung der Kenner
lange noch nicht einmal die Hälfte, etwa 8 Millionen
von 20. Wo ist hier der ungarische Volkswille zu
suchen?
Um den Begriff „Volk“ überhaupt staatsrechtlich wieder-
zugeben, müssen wir von dem eigentlichen Sinne der
nationalen oder Kultureinheit, oder wie man sie sonst
nennen will, absehen und die Gesamtheit der Bürger-
schaft eines wie auch immer zusammengesetzten und be-
Zum Volk ge- grenzten Staates darunter verstehen. Das deutsche Volk in
hören auch die diesem Sinne sind also die Bürger des deutschen Reiches.
Kinder. Sind es aber bloß die Männer? Gehören nicht auch die
Frauen zum deutschen Volk? Es gibt bekanntlich sogar viel
mehr Frauen als Männer. Von welchem Lebensjahr an
gehört ein Deutscher zu demjenigen Teil der Deutschen, die
berufen sind, den Volkswillen darzustellen? Gehört zur
Konstituierung eines Volkswillens die direkte Abstimmung
über eine bestimmte Frage? Kann man zu dem Volkswillen
gelangen auch durch Repräsentanten? Wie sollen diese
Repräsentanten gewählt werden? Das ist von der aller-
höchsten Bedeutung. Wir werden noch davon hören. Denn
durch die Art der Abstimmung kann es sehr leicht geschehen,
daß die Majorität in eine Minorität verwandelt wird. In-
wiefern hat überhaupt die Majorität das Recht, sich für
das Ganze auszugeben und den Willen der Minorität zu
mißachten oder auszuschalten? Gehört die Minorität nicht
auch zum Volk? Vor kurzem hat Herr Woodrow Wilson
Majoritaͤt und Minorität. 7
das Amt als Präsident der Vereinigten Staaten von
Amerika angetreten; anscheinend als der Erwählte der
Majorität der amerikanischen Staatsbürger. In Wirklichkeit
hat ihn nur die Minorität gewählt.
Wilson hatte... 6 157 800 Stimmen,
dagegen Roosevelt... 3 928 000 Stimmen,
Taft.... 3 376 000 „
Debs.... 574 000 „
Chaplln.... 1 061 000 „
zusammen 8 139 000 Stimmen.
Die Gegenkandidaten zusammen haben also volle
2 Millionen Wähler mehr hinter sich gehabt als Herr Wilson.
Das ist möglich gewesen, weil die Wahl nicht direkt war,
sondern durch Wahlmänner vollzogen wurde, die in den
einzelnen Staaten gewählt wurden. Der Zufall wollte es
nun, daß Herrn Wilsons Wahlmänner mehrfach nur mit
ganz kleiner Majorität gewählt wurden, daß große Minoritäten
seiner Gegner also ausfielen, während diese umgekehrt viel-
fach Wahlmänner mit großen Majoritäten hatten, Wilson
dort also nur kleine Minoritäten verlor. Überdies gilt bei
der Wahl der Wahlmänner in den meisten Staaten bloß
die relative Majorität. Die Spaltung der Republikaner
zwischen Taft und Roosevelt verschaffte also in vielen
Staaten Wilson die Stimmen der Wahlmänner, obgleich
er nur die Minorität der Wähler auf seiner Seite hatte.
Ist es schon sehr bedenklich, die Majorität ohne weiteres
für das Ganze zu substituieren und die Minorität aus-
zuschalten, so wird das Bedenken noch sehr verstärkt da-
durch, daß ja erfahrungsmäßig sehr viel Bürger sich über-
haupt an den Abstimmungen nicht beteiligen. Der Politiker
hilft sich mit dem alten Satz: qui tacet consentire videtur.
8 Die Herrschaft der Napoleons.
Aber der Satz genügt hier offenbar nicht. Denn zustimmen
kann man nur einem Beschluß, den man kennt. Hier
muß angenommen werden, nicht sowohl, daß die Nicht-
wähler zustimmen, als daß sie sich unterwerfen, was auch
immer das Ergebnis der Abstimmung sei.
Bei der Wahl des Präsidenten Wilson haben überdies
drei Millionen stimmberechtigte amerikanische Bürger sich
der Stimme enthalten, so daß die jetzige amerikanische Re-
gierung tatsächlich nur von einem Drittel der Bürgerschaft
eingesetzt worden ist. Ja, wir haben sehr häufig in demo-
kratisch regierten Staaten den Fall, daß nur etwa die Hälfte
der Berechtigten, oft noch weniger, an der Abstimmung teil-
nimmt. Die Majorität dieser Hälfte macht also unter Um-
ständen wenig über ein Viertel aus. Kann man im Ernste
behaupten, daß die Kundgebung eines Drittels oder eines
Viertels der vorhandenen Bürger den Volkswillen darstelle?
Vielleicht gibt man zu, daß es nur ein Notbehelf ist,
stimmigkeit den wenn man in solchen Fällen vom Volkswillen spricht, aber
wenn sich nun Einmütigkeit oder so gut wie Einmütigkeit
bei einer Abstimmung kundgibt, dann wird man doch wohl
von einem Volkswillen sprechen können? Sehen wir zu.
Es ist tatsächlich nicht ganz selten geschehen, daß ein großes
Volk in einer allgemeinen Abstimmung nahezu einstimmig
seine Meinung kundgegeben hat, z. B. bei der Wahl der
beiden Bonapartes zu Herrschern der Franzosen. Kaiser
Napoleon lll. hat im Jahre 1868, als sein Herrscherrecht
bereits anfing, stark angefochten zu werden, eine Schrift
verfassen lassen oder selber verfaßt: „Les titres de la dynastie
Napoléonienne“ („Die Rechtstitel der Napeleonischen
Dynastie“). Der Schrift ist das Motto vorgesetzt: „Vor
populi vox Dei“. Hier ist historisch ganz richtig festgestellt,
daß im Jahre 1799 die Konsulatsverfassung, die den General
Die englische Volksvertretung. 9
Bonaparte als ersten Konsul an die Spitze von Frankreich
berief, angenommen wurde mit mehr als 3 Millionen
Stimmen gegen eintausendfünfhundert. Die Abstimmung
wurde im Jahre 1804 wiederholt, als der Konsul sich zum
Kaiser proklamieren ließ, und ergab 4½ Millionen Ja
gegen 2500 Nein. Napoleon III. wurde am 10. Dezember
1848 zum Präsidenten gewählt mit 5430000 Stimmen
gegen Cavaignac mit 1448000 Stimmen, am 2. Dezember
1851 zum Präsidenten auf zehn Jahre mit 7½ Millionen
gegen 650000; am 2. Dezember, als er zum Kaiser gewählt
wurde, waren die Nein auf 253000 gesunken. Hat nun
die Geschichtsschreibung und namentlich die demokratische
Geschichtsschreibung anerkannt, daß hier wirklich der Wille des
französischen Volkes, den man als solchen zu respektieren habe,
zum Ausdruck gekommen sei? Im Gegenteil. Man sieht
die Herrschaft der beiden Napoleons ganz und gar nicht als
Ausdruck des Volkswillens, sondern als Gewaltherrschaft,
ein „Säbelregiment“, eine „Tyrannis“ an.
Halten wir diese verschiedenen Zahlen und historischen
Erfahrungen zusammen, so ergibt sich, daß in der Kon-
struktion eines Volkswillens vermöge einer allgemeinen Ab-
stimmung irgendwelche Elemente stecken müssen, die wir
noch nicht ans Licht gezogen haben. Denn auf der einen
Seite finden wir, daß der Amerikaner sich ohne jeden Wider-
spruch heute einem Präsidenten unterordnet, der nur die
Minorität der Wählenden hinter sich gehabt hat, und auf
der anderen Seite, daß die Herrschaft der Napoleons an-
gefochten wurde, obgleich gerade sie wirklich von der un-
geheuren Masse getragen worden sind.
Prüfen wir aber die Frage, ob Versammlungen, die in
der Geschichte als Volksvertretungen bezeichnet werden, wirk-
lich den Volkswillen darstellten, noch weiter an der Ge-
Repräsentiert
das englische
Parlament den
Volkswillen?
10 Die englische Volksvertretung.
schichte von England. Das englische Unterhaus ist bereits
gebildet worden im 14. Jahrhundert, aber sehr lange hat
es neben dem Oberhause nichts bedeutet. Erst nach den
Revolutionen des 17. Jahrhunderts kann man die Begriffe
des Parlamentarismus im modernen Sinne auf die englischen
Institutionen anwenden. Das Unterhaus wurde gewählt
teils von den Grafschaften, teils von den Städten. In
den Städten war das Wahlrecht sehr mannigfaltig gestaltet.
In manchen von ihnen hatte sich das Gewohnheitsrecht
gebildet, daß die Magistrate die Abgeordneten ernannten;
in andern wählten die sämtlichen Hausbesitzer, in noch
anderen die Gilden. Sehr häufig hatten ganz kleine Städte
das Recht, Abgeordnete zu senden, Städtchen, die ganz und gar in
der Hand des umliegenden Großgrundbesitzes und sogar eines
benachbarten Großgrundbesitzers waren. Zum Beispiel der
Herzog von Newcastle war in einem solchen mit dem Wahl-
recht begnadeten Städtchen der Besitzer der sämtlichen Häuser.
Als nun einmal die Bürger Abgeordnete gewählt hatten,
die ihm nicht genehm waren, setzte er sie samt und sonders
aus ihren Wohnungen hinaus und ließ sie mit Weib und
Kind sechs Wochen im freien Felde biwaklieren. Man nannte
diese Städte, die ihre wirtschaftliche Bedeutung mit der Zeit
eingebüßt, das Wahlrecht aber behalten hatten, rotten
boroughs. Im Jahre 1793 wurde berechnet, daß 172 Mit-
glieder des Unterhauses für England und Wales direkt vom
Ministerium oder von Individuen ernannt wurden und 137
unter einem solchen Einfluß gewählt. 45 schottische Mit-
glieder wurden durch 35 Personen ernannt; von den 100
irischen wurden 71 von 55 Personen ernannt. Das Haus
hatte im ganzen nach der Union mit Irland 658 Mitglieder.
Von diesen 658 Mitgliedern waren also im ganzen 424
durch Ernennung oder Empfehlung von 252 Personen ein-
Die englische Volksvertretung. 11
gesetzt. Lord Lonsdale ernannte 9, der Herzog von New-
castle, der Herzog von Buckingham und andere je 6. Die
Stadt Edinburg hatte nur 33 Wähler. Das berühmteste von
den rotten boroughs ist ein Flecken, der ehedem am Meer
gelegen hatte, aber bei einer Sturmflut von den Wellen
verschlungen worden war. Die Wahl vollzog sich hier so,
daß ein Rechtsanwalt in einem Boot auf den Fleck fuhr,
wo das Städtchen ehedem gestanden, und dort das Protokoll
über die Ernennung der beiden Abgeordneten aufnahm.
Diesen Flecken hatte sich William Pitt als seinen Wahlsitz
ausgesucht, um völlig unabhängig von jeder Wählerschaft
zu sein. Die rotten boroughs waren durch den Besitz des
Wahlrechts zu einem gesuchten Handelsartikel geworden,
und wenn jemand in Indien Reichtümer erworben hatte,
nach Hause, wie man es nannte, als „Nabob“ zurückkehrte
und nun eine gesellschaftliche Stellung anstrebte, so war
das einfachste Mittel, ein rotten borough zu kaufen und
sich ins Unterhaus wählen zu lassen. Es brauchte das nicht
einmal ein bloß der Eitelkeit gebrachtes Opfer zu sein,
sondern konnte auch eine ganz gute Kapitalsanlage werden.
Denn das Mandat als Abgeordneter wurde wiederum aufs
Kräftigste ausgenutzt, um von der Regierung irgendwelche
Zuwendungen zu empfangen oder auch zu erpressen. Im
besonderen wurden die Beamten ausschließlich auf Emp-
fehlung ernannt, Empfehlung von den Abgeordneten, die
als Mitglieder der Majorität die Regierung stützten und ihr
unentbehrlich waren. Die große Masse der Abgeordneten
bestand demgemäß aus den Söhnen, Vettern, Neffen und
Schützlingen der großen Herren, die selber im Oberhaus
saßen. Dadurch erklärt es sich, daß wir in dieser Zeit fast
niemals von einem Konflikt zwischen Oberhaus und Unter-
haus hören. Es sind eben dieselben Schichten der Gesell-
Delbrück, Regierung und Volkswille.
12 Die englische Volksvertretung.
schaft, die in beiden Häusern vertreten sind, und die Parteien,
die damals um die Regierung kämpften, die Whigs und
Tories, sind, die eine so gut wie die andere, aristokratischen
Charakters*). Das Unterhaus entbehrt nicht völlig eines
gewissen Zusatzes von Mitgliedern, die unter dem Einfluß
der öffentlichen Meinung stehen. Aber diese wirklichen
Wahlelemente haben im Laufe des 18. Jahrhunderts von
ihrer Macht allmählich mehr und mehr eingebüßt.
War dieses englische Unterhaus eine Volksvertretung?
An diese Korporation knüpft sich der hohe Ruhm des eng-
lisches Parlamentarismus. Dieses so konstituierte Parlament
hat erst den Kampf gegen Ludwig XIV., dann von neuem
den Kampf gegen Frankreich im Bunde mit Friedrich dem
Großen im siebenjährigen Kriege, dann schließlich den un-
geheuren Kampf gegen die französische Republik und
Napoleon durchgefochten. Zuweilen hatte es in diesem
Kampf die öffentliche Meinung auf seiner Seite, aber keines-
wegs immer. Namentlich in dem 23jährigen Kriege gegen
die Republik und Napoleon (1793—1815), der den Eng-
ländern zwar schließlich unermeßlichen Gewinn gebracht hat,
ihnen aber auch ungeheure Lasten auferlegte, ist die öffent-
liche Meinung öfter verzweifelt und hat von der Regierung
die Herstellung des Friedens gefordert. Im Jahre 1809
war selbst die City von London so weit, zu petitionieren,
daß Wellington mit seinem Heer aus Spanien zurück-
gerufen werden möge. Zum Heil Englands und der Welt
ist die Regierung, die die große Moajorität des Unterhauses
hinter sich hatte, fest geblieben. Sie fesselte die Mitglieder
des Hauses an sich durch die Wohltaten, die sie ihnen er-
*7) Vgl. meinen Aufsatz „Whigs und Tories“ in der Sammlung
meiner „Historischen und politischen Aufsätze".
Die englische Volksvertretung. 13
wies, sowie diese wieder bei den Neuwahlen durch alle
Mittel, namentlich aber durch einfachen Stimmenkauf, die
Wähler für sich gewannen. Diese doppelte Korruption wurde
als ein unvermeidliches Mittel angesehen, um auf dem
schwankenden parlamentarischen Boden eine feste Regierung
aufzubauen, und bis tief ins 19. Jahrhundert hinein findet
man die Spuren davon. Gentz, das literarische Mundstück
des Fürsten Metternich, führte die Unvermeidlichkeit der
Korruption immer als Hauptargument ins Feld, um die
Nachahmung der englischen parlamentarischen Institutionen
auf dem Festlande zu bekämpfen. Noch im Jahre 1869 ist
es vorgekommen, daß ein Kandidat 6400 Mark in Silber am
Wahltag in seinem Wahlort auf die Straßen streuen ließ.
Die Wahl wurde angefochten, aber schließlich doch für gültig
erklärt, weil nicht bewiesen werden konnte, daß der Kandidat
den Wählern Geld gegeben hatte. Es konnten ja irgend-
welche andere Mitbürger gewesen sein, die das Geld von
der Straße aufgerafft hatten.
Der Notwendigkeit einer Wahlreform verschloß man sich
bereits im 18. Jahrhundert nicht. Ein Herzog von Richmond
beantragte sogar einmal im Oberhaus die Einführung des
allgemeinen gleichen Stimmrechts. Auch Pitt hatte eine
Reform in Aussicht genommen. Um aber den rotten
boroughs, die nun einmal die Wahlbefugnis als ihr wohl-
erworbenes Recht ansahen, kein Unrecht zu tun, hatte er die
uns grotesk anmutende Idee, ihnen dieses Recht, aus dem
sie bisher einen so schönen Nutzen gezogen, für 1 Million
Pfund Sterling bar abzukaufen. Aber ehe dieser Plan noch
zur Reife gediehen war, kam die französische Revolution.
Schon 1790 ließ Burke den ersten Warnungsruf ertönen,
und Pitt erklärte, als er die revolutionäre Bewegung jen-
seits des Kanals immer weiter um sich greifen sah, daß er
2*
14 Die englische Volksvertretung.
nach wie vor von der Notwendigkeit der Parlamentsreform
in seinem Heimatlande durchdrungen sei, daß er es aber
nicht an der Zeit halte, so gewagte Experimente vorzunehmen
angesichts der Bewegung in Frankreich. Auch in England
war in den Massen eine ungeheure Gärung. Die Fran-
zosen sandten Geld und Agenten herüber und rechneten
bereits mit Sicherheit darauf, daß es ihnen gelingen werde,
in England ganz wie in Frankreich eine Volkserhebung
hervorzurufen. Allenthalben wollten sie ja die Völker auf-
rufen zur Freiheit und zum Kampf gegen die Tyrannei.
Eine Revolution in England hätte ihnen in dem aus-
gebrochenen Kriege den Sieg gegeben. Die Engländer aber
hielten die revolutionären Zuckungen mit Gewalt nieder,
und als im Jahre 1809 der Abgeordnete Burdett es wagte,
im Unterhause einen Antrag auf Parlamentsreform zu stellen,
erzielte er dafür nicht mehr als 15 Stimmen.
Noch lange nach dem Friedensschluß hielt diese durch
den Krieg gegen die Franzosen erzeugte Stimmung an, und
erst im Jahre 1832 kam eine Parlamentsreform zustande,
die den Charakter des Unterhauses so gründlich veränderte,
daß wir von neuem die Frage aufwerfen müssen, ob Eng-
land wenigstens von diesem Jahr an eine Volksvertretung
hatte, von der man annehmen kann, daß sie wirklich einen
Volkswillen repräsentiere. Die Reform war eine doppelte.
56 rotten boroughs mit 111 Mitgliedern wurde das Wahl-
recht entzogen; 30 wurden von zwei auf einen Abgeordneten
herabgesetzt. Die so gewonnenen Stimmen wurden auf die
in den letzten Jahrhunderten emporgekommenen großen
Industrie- und Handelsstädte verteilt. Das früher ge-
wohnheitsrechtlich so verschieden gestaltete Wahlrecht wurde
jetzt auf Grund eines Zensus durch das ganze Land gleich-
mäßig normiert. Das Wahlrecht wurde gegeben allen den-
Die englische Volksvertretung. 14
jenigen, die in den Städten wenigstens 200 Mark Miete
bezahlten, oder auf dem Lande 200 Mark Einkommen aus
Landeigentum oder lebenslänglicher Pacht, oder 1000 Mark
Einkommen aus einfacher Pacht, nachweisen konnten. Früher
waren auf dem Lande alle Pächter, auch die mit lebens-
länglichen oder erblichen Pachtrechten vom Wahlrecht aus-
geschlossen gewesen. Im Jahre 1867 trat eine neue Reform
ein, mit der die allzu großen Ungleichmäßigkeiten in den
Wahlkreisen etwas ausgeglichen und der Wahlzensus er-
mäßigt wurde. 1872 wurde die geheime Abstimmung ein-
geführt. 1884 fand eine abermalige Herabsetzung des
Zensus statt. Aber bis auf den heutigen Tag sind die
Wahlkreise sehr ungleichmäßig (z. B. Durham hat 2600
Wähler, Romford 53000), und es sind auch noch immer
sehr viele erwachsene Staatsbürger vom Wahlrecht aus-
geschlossen. Man hat die Ausgeschlossenen neuerdings auf
mehr als 4 Millionen berechnet, während umgekehrt noch
erheblich über eine halbe Million Wähler eristieren, die,
weil sie in verschiedenen Wahlkreisen einen Besitz haben,
oder aus sonstigen Gründen ein doppeltes oder sogar mehr-
faches Stimmrecht ausüben können. Das ist praktisch nicht
ohne Bedeutung, da die Wahlen in England nicht, wie bei
uns, alle an einem Tage stattfinden.
Will man strikte an dem Satz festhalten, daß zur
Herstellung eines Volkswillens eine irgendwie organisierte,
aber gleichmäßige Abstimmung sämtlicher Staatsbürger,
oder zum wenigsten aller männlichen Staatsbürger, er-
forderlich ist, so müssen wir zugestehen, daß das vielgerühmte
Mutterland des Parlamentarismus, England, selbst heute
noch keine wahre Volksvertretung besitzt.
Recht merkwürdig ist die Geschichte dieser Frage auch in Parlament und
Italien. Als das Königreich Sardinien-Piemont von 1859 Dolk Nalien.
16 Wahlrecht in Italien.
an allmählich die anderen Landschaften von Italien mit
sich vereinigte, wurde jedesmal die Bevölkerung befragt
und entschied sich dafür in einer allgemeinen Abstimmung.
Aber man hütete sich sehr wohl, eben die Staatsbürgerschaft,
deren Willen man für die Errichtung des Staates selber
herangezogen hatte, nun auch an der Regierung des Staates
teilnehmen zu lassen. Das Wahlrecht blieb vielmehr für
das neugeschaffene Königreich Italien so, wie es bisher im
Königreich Sardinien gewesen war, nämlich gebunden an
eine jährliche direkte Steuerleistung von wenigstens 40 Lire
= 32 Mark. Infolgedessen besaßen bei der Armut der
Italiener das Wahlrecht noch keine 2 ½% der Bürgerschaft.
Im Jahre 1882 wurde der Zensus von 40 auf 19,80 Lire
herabgesetzt und überdies das Wahlrecht allen Bürgern er-
teilt, die lesen und schreiben konnten; auch dadurch wurde die
Zahl der Wähler von etwa 600000 doch auf nicht mehr
als 2½ Millionen gebracht, da die Kunst des Lesens und
Schreibens, so leicht man auch das Examen darin ge-
staltete, doch in weiten Provinzen noch recht selten war.
Gerade jetzt in den letzten Wochen hat eine neue Wahl-
reform stattgefunden, deren Träger der Minister Giolitti
ist. Sie verleiht das Wahlrecht allen Bürgern, die 21 Jahre
alt sind und lesen und schreiben können oder ihre Militär-
pflicht erfüllt haben, sowie allen Bürgern, die 30 Jahre
alt sind, auch wenn sie nicht lesen und nicht schreiben
können. Durch diese Bestimmung wird die Zahl der Wähler
von rund 3 auf rund 8 Millionen erhöht, und etwa 80%
der volljährigen Bürger werden in Zukunft wahlberechtigt
sein, während es bisher nur 32% waren. Dem Antrag,
sofort das allgemeine gleiche Stimmrecht einzuführen, hat
sich Giolitti widersetzt: Der Sprung würde zu groß sein;
man solle zunächst einmal einen Übergang schaffen. Auch
Unentbehrlichkeit der Parteien. 17
das Frauenstimmrecht lehnte er vorläufig ab: Die plötzliche
Vermehrung der Zahl der Wähler, wenn man auch die
Frauen zulasse, würde gar zu groß sein.
Weder von England noch von Italien wird man leugnen
wollen, daß sie Regierungen haben — und seit langer Zeit
haben —, die sich mit dem Volkswillen im wesentlichen im
Einklang gehalten haben. Der Gang der Geschichte hat es
bewiesen. Aber ebenso ist uns jetzt bewiesen, daß dieser
Begriff eines Volkswillens von der Forderung der Majorität
der erwachsenen Männer sehr weit abliegt, ja, gar nichts
mit ihm zu tun haben braucht.
Die Erfahrung der Jahrtausende lehrt, daß die un- Unentbehrlichkeit
geheure Mehrzahl der Menschen am Staate nicht so viel der Parteten.
Anteil nimmt, um ganz aus eigenem Antrieb sich eine
Meinung über Personen- oder Gesetzesvorlagen zu bilden und
demgemäß abzustimmen*). Um größere Mengen in poli-
tische Bewegung zu bringen, bedarf es eines Mittelgliedes
zwischen dem Staat und den Einzelnen, das ist die Partei.
Die Parteien bringen die Wahl zustande, indem sie die
Einzelnen mit Ansichten erfüllen und zur Abstimmung
führen. Der Kraftunterschied zwischen den Parteien ist
meistens nicht sehr groß; die Entscheidung liegt in dem oft
nur kleinen Vorsprung, den die eine Partei vor der anderen
gewinnt, und dieser Vorsprung hängt ab von der Organi-
sation, der Agitation, den Geldmitteln, die von beiden Seiten
*) In dem mir erst nachträglich bekannt gewordenen Buch „Human
nature in politics“ von Graham Wallas (London, Constable & Co.
1910) S. 232 wird die Ansicht vertreten, daß selbst in einem Lande so
alter politischer Erziehung wie England keine Grafschaft existiere, in der
die Zahl der tatsächlich in der Politik tätigen Personen auch nur 10%
der Wählerschaft erreiche. Dies Buch ist von hohem Wert für alle
politische Psychologie. Von deutschen Verhältnissen hat der Verf. freilich
recht wunderliche Vorstellungen.
Wesen der
Majorität.
18 Wesen der Majorität.
aufgewendet werden. Wem es gelingt, noch einen Haufen
ganz Gleichgültiger durch irgendwelche Mittel zur Wahlurne
zu schleppen, der gewinnt. Ist es also das Volk, dessen Wille
durch den Wahlakt zur Erscheinung gebracht wird? Wir
sind in einem offenbaren Dilemma. Eristieren keine Parteien,
so wird die Wahlbeteiligung so klein bleiben, daß von einer
Volksaktion nicht die Rede sein kann. Haben wir aber
Parteien, so zerren sie zwar das Volk auf die Bühne, aber
die Entscheidung fällen Mächte, die Meinungslose zur Ab-
gabe ihres Zettels zu bestimmen verstehen.
Wie ist die Menschheit überhaupt dazu gekommen, der
Majorität das Recht der Regierung über die Minorität ein-
zuräumen? Hat die Idee der Majorität einen tieferen sitt-
lichen Grund? So fundamental heute das Majoritätsprinzip
ist, so findet man in der staatswissenschaftlich- philosophischen
Literatur doch sehr wenig darüber, und zwar aus dem durch-
schlagenden Grunde, daß sich wirklich nicht viel darüber
sagen läßt. Daß auf seiten der Majorität immer die größere
Klugheit sein muß, läßt sich nicht wohl behaupten. Der
einzige Grund für ihre Herrschaft ist, daß die größere Masse
auch die größere Macht darstellt.
Es ist ein rein praktisches Prinzip. Wenn man Bürger-
kriege vermeiden will, läßt man die regieren, die bei einem
Kampfe auf jeden Fall die Oberhand haben würden, und
das sind die Meisten*). Da es nun auch noch andere Mächte
*) G. Simmel, Soziologie, S. 186 ff., hat versucht, das Majoritäts-
prinzip psychologisch tiefer zu begründen, m. E. ohne Erfolg und auch
nicht ohne historische Fehler.
Gierke, „Über die Geschichte des Majoritätsprinzips“ (S. 320),
macht darauf aufmerksam, daß das Majoritätsprinzip bei uns in der
Tat zuerst im Kampfe zur Anwendung kam; die Gerichtsurteile mußten
noch einstimmig sein, als beim gerichtlichen Zweikampf bereits die Regel
galt, daß, wenn Sieben gegen Sieben kämpften, die Siegermehrheitentscheide.
Fehler im Majoritäts-System. 19
im Staate gibt, als die Masse, so ist es nur natürlich, daß
das Majoritãtsprinzip, auch wo man es formell aufgestellt
hat, doch sehr häufig umgangen worden ist, besonders aber, daß
manche Epochen der Geschichte es gar nicht gekannt haben.
Ich werde noch darauf zurückkommen.
Schon in dem Augenblick, wo man in England durch
die zweite Parlamentsreform (1867) dem Ideal einer demo-
kratischen Volksrepräsentation nahegekommen war und man
voraussetzen konnte, daß das noch Fehlende in absehbarer
Zeit nachfolgen würde, wurde man stutzig und warf die
Frage auf, ob auf dem Wege der Wahl von Abgeordneten
durch eine Majorität der Wille des Volkes überhaupt zum
Ausdruck gebracht werde. Die beiden hervorragendsten Ver-
treter des demokratischen Stimmrechts in England waren
der Philosoph Stuart Mill und der Historiker Grote, dessen
umfassende griechische Geschichte noch heute einen gewissen
wissenschaftlichen Wert hat. Gerade in dieser seiner griechischen
Geschichte hatte er seine demokratische Weltauffassung am
anschaulichsten zum Ausdruck gebracht und hatte sich schließlich
mit ihr, man kann sagen: überschlagen, so daß er Perikles
verwarf und Kleon für den wahrhaft idealen demokratischen
Staatsmann erklärte*). Beide aber, Mill wie Grote, waren
scharfblickend und unbefangen genug, um schließlich zu er-
kennen, daß das, was sie zu erreichen bestrebt gewesen
waren, die Emanzipation und die Herrschaft der Individuen,
durch das System selbst, durch die Herrschaft der Majorität,
aufs schwerste gefährdet war. Er habe seinen Glauben
überlebt, sagte Grote von sich selbst, denn eine Majorität
könne gerade so tyrannisch sein wie ein Despot, etwa wie
*) Über die Verkehrtheit dieser Auffassung vgl. meinen Artikel „Bebel,
der Demagog“ in den Preuß. Jahrb. Sept.-Heft 1913.
Aufkommen des
Proporz-
Gedankens.
20 Proportional- Wahl.
ein Napoleon. Man sann nach, wo der Fehler stecken könne,
und Mill suchte endlich die Rettung in dem Prinzip der
Proportionswahl, für die eben Hare das erste System aus-
arbeitete. Das Repräsentatiosystem leidet ja an dem funda-
mentalen Fehler, daß der Wähler seinen Vertrauensmann
doch immer nur nach einer oder einigen bestimmten, gerade
im Augenblick besonders hervorstechenden Eigenschaften oder
Tendenzen zu bestimmen vermag, während er vieles andere,
der eine dies, der andere das, nicht vertreten findet, oder
sogar, obgleich seinen Wünschen widersprechend, in den Kauf
nehmen muß. Besonders wenn die Repräsentation sich auf
eine Reihe von Jahren erstreckt, kann es nur zu leicht vor-
kommen, daß sich Wähler und Gewählte immer mehr von-
einander entfernen. Schon Rousseau hat diesen Fehler des
Wahlrepräsentativsystems richtig erkannt und es deshalb im
„Contrat social“ ausdrücklich verworfen. Er kennt nur das
Volk, das unmittelbar selbst regiert. Freilich, sagt er, daß
das wohl nur bei sehr kleinen Gemeinwesen ausführbar
ist. Aber weiter als bis zur Fragestellung ist er nicht ge-
langt. Er hat das Problem gesehen, aber keine Lösung dafür
gefunden und deshalb die Frage stillschweigend fallen lassen.
Mill ging in seinem Zweifel nicht einmal so weit, sondern
blieb stehen bei dem noch mehr zutage liegenden Einwurf,
daß ja in sämtlichen Wahlkreisen des Landes die Mineritäten
bei dem bestehenden System völlig ausgeschaltet und mundtot
gemacht seien. Diese Minoritäten konnten ja der Majorität
oft ganz nahe kommen, so daß der Ausgang der Wahl für
das ganze Land schließlich dem Zufall anheimgegeben ist,
wie sich die Anhängerschaft der verschiedenen Parteien über
die verschiedenen Wahlkreise verteilt. An der Wahl des
Präsidenten Wilson haben wir ja schon ein Beispiel dafür
kennen gelernt.
Proporz. 21
Mill glaubte, diese Schwierigkeiten durch das Pro-
portionalwahlsystem überwinden zu können, und der
Gedanke hat seitdem immer mehr Anklang gefunden. Die
einfachste Methode ist die Minoritätenvertretung, indem man
Wahlkreise mit drei Abgeordneten bildet und nicht alle drei
der Majorität gibt, sondern einen davon der Minorität,
falls diese eine gewisse Stimmenzahl erlangt hat. Aber
damit ist nicht durchzukommen, da es ja auch mehr als
zwei Parteien geben, und der Ausfall durch den Zufall
bestimmt werden kann, wie sich die Stimmen auf die beiden
hier vorausgesetzten Kandidaten der Majorität verteilen.
Man hat seitdem zahllose verschiedene Systeme für die
Proportionalwahl ausgeführt (d’Hondt — ein Belgier —
Hagenbach, Kantorowicz, Siegfried und viele andre). Not-
wendig sind dabei immer große Wahlkreise mit mehreren
Kandidaten. Aber noch kein System hat allgemeinen
Beifall gefunden. Sie sind alle unsicher in der Wirkung
und hängen z. B. davon ab, daß die Parteien ihre Stärke
richtig einschätzen und ihre Stimmen so verteilen, daß
keiner der ihrigen zuviel Stimmen erhält. In der
Schweiz, in einigen Staaten von Nordamerika, in Hamburg
und in Württemberg ist diese oder jene Art der Pro-
portionalwahl heute bereits in Kraft. Der Name „Proporz“
ist dafür im Jahre 1890 in Basel zuerst mit einem
spöttischen Beiklang aufgekommen. Das dort bis dahin
bestandene System der Majoritätswahl wurde „Majorz“
genannt. Besonders wichtig ist, daß heute in Frankreich
die Einführung des Proporzes anstelle der einfachen
Majoritätswahl mit Eifer betrieben wird. Die französische
Republik hat seit 1871 bereits dreimal ihr Wahlsostem
geändert: 1875, 1884, 1889. Aber das französische Volk
ist dauernd sehr unzufrieden mit den Ergebnissen seiner
Auftreten des
Proporz-
gedankens in
Frankreich.
22 Üble Wirkungen der Wahl-Regierung
eigenen Abstimmungen. „Die Republik war schön,“ hat
man gesagt, „unter dem Kaiserreich.“ Man beschuldigt die
Deputierten des Mißbrauchs ihrer Gewalt, und der Name
„Panamist“, der sich für parlamentarische Korruption als
technischer Ausdruck in der Weltliteratur eingebürgert hat,
stammt von riesigen Bestechungen, durch die einst die
Panamakanal- Gesellschaft die französische Deputiertenkammer
mehrfach zu Änderungen des Gesetzes über diese Gesellschaft
veranlaßte. Die Deputierten haben sich vor einigen Jahren
ihre Diäten von 9000 Franks jährlich auf 17000 erhöht
und schließlich auch noch 6000 weitere Franks als Gehalt
für einen Privatsekretär hinzugefügt. Der Spitzname für
einen Deputierten ist deshalb „Un quinze mille“. Vor
einiger Zeit ging einmal eine Anekdote durch die Zeitungen,
ein Deputierter habe auf einem Omnibus Streit bekommen,
seine Autorität herauskehren wollen und sich als Mitglied
des gesetzgebenden Körpers bekannt. Aber statt damit
Eindruck zu machen, habe sich das Publikum fofort gegen
ihn gewandt: „Un quinze mille! Un quinze millel A la
portel! la portel“ und ihn hinausgeworfen. Anatole
France, der genialste Schriftsteller des heutigen Frankreich,
hat in einem seiner reizenden symbolischen Romane, in
denen er die Geschichte Frankreichs persifliert, von dem
Staate, den er dem Leser vorführt, gesagt, man nenne dort
die Erwählten des Volkes mit verschiedenen Namen: „De-
putierte“, „Abgeordnete“, „Gesetzgeber“, „Volksvertreter“,
oder auch — dieser Name sei aber weniger beliebt —
„Gauner“. Dergleichen Geschichtchen sind natürlich keine
Beweise. Aber der Kampf um den Proporz hat Stimmen
laut werden lassen, die uns nicht daran zweifeln lassen
können, daß das bisherige Wahlsystem in der Tat recht üble
Früchte gezeitigt hat. Der Vorkämpfer für die Einführung
in Frankreich. 23
der Proportionalwahl ist seit Jahren kein geringerer als der
nunmehr zum Präsidenten der Republik Frankreich erwählte
Raymond Poincaré, Poincaré war Advokat und Journalist
von Beruf; seit 1893 abwechselnd Unterrichts-, Finanz- und
Auswärtiger Minister. Er kennt also das innere Getriebe
der französischen Verfassung und Verwaltung ganz genau.
Schon im Jahre 1909 (19. September) sagte er: „Ich
habe seit langer Zeit eine festgewurzelte Ansicht: Ich bin
überzeugt, daß wir den Abgrund immer weiter
hinuntergleiten, wenn wir uns nicht entschließen, unser
Wahlsystem von Grund auf zu ändern, die Abstimmungs-
basis zu erweitern, die Unzulässigkeit des Majoritäts-
verhältnisses zu vernichten und ehrlich in der französischen
Vertretung ein getreues Abbild aller französischen Meinungen
zu suchen. Mögen alle Republikaner, die heute noch dieser
unumgänglichen Lösung widerstreben, sich ihr anschließen,
bevor die Wahlkorruption ihr verderbliches Werk vollendet
hat und Katastrophen unvermeidlich macht.“ Und nachher
schrieb er: „Die schlechteste Verhältniswahl ist in meinen
Augen immer noch besser als die beste Mgjoritätswahl.
Es ist freilich nicht weniger wahr, daß die meisien Ver-
hältniswahlsysteme ungenügend sind. Wir müssen ein ein-
faches, leicht verständliches und gerechtes System haben.“
Das Übel, das Herr Poincaré bekämpfen will durch den
Proporz, ist nicht sowohl die Korruption im Parlament selbst
als die von dem jetzigen Wahlsystem ausgehende Verderb-
nis in der Verwaltung. „Die Wahlreform,“ sagte er darüber
(25. Juni 1912), „hat den Zweck, dem Regime des Favo-
ritismus und der Empfehlungen, das die normale Tätigkeit
der Verwaltungen fälscht, ein Ende zu machen.“ Als darüber
in der Kammer von den Gegnern gemurrt wurde, fuhr er
mit erhöhter Stimme fort: „Ich sage es laut heraus, was
Schäden der
Verwaltung
infolge der
Majoritäts-
Wahlen.
24 Parlamentarismus
so viele im Innern denken: In den kleinen Wahlkreisen hat
der Wähler eine zu große Furcht, um sich immer der Herr-
schaft gewisser Interessen, die mit den allgemeinen Interessen
im Widerspruch stehen, entziehen zu können. Die Wahl-
reform müßte die Vorrede zu einer Verwaltungsreform
werden.“ Herr Poincaré hat nichts Demagogisches an sich;
er ist eine durchaus ernste Persönlichkeit, und wir werden
sein Zeugnis gelten lassen müssen. Seit 1906 hat sich auch
die Wählerschaft wiederholt zugunsten des Proporzes aus-
gesprochen. Nicht weniger als sechs Regierungen hintereinander
sind dafür öffentlich eingetreten. Aber die Gegner haben
bisher alle Anstrengungen zu durchkreuzen vermocht. Die
Gegner sind eben die jetzigen Inhaber der Gewalt. Der
Abgeordnete eines Bezirks, sei es in der Deputiertenkammer,
sei es im Senat, ist in diesem Bezirk der absolute Herr.
Die Beamten gehorchen seinem leisesten Wink, vom Präfekten
an abwärts. Denn wenn sie den Unwillen des Deputierten
erregen, würde dieser sich beim Minister beschweren können,
und da der Minister wieder von den Stimmen der Depu-
tierten abhängig ist, so wäre es um den steifnackigen
Beamten bald geschehen. Nach der Empfehlung des Depu-
tierten werden die Anstellungen vollzogen. Nach den Emp-
fehlungen des Deputierten werden die Staats- und Gemeinde-
lieferungen vergeben. Ein Deputierter weiß Aufschub zu
erlangen oder zu verhindern, handle es sich um eine Strafe,
oder sei es bei der Aushebung, Urlaub zu verschaffen und sogar
Gerichtsurteile zu beeinflussen*). Besonders verhängnisvoll
hat sich diese Abhängigkeit der französischen Verwaltung von
*) Sehr eingehend ist der verderbliche Einfluß des Parlamentarismus
auf die Verwaltung jüngst geschildert in den beiden Bändchen von
Emile Faguet: „Le culte de ’Incompétence und I'Horreur de
la Responsabilité“. Paris. Bernh. Grasset.
in Frankreich. 25
den Erwählten des Volkes schon lange in der Militär-
verfassung gezeigt. Die Franzosen hatten versucht, nach dem
deutschen Muster das Institut der Einjährig- Freiwilligen
einzuführen. Aber zu dieser Einrichtung gehört ein Eramen
von einer gewissen Strenge, damit der einjährige Dienst
nicht einfach das Privilegium der Wohlhabenden werde.
Dieses Eramen hat sich in Frankreich nicht halten lassen,
da die Protektionswirtschaft die Eramina zu einer Farce
machte. Die Franzosen haben also, als sie die zweijährige
Dienstzeit einführten, diese für alle Ausgehobenen gleich-
zeitig obligatorisch gemacht. Nunmehr sind sie im Begriff,
zur dreijährigen Dienstzeit überzugehen. Ist es für die
Intelligenz eines Landes bereits kaum zu ertragen, wenn
die jungen gebildeten Männer volle zwei Jahre hinter-
einander aus ihren Studien oder aus ihrer Kunstübung
herausgerissen werden, so ist es klar, daß gar ein Dienst
von drei Jahren wahrhaft verwüstend auf das höhere Er-
ziehungswesen des französischen Volkes wirken muß. Nur
durch ein sehr weitgehendes Urlaubssystem, das wiederum
der Willkür und damit der Korruption weite Gefilde er-
schließt, wird das Gesetz haltbar gemacht werden können.
Wie Sie sehen, ist es von Wichtigkeit, ob ein Land eine
sachliche, zuverlässige, unabhängige Verwaltung hat oder
nicht, und dazu wünschen die ehrlichen Reformer es in
Frankreich wieder zu bringen. Die Panamisten aber, und
was weiter dazu gehört, wünschen die süßen Früchte des
jetzigen Systems, das den einmal im Besitz Befindlichen
eine ziemlich sichere, dauernde Stellung gibt, immer weiter
zu genießen, und ihr bester Bundesgenosse ist, daß, wie ja
auch Poincaré angedeutet hat, ein wirklich befriedigendes
System der Proportionalwahl nicht zu finden ist. Die Er-
fahrungen, die man hier und da damit gemacht hat, bringen
26 Proporz.
immer neue unerfreuliche Erscheinungen hervor. Daß der
Proporz eine Verfeinerung und insofern eine Verbesserung
des Repräsentativsystems enthält, ist unleugbar. Aber gerade
diese Verfeinerung, die den persönlichen Wünschen und Be-
strebungen des Einzelnen gerecht werden will, führt nun
wieder zu einer Herauskehrung einzelner Wünsche, die mit
dem Wohl des Ganzen, auf das doch die Wahl gerichtet
sein soll, nichts mehr zu tun haben und ihm direkt ent-
gegenwirken. In Hamburg bildete sich bei einer Wahl aus
irgendeinem bestimmten Anlaß eine besondere Gruppe der
Schneider, die durch Häufung ihrer Stimmen auf einen
besonderen Kandidaten ihr besonderes Interesse wahrzu-
nehmen trachteten. Diese Schneider aber waren wohl mehr
Konfektionäre und die Vereinigung hatte einen jüdischen
Charakter. Sofort trat ihnen wieder als eine besondere
Gruppe die Vereinigung der antisemitischen Schneider ent-
gegen. In Württemberg hat man geklagt, daß der Proporz
die Hoffnung, die ganze Masse der Bürger an die Wahl-
urne zu führen, sich nicht erfüllt habe; nicht mehr als etwa
60 % der Wähler seien gekommen. Mit allerhand Kunst-
stücken aber suchten die Kandidaten Interessenten für sich
einzufangen, indem sie besondere Listen drucken ließen, auf
denen ihr Name mit dem irgendeiner derartigen Interessenten-
gruppe verbunden war. An die Hundebesitzer zum Beispiel,
die ja nicht bloß wegen der Steuer, sondern auch wegen
des Maulkorbs ein besonderes Interesse haben, wurde ein
eigener Aufruf gerichtet, um ihr Wohlwollen für einen be-
stimmten Kandidaten zu gewinnen.
Dem Geiste des Proporzes widerspricht das keineswegs.
Es ist ja gerade die Absicht dieses Instituts, alle im Volke
vorhandenen Bestrebungen auch wirklich in der Volksver-
tretung zur Geltung kommen zu lassen. Aber daß diese Art,
Proporg. 27
den Einzelinteressen das Recht des Mitredens zu verleihen,
dem Staatsganzen nicht zum Heil dienen kann, leuchtet
ebenso ein. Der Abgeordnete soll ja gerade nicht Einzel-
interessen vertreten, sondern allein den Staat als Ganzes
im Auge haben. Man ist deshalb schon soweit gegangen,
das Kumulieren der Stimmen, d. h. daß der Wähler alle
Stimmen, die er abzugeben hat, auf einen Kandidaten
vereinigt, zu verbieten; man hat verboten, daß ein Kandidat
sich in mehr als einem Wahlkreise aufstellen läßt; man hat
verboten, daß der einzelne Wähler sich überhaupt einen
Wahlzettel nach seinem Gutdünken zusammenstelle, sondern
verlangt, daß er sich voll, sei es dieser, sei es jener Partei,
anschließe; er soll nicht etwa einen oder den anderen Namen,
der von dem Parteivorstand vorgeschlagen wird, verwerfen,
ihn ausstreichen und einen anderen auf die Liste setzen dürfen,
vielleicht gar von beiden Parteien sich die besten Männer
nebeneinander erküren; man hat deshalb schließlich das
Wählen von Personen überhaupt ausschalten und an die
Stelle die Erklärung für eine bestimmte Partei setzen wollen.
Das Problem muß wirklich verzweifelt schwierig sein, wenn
man, um das Wählen zu retten, das doch den Willen des
einzelnen zum Ausdruck bringen soll, zu Vorschriften kommt,
die das freie Wählen des einzelnen unterbinden, aufheben
und ihn unter Vormundschaft stellen.
Man mag den Proporz gestalten, wie man will, viel-
leicht wird man dadurch erreichen, daß die Kirchturmsinter-
essen, wie man sagt, ausgeschaltet werden, aber mit ihnen
zugleich auch die persönlichen Beziehungen zwischen den
Wählern und den zu Wählenden und damit auch der wirk-
liche Wille der Wählenden. über einen einzelnen Kandidaten,
der sich den Wählern in den Wahlversammlungen der ein-
zelnen Ortschaften persönlich vorstellt, mag sich der einzelne
Delbrück, Regierung und Volkswille.
Proporz und
Volkswille.
Reserendum.
28 Proporz.
Wähler, auch der kleine Mann, ein gewisses persönliches
Urteil bilden. über eine Liste von vielleicht sechs, zehn oder
noch mehr Kandidaten gibt es schlechterdings kein eigenes
Urteil mehr. Der Proporz entzieht also die Wahl sozusagen
dem Volke und gibt sie in die Hand der Wahlorganisationen
der Parteien, das heißt ihrer Führer. Der einzelne Ab-
geordnete ist nicht mehr der Herr, sondern wird dienendes
Glied in der Parteiorganisation. Damit verliert er auch
jenen verderblichen Einfluß auf die lokalen Verwaltungs-
behörden, vor dem Poincaré sein Volk zu bewahren wünscht.
Man sieht, die Reform ist in der Tat von erheblicher Trag-
weite. Aber die Vorstellung, daß der Wille des Volkes ver-
möge des Proporzes besser zum Ausdruck kommt, erweist
sich sofort wieder als eine Illusion. Das gerade Gegenteil
ist der Fall. Nicht die Demokratie wird auf diesem Wege
vollendet, sondern die Herrschaft eines gewissen, sich selbst
ergänzenden Kreises von Berufspolitikern wird damit or-
ganisiert.
Die Erkenntnis der Mängel des Repräsentativsystems
hat neben der Idee der Proportionalvertretung noch ein
anderes Korrektiv hervorgelockt, das man das Referendum
nennt, d. h. die unmittelbare Abstimmung des Volkes über
einen bestimmten Gesetzvorschlag. Der Sache nach fanden
solche Abstimmungen schon in der großen französischen Re-
volution statt. Die Verfassungen von 1791 und 1793
wurden ebenso wie nachher die Wahl des Generals Bona-
parte durch allgemeine Abstimmung gutgeheißen. Auch die
Volksabstimmung bei der Konstituierung des Königreichs
Italien, von der wir gesprochen haben, können wir ja als
Beispiel des Referendum nennen. Heute ist das Referendum
fest eingebürgert in der Schweiz, sowohl im Bunde, wie in
Kantonen, wie in Gemeinden. Die erste Einführung fand
Referendum. 29
statt im Jahre 1875 in Basel. Auch in einigen Staaten
Amerikas und in letzter Zeit auch in der Bundesrepublik
Australien ist es eingeführt worden. In der Schweiz ist Ersahrungen in
das Referendum sehr populär. Aber freilich, die Vorstellung, der Schweiz
daß nun auf diesem Wege ganz sicher der Volkswille zur
Erscheinung gebracht werde, hat sich wiederum als Illusion
erwiesen. Auch bei dem Referendum bleibt stets ein so
großer Teil der Bürger der Abstimmung fern, daß von den
41 Bundesgesetzentwürfen, die von 1874 bis 1898 dem
Referendum unterworfen worden sind, kein einziger von der
Mehrheit der Wähler angenommen worden ist. In den
Kantonen beteiligen sich manchmal nur 25% der Be-
rechtigten an der Abstimmung. Besonders markant ist nun
aber, wie oft das Referendum einen Zwiespalt zwischen
den Ansichten der Regierenden, dem gewählten Vertretungs-
körper, und den Ansichten der Wahlberechtigten zutage bringt.
Nicht selten sind Vorlagen verworfen worden, die von den
regierenden Räten und sogar von allen Parteien und von
der Presse einmütig empfohlen waren, und häufig be-
schäftigen sich die Zeitungen nach einem Referendum mit
der Frage, weshalb denn nun eigentlich das Volk dagegen
entschieden habe. Ein besonderer Mangel der schweizerischen
Verfassung ist das Fehlen eines Pensionzgesetzes für die
Beamten. Der Beamte soll sich nach Vorstellung der
Schweizer Bürger von seinem Gehalt soviel sparen, daß er
in seinen alten Tagen, wenn er dienstunfähig geworden ist,
davon leben kann. Da nun aber die Gehälter ohnehin
recht mäßig sind, so geschieht das nicht, und die Behörden,
vor der Frage, ob sie einen im Diensi ergrauten Beamten,
wenn er nichts mehr leisten kann, brotlos machen sollen,
pflegen das nicht übers Herz zu bringen, sondern schleppen
den alten Mann mit durch, was natürlich für die Leistungen
3*
30 Referendum in der Schweiz.
des Beamtentums im ganzen ein schweres Hemmnis ist.
Das ist so klar, daß man sich endlich entschloß, ein Pensions-
gesetz einzubringen. Aber im Referendum wurde es mit
großer Majorität verworfen. Der Bürger und Bauer sieht
es schlechterdings nicht ein, warum ein Beamter oder ein
Offizier eine Pension erhalten solle, da ihm doch auch
niemand eine solche gibt. Auch mir ist in Deutschland in
Wahlversammlungen diese Auffassung öfter entgegengehalten
worden. In Vertretungskörpern kann man sich mit solchen
kurzsichtigen Selbsttäuschungen auseinandersetzen. Man kann
auf die Einwendungen eingehen, ihnen eventuell durch Kon-
zessionen entgegenkommen oder sie in Kompromissen über-
winden. Mit dem Volk kann man nicht verhandeln, son-
dern muß instinktiv suchen, die Vorlagen so zu gestalten,
daß sie keinen Anstoß erregen. Im Jahre 1882 wurde in
der Schweiz auch ein Epidemiegesetz mit großer Majorität
verworfen. Denn mit solchen Vorbeugungsgesetzen sind
mancherlei lästige Verbote und Einschränkungen für den
einzelnen verbunden. Die Gefahr der Epidemie ist fern;
die Schikane der Vorbeugungen ist nahe. Weiter sieht die
Masse der Bürger nicht. Besonders schmerzlich war es für
die Schweizer Patrioten, als im Jahre 1900 ein vortreffliches
Kranken- und Unfallversicherungsgesetz, das nach dem Muster
der deutschen Sozialgesetzgebung ausgearbeitet war, im
Referendum abgelehnt wurde. Erst im Jahre 1912 ist es
dann dem erneuten Anlauf gelungen, ein solches Gesetz
durchzubringen, auch nur mit 287565 Stimmen gegen
241 416 bei 63% Beteiligung. Die Mehrheit bildeten also
von den Berechtigten nur etwa 35 %.
Das Referendum wirkt konservativ. Das Volk wünscht
keine Veränderung, wenn ihm nicht das Übel etwa schon
auf der Haut brennt. Eben deshalb ist das Referendum
Referendum in Deutschland? 31
in der Schweiz populär und wird nicht wieder abgeschafft
werden. „Mag es auch im einzelnen sich als Hemmschuh
erwiesen haben,“ schrieb die Neue Züricher Zeitung 1910,
„im großen und ganzen hat es doch die fortschrittliche Ent-
wicklung der Schweiz nicht aufgehalten.“ Das ist immerhin
ein etwas elegisch klingendes Lob.
Als eine besondere gesteigerte Form des Referendums Initiative.
mag die Initiative gelten, vermöge welcher auch Gesetz-
entwürfe aus dem Volke heraus, nicht aus der Hand der
Regierungsbehörden zur Abstimmung gebracht werden können.
Für uns ist es nicht notwendig, darauf einzugehen.
Ganz wie in der Schweiz hat auch in Australien das das Referendum
Referendum hemmend gewirkt. Erst jüngst sind dort zwei in Australien.
Gesetze, die von den beiden Häusern des Bundesparlaments
angenommen waren, mit großer Majorität im Referendum
verworfen worden. Beide Gesetze waren, wie wir es heute
nennen, staats- sozialistischer Natur.
Stellen wir uns vor, daß wir in Deutschland ein Referendum in
Referendum hätten, so unterliegt es gar keiner Frage, daß Deutschland?
die Gesetze, die für unser Dasein in jüngster Zeit den größten
Fortschritt bedeuten, und die man, wenn schon unter mancherlei
Kämpfen, glücklich durch den vom allgemeinen, gleichen
Stimmrecht gewählten Reichstag gebracht hat, bei einem
Referendum abgelehnt worden wären. Ich meine den ganzen
Kompler der Sozialpolitik, die Kolonialpolitik und schließlich
die für unsere nationale Zukunft entscheidende Schaffung
der deutschen Kriegsflotte. Die eigentliche Grundlage für Bei der
eine auf Großmachtverhältnisse zugeschnittene Flotte wurde Flottenfrage.
ja erst unter Caprivi gelegt, und die Entscheidung dafür
wurde im Reichstag gegeben durch die Stimmen der Polen.
Man erinnert sich jetzt ungern daran, wie lange es gedauert
hat, bis dem deutschen Volk das Verständnis für den
32 Die deutsche Flotte.
Flottenbau aufgegangen ist. Nicht gehoben von der Welle
einer nationalen Bewegung ist das große Werk geschaffen
worden, sondern durch geschickte parlamentarische Diplomatie.
Caprivi hatte bereits die Aussichtslosigkeit der sogenannten
Ostmarkenpolitik erkannt und war den Polen in den besonders
drückenden Bestimmungen der Schulgesetzgebung etwas ent-
gegengekommen. Aus Dankbarkeit bewilligten sie dem
deutschen Volk die deutsche Flotte, als die große Majorität
der Deutschen selber noch nichts davon wissen wollte. Die
historischen Erscheinungen sind manchmal komplizierter, als
es uns auf den ersten Blick scheinen möchte. Bei dem zweiten
Anlauf, unter dem Kanzlertum des Fürsten Hohenlohe,
gelang es dann, eine gewisse nationale Bewegung für die
Flotte hervorzurufen. Dabei gab es einen Zwischenfall, der
auch hierher gehört und wohl verdient, der Vergessenheit
entrissen zu werden. Die konservative Partei hatte zwar
den ersten Schiffsforderungen zugestimmt, aber, wie die
Polen, mehr aus parlamentarischer Taktik als aus innerer
Überzeugung. Im Grunde war man in diesen Kreisen noch
der Meinung, daß Deutschland von der Natur zu einer
Landmacht bestimmt sei, und daß es eine Abirrung sein
würde, die deutsche Politik auf das Weltmeer hinausführen
zu wollen. Nicht den Export, sondern den inneren Markt,
meinten viele Konservative, solle man pflegen; und es ist
richtig, daß das agrarische Interesse mit dem Großhandels-
interesse, das über die Ozeane führt, in einem gewissen
Widerspruch steht. Durch eine Indiskretion wurde bekannt,
das einer der Führer der Agrarier (da es allgemein in den
Zeitungen gestanden hat, ist es jetzt keine Indiskretion
mehr, es zu wiederholen), Herr Dr. Christian Diedrich
Hahn, gesprächsweise beim Zentrum versucht hatte, gegen
die Bewilligung der Schiffe Stimmung zu machen und
Die deutsche Flotte und die Arbeiter. 33
dabei den Ausdruck „die gräßliche Flotte“ gebraucht
hatte.
Wenn nun das agrarische Interesse in der Tat dem der
Flotte etwas entgegengesetzt ist, so ist es einleuchtend, daß die
Industrie, die auf den Welthandel angewiesen ist, mit ihr in
einer naturgemäß guten Beziehung steht. Mit der Industrie,
sollte man meinen, auch die Industrie- Arbeiterschaft, um
so mehr, als diese sich ja sagen kann, daß bei weitem der
größte Teil aller Bewilligungen für die Flotte wieder in
Arbeitslohn umgesetzt wird. Bewilligung einer Kriegsflotte
bedeutet: Schaffung einer neuen, umfassenden Arbeits-
gelegenheit. Bei dieser Lage faßte damals eine Anzahl
Patrioten in Berlin die Idee, in sozialdemokratische Ver-
sammlungen zu gehen und den Versuch zu machen, der
Arbeiterschaft klar zu legen, welch große Entscheidung jetzt in
ihre Hand gegeben sei. Wie ganz anders hätte sich die
innere Geschichte Deutschlands entwickeln müssen, wenn es
dabei geblieben wäre, daß die agrarischen Konservativen gegen
die Flotte stimmten, und die sozialdemokratischen Arbeiter
sie bewilligten! Im besonderen kam noch in Betracht, daß
ja nach einer zwar nicht absolut unangreifbaren, aber auch
schwer umzustürzenden parlamentarischen Praris diejenigen
Parteien, die eine Bewilligung machen, auch das moralische
Recht haben, die dafür notwendigen Steuern zu bestimmen.
Nun kam damals der Vorschlag auf, auch in Deutschland
Erbschaftssteuern einzuführen, wie sie ja in England und
Frankreich seit langem bestehen und große Erträge bringen.
Man konnte also der Arbeiterschaft sagen, daß, wenn sie
die Flotte bewillige, sie nicht einmal eine Last dafür auf
sich nehmen würde, da sie die Bedingung stellen dürfe,
daß die Mittel durch Erbschaftssteuern aufgebracht werden
sollten. Auf diesem Boden kam es wirklich zu einer Volks-
Vei der Sozial=
gesetzgebung.
34 Flotte und Arbeiter.
versammlungsaktion. Die Sozialdemokraten nahmen es an,
daß in einer Reihe von Versammlungen über die Flotte
diskutiert werden solle. Ich selber habe in einer großen
Versammlung gegen Herrn Paul Singer gefochten und
kann nur sagen, er benahm sich durchaus höflich und loyal
und erkannte mit besonderer Betonung immer wieder an,
daß auf unserer Seite eine ehrliche patriotische Überzeugung
obwalte. Weniger manierlich benahm sich die Versammlung
selber, die doch wohl nicht von der Vorstellung loskonnte,
in mir einen Vertreter des ausbeutenden Kapitalismus vor
sich zu haben. In anderen Versammlungen disputierten
andere, namentlich unser stets tapferer Adolf Wagner gegen
Bebel; die einen brachten mehr das Argument mit der
Schaffung der Arbeitsgelegenheit in den Vordergrund, —
ein Argument übrigens, dessen Beweiskraft ich mir selber
nicht so ganz aneignen möchte —, die anderen mehr das
Argument der Erbschaftssteuer. Einer aber berichtete, damit
sei er vollkommen abgefallen; denn sein sozialdemokratischer
Gegner habe ihm das Wort zugeschleudert: „Was hilft uns
denn die Erbschaftssteuer? Wir haben ja nichts zu vererben!“
— Gegen solche Logik war nicht aufzukommen. Die Be-
wegung blieb erfolglos, und das deutsche Volk ist zu seiner
Flotte gekommen, nicht vermöge des Volkswillens, sondern
auf dem Wege der parlamentarischen Taktik, der es gelang,
die konservativen Stimmen zu gewinnen.
Noch frappanter ist dieselbe Erscheinung auf dem Gebiet
der sozialpolitischen Gesetzgebung. Hier hatte Fürst Bismarck
hauptsächlich zu kämpfen gegen die Vorstellung, daß die
soziale Fürsorge des Staates schwächend und lähmend auf
die Charakterkraft des einzelnen wirke. Wenn man es
dem einzelnen Arbeiter überlasse, für sich selber zu sorgen
und sich zu diesem Zweck mit seinen Genossen zusammen-
Arbeiterversicherung und Sozialdemokralle. 35
zuschließen, so sei damit eine moralische Hebung des
Arbeiterstandes gegeben, die viel mehr wert sei als die
materielle Fürsorge durch eine Staatsgesetzgebung. Die
konservative Partei lehnte von vornherein diese liberale
Doktrin ab und kam der Sozialreform mit Sympathie
entgegen; für das Unfallversicherungsgesetz wiederum wurde
der dem Zentrum sympathische Genossenschaftsgedanke zu
Hilfe gerufen, so daß Bismarck abwechselnd bald mit Hilfe
des Zentrums, bald der Nationalliberalen, die ersten Gesetze
durchbrachte. Auf des Messers Schneide aber stand die
Entscheidung über das größte und wichtigste dieser Gesetze,
die Alters- und Invaliditätsversicherung. Gerade die beiden
demokratischen Parteien, die Sozialdemokraten und die
Freisinnigen, opponierten mit der größten Leidenschaft und
wußten auch in den Massen eine gewisse Erregung dagegen
hervorzurufen. Das Gesetz gibt bekanntlich jedem nicht
mehr arbeitsfähigen, versicherten Arbeiter, in welchem Alter
er auch stehe, eine Invalidenrente, jedem Siebzigjährigen
aber auf jeden Fall eine Altersrente, mag er noch seine
Arbeitsfähigkeit haben oder nicht. Gleich im ersten Jahr
wurden 133000 Altersrenten bewilligt und bis zum
Jahr 1909 sind 1748137 Invalidenrenten verliehen
worden. In allen Volksversammlungen wurde aber von
den Arbeitern das Gesetz verworfen, immer wieder mit der
Argumentation „70 Jahre alt werden wir ja gar nicht!“
und wenn man sagte, daß ja die Hauptsache die Invaliden-
rente sei, so hieß es „ja, wer weiß, wann man die Invalidität
bei uns anerkennen wird“. Gegen dieses von der Agitation
geflissentlich genährte Mißtrauen war schlechterdings nicht
aufzukommen, und da nun auch sehr viele Arbeitgeber schon
anfingen, sich auszurechnen, wie große Lasten das Gesetz
ihnen einmal auferlegen würde, so wäre bei allgemeiner
36 Abstimmung über die Invaliditäts-Versicherung.
Abstimmung der Entwurf unzweifelhaft mit erdrückender
Majorität zurückgewiesen worden. Im Reichstag gewann
er schließlich noch eine Majorität von zehn Stimmen, indem
Bismarck persönlich im Reichstag erschien und das ganze
Gewicht seiner Autorität in die Wagschale warf. Aber
zehn Nationalliberale stimmten aus liberalem Doktrinarismus
dagegen, und die Majorität kam schließlich nur dadurch
zustande, daß 13 Mitglieder des Zentrums, unter Führung
des Freiherrn von Franckenstein, sich von der Majorität der
Fraktion loslösten, Windthorst den Gehorsam aufsagten und
mit Ja votierten. Ich erinnere mich noch heute der un-
geheuren Spannung, mit der das Ergebnis der Abstimmung,
das bis zum letzten Augenblick schwankend blieb, erwartet
wurde. Die namentlichen Abstimmungen im Reichstag
werden ja nach dem Alphabet vorgenommen, und der Zufall
wollte, daß der Buchstabe , der zuletzt an die Reihe kam,
lauter Ja brachte.
Wäre das Gesetz damals gefallen, so wäre es für alle
Zeit in Deutschland mit dieser Politik vorbei gewesen. Denn
die Lasten, die es auferlegt, sind nicht gering, und je länger
man über das Gesectz in der Presse und in den Ver-
sammlungen diskutierte, desto weiteren Kreisen wurde es
klar, was sie auf sich zu nehmen hatten, und desto stärker
wurde also die Opposition. Nicht mit, sondern gegen den
Volkswillen ist, so kann man mit Bestimmtheit sagen,
dieses Gesetz, das seitdem allen Völkern der Welt zum
Muster geworden ist, geschaffen worden. Ein Referendum
hätte es unweigerlich zu Falle gebracht.
Nach dem Gesagten wird es nicht mehr wundernehmen,
in daß es in England die Konservativen gewesen sind, die das
Referendum in Vorschlag gebracht haben. Jahrhundertelang
sind Oberhaus und Unterhaus als gleichberechtigte Faktoren
Referendum in England. 37
der Gesetzgebung betrachtet worden, nur daß das Unterhaus
die alleinige Entscheidung über Finanzfragen hatte. Mit
Hilfe dieses Rechts hat nun im Laufe des 19. Jahrhunderts
das Unterhaus das Oberhaus allmählich aus seiner gleich-
berechtigten Stellung herausgedrängt und es endlich im
Jahre 1911 auf ein bloßes suspensives Veto, suspensiv für
zwei Jahre, beschränkt. Durch direkte Drohung mit der
Revolution, die zwei Minister, Herr Asquith und Lord Crewe,
dem König vortrugen, wurde auch dieser zur Zustimmung
gezwungen, so daß man diese Verfassungsreform wohl als
eine Art Staatsstreich bezeichnen kann. Als letzte Hilfe in
der Not schlugen die Konservativen das Referendum vor für
den Fall, daß zwischen Ober- und Unterhaus eine sonst nicht
beizulegende Differenz entstehen sollte. Nichts scheint demo-
kratischer zu sein als eine solche direkte Volksentscheidung.
Aber die Liberalen lehnten den Vorschlag ab. Sie führten
dagegen zunächst ins Feld, daß er immer nur zugunsten der
Konservativen wirken würde, da anzunehmen sei, daß der
etwa zu schlichtende Konflikt sich niemals zwischen einem
konservativen Unterhaus und einem liberalen Oberhaus,
sondern stets nur umgekehrt abspielen könne. Des weiteren
erhoben sie den Einwand, daß dadurch das parlamentarische
System umgestürzt würde. Denn was soll werden, wenn
die Majorität des Unterhauses hinter dem Ministerium sieht,
das Volk aber im Referendum einen Gesetzesvorschlag dieses
Ministeriums und dieser Majorität verwirft? Sollte das
Ministerium abgehen, so würde das folgende keine Majorität
im Unterhause haben. Sollte es aber bleiben, so wäre
durch das Referendum seine moralische Autorität so sehr
geschwächt, daß es schwerlich die Regierung mit Erfolg weiter
führen könne. Schließlich aber, sagte man, sei ein Refe-
rendum auch keineswegs so demokratisch, wie es scheine; im
Indirekte
Wahlen.
38 Gründe gegen das Referendum.
Gegenteil, es sei undemokratisch. Denn der einzelne Bürger
sei schlechterdings außerstande, große Gesetze von vielleicht
vielen hundert Paragraphen, die ihm vorgelegt würden, auch
wirklich zu studieren und zu verstehen. Er sei ganz und gar
angewiesen auf das, was ihm die Führer oder etwaige
Demagogen darüber sagten. Mister Smith und Mister
Jones würde man immer soviel politische Einsicht zutrauen,
um sich nach ihren Wünschen und Bestrebungen eine Partei
auszusuchen und einen oder zwei Abgeordnete zu wählen.
Aber die Einzelheiten der Gesetzgebung an sie zu bringen,
sei nicht Durchführung der Volksregierung, sondern ihre
Aufhebung.
Man wird allen diesen Gründen eine gewisse sachliche
Berechtigung nicht absprechen können. Bei dem letzten freilich
leuchtet ein, daß er bedenklich viel mehr beweist, als er be-
weisen will. Wenn Mister Smith und Mister Joncs bei
der Wertung eines besonderen Gesetzes so ganz und gar in
Abhängigkeit von Führern und Demagogen geraten, sollte
diese Abhängigkeit nicht auch einigermaßen sich geltend
machen, wenn sie ihre Partei wählen und ihre Abgeord-
neten küren?
Aber wie dem auch sei, die Vorstellung, daß der Bürger
wohl imstande sei, Vertrauensmänner zu wählen, aber nicht
unmittelbar selber Gesetze zu geben, ist nicht erst hier auf-
getaucht, sondern schon, seitdem das Repräsentativsystem
überhaupt aufgekommen ist. An vielen Stellen, in Amerika
wie in Preußen hat man eben aus diesem Grunde das
System der indirekten Wahl angenommen, das schon bei
der Wahl zur französischen Nationalversammlung (1789)
angewandt worden ist. Dem Wähler wird nicht zugetraut,
daß er selber einen Abgeordneten aussuchen könne, sondern
er soll einen Mann aus seiner wirklichen Bekanntschaft, aus
Indirekte Wahl. 30
seiner Nachbarschaft suchen, dem er vertraut, und diese so
gewählten Wahlmänner erst sollen dann den Volksvertreter
bestimmen. Dieses System hat die darauf gesetzten Hoff-
nungen allenthalben, wo es eingeführt worden ist, enttäuscht.
Die Wahlmänner in Preußen ebenso wie die Elektoren in
Amerika sind zu bloßen Briefträgern geworden, denen von
vornherein keine andere Aufgabe zufällt, als einem bestimmten
Mann ihre Stimme zu geben. Nur ganz selten, etwa
wenn nachträglich Kompromisse geschlossen werden, haben
die Wahlmänner eine gewisse selbständige Bedeutung gehabt,
und daneben hemmt dieser Wahlmodus, wenn er mit kleinen
Urwahlbezirken verbunden ist, ziemlich stark die Wahl-
agitation und wirkt deshalb mittelbar konservativ.
In der Verzweiflung, durch irgendwelche Konstruktions- Ständische
kunststücke auf dem Wege des Wählens zu einem wirklichen Bertretung.
und vernünftigen Volkswillen zu gelangen, kommen Theo-
retiker immer von Zeit zu Zeit wieder auf den alten Stände-
Gedanken zurück. Auch Bismarck hat zuweilen damit ge-
spielt. Man will das ganze Volk nach Ständen gruppieren,
oder, anders ausgedrückt, man will die natürlich vorhandenen
ständischen Differenzen organisieren und jedem dieser Stände
dann eine bestimmte Jahl der Abgeordneten zuweisen. Der
Erfolg würde sein, daß dann derjenige Stand oder diejenigen
Stände, die die Majorität haben, stets die Lasten auf die
Minorität legen würden. Alles hängt also davon ab,
wie die Vertreterzahl der einzelnen Stände normiert wird.
Die heftigsten Gegner des ständischen Gedankens sind
natürlich die Sozialdemokraten. Aber wenn man von den
397 Mandaten des Reichstags der Arbeiterschaft von vorn-
herein 200 zuweisen wollte, so würden auch sie sich vielleicht
mit dem ständischen Gedanken befreunden. Desto weniger
die anderen. Hier ist schlechterdings kein Ausgleich möglich,
40 Ständische Vertretung. Obstruktion.
vielmehr umgekehrt: Der Ausgleich der tatsächlich vorhandenen
entgegengesetzten Interessen der verschiedenen Stände wird
darin gefunden, daß beim allgemeinen gleichen Wahlrecht
jeder Stand und jedes Interesse den Spielraum hat, sich
nach seiner Masse und seinen inneren Kräften geltend zu
machen.
Freilich, ob eine auf diesem Wege gefundene Majorität
wirklich den Volkswillen vertritt und geeignet ist, das Beste
des Staates wahrzunehmen, dagegen haben wir mancherlei
Bedenken gefunden, und auch in der allgemeinen Meinung
greifen diese Bedenken immer mehr um sich. Kann eine
Majorität nicht ebenso tyrannisch sein wie ein Einzelner?
Die Abwehr einer derartigen Majoritätstyrannei ist die
parlamentarische Obstruktion. Unter Obstruktion versteht
man das Stillegen der ganzen parlamentarischen Maschinerie
durch mißbräuchliche Anwendung irgendwelcher geeigneter
Bestimmungen der Geschäftsordnung: Die Minorität ver-
hindert die Majorität zum Beispiel, zur Abstimmung zu
kommen, indem die Redner nicht aufhören, zu sprechen (es
sind schon Reden von 24 Stunden Länge vorgekommen),
oder aber, wenn die Majorität mit dem Reden Schluß macht,
so stellt die Minorität soviel Einzelanträge und immer neue
Einzelanträge, daß man zur Schlußabstimmung überhaupt
nicht kommt. Oder aber, wenn die Minorität sehr stark
ist, so verläßt sie im entscheidenden Moment den Saal und
macht das Parlament beschlußunfähig. Diese Kunststückchen
sind im englischen Parlament angewendet worden, spielen
aber jetzt eine ganz besondere Rolle in Österreich und in
Ungarn. Man sieht hier die Obstruktion sogar als ein ganz
legales Mittel des parlamentarischen Kampfes an, obgleich
es auf der Hand liegt, daß mit dieser Anerkennung das
Prinzip der Repräsentation und der Majorität sich selber
Aussprüche Napoleons und Hegels. 41
aufgehoben hat. Wäre es wahr, daß eine gewählte Re-
präsentation in ihrer Majorität den Volkswillen darstellt,
so hätte die Erscheinung der Obstruktion sich nicht wohl
einstellen können. Wir haben in ihr also einen Beweis,
wieder von einer anderen Seite, daß die Herstellung eines
Volkswillens auf dem Wege der Abstimmung, wie man sie
auch drehe und wende, wie man sie auch organisiere, eine
Fiktion ist.
Der Volkswille ist Geist, reiner Geist, der physisch weder Was ist
greifbar noch darstellbar ist. Volkswille?
„Das Volk ist wie das Wasser,“ sagte Napoleon l., Aussprüche
„das die Gestalt jedes Gefäßes annimmt, in das man e Napoleon und
hinein tut; tut man es aber überhaupt in kein Gefäß, so
fließt es ziel= und zwecklos auseinander.“
Noch gewaltiger aber erdröhnt der Ausspruch Hegels:
„Das Volk ist derjenige Teil des Staates, der nicht weiß,
was er will.“
Wie schnöde klingt uns dieser Ausspruch! Aber er ist
nicht so schnöde. Ist nicht, zu wissen, was man will, selbst
für den einzelnen oft die allerschwerste Aufgabe? Ein Volk
aber kann gar nicht wissen, was es will, weil die Summe
der einzelnen nicht im Besitz eines Organs ist, durch das es
seinen Willen zum Auedruck bringen könnte. Von welcher
Seite wir auch immer an den Begriff „Volk“ herangetreten
sind, immer wieder haben wir dieselbe Tatsache festgestellt.
Wer gehört zum deutschen Volk? Auch die Deutschen außer-
halb des Reichs? Auch die Polen, Franzosen und Dänen
innerhalb des Reichs? Auch die Frauen und Kinder: Wenn
abgestimmt werden soll, von welchem Lebensjahr an? Wie
soll zum Zweck der Abstimmung das Volk eingeteilt werden?
Wie soll der Wille der Minorität zum Ausdruck kommen?
Welches Wahlsystem soll gelten? Wer organisiert die Wahlen?
42 Das Volk in idealem
Wer schleppt die Lässigen zur Wahlurne? Wer bestimmt die
Kandidaten? Wer endlich hat den entscheidenden Einfluß
bei der Bearbeitung der Wähler, der Bildung der öffent-
lichen Meinung? Existiert wie in Frankreich unter Napoleon III.
eine Regierung, die die Presse, Vereins- und Versammlungs-
freiheit unterbindet und die Beamtenschaft anweist, die
Wähler zur Wahlurne zu führen, so liegt die Entscheidung
nicht beim Volk, sondern eben bei dieser Regierung. Existiert
wie heute in den meisten demokratischen Staaten neben dem
Wahlsystem freie Presse, freies Vereins- und Versammlungs-
recht, so entscheidet wieder nicht das Volk, sondern die
Parteiorganisation, die Demagogie und das Geld.
Je weiter wir mit unseren Betrachtungen vordringen,
desto mehr sehen wir, daß sich ein breiter, breiter Spalt
auftut zwischen dem idealen Begriffe „Volk“ und dem, was
wir in der Politik und im Staatsrecht „Volk“ und „Volks-
vertretung“ nennen. Beide haben kaum etwas miteinander
zu tun. Das deutsche Volk im idealen Sinne ist ein staats-
rechtlich unformulierbarer Begriff.
Zum deutschen Volk im idealen Sinne gehören auch
die Frauen und Kinder, die Vergangenheit und die Zukunft,
die großen Persönlichkeiten wie die Masse. Die Größe eines
Volkes sind seine großen Persönlichkeiten; aber diese sind
nicht denkbar ohne den Mutterboden der Menge. Ohne die
großen Persönlichkeiten ist das Volk Pöbel; ohne den Wider-
klang in der gleichsprachigen Menge könnte der Genius nicht
nur nicht wirken, sondern nicht einmal werden. Zum deutschen
Volk gehören Barbarossa und Luther, Goethe und Gneisenau,
wie die Erhebung der Gesamtheit im Jahre 1813. Von
dem breiten Fundament der Masse hinauf bis zu den Heroen
führt eine unendliche Stufenleiter von Mittelgliedern in-
tellektueller und moralischer Tüchtigkeiten, und ebenso von
und in politischem Sinne. 43
den Heroen herab bis zu der Masse. In dieser Einheit,
die auf der Vergangenheit aufbaut und nicht nur der Gegen-
wart lebt, sondern in dieser Gegenwart arbeitet für unab-
sehbare ferne Zukunft, haben wir das wahre Wesen eines
Volkstums, das wir verehren als ein Heiliges. Was hat das
deutsche Volk in diesem wahren und tiefen Sinne zu tun mit
jener Versammlung von 397 Männern, die den deutschen
Reichstag bilden? 110 Sozialdemokraten, 100 Mann
Zentrum, 27 Polen, Dänen und Franzosen und eine Anzahl
kleinerer und größerer Gruppen Konservative, Agrarier,
Antisemiten, Freikonservative, Nationalliberale, Freisinnige,
das soll das deutsche Volk sein?
Die Demokratie selbst weiß sehr gut, daß in diesem
Sinne zwischen „Volk“ und „Volk“ ein Unterschied ist;
denn auch sie erkennt den Satz: „Volkswille — Gottes-
wille“ nur an, wenn er ihr günstig ist, geradeso wie sie
den Reaktionären das Sprüchlein zuschreibt: „Und der
König absolut, wenn er uns den Willen tut.“
Die Wahl der beiden Napoleons ist niemals als Aus-
druck des Volkswillens anerkannt worden, obgleich sie nahe-
zu einstimmig war.
Auch der Begriff der Volkssouveränität, der historisch
eine so große Wirkung gehabt hat, ist hiermit als eine
bloße Fiktion dargetan. Wenn das Volk in staaterecht-
lichem Sinne keinen Willen hat, kann es auch nicht die
Souveränität, d. h. den höchsten, nur sich selbst Schranken
setzenden Willen haben.
Wer mir bis hierher gefolgt ist, hat vielleicht den Eindruck,
daß ich damit das Grundprinzip der Demokratie habe
bekämpfen und verwerfen, ja, geradezu als absurd habe
nachweisen wollen; formell ja — sachlich nein. Wie wäre
es möglich, daß die Idee der Demokratie in der Welt-
Delbrück, Regierung und Volkswille. 4
Volks-
souveränität.
Staat und Volt.
44 Volkssouveränität.
geschichte eine so ungeheure Rolle spielte, immer wieder
unermeßliche Wirkungen ausübte, wenn sie nichts als eine
Absurdität wäre?
Freilich, die Vorstellungen von der Volkssouveränität
und vom Volkswillen haben sich in der Tat bei genauerem
Zusehen als unvollziehbar, d. h. als absurd erwiesen. Aber
das mögen ja nur falsche und ungenügende theoretische
Formulierungen sein für Wahrheiten, die sich besser formulieren
lassen. So ist es in der Tat.
Verzichten wir darauf, die Volksvertretung mit feierlichem
Klange als fleischgewordenen Volkswillen zu proklamieren,
und halten uns einfach daran, daß durch die Wahlen und Ab-
stimmungen, in welcher Art und Begrenzung sie sich auch
immer vollziehen, eine große Masse, ja vielleicht die Gesamt-
heit der Staatsbürger in eine unmittelbare Willensbeziehung
zum Staat und seinen Zwecken gesetzt werden. Zum Wesen
des Staats gehört eine solche Beziehung zwischen ihm und
den einzelnen Bürgern nicht. Es hat Staaten gegeben,
die von dem Bürger nichts verlangten als Gehorsam; wie
er sich innerlich zum Staate stellte, ob er seine Steuern
mit Freude oder mit Ärger bezahlte, ob er Jubel oder
Trauer hatte bei seinen Niederlagen oder Siegen, war ihm
gleichgültig; wenn nur eben die Steuern pünktlich bezahlt
wurden, und die für den Kriegsdienst Bestimmten diesen
Dienst pflichtgemäß leisteten. Ein solcher Staat war noch
das Preußen Friedrich Wilhelms l. und Friedrich des Großen.
Wenn also nach der Schlacht bei Jena der Gouverneur von
Berlin proklamierte: „Ruhe ist jetzt die erste Bürgerpflicht!“,
so kam damit der Geist des altpreußischen Staates, zwar
in einer unendlich philisterhaften, aber doch nicht unrichtigen
Weise zum Ausdruck. Eben die Schlacht bei Jena hat
aber auch gezeigt, wie schwach ein Staat ist, der es noch
Staat und Staatsbürger. 45
nicht verstanden hat, sich auch in eine innere Beziehung
zu seinen Bürgern zu setzen. Freilich, Friedrich der Große
hat trotzdem den siebenjährigen Krieg bestanden. Aber
was in der neu herangekommenen Epoche verlangt wurde,
war mehr. Das Heer, das bei Jena und Auerstädt ge-
schlagen wurde, war im ganzen nicht etwa schlechter als
die Heere Friedrichs, sondern sogar in vieler Beziehung
besser. Auch in der Führung war man keineswegs so
ganz jeden guten Geistes bar, wie es dargestellt zu werden
pflegt. Wer war der Generalstabschef des Herzogs von
Braunschweig bei Auerstädt? Scharnhorst. Wer komman-
dierte die Kavallerie bei Auerstädt? Blücher. Freilich, in
der eigentlichen oberen Führung fehlte es vollkommen; und
deshalb ging die Niederlage gleich bis ins Bodenlose. Aber
ein Sieg über Napoleon wäre mit den Mitteln des alten
Staates auch einem Friedrich unmöglich gewesen.
1813 wurde er möglich, und der Unterschied des Preußens
von 1806 und des Preußens von 1813 beruht darauf, daß
in der Zwischenzeit der Wille jedes einzelnen Staatsbürgers
zur Unterstützung des Staatswillens angerufen und wirklich
in Bewegung gesetzt worden war.
Diese Willensbeziehung des Einzelnen zum Staate ist der
reale Inhalt dessen, was insgemein mit einem Ausdruck,
den wir als mystisch erkannt haben, Volkswille genannt
wird. Der Kampfruf, unter dem allenthalben im Altertum
wie in der Neuzeit dieser Volkswille — wir mögen das
Wort, nachdem wir uns über seinen wahren Inhalt klar
geworden sind, beibehalten — für die Regierung des Staates
angerufen wurde, war immer die Freiheit. Ob die Freiheit
wirklich in jeder Beziehung bei der Einsetzung dieser Art
von Regierungen gewonnen und nicht auch manches verloren
hat, wollen wir vorläufig dahingestellt sein lassen, auf jeden
4•
Müngel der
Volks-
regierungen.
Korruption in
Amerika.
40 Stärke oder Schwäche der Volksregierungen.
Fall ist die enge Beziehung des Staates zum Willen der
einzelnen Staatsbürger von solchem Wert und solcher Be-
deutung, daß, wie schon die antiken Republiken darauf auf-
gebaut waren, so auch im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr
und mehr Staaten zu einer Verfassung mit gewählten Volks-
vertretungen übergegangen sind und, wo solche schon existierten,
das Stimmrecht erweitert worden ist.
Sehr zufrieden ist man nun aber, wie wir gesehen haben,
mit den Ergebnissen doch nicht. Schon das alte Athen ist nach
kurzer Blüte an der Unmöglichkeit, mit einer regierenden Volks-
menge Großmachtpolitik zu treiben, zugrunde gegangen. Die
modernen Demokratien haben im 15. Jahrhundert sehr schwere
Proben entweder noch nicht zu bestehen gehabt oder sich ihnen
nur mangelhaft gewachsen gezeigt. Die großen Kämpfe gegen
Frankreich hat das alte aristokratische England geführt und
die amerikanische Republik hat einen furchtbaren fünfjährigen
Bürgerkrieg nicht zu vermeiden vermocht, im besonderen aber
klagt man in fast allen diesen Staaten, besonders in Amerika,
Frankreich und Italien über die den Wahlregierungen imma-
nente Korruption.
Am allerlautesten sind die Klagen darüber heute in
Amerika. Der neue Präsident, Wilson, sprach in seiner
Inaugurationsrede von dem „vielfachen Mißbrauch der
Regierung, die zu einem Werkzeug des Bösen gemacht
wurde“. In einer amerikanischen Enzyklopädie*) (erschienen
1908) ist die Korruption als soziales Phänomen in einem
besonderen Artikel behandelt. Es existieren dafür besondere
Organisationen, deren Haupt der „Boß“ genannt wird, der
die Wahlen macht und die Amter vergibt. In den in-
dustriellen Staaten werden etwa 25% der Stimmen gekauft;
*) The new Encyclopedia of Social Reform. Bliss, New York.
Korruption. 47
ein Neger- Votum wird mit 2 Dollar, ein weißes mit
3 Dollar bezahlt, in der Stadt New York aber steigt der
Preis bis zu 25 Dollar. Das Geld bringen teils die großen
Erwerbs- Gesellschaften auf, die dafür Gefälligkeiten von der
Gesetzgebung erwarten, teils die Beamten, die Stellenjäger.
Für eine Stelle im höchsten Gericht sind schon 70000 bis
100 000 Dollar bezahlt worden. In St. Louis wurde eine
Konzessionsbill mit 30000 Dollar über das Veto des Gouver-
neurs hinweg durchgebracht und ein Jahr darauf für
1.250.000 Dollar weiter verkauft. Besonders schlimm ist
die Korruption im Staate Pennsplvanien, weil hier die republi-
kanische Partei sowohl in Stadt wie Staat regiert, während
anderswo die Parteien sich gegenseitig etwas in Schach
halten. Im allgemeinen, auch nach der Ansicht von Andrew
White, gelten die Bauern für weniger angefault als die Stadt-
bürger, von New York aber sagt Prof. Jenks, es sei kein
Unterschied in der Käuflichkeit. James Bryce in seinem
Buche American Commonwealth meint, daß gegen ein
Fünftel beider Häuser des Kongresses ziemlich sicher korrupt
seien und eine viel größere Zahl in dem Verdacht stände.
Neuerdings hat ein Mann, der als Oberagent zehn Jahre
an der Spitze einer Fabrikanten- Vereinigung stand, Mulhall,
eine Liste derjenigen Politiker, auch Arbeiterführer, veröffent-
licht, die „Bargeld“ von ihm nahmen. Der Senator
Lorimer von Illinois war der erste, der im vorigen Jahre
(1912) wegen nachgewiesener Bestechungen bei der Wahl
aus dem Senat ausgeschlossen wurde. In seiner Verteidi-
gungsrede, die nicht weniger als 20 Stunden dauerte, fragte
er, wer denn von den Kollegen nicht für seine Wahl bezahlt
und das Geld dazu von den Trusts bekommen hätte. Lorimer
gab zu, daß Taft wie Roosevelt sich von ihm losgesagt
hätten; weshalb aber, rief er aus. „Ich bin doch in Chicago
Korruption in
der Schweiz.
48 Korruption.
dabei gewesen, wie die Freunde Tafts die Stimmen der
Delegaten kauften und wie die Roosevelt- Leute dasselbe ver-
suchten, aber erfolglos blieben, weil die anderen mehr Geld
hatten.“
Ein bemerkenswerter statistischer Beweis für die Unzu-
verlässigkeit der Verwaltung in den Vereinigten Staaten
ist der Pensionsfonds für die Veteranen und Hinterbliebenen
des Sezessionskrieges. Obgleich jetzt 48 Jahre seit der
Beendigung dieses Krieges verflossen sind, ist die Zahl der
Rentenempfänger noch immer gestiegen und die Pensionen
verschlingen 175 Millionen Dollars, gleich 700 Millionen
Mark jährlich.
Auch in der alten Eidgenossenschaft war die Korruption
sehr groß; sowohl in den aristokratischen wie in den
demokratischen Kantonen. In ersteren wurden viele Ämter
so gut wie erblich, in den letzteren kam man zu den Ämtern
durch Spenden und Bestechungen. Schon im 16. Jahr-
hundert wurden sie verboten, aber die Mißbräuche waren
so unausrottbar, daß man sie gesetzlich regelte, indem man
die zu Ämtern und Diensten Beförderten Auflagen bezahlen
ließ, welche teils zu öffentlichen Zwecken verwendet, teils
unter alle stimmberechtigten Landleute verteilt wurden. Die
Landvögte, die in der Regel nur auf zwei Jahre für die
unterworfenen Gebiete gewählt wurden, mußten suchen
durch Erpressungen ihre Kosten wieder einzubringen. In
den Landsgemeinde- Kantonen wurde endlich alles einfach
zur öffentlichen Versteigerung gebracht, die Vogteien, die
Ausübung der Justiz, die höchsten Ämter im Staat, die-
jenigen der Ratsherren und selbst des Landammannes, oder
man verloste die Ämter und wer das Amt nicht wollte,
verkaufte das gewonnene Los*).
*) Nach Hasbach, Moderne Demokratie. S. 80 ff.
Mängel der Demokratie. 49
Die heutige Schweiz sowie das heutige England sind
frei von Korruption. Weshalb sie sich in diesem Punkt
von den anderen demokratisch regierten Staaten so sehr
zu ihrem Vorteil unterscheiden, ist nicht leicht zu sagen.
Aber wenn auch gerade dieses Übel ausgerottet scheint, so
klagt man über andere. In der Schweiz fürchtet die
städtische Intelligenz zwischen den Bauern auf der einen,
den Fabrikarbeitern auf der anderen Seite eingequetscht und
zerrieben zu werden*) und auch in England, wo man sich
ja noch immer im Übergangsstadium von der Aristokratie
zur Demokratie befindet, sieht man mit großer Besorgnis
die neue Demokratie heraufziehen. Die Konservativen, die
schon jetzt über die drückende Höhe der Einkommen-, Be-
sitz- und Erbschaftssteuern Stein und Bein klagen, fürchten
sozialistische Experimente. Früher, sagen sie, hätten die-
jenigen das Parlament gewählt, die die Last des Staates
getragen und die Steuern bezahlt hätten; heute wählten
die, die vom Staate etwas haben wollten. Das Kapital ist
schon so eingeschüchtert, daß es sich ins Ausland zieht**).
Namentlich aber bezweifelt man, ob die Demokratie der
auswärtigen Politik, der Behauptung und Beherrschung des
ungeheuren Weltimperiums gewachsen sein wird.
Alle diese Regierungen, dürfen wir sagen, sind zwar
stark durch die innere Teilnahme und den guten Willen
breiter Massen der Staatsbürger, aber es fehlt ihnen gar
zu leicht an der für die Lenkung der Staaten unentbehr-
lichen Ehrlichkeit, Weisheit und Festigkeit. Alle Wünsche
*) Hasbach, Die moderne Demokratie. S. 340.
**) Dies wurde mir bei meinem jüngsten Aufenthalt in England
von verschiedenen Seiten bestätigt. Besonders der Niedergang der englischen
Landwirtschaft soll zum Teil daher rühren, daß man sich aus Furcht vor der
Enteignung nicht mehr getraut, dem Boden das genügende Kapital zu-
zuwenden.
50 Der Ideal- Staat.
und Versuche, durch besonders sinnig erfundene Wahlsysteme
diesem Übel abzuhelfen, sind offenbar hoffnungslos. Wie
ist aus dem Dilemma herauszukommen?
Der beste Staat. Ehedem haben die Philosophen sich viel Mühe gegeben,
den besten Staat zu konstruieren. Diese Versuche sind aus
der Mode gekommen und mit Recht. Den idealen Staat
kann es so wenig geben wie die idealen Menschen. Aber
als heuristisches Prinzip mit dem Bewußtsein, daß das Er-
gebnis nur eine Konstruktion sein soll, ist die Fragestellung
immerhin brauchbar, und wir wollen sie einmal anwenden
und nachsehen, was mit dem Ergebnis anzufangen ist.
Wir vermißten in den demokratischen Repräsentativ-
regierungen die rechte Ehrlichkeit und Weisheit. Halten wir
uns also einmal an Plato, der verlangte, daß die Philosophen,
d. h. die Weisen, d. h. modern gesprochen, die Gebildetsten
regieren sollen, die Besterzogenen, denen man auch Redlichkeit
zutrauen kann. Wie müßte das gemacht werden? Zunächst ein
ausgezeichnetes Schulsystem, in dem die Knaben, die aus
gebildeten Familien stammend schon etwas mitbringen, zu-
sammen mit den Talentvollsten aus der großen Masse
sorgsam unterrichtet und streng erzogen werden. Am Ab-
schluß der Schule, sagen wir mit dem 18. oder 15. Jahr,
ein strenges Examen, das alle Untauglichen ausscheidet.
Dann ein mehrjähriges Studium an einer Hochschule,
wiederum mit einem strengen Schlußeramen. Dann Ein-
stellung der so vorgebildeten und fein durchgesiebten jungen
Männer in die bestehende Regierung zu praktischer Aus-
bildung. Nachdem ein drittes Examen den Mann auch
als praktisch tüchtig gezeigt hat, Berufung in eine der
verschiedenen regierenden, richtenden oder lehrenden Be-
hörden, die stufenweise aufgebaut sein müssen, so daß in
die höheren Instanzen immer die Tüchtigsten und Bewähr-
Preußen nach 1817. 51
testen befördert werden, und schließlich an der Spitze des
Staates ein kleines Kollegium von älteren, durch eine
lange Erfahrung geschulten Staatsmännern, das besonders
darauf achtet, daß immer die Tüchtigsten in den unteren
Stellen herausgefunden werden und zu den leitenden Posten
aufrücken.
Hat es ein solches Staatswesen jemals gegeben? Wir
brauchen nicht weit zu suchen. Lassen wir die Gegenwart
aus dem Spiel und sagen: „Preußen nach 1815". Die
fürchterliche siebenjährige Krise nach 1806 war durch das
preußische Beamtentum und das preußische Offizierkorps
hindurchgegangen wie ein reinigendes Gewitter. Die schwäch-
lichen und unbrauchbaren Persönlichkeiten waren durch die
Gewalt der Ereignisse massenhaft ausgeschieden. An der
Spitze des Staates stand in der Person des Staatskanzlers
Fürsten Hardenberg ein Staatsmann, zwar nicht großen
Stils, aber doch ein feiner und durchaus vorurteilsloser
Geist und voller Hingabe an sein Amt. Er ist es gewesen,
der Scharnhorst, Gneisenau und Blücher an die Spitze
der Armee gebracht hat. Er setzte durch, daß nach dem
Friedensschluß einer der besten Schüler Scharnhorsts, Boyen,
das Kriegsministerium erhielt. Neben ihm der bedeutendste
Kopf in der Regierung und 1819 auch im Ministerium
war Wilhelm von Humboldt. Etwas später erbielt das
Finanzministerium der geniale Motz, dem nachher der eben-
falls sehr bedeutende Maaßen folgte. Altenstein, ein
philosophisch gebildeter Mann, der sorgsame Pfleger des
preußischen Bildungswesens, der Universitäten und Gymnasien,
wurde Kultusminister. Auch unter den Oberpräsidenten sind
nicht wenige, die in der preußischen Geschichte einen bedeutenden
Namen hinterlassen haben. Schön in Preußen, Sack in
Pommern, Zerboni in Posen, Merckel in Schlesien,
Preußen nach
1815.
52 Preußen nach 1815.
Vinke in Westfalen. Man darf annehmen, daß eine Re-
gierung mit solchen Spitzen auch in den unteren Instanzen
für tüchtige Persönlichkeiten gesorgt hat, und wirklich hat sie
auch Ungeheures geleistet. Unter den mannigfachen Ver-
diensten Treitschkes werden auf die Dauer vielleicht seine
Forschungen und Feststellungen über die Verdienste der
zweiten Friedensperiode Friedrich Wilhelms III. von 1815—1840
den ersten Rang behaupten. Preußen war durch die Pariser
Friedensschlüsse und den Wiener Kongreß auf das Doppelte
seines Umfanges von 1813 vergrößert worden. Stücke von
nicht weniger als neun verschiedenen Staatsgebieten waren den
alten Provinzen zugeschlagen worden: Die Republik Danzig,
ein Stück des Großherzogtums Warschau, die Hälfte von
Sachsen, Schwedisch-Pommern, das Großherzogtum Berg,
geistliche Fürstentümer, die zum Königreich Westfalen gehört
hatten, das linke Rheinufer, das zu Frankreich gehört hatte:
Alle kamen sie gezwungen, gegen ihren Wunsch und Willen
zu Preußen. Im Laufe einer Generation ist aus dieser so
buntscheckig und zufällig zusammengesetzten Masse durch
Armee und Beamtentum eine Staatsgesinnung herangezogen
worden, die imstande war, die Stürme des Revolutions-
jahres von 1848 zu überstehen und nachher die Schlacht
bei Königgrätz zu gewinnen.
Wir suchten nach dem Idealstaat, der Regierung der
Weisen, der Philosophen, wie sie Plato entworfen hat, und
plötzlich waren wir mitten in Preußen. Habe ich Ihnen
etwa ein Taschenspielerkunststückchen vorgemacht? Preußen
nach 1815, das Preußen Friedrich Wilhelms III., das bei
Mit- und Nachwelt so wenig Ansehen genossen hat, das
soll der Staat der reinen Intelligenz, der Idealstaat ge-
wesen sein? Es hat freilich schon damals Leute gegeben,
die es so auffassen wollten, aber ich will mich nicht länger
Preußen als Partikularstaat. 53
dem Verdacht einer Paradoxie aussetzen und gleich feststellen,
daß es nicht richtig ist.
Der damalige Staat Preußen entsprach wirklich den
Prinzipien des Platonischen Ideal- Staates und war es
doch nicht.
Warum nicht? Der Staat Preußen war damals in
einem Widerspruch mit sich selbst. Er war angelegt darauf,
der deutsche Staat zu sein und war doch ein bloßer Par-
tikularstaat, dazu ein Partikularstaat, dem die Hälfte der
Staatsbürger gegen ihren Willen mit Gewalt zugefügt war.
Unmöglich konnte die Staatsidee von allen diesen neuen
Bürgern, den Mußpreußen, schon begriffen werden. Aber
auch die Altpreußen befriedigte sie nur zum Teil. Denn
die Idee, die man angerufen hatte zur Durchführung des
großen Kampfes, aus dem dieser Staat hervorgegangen
war, das war ja die nationale Idee, und die nationale Idee
gefiel diesem preußischen Staat nicht nur nicht, sondern er
bekämpfte sie jetzt sogar. Das Deutschtum, die Anrufung
der Idee des deutschen Einheitsstaates, galt für ein gesetz-
widriges Vergehen. Damit war es von vornherein un-
möglich, daß in diesem Staat — die Regierung mochte so
gut oder so schlecht sein, wie sie wollte — irgendeine Be-
friedigung herrschte. Warum bekämpfte denn der preußische
Staat damals die deutsche Idee, die doch seine eigene
Zukunft bedeutete? Nun, aus dem einfachen Grunde, weil
er sie nicht erfüllen konnte. Solange Preußen die Zeit
nicht reif fand, den deutschen Staat selber zu schaffen,
mußte es ihn bekämpfen, und konnte auch all die wahr-
haften Patrioten — Ernst Moritz Arndt an der Spitze —
nicht als seine unbedingten Freunde ansehen, weil sie die
Gefahr heraufbeschworen, Preußen in einen Konflikt hinein-
zureißen, den es sich damals noch nicht fähig fühlte, zu
Das Manko
Preußens in der
Epoche
1815—1848.
54 Die Demagogen- Verfolgung.
bestehen. Ob man besser aus diesem Konflikt hätte heraus-
kommen, ob man früher hätte herauskommen können, dar-
auf haben wir jetzt nicht einzugehen. Nur das sehen wir,
daß in diesem Staate damals in der Tat ein peinlicher
innerer Widerspruch lebte, ein Widerspruch, der sich nun
auf das Allerwiderwärtigste geltend machte in der Dema-
gogenverfolgung, die ja vielfach gerade die allerbesten
Patrioten traf.
Wir haben in Deutschland zwei Vaterlandslieder: „Was
ist des Deutschen Vaterland“ von Ernst Moritz Arndt und
„Deutschland, Deutschland über alles“ von Hoffmann von
Fallersleben. Welch eine peinliche Erinnerung in unserer
Geschichte, daß die beiden Dichter, beide deutsche Professoren,
beide von der preußischen Regierung verfolgt und ihrer
Lehrtätigkeit für Deutschlands Jugend enthoben worden
sind!
Indem der preußische Staat nach dem Jahre 1815
sich zur deutschen Idee in Gegensatz stellte, kamen auch
die Mächte des alten Staates, die durch die Stein- Scharn-
horst- Hardenbergsche Reform außer Kraft gesetzt worden
waren, wieder empor, und indem Preußen eine absolut
regierte Monarchie bleibt, sehen wir es doch erfüllt von
einem überaus heftigen, oft gehässigen Parteikampf, der
die wahre Natur des Staates, die Regierung durch die
politisch erzogene Intelligenz so sehr verdeckte, verdunkelte
und verzerrte, daß sie für die Zeitgenossen überhaupt nicht
mehr erkennbar war.
Es war eine Art von tragischer Verwicklung, daß der
Staat die Ziele, die er sich hätte setzen müssen, die damals
auch schon von vielen erkannt wurden, sich nicht nur nicht
setzen konnte, sondern im Gegenteil immer Kräfte anrufen
mußte, die eigentlich seiner Zukunft entgegenstanden. Eine
Der König und der Staatsgedanke.
Regierung, die von solchem Geist erfüllt war, konnte nicht
nur bei den Zeitgenossen keine Befriedigung hinterlassen,
sondern auch hinterher noch, auch als man den Zusammen-
hang erkannt, die Schwierigkeiten herausgefunden hatte, sich
trotzdem der Hochschätzung als eine Regierung der Weisen
im idealen Sinne keineswegs erfreuen.
Weiter haben Sie vielleicht vermißt in diesem Aufriß
des Staates, den ich Ihnen vorgeführt habe, daß die haupt-
sächlichste Stelle, der König, noch gar nicht genannt ist. Ich
habe den Staat aufgebaut vom Staatskanzler an auf die
Minister, die Beamtenschar, die ganze Beamtenhierarchie;
aber der letzte entscheidende Wille liegt doch nicht an irgend
einer dieser Stellen, sondern beim König. Wo ist er ge-
blieben? Die Antwort ist: Der König regiert nicht nach
subjektiven Einfällen — oder wenn er es tut, so ist es
jedesmal ein Fehler — sondern gemäß dem obiektiven,
mit Hilfe seiner Berater festgestellten Staatsinteresse, und
er kann damit so sehr hinter diesem objektiven Staats-
interesse verschwinden, daß Hegel, als er jetzt vor fast
100 Jahren von diesem Katheder das Wesen des Staates
im allgemeinen und des preußischen Staates im besonderen
entwickelte, das Wort wagen konnte: „Der König ist das
Tüpfelchen auf dem i.“ Es wurde Friedrich Wilhelm III.
einmal gemeldet, daß hier, unmittelbar seinem eigenen
Wohnhaus gegenüber, einer seiner Professoren den König
bloß für das Tüpfelchen auf dem i erkläre. Aber
Friedrich Wilhelm lll. gab nicht viel auf Theorien, da er
ja doch die Macht besaß. Er antwortete einfach: wenn er
es nun nicht macht? Damit hatte er sich seine königliche
Gewalt genügend vorbehalten. Er faßte tatsächlich sein könig-
liches Amt so auf, daß der König die Staatsidee so in sich
verkörpere, sich so mit dem Staate identifiziere, daß nichts
Stellung
des Königs.
56 Friedrich Wilhelm III.
als der organisierte Staatswille in seinem subjektiven
Willen in die Erscheinung trete.
Als er Stein in der bekannten grob- ungnädigen Weise
im Januar 1807 entließ, berief er sich in seinem Entlassungs-
schreiben darauf, daß er sich von jeher bestrebt habe, „nicht
nach persönlichen Launen die Diener des Staates zu wählen,
sondern nach vernünftigen Gründen.“ Dem Rate solcher
„nach vernünftigen Gründen“ gewählter Staatsdiener wird
dann auch der König sich so leicht nicht entziehen, oder
wie es ehedem ein Ministerialdirektor einmal etwas
burschikos ausgedrückt hat: „über den König kommt
man weg, über den Referenten im Ministerium kommt
man nicht weg!“
Die letzte Entscheidung hat Friedrich Wilhelm Ill. für alle
Zeit, vor 1806, während der ganzen Reformbewegung,
während und nach der Erhebung immer wieder selbst ge-
geben, oft unter einem furchtbaren Druck, gegen seinen
eigenen inneren Wunsch, gegen seine Natur, aber stets in
dem Bewußtsein, nicht der gewählte, aber der geborene
Repräsentant des Staates zu sein. Er war der anspruch-
loseste Mensch und stellte durchaus nicht etwa für sich die
Forderung, daß seine höhere königliche Eingebung als solche
den Staat regieren müsse, sondern er nahm nur das für
sich in Anspruch, daß er eben als König die höchste Ver-
antwortung trage, mehr als irgendein anderer von dem
Staatsgedanken erfüllt sein müsse. Aber natürlich war
das schlechterdings nicht von seiner Subjektivität zu scheiden,
einer Subjektivität, die für eine Epoche umwälzender Re-
formen und gewaltiger Entscheidungen, um das ausdrücklich
hinzuzufügen, sehr wenig geeignet war. Hierdurch und später
noch mehr durch die starke Subjektivität Friedrich Wilhelms IV.
ist verdeckt worden, was eigentlich damals das Wesen des
Die preußische Verfassung. 57
Staates war: daß er durch die sich selbst ergänzende,
organisierte politische Intelligenz regiert wurde.
Aber in dem Staat Friedrich Wilhelms III. fehlt nun
doch noch etwas, was wiederum das Urteil der Mit- und Fehlen einer
Nachwelt sehr ungünstig beeinflußt hat und beeinflussen Volksvertretung im alten
mußte. Bei der Neubildung des Staates lebte von An- Preußen.
fang an, bei Stein, Hardenberg und allen ihren Mit-
arbeitern die Idee, daß das absolute Königtum an seiner
Seite eine Volksvertretung haben müsse. Das eigentliche
Dokument, welches den Ausdruck und den Rechtstitel für diese
Volksvertretung in der Historie bildet, ist der „Aufruf an
mein Volk“, obgleich darin von einer Volksvertretung nicht
die Rede ist. Friedrich der Große hätte niemals einen
solchen Aufruf erlassen können und hat niemals daran ge-
dacht, auch nicht in allen Nöten des siebenjährigen Krieges.
Von einer solchen Beziehung des Staates zur Gesamtheit
der Staatsbürger wußte er noch nichts. Diese ist erst er-
wachsen aus dem Staat, der durch seine eigenen Taten und
ihren Ruhm mit einem ganz anderen Bewußtsein erfüllt
wurde, als es überkommen war. Der Staat hat 1813
nicht anders gerettet werden können, als indem der König
appellierte an den guten Willen jedes einzelnen Mannes.
Dadurch hat er den Krieg gewonnen. Aber indem er
diesen Appell aussprach, also jene Verbindung schuf zwischen
dem Staat und den Staatsbürgern, die seine Vorgänger
noch nicht gekannt hatten, lag darin auch, daß der Staat,
der die gesamte Staatsbürgerschaft aufrief, sich mit dem
Speer in der Hand in seinen Dienst zu stellen, dann auch
in Übereinstimmung mit ihr sich befinden mußte, daß
der Wille des Königs, wenn auch noch so objektiv geltend
gemacht, zur Lenkung des Landes nicht genüge, sondern daß
in irgendeiner Form eine Volksvertretung neben das König-
58 Das Dereiklassen-Wahlrecht.
tum treten mußte. Das wurde damals nicht bloß in
Preußen, sondern in aller Welt offen bekannt und gefordert,
und in einer Verordnung, die Hardenberg vom Wiener Kon-
greß aus 1815 verkündete, positiv in Aussicht gestellt und
nicht erfüllt. Warum nicht? Eben aus dem Grunde, den
ich vorhin schon angab, war damals eine Verfassung un-
möglich. Eine bloße preußische Volksvertretung war ein Un-
ding in sich; die preußische Volksvertretung mußte trachten,
die deutsche Volksvertretung zu werden. Mit der Schaffung
einer preußischen Verfassung mußte notwendig die deutsche
Frage ins Rollen kommen. So wirkte die nationale Frage
hemmend auf die Bildung einer Verfassung in Preußen
und damit zugunsten der Reaktionäre. Das Produkt der
ponderierenden Kämpfe, die darüber entstanden, ist das
Zwischending zwischen einer ständischen Vertretung und
einer allgemeinen Volksvertretung, das Dreiklassenwahlrecht,
das in Preußen noch heute besteht, von Biomarck aber für
das Deutsche Reich fallen gelassen und durch das allgemeine
gleiche Stimmrecht ersetzt worden ist, um die öffentliche
Meinung in ganz Deutschland für das große ziel eines
preußisch- deutschen Nationalstaates zu gewinnen. Denn das
preußische Königtum, so stark er war — allein konnte es das
Ziel der deutschen Einigung unter dem schwarz- weißen Banner
nicht erreichen. Bismarck wollte deshalb die Masse mit auf-
nehmen, die Masse heranziehen mit ihrer ungeheuren Wucht.
Er hoffte, ihre Unterstützung zu erlangen, indem er ihr die Volks-
vertretung gab. Dem Schwarzweiß fügte er das Rot zu. Im
Frühjahr 1866 verkündigte er, er wolle eine Verfassung mit
einer Volksvertretung auf Grund des allgemeinen gleichen
Stimmrechts vereinbaren. So ist der Norddeutsche Reichs-
tag gewählt worden, mit dem die Verfassung vereinbart
und dann auf das Deutsche Reich erweitert worden ist.
Parlamentarismus und Konstitutionalismus. 59
Der Reichstag ist geschaffen worden nicht gegen die Re-
gierung, sondern zur Unterstützung der Politik der Regierung.
Die Schöpfung des Reichstages ist die Entstehung und
Vollendung der Politik, die mit dem „Aufruf an mein
Volk“ im Jahre 1813 begann. Die Schöpfung des Reichs-
tages ist die Verkörperung dessen, was in dem „Aufruf an
mein Volk“ erst als Idee in die Erscheinung getreten war.
In allen anderen Staaten, wo ähnliche Volksvertretungen
existieren, im besonderen in England, Frankreich, Amerika,
sind sie zur Macht gelangt, indem sie die überlieferte Re-
gierung entweder beiseite gedrängt oder ganz gestürzt haben.
In Deutschland ist die Volksvertretung entstanden, indem
die Regierung sie berief und neben sich stellte.
Daß zwischen den Parlamenten in England, Frankreich,
Amerika, Italien, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien
auf der einen Seite und Deutschland auf der anderen ein
tiefgreifender Unterschied bestehe, ist eine anerkannte Tat-
sache. Man nennt wohl das eine das System des
Parlamentarismus, das andere des Konstitutionalismus,
oder aber bei denjenigen, die den Parlamentarismus für
das einzig richtige und berechtigte halten, des Schein-
konstitutionalismus. Der Reichstag sei nichts als das Feigen-
blatt des nackten Absolutismus, erklärte schon 1867 der
Abgeordnete Liebknecht. Wir werden also zu untersuchen
haben, ob der Einfluß des Reichstages in Deutschland
wirklich so gering ist, daß man ihn als einen bloßen
Schein bezeichnen darf. Richtig ist, daß jene anderen
Parlamente eine viel größere Gewalt haben als unser
Reichstag. Jene Parlamente bestimmen selber die Re-
gierung; das Ministerium besteht aus den Führern der
Majorität. Auch in Italien ist es so, obgleich das
piemontesische Königtum ursprünglich stärker war. Aber
Delbrück, Reglerung und Volkswille. 5
Unterschied
zwischen den
verschiedenen
Parlamenten.
Stellung des
deutschen
Reichstages.
60 Macht des deutschen Reichstags.
dieser Kern war im Verhältnis zur Masse Italiens zu klein,
und so ist man auch dort in den Parlamentarismus
hinübergeglitten. Davon kann in Deutschland nicht die
Rede sein. Der deutsche Reichstag übt entsprechend seinem
ganz anderen Ursprung nur Einfluß auf die Regierung.
Einfluß kann größer oder geringer sein. Suchen wir ihn
auf dem Wege der Feststellung von Tatsachen abzumessen.
Daß der Reichstag bei der Ausarbeitung und Gestaltung
der Gesetze sehr eingreifend mitwirkt, daß er auch eigene
Ideen durchsetzt, daß er wichtige Vorlagen der Regierung
ablehnt und dadurch dauernd verhindert, das liegt alles zu-
tage und braucht nicht besonders belegt zu werden. Aber
sein Einfluß geht noch weiter. Der Reichskanzler Fürst
Bülow mußte zurücktreten, als ihm der Reichstag die
Erbschaftesteuer ablehnte.
Diejenigen, die glauben, daß wir auf dem Wege sind,
eine parlamentarische Regierung mit der Zeit in Deutschland
einzuführen, haben gesagt, der Sturz des Fürsten Bülow
sei die erste Etappe hierzu gewesen. Denn hier habe der
Reichstag den Kanzler gezwungen, abzugehen und das sei
ja das Wesen der parlamentarischen Regierung, daß das Haupt
der Beamtenregierung sich nicht behaupten könne gegen den
Willen des Reichstages. Das ist aber doch noch etwas
anderes, als wenn die Regierung aus dem Willen des Reichs-
tags hervorgeht. Es dürfte zutreffen, daß Bülow schließlich
deswegen, weil er die Erbschaftssteuer nicht bewilligt bekam,
hat zurücktreten müssen. Falsch ist aber die Vorstellung,
daß es hier zum erstenmal gewesen sei, daß ein Kanzler
dem Reichstag habe weichen müssen. Von Caprivi und
Hohenlohe will ich nicht reden; da liegen die Dinge nicht
ganz so klar. Aber das Entscheidende ist, daß es gar keiner
Frage mehr unterliegen kann, daß auch Bismarck im Jahre
Rücktritt Bülows und Bismarcks. 61
1890 dem Reichstag gewichen ist. Noch heute wundern
sich die Leute oft darüber, weshalb Bismarck eigentlich
entlassen worden sei. Die meisten begnügen sich dann
mit der Wendung: „Ja, ein junger Kaiser und ein alter
Minister vertragen sich eben nicht;“ „die Naturen gingen
auseinander,“ „das verschiedene Temperament“ usw. Das
war aber keineswegs der Zusammenhang. Warum sollen
sich ein junger und ein alter Mann nicht vertragen? Auch
verschiedene Temperamente sind schon oft lange miteinander
ausgekommen. Fürst Bismarck und Kaiser Wilhelm der
Alte stimmten auch sehr oft nicht überein. Mag nun im
einzelnen die Zukunft noch manche Aufklärung bringen,
jedenfalls eins steht fest: Es war ein Reichstag gewählt
worden, in dem eine geschlossene Majorität gegen den
Kanzler stand. Diese Majorität bestand in den Sozial-
demokraten, der freisinnigen Partei unter Führung von
Eugen Richter, mit dem keine Vereinbarung möglich war,
und aus dem Zentrum. Solche Majorität war schon
manchmal gewesen, und in den ganzen 80er Jahren hatte
Bismarck unausgesetzt schwere Kämpfe; doch immer war
es ihm noch möglich geworden, einen Kompromißweg zu
finden. Aber jetzt waren die Dinge so weit gediehen, daß
er keine Aussicht mehr dazu hatte. Wenn er auf diese
Weise hätte weiter regieren wollen, hätte er sich ganz und
gar von dem Führer des Zentrums, Windthorst, abhängig
machen müssen. Das wollte er nicht, und wir wissen es
nunmehr mit Bestimmtheit, daß er sich mit dem Plan ge-
tragen hat, sich von diesem Reichstag zu befreien auf dem
Wege der Gewalt. Er selbst hatte den Reichstag geschaffen,
aber jetzt schien es ihm unmöglich, mit so viel intransigenten
Elementen das Reich zu regieren. Ich selbst bin im Be-
sitze eines Briefes des damaligen Führers der Konservativen
5*
Der Rückiritt
des Fürsten
Bismarck.
62 Bismarcks Staatsstreich-Plan.
im Reichstag, v. Helldorff, der Fürst habe ihm im höchsten
Ernst gesagt, er wolle die letzten Jahre seines Lebens
daransetzen, den größten Fehler seines Lebens, die Schaffung
des allgemeinen gleichen Wahlrechtes, wieder gutzumachen.
Es ist keine Frage, daß das, was darüber in den Hohenlohe-
schen Memoiren steht, daß er dem Kaiser bereits direkt
Vortrag über zu erwartende blutige Kämpfe gehalten habe,
richtig ist. Wir können jetzt auch aus einer Reihe von
Äußerungen und Erscheinungen mit Sicherheit entnehmen,
was er gewollt hat. Schon am Schluß seiner „Gedanken
und Erinnerungen“ stehen Andeutungen darüber, daß das
deutsche Volk einmal, wenn es notwendig sein sollte, die
Kraft und den Mut haben würde, sich von dem allgemeinen,
gleichen, geheimen Stimmrecht wieder zu befreien, An-
deutungen, die klar darauf berechnet sind, einmal wieder-
gelesen zu werden, wenn seine damaligen Pläne an die
Offentlichkeit kommen würden. Was wollte er also? Es
war von weither vorbereitet. Er hatte die letzten zwölf Jahre
seiner Regierung den Reichstag stets in der Hand gehabt
vermöge des Sozialistengesetzes. Nach dem Attentat auf
den alten Kaiser Wilhelm, in der furchtbaren Aufregung
im Volk, hatte er ein Ausnahmegesetz gegen die Sozialisten
durchgebracht, das immer auf 2—3 Jahre gegeben und
dann verlängert wurde. Es herrschte die allgemeine Vor-
stellung, das Sozialistengesetz sei unentbehrlich, um die
Revolution niederzuhalten. Mit Hilfe dieser Vorstellung
hat er auch die Sozialpolitik gemacht, weil die höheren
Kreise, die Unternehmerkreise, durch das Sozialistengesetz
ebenso wie durch die Schutzzollgesetzgebung an ihn gebunden
waren und seiner Direktion folgen mußten. Die große
Majorität des Reichstages war bereit, das Gesetz noch
weiter zu verlängern und sogar dauernd zu machen unter
Bismarcks Staatsstreich- Plan. 63
Beseitigung einiger Bestimmungen, die sich nach allgemeiner,
auch von vielen Konservativen geteilter Meinung nicht be-
währt hatten. Herr von Helldorff fuhr nach Friedrichsruh
und erbat sich von dem Fürsten Instruktion, ob die Fraktion
für dieses neue Sozialistengesetz stimmen solle oder nicht.
Ein Wort, ein bloßer Wink des Fürsten hätte genügt und
das Gesetz war angenommen. Aber er sprach dieses Wort
nicht; er gab überhaupt keine Antwort, woraus Herr
von Helldorff mit Recht schloß, der Fürst möchte zwar
die direkte Verantwortung für die Ablehnung nicht über-
nehmen, wünsche sie aber. So kam es zu Fall durch
die Stimmen der Konservativen, das heißt mit anderen
Worten: der Kanzler wünschte, daß Konfliktsstoff gesammelt
werden solle. Er rechnete darauf, daß ohne ein Ausnahme-
gesetz, wenn er den Reichstag auflöse, die Sozialisten Unruhen
erregen würden, die mit Gewalt niederzuschlagen seien. Wenn
dann die Bürgerschaft durch die Straßenkämpfe genügend
in Schrecken gesetzt sei, wollte er erklären oder durch den
Kaiser erklären lassen: Unter diesen Bedingungen lasse sich
das deutsche Reich nicht regieren; der König von Preußen
lege hiermit die Kaiserkrone nieder. Dieser Akt war bereits
vorbereitet durch einen im Jahre 1884 vom Bundesrat gefaßten
und feierlich verkündeten Beschluß, daß das deutsche Reich
eine freie Föderation der Fürsten sei, die auch wieder auf-
gelöst werden könne. Gleichzeitig mit der Niederlegung
der Kaiserkrone aber hätte der König von Preußen sämtliche
Bundesfürsten aufgefordert, das Reich wieder aufzurichten
unter all den alten Gesetzen und Bestimmungen, mit der
einen Ausnahme des allgemeinen Stimmrechts, das auch
nicht prinzipiell abgeschafft, sondern nur durch eine Aus-
nahmebestimmung eingeschränkt werden sollte. Dieses neue
Sozialistengesetz würde vermutlich so gelautet haben, daß
64 Bismarcks Staatsstreich-Plan.
durch einen eigenen Gerichtshof jedem, der revolutionärer
Gesinnung überführt sei, das aktive und passive Wahlrecht
entzogen werden solle. Um das besser kontrollieren zu
können, sollte zugleich an die Stelle der geheimen die öffent-
liche Abstimmung treten*).
So zweifellos es mir ist, daß ein solcher Staatsstreich,
der mit der Verleugnung des Reichsgedankens hätte be-
ginnen müssen, uns zum Verderben gereicht haben würde,
so möchte ich doch nicht unterlassen einzuschieben, daß
Bismarck persönlich darum keineswegs kleiner erscheint. Denn
ehe man genau seinen eigentlichen Man kannte, glaubte
man, daß er überhaupt keine positive Idee mehr gehabt
habe; daß der Recke alt geworden, seine Kraft erschöpft
gewesen sei. Vielleicht gibt es auch manche, die sagen, die
Zeit werde noch kommen, wo man es bereuen werde,
daß 1890 nicht nach seinem Rat gehandelt worden ist,
als es noch Zeit war. Ich fürchte nun nichts dergleichen
und stelle nur historisch fest, daß Bismarck abgehen mußte,
weil der Kaiser es ablehnte, sich auf den Staatsstreichge-
danken einzulassen. Einige andere Differenzen kamen noch
dazu, besonders in der auswärtigen Politik, da Bismarck
mehr zu Rußland, der Kaiser mehr zu Österreich neigte,
aber diese Differenzen waren geringfügig im Vergleich zu
den Gegensätzen, die hierin früher zwischen dem alten Kaiser
und Bismarck entstanden und überwunden worden waren.
Der entscheidende Punkt war der Staatsstreich-Plan. Weil
der Reichstag dem Kanzler mit solcher Feindseligkeit gegen-
überstand, daß dieser glaubte, mit friedlichen Mitteln nicht
länger durchkommen zu können, darum hat er zurücktreten
müssen. Mit anderen Worten: Der Reichstag hat eine un-
*) Das Nähere über diese Vorgänge: Preuß. Jahrb. Bd. 147, S. 1,
S. 741; Bd. 153, S. 121.
Der Reichstag und Bismarck. 65
geheure Einwirkung auf unsere inneren Zustände gehabt und
hat den Gründer des Reichs und seinen eigenen Schöpfer
schließlich am Abend seines Lebens zum Rücktritt gezwungen.
Seine Nachfolger konnten mit dem Reichstag weiter regieren,
weil ihnen nicht die Summe von Haß, Leidenschaft und
Argwohn entgegengetragen wurde, die in seiner 27 jährigen
Amtsverwaltung Bismarck durch die unablässigen Kämpfe,
die er nach allen Seiten zu führen hatte, gegen sich auf—
geregt hatte. Eine geschlossene, unbedingt zuverlässige
Majorität hat er ja in der ganzen Zeit niemals hinter sich
gehabt und noch nach seinem Abgang versagte der deutsche
Reichtstag dem, der ihn ins Leben gerufen, den einfachen
menschlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag. Die frei-
sinnige Partei kam aber nunmehr Caprivi und nachher
Hohenlohe soweit entgegen, daß immer wieder, wenn auch
nach wiederholten Auflösungen, für die entscheidenden
Forderungen der Regierung, auch beim allgemeinen gleichen
Wahlrecht, Majoritäten haben gefunden werden können.
Ich bin auf diese Geschichte der Entlassung Bismarcks
heute deshalb eingegangen, weil sie noch immer von vielen
Seiten bestritten wird, im besonderen aber, weil wir in
ihr das stärkste Zeugnis dafür haben, daß die Vorstellung,
der Reichstag sei bei uns eigentlich nur eine Dekoration,
grundfalsch ist. Gewiß ist es der Kaiser gewesen und konnte
nur der Kaiser sein, der den Fürsten schließlich entlassen hat,
aber die moralische Autorität des Mannes, der das deutsche
Reich geschaffen und 27 Jahre an der Spitze der Regierung
gestanden hatte, war so ungeheuer, daß es für den Kaiser,
der noch so wenig Regierungserfahrung hatte, eine moralische
Unmöglichkeit gewesen wäre, sich von ihm zu trennen, wenn
nicht eben der Kanzler durch sein Verhältnis zur Moajorität
des Reichstages sich in eine unhaltbare Position gebracht hätte.
Dualismus.
66 Reichstag und Regierung.
Wir kennzeichnen also unser Regierungssystem am besten,
wenn wir es ein dualistisches nennen. Der Kaiser mit den
Bundesfürsten repräsentiert eine in sich selbst ruhende,
historische Gewalt, die legitime Obrigkeit, die Obrigkeit „von
Gottes Gnaden“, ausgewirkt zu dem regierenden Organismus
des Beamtentums und des Offizierkorps, und neben dieser
spezifischen, organisierten Regierungsgewalt steht als über-
aus mächtiges Organ der Kontrolle und der Kritik, dessen
Zustimmung nicht zu entbehren ist, die Volksvertretung, der
Reichstag. Im Unterschied davon sind die parlamentarischen
Staaten nicht dualistisch, sondern einheitlich aufgebaut, indem
die Regierung direkt bestimmt wird vom Parlament, von
ihm eingesetzt und jeden Augenblick abrufbar. Deshalb
macht auch der deutsche Reichstag einen ganz anderen Ein-
druck als ein englisches oder französisches Parlament. Vor
allen Dingen eins: Es ist eigentlich noch niemals gegen
den deutschen Reichstag der Vorwurf der Korruption er-
hoben worden, während dieser Vorwurf doch in den
Parlamentsstaaten fast allenthalben immer wieder laut
wird. Dahingegen ist es ganz klar, daß an poli-
tischen Talenten, an Stärke und Bedeutung der Persön-
lichkeiten die anderen Volksrepräsentionen den deutschen
Reichstag überragen. Man steht bei seinen Debatten, wenn
auch viele tüchtige, kluge, eifrige, geschäftskundige Männer
darunter sind, doch häufig unter dem Eindruck „kleine
Leute“. Nicht selten ist gesagt worden, der Reichstag habe
einen subalternen Zug. Ganz natürlich; Leute von ganz großen
Dimensionen lassen sich ungern in den Reichstag wählen. Es
wird zuviel unfruchtbare Zeit da verbracht, und — es ist keine
Karriere. In Frankreich liegen die Verhältnisse ganz anders; ein
junger Mann, der politisches Talent in sich fühlt und das Glück
hat, in die Deputiertenkammer zu kommen, ist dort sicher, daß
Reichstag und Minister. 67
er in ein paar Jahren Minister oder zum wenigsten Unter-
staatssekretär sein wird. Er wird es nur auf einige Zeit,
aber er wird es doch, und das befriedigt nicht bloß den
Ehrgeiz, sondern gibt auch im Dienst wie außer Dienst
vielfache Gelegenheit zu Erwerb. Ein Mitglied der franzö-
sischen Deputiertenkammer zu sein, ist immer etwas, das
unendliche Perspektiven eröffnet. Mitglied des deutschen
Reichstages zu sein, ist ehrenvoll, bringt aber keinen Gewinn.
Es ist nicht die Vorstufe für einen Minister, überhaupt
nicht für eine hohe Stellung. Es kommt ja vor, daß ein
Abgeordneter „etwas wird“; so war Miquel Abgeordneter,
bevor er Minister wurde. Aber er hat dann seine Ver-
gangenheit als Abgeordneter so viel wie möglich verleugnet,
und ein so bedeutender Mann wie Bennigsen hat es bei
uns niemals zum Minister bringen können. Umgekehrt
aber die abgehenden Minister, die in den parlamentarischen
Staaten die sachkundigsten und gefährlichsten Kritiker ihrer
Nachfolger sind, lassen sich bei uns fast niemals in den
Reichstag wählen. Hier scheint ja nun die Kluft etwa
zwischen Frankreich und Deutschland unendlich. Hier eine
berufsmäßige Regierung mit einer Volksvertretung als eine
Art Kontrollstation neben sich, dort die gewählte Volks-
regierung. Aber wie ist es mit der „Volksregierung“? Wir
haben ja gesehen, daß der Begriff „Volksvertretung“ eine
optische Täuschung ist. Das „Volk“ hat ja in Wirklichkeit
die Deputierten gar nicht gewählt. Läßt sich der Volkswille
aber auch auf eine andere Weise bestimmen, als durch Ab-
stimmen und Wählen? Als man in der großen französischen
Revolution die neue Verfassung ausarbeitete, die Freiheit
und Gleichheit begründen sollte, war man dieser An-
sicht. Es heißt da (Titel 7 Abschnitt 2): „Das Volk,
welches die Quelle aller Gewalt ist, kann diese nur durch
Die wahre Natur
gewählter
Volksvertreter.
Literatur.
68 Der König als Vertreter des Volkes.
Stellvertreter ausüben. Die französische Verfassung ist
repräsentativ; ihre Repräsentanten sind der gesetzgebende
Körper und der König.“ Also auch der erbliche König
wird als ein Repräsentant des Volkswillens angesehen.
Wenn man Volkswillen und Staatswillen gleichsetzt, steckt
darin eine unzweifelhafte Wahrheit, eine Wahrheit, die an
Gewicht zunimmt, je mehr man sich klar macht, wie wenig
Wahrheit in der Darstellung des Volkswillens durch ge-
wählte Vertreter steckt.
Wer regiert denn nun aber in den Staaten, in denen
die obrigkeitliche Gewalt bei gewählten Kammern ist?
Nachdem wir negativ festgestellt haben, daß es das
„Volk“ nicht ist, müssen wir jetzt positiv diese Frage beant-
worten.
Für die öffentliche Meinung scheint sie noch gar nicht
aufgeworfen zu sein; sie begnügt sich mit dem Schönklang
des Wortes „Volk“. Aber in der staatswissenschaftlichen
Literatur ist darüber bereits vollkommen Aufklärung ge-
schaffen und ich will die wichtigsten Werke an dieser Stelle
nennen und überhaupt einige Worte über die einschlagende
Literatur einfügen.
Nicht gerade viel zu entnehmen ist aus der oft be-
nutzten „Allgemeinen Staatslehre“ von Georg Fellinek
(2. Aufl. 1905). Es ist ein sehr scharfsinniges juristisches Werk,
aber ohne historischen Sinn und oft sogar ohne die nötigen
hisiorischen Kenntnisse. Mehr ergibt für unsere Zwecke
das jüngst (1912) erschienene sehr umfangreiche Werk von
Wilh. Hasbach: „Die moderne Demokratie“. Es bietet
Stoff in Hülle und Fülle, auch objektiv der Sache nach,
wenn schon der Verfasser im Ton öfter eine starke Ab-
neigung gegen die Demokratie blicken läßt. „Die Ent-
wicklung des Wahlrechts in Frankreich seit 1789“ von
Literatur. 69
Adolf Tecklenburg ist eine wertvolle Monographie.
J. Unold „Politik im Lichte der Entwicklungslehre“", ist
eine journalistische Arbeit mit treffenden und hübschen Be-
merkungen im einzelnen, aber ohne wirkliches Wissen.
Über England nenne ich das etwas breit darstellende, aber
im Wissen und Urteil sehr hoch stehende Buch von Lowell,
The constitution of England. Das „Handbuch der Politik“
erschienen im Verlage von W. Rothschild, hat zwar viele
angesehene Namen unter seinen Mitarbeitern, der Wert der
einzelnen Beiträge aber ist sehr ungleichmäßig. Von durch-
schlagender Kraft aber ist Osftrogorski „La démocratie
et l´organisation des partis politiques“ 1903; jüngst (1912)
in einer zweiten verkürzten Auflage erschienen. Es enthält
sehr viel vorzüglich geordnetes und zuverlässiges Material*).
Dann ist vor kurzem die zweite Auflage eines Büchleins
herausgekommen: Belloc and Chesterton „The party
system“, eine leidenschaftlich einseitige Arbeit. Belloc war
selbst Mitglied des Unterhauses und Mitglied der liberalen
Partei, ist aber erfüllt von Zorn über den Druck der Partei-
disziplin, die er hat auf sich nehmen müssen. Er ist infolge-
dessen vielfach verblendet, so daß das Buch nur mit Vorsicht
benutzt werden darf. Aber deutschen Schwärmern für das
System der Parteiregierung ist die Lektüre sehr zu empfehlen.
Belloc trägt das Wichtigste zusammen, was sich dagegen
sagen läßt.
Auch von konservativer englischer Seite ist jüngst eine
Schrift erschienen von Mac Kechnie**), „Die neue Demokratie
und die Verfassung“, die ganz ebenso wie die vorhergehende
*) Verlag von Calmann-Lévy, Paris. Die zweite Auflage hat
einen sehr interessanten Nachtrag.
**) William Sharp Mae Kechnie The new democracy and the
constitution. London, John Mumay, 1912. XII u. 211 S. 80.
70 Wähler und Gewählte in England.
klagt über die Tyrannei der Parteiherrschaft, aber während
Belloc hofft, diese Tyrannei zu überwinden durch die Fort-
bildung der Demokratie, sieht Mac Kechnie gerade in der Demo-
kratie die Beschwerde der Gegenwart und die Gefahr der
Zukunft*).
Wer also wählt in der modernen Demokratie die soge-
nannte Volksvertretung?
Betrachten wir zunächst England.
In der Mitte der 60 er Jahre wurde ein sehr populäres
Buch über das englische Regierungssystem von Bagehot
geschrieben, das auch in Deutschland viel gelesen worden
ist und viel Einfluß gehabt hat. Dort wird gesagt, daß
das Volk gewohnt sei, bei der Wahl nicht einen Mann
seinesgleichen zu wählen, sondern einen höherstehenden.
Denn aus der alten aristokratischen Zeit war man gewohnt,
sich von den beiden vorhandenen Parteien die auszusuchen,
die man haben wollte, und verlangte nicht, daß der
Repräsentant genau das repräsentiere, was der Wähler
wollte, sondern nahm an, daß er seinen eigenen Verstand
und seine eigene Tendenz zum Ausdruck bringe. Das ist
wunderschön von dem großen Staatsmann Burke schon
1791 zum Ausdruck gebracht worden, der als der erste die
verhängnisvolle Wirkung der französischen Revolution unter
den europäischen Staatsmännern vorausgesehen hat, und
zu seinen Wählern sagte: „Euer Vertreter schuldet Euch
nicht nur seine Arbeit, sondern auch sein Urteil, und er
verrät Euch, anstatt Euch zu dienen, wenn er es Eurer
Meinung zum Opfer bringt.“ Es soll also den Vertreter
*) Die Gneistschen Werke über englische Verfassung nenne ich
nicht mehr, da sie, bei allem Verdienst, das sie ihrerzeit hatten, heute
als veraltet angesehen werden müssen. Vgl. meine Besprechung Preuß.
Jahrb. Bd. 55 S. 104 (1885).
Wahlbeteiligung. 71
sein eigener Verstand führen, auch wenn es gegen die
Meinung seiner Wähler ist, womit freilich die Vorstellung
von einem Volkswillen, der regiert vermöge der Wahl, hin-
fällig wird.
Dieser Respekt vor dem Unterhaus ist nach der ein-
stimmigen Meinung aller neuesten Beobachter heute,
nachdem das Wahlrecht so ausgedehnt worden ist, ge-
schwunden. Die Wähler setzen bei ihren gewählten Ver-
tretern voraus, daß sie genau nach der Angabe der Partei-
führer und nach dem Parteiprogramm und nach nichts
anderem, etwa gar nach ihrer eigenen Einsicht, absiimmen.
Diese Erscheinung würde dem demokratischen Gedanken völlig
entsprechen, wenn wirklich die regierende Majorität vom
Volke oder wenigstens von den Wählern gewählt würde.
Im alten England wurden die Wahlen bestimmt durch
die Patronage oder durch die maßgebenden Persönlichkeiten
in den Wahlkreisen, gestützt auf ihren Einfluß und nach-
helfend durch Geld. Seit den 70er Jahren sind an die
Stelle der einzelnen Persönlichkeiten die Wahlvereine ge-
treten, entweder lokale Vereine oder Landesorganisationen,
die mit einem amerikanischen Ausdruck der „Kaukus“ ge-
nannt werden. Eine Wählerschaft als Wählerschaft ist ja
gar nicht fähig, sich zu einer Wahl zu vereinigen, sondern
es ist dazu notwendig irgendeine Organisation. Diese
muß den Kandidaten aussuchen, muß ihn den Wählern
vorführen und muß namentlich die ungeheure Masse der
Gleichgültigen oder Unschlüssigen oder Unaufgeklärten heran-
bringen. Wenn das nicht wäre, würde immer nur ein
ganz kleiner Teil der Wähler bei den Wahlen erscheinen.
Bei uns, selbst in der ungeheuren Aufregung nach dem
Krieg 1870/71, sind nur 51% der Wähler zur Wahl-
urne gekommen. Das hat sich in den 70—80er Jahren
Die Wahl-
maschinerie in
England.
72 Selbstergänzung der Regierenden.
auf einige 60% erhöht, in allerletzter Zeit auf etwas
über 80%; es fehlen also selbst heute immer noch
ein gutes Sechstel*). Ohne Wahlorganisation und die
damit zusammenhängende Agitation ist überhaupt eine
Wahl, die einigermaßen die Massen repräsentiert, nicht
durchzuführen. Das wird von keinem Erfahrenen und
keiner Partei bestritten werden. Sofort aber ergibt sich
daraus, daß nun diejenigen Persönlichkeiten, die die Wahl-
organisation in der Hand haben und die Angitation be-
treiben, auch schließlich die Wahl bestimmen. Dem
Volke wird der Kandidat suggeriert und dann wird durch
die Organisation die Wahl durchgeführt. Die Wahl-
organisationen sind natürlich in der Hand der Parteiführer
und ihrer zuverlässigsten Anhänger. Diese sorgen dafür,
daß immer wieder nur ihre Anhänger entweder ins Parla-
ment oder in die leitenden Stellen der Wahlorganisation
kommen. Die anscheinende Volkswahl ist also in Wirklich-
keit eine Selbstergänzung der im Laufe der geschichtlichen
Entwicklung einmal zur Gewalt gelangten Gruppen, und
das ist auch der Grund, weshalb die Selbständigkeit der
Abgeordneten fast völlig aufgehört hat und sie in strengster
Disziplin verpflichtet sind, so zu stimmen, wie es die
Parteileitung, die Frontbank, wie es in England heißt, vor-
schreibt**).
*) Lowell II, 73 stellt die Stimmzahlen für die englischen Wahlen
zusammen. Die Beteiligung schwankt bedeutend. In England stimmten
im Jahre 1906 etwa 80%. 1895 stieg die Beteiligung in den
wallisischen Städten auf 86,6 % und sank 1900 wieder auf 72,3 %.
Die geringste Beteiligung hatten bei diesen Wahlen die wallisischen
Grafschaften mit 62,8% und London mit 65,1 %.
**) Lowell l, p. 534 stellt fest, daß der Kaukus einst gegründet
wurde, um ein wahrhaft demokratisches Regiment zu organisieren. Der
große Volksverein sollte den Liberalismus im Volke repräsentieren und
Wahre Natur des englischen Unterhauses. 73
Belloc behauptet auch, es sei Illusion zu sagen, daß
das heutige englische Parlament nicht mehr so korrupt
sei wie im 18. Jahrhundert; nur die Form der Korruption
sei anders geworden. Es geschehe freilich nicht mehr mit
wirklichen Bestechungen, aber doch so, daß die große Masse
der Gewählten irgendwelche Vorteile von der Regierung zu
erwarten habe. Er teilt die Vertreter in drei Gruppen:
1. reiche Leute in ihren Wahlkreisen, die Ehrgeiz besitzen
und sich durch die Teilnahme an der Regierung einen
Namen machen wollen; 2. reiche Leute irgendwoher, die
sehr große Summen in einen geheimen Wahlfonds stiften;
3. Rechtsanwälte und Geschäftsleute, die ihre Parlaments-
mitgliedschaft irgendwie benutzen, um günstige Verhältnisse
auszukundschaften und auszunützen für die Geschäfte, die
sie betreiben.
Ich möchte mir erlauben, eine vierte Gruppe hinzuzu-
fügen, nämlich die ehrlichen Patrioten, an denen es auch
in England, wie anderswo, nicht fehlt, und schließlich werden
diese Gruppen sich nicht so scharf voneinander sondern,
sondern vielfach ineinander übergehen. Es ist aber richtig,
daß die geschlossenen Parteien zusammengehalten werden
eben durch die Wahlmaschinerie und zum großen Teil auch
durch den direkten Vorteil, der vielen von den Mitgliedern
winkt. Das würde ja nun gegen die Vorstellung, das
Volk sei es, das zum Unterhaus wählt und dadurch regiert,
noch nichts besagen, wenn das Volk es wäre, das die
Wahlorganisationen beherrschte, aber da setzt nun Bellocs
Hauptargument ein: In Wirklichkeit ist die Führerschaft
jetzt so geschlossen, daß man sagen kann, das demokratische
das Volk selbst in ihm die Politik bestimmen. Das ist völlig gescheitert.
Die Versammlungen sind mehr und mehr streng auf die Akklamation
und vorher von den Führern festgestellte Resolutionen beschränkt worden.
74 Kooptation der Regierenden.
England hat eine regierende, sich selbst ergänzende Aristo-
kratie. Dieser Kreis von Familien, die häufig unter sich
verwandt sind, bestimmt durch den Wahlkaukus und die
Einzelwahlorganisationen die Wahlkandidaten, und durch
die Gewählten werden sie wieder selbst gewählt, so daß
eine Art Wechselwirkung besteht und tatsächlich eine Re-
gierung eristiert, die sich selbst kooptiert und eventuell durch
eine zweite Gruppe, die sich ebenso durch Kooptation er-
gänzt, ersetzt werden kann. Der Einfluß der Wählerschaft
ist darauf beschränkt, daß die regierenden Kreise, sich
selber ergänzend, doch gezwungen sind, auf die Volks-
stimmungen und -strömungen Rücksicht zu nehmen. Sie er-
gänzen sich nicht willkürlich, nicht ausschließlich nach Vetter-
schaft und Freundschaft, sondern sie ergänzen sich auch
möglichst durch Talente, mit denen sie hoffen, ihre Partei
und ihre Gruppe zu verstärken. Wenn sie das nicht täten,
würde ein Teil der Wähler übergehen zur anderen Partei,
und dann wären sie aus der Regierung heraus.
Ob dieses System gut oder schlecht wirkt, davon sprechen
wir jetzt nicht. Wir sprechen nur davon, ob es Wahrheit
oder Illusion ist, daß das englische Unterhaus vom Volk
gewählt wird, und wir haben nun gefunden: Es ist in der
Tat eine Illusion; aber doch keine vollständige, wie die
modernen Kritiker behaupten, weil und insofern die re-
gierenden Gruppen fortwährend genötigt sind, auf das Volk
Rücksicht zu nehmen. Es ist nicht eigentlich die Wahl, die
dem Volke Geltung verschafft, sondern die Fühlung, die
die regierenden Parteien immer mit dem Volk aufrecht er-
halten müssen. Sehr sorgfältig wird aber die Illusion am
Leben erhalten, als ob wirklich in den Volkswahlen ein
Volkswille zum Ausdruck komme, und obgleich es so leicht
kein Unterhausmitglied wagen darf, anders zu stimmen,
Fiktion eines regierenden Unterhauses. 75
als der Parteiführer angibt, so wird doch auch da die Fiktion
der Selbständigkeit aufrecht erhalten dadurch, daß große
Debatten stattfinden, Anfragen an das Ministerium gerichtet
werden, Mißtrauensvoten beantragt werden usw. Aber die
Freiheit, die sich darin zeigt, beschränkt sich in Wahrheit
auf die beiden Frontbänke, d. h. die Parteiführer hüben
und drüben. Als das Buch von Belloc herauskam, be—
stätigte auch die „Frankfurter Zeitung“, die doch ein extrem
demokratisches Organ ist, die Behauptung Bellocs, daß
die Interpellationen und Anfragen beim Ministerium, die
das Mitregieren der Abgeordneten zum Ausdruck bringen
sollen, ganz wertlos seien, sei vollständig wahrheitsgemäß.
Die Anfragen, schrieb der Korrespondent, werden entweder
ironisch oder ausweichend beantwortet, und wenn das
fragende Mitglied näher darauf eingehen will, schneidet ihm
der Sprecher das Wort ab: Die Frage sei bereits genügend
beantwortet.
Dieser Zustand wird immer mehr als ein schwer zu Abhängig-
ertragender und beinah unwürdiger Druck empfunden. Es keit der Abgeordneten
ist deshalb schon der merkwürdige Vorschlag gemacht von ihrer Pariei
worden, es sollten im Unterhaus die Abstimmungen geheim
stattfinden, weil der einzelne Abgeordnete sich jetzt nicht
trauen kann, mit seiner wirklichen Überzeugung herauszu-
kommen. Auf der anderen Seite will man gerade um-
gekehrt die Oligarchie in der Partei dadurch bekämpfen,
daß man der Wählerschaft das Recht geben will, jeden
Augenblick einzugreifen und den Vertreter abzuberufen.
Den Gedanken, daß das englische Parlament, und in
Frankreich, Amerika naturgemäß ganz ähnlich, tatsächlich
eine sich selbst ergänzende Oligarchie darstellt, können wir
noch auf ein anderes Gebiet verfolgen, wo es uns noch mehr
angeht, und wo dieselbe Erscheinung noch viel frappanter ist.
Delbrück, Reglerung und Volkswille.
Die Oligarchie
in der deutschen
Sozlal-
demokratie.
76 Robert Michels.
Ich mache Sie aufmerksam auf das Buch von Robert
Michels, Professor in Turin: „Zur Soziologie des Partei-
wesens in der modernen Demokratie“ 1911. Michels ist
ein deutscher Gelehrter, der einmal den Versuch gemacht
hat, obgleich er Sozialdemokrat war, sich in Jena zu
habilitieren. Es wurde ihm aber bedeutet, daß in Jena
Privatdozenten zur Habilitierung der Bestätigung der Re-
gierung bedürfen, und diese ihm schwerlich zuteil werden
wũrde. Er ist darauf nach Italien gegangen und ist jetzt
Professor in Turin. Das war ein sehr bedauerlicher Zwischen-
fall im deutschen Universitätsleben. Die Freiheit der Wissen-
schaft verlangt, daß unbedingt alle Parteien zur Habi-
litation zugelassen werden. Die Fakultäten haben nichts
zu konstatieren als die wissenschaftliche Qualifikation und
die moralische Unbescholtenheit und sich dann darauf zu
verlassen, daß Parteiansichten vermöge der nie rastenden
Selbstkritik der Wissenschaft ihre Korrektur finden. Im vor-
liegenden Falle freilich ist es eine Art Glück, daß Michels
in Deutschland von den regierenden Kreisen schlecht be-
handelt worden ist: Nun ist er wenigstens vor dem Ver-
dacht gesichert, etwa das, was wir gleich hören werden,
aus gouvernementaler Liebedienerei geschrieben zu haben.
Michels hat nämlich sein Buch dem eingehenden Nach-
weis gewidmet, daß sogar innerhalb der sozialdemokratischen
Partei tatsächlich die Demokratie bereits völlig aufge-
hoben und durch eine regierende Oligarchie ersetzt ist. Er
sagt gleich in der Vorrede: Die Demokratie besteht in einer
Oligarchie. Eine Parteivertretung bedeutet eine Herrschaft
der Vertretenden über die Vertretenen.
Der Mangel an geistigem Kontakt in der großen Masse,
führt er weiter aus, mache es ganz unmöglich, daß die
Masse selber einen direkten Willen kundgebe. Auch die
Oligarchie in der Sozialdemokratie. 77
Notwendigkeit, in dem politischen Parteikampf schnell Be-
fehle zu erteilen, Direktiven zu geben, alles das verlange
Führer, und weiter verlange das Leben der Partei eine
Organisation mit einem Beamtenapparat und zwar einem
bezahlten Beamtenapparat.
Der Sozialdemokratie leisten oft Mitglieder mit großem
Eifer freiwillige Dienste im Zettelaustragen u. dgl.,
aber solche Vorgänge stellen nur die Ausnahme von der
in der Sozialdemokratie herrschenden Regel dar, daß jede
ihr geleistete Arbeit, von der kleinsten Zeitungsnotiz bis zur
längsten Versammlungsrede, honoriert wird. Dieses System,
das im ganzen vom Heroismus und Enthusiaszmus abstrahiert
und auf spontane Freiwilligendienste Verzicht leistet, dafür aber
die Arbeitsfähigkeit der Parteimitglieder in seinen geregelten
und besoldeten Dienst stellt, verleiht der Partei eine unge-
meine innere Geschlossenheit, eine Macht über ihr eigenes
Menschenmaterial, die zweifelsohne häufig der Elastizität,
der Initiative, endlich auch dem Geist des Sozialismus
Abbruch tut, gleichzeitig aber eine ihrer wichtigsten und un-
entbehrlichsten Grundlagen bildet.
Wir sehen unsere Sozialdemokratie in einer doppelten
Organisation vor uns: 1. die eigentliche Parteiorganisation,
2. die Gewerkvereine. Die Gewerkvereine sind ja prinzipiell
nicht Parteiorganisationen, praktisch aber sind sie es dennoch.
Es ist ja das Wort geprägt worden: „Gewerkschaft und
Sozialdemokratie sind eins.“ Nun sind die Gewerkvereine
sehr viel stärker und zahlreicher als die Partei, und da sie
praktische Zwecke verfolgen, haben sie viel größere Mittel.
Sie sind aber ganz scharf zentralistisch organisiert. Der
Gewerkschaftsvorstand ernennt die Vorstände der Lokal-
organisationen. Die Lokalorganisationen wählen Abgeordnete,
die wieder den Gewerkschaftsvorstand bilden. Das scheint
6*
78 Oligarchie in der Sozialdemokratie.
durchaus demokratisch. In Wirklichkeit aber dirigieren die
vom Zentralvorstand ernannten Beamten die Wahlen, der
sich also dadurch in seinen eigenen Wählern gefügige Werk-
zeuge schafft. Auch wo die in dieser Art organisierten Gewerk-
schaften nicht die politischen Wahlen machen, werden sie
gemacht, nicht von der Masse selbst, sondern von irgend-
einer Organisation. (Michels S. 51.)
In den großen Städten sondert sich durch den Prozeß
spontaner Selektionen ein enger Kreis von regelmäßigen
Versammlungsbesuchern und Teilnehmern an den Beschlüssen
der Organisation von der organisierten Masse ab. Dieser
setzt sich, den Bigotten in der Kirche vergleichbar, aus
Pflichtbewußten und aus Gewohnheitsläufern zusammen.
Der Kreis ist in allen Ländern ein enger, die Mehrzahl der
Organisierten bringt der Organisation dieselbe Gleichgültig-
keit entgegen wie die Mehrheit der Wählerschaft den
Parlamenten.
Die Aufstellung der Parteikandidaten zu den Parlaments-
wahlen hängt fast stets von einer kleinen, durch die lokalen
Ober- und Unterführer gebildeten Clique ab, welche dem
Gros der Parteigenossen die ihr genehmen Kandidaten
suggeriert. Häufig wird der Wahlkreis geradezu als Familien-
gut betrachtet. Im demokratischen Italien ist es nicht selten,
daß beim Ableben oder Verhindertsein des Vaters, älteren
Bruders usw. der Wahlkreis ohne weiteres auf den Sohn,
jüngeren Bruder usw. übergeht, also in der Familie bleibt.
Der Marxismus geht von dem Satze aus, daß mit der
Zeit alles Besitztum sich in einigen wenigen Händen kon-
zentrieren muß, und nun schleudert ihm einer der Partei-
genossen den Satz entgegen (S. 125): „Die Machtkonzen-
tration in der marxistischen Partei ist offensichtlicher als
die Kapitalskonzentration im Wirtschaftsleben. Nicht die
Demagogen als Höflinge des Volkes. 79
Wählerschaft entscheidet über die Kandidaten, sondern die
Vorstände der Parteien.“ Mit den schärfsten Mitteln und
Drohungen, z. B. jede Hilfe in der Agitation zu verweigern,
würden mißliebige Persönlichkeiten aus der Kandidatur ent-
fernt. Die Folge sei Byzantinismus und Kadavergehorsam.
Als Beispiel für diesen Gehorsam führt Michels S. 137
an, daß gemäß dem erteilten Wink das Gros der Delegierten
auf dem Parteitag 1904 den Generalstreik als Generalunsinn
verwarf, ihn 1907 proklamierte und ihn 1906 in die Kinder-
stube der Utopien zurückwies.
Mit der Bildung des Führertums zugleich beginnt durch
die langjährige Amtsdauer sein kastenmäßiger Abschluß.
Nur wenn die herrschende Klasse den Bogen gar zu sehr
überspannte, könnte einmal die Parteimasse revolutionieren
und aktiv dagegen auftreten.
Die Verehrung und Nachahmungssucht der Massen,
sagt Michels, gegenüber den Führern sei ganz ähnlich wie
in der höfischen Gesellschaft; sie würde, wie jemand von
dem Hofe Ludwig XIV. gesagt hat, in komplette Idololatrie
ausarten, wenn die Führer sich auch noch einfallen lassen
sollten, gute Menschen zu sein. Aber wie am Hofe seien
die Führer in einem fortwährenden stillen Kampf unter-
einander um die Führerstellen. „Daher in allen modernen
Volksparteien jener tiefe Mangel an wahrhaft brüderlichem
Geist, an menschlichem Vertrauen.“ Die Führer der Gewerk-
schaften geständen auch das Streben nach einer oligarchischen
Regierung schon offen zu (S. 141).
Dasselbe ist übrigens vor etwa 20 Jahren schon in
Frankreich einmal gesagt worden. 1884 erschien ein Buch
„Handbuch des Demagogen“ von Raoul Frary, über-
setzt von Ostmann, worin das ganze Parteiwesen Frankreichs
geschildert und gesagt wird: Der moderne Demagog ist
Franz Mehring.
80 Franz Mehring.
der Höfling der Masse. Genau mit denselben Mitteln der
Schmeichelei, der Beschönigung, dem Zuwillensein, wie die
Höflinge den König für sich zu gewinnen suchen, um dann
durch ihn und über ihn zu herrschen, so sucht der Demagog
die Massen für sich zu gewinnen; und wir haben in Michels
jetzt das Zeugnis, wie weit es damit tatsächlich schon ge-
kommen ist. Je mehr die Massenorganisation wächst, desto
mehr, stellt Michels mit Bedauern fest, verliert sie an revo-
lutionärer Dynamis; man vermeide ängstlich, den Staat gar
zu sehr zu reizen, damit er die kostbare Parteiorganisation,
die so vielen Leuten Brot gebe, nicht etwa gar zerstöre.
Es ist ja auch von anderer Seite längst vorausgesagt
worden, daß, je größer eine solche Revolutionspartei wird,
sie ihrem Ziel einer wirklichen Revolution nicht näher kommt,
sondern sich innerlich von ihm entfernt.
Gestatten Sie mir hier wieder eine kleine persönliche
Reminiszenz einzuflechten. Ich hielt im Jahre 1912 die
Festrede in der Universitätsaula und hatte mir das Thema
gewählt: „Geist und Masse in der Geschichte“. (Abgedr. im
Febr.-Heft d. Preußischen Jahrbücher 1912), worin ich nach-
zuweisen versuchte, daß die Masse als solche nicht aktions-
fähig ist, sondern daß es erst die Organisation, d. h. der
Geist ist, der die Masse aktionsfähig macht, so daß die An-
tithese: Masse gegen Geist falsch ist; wo Masse in Bewe-
gung ist, muß Geist sein; sonst ist die Masse tot. Ich
ging aus von den Massenheeren in der Geschichte und
legte den so feinen wie gewaltigen Organismus dar, der
notwendig ist, um diese Massen zu bewegen. Darauf kam
eine Antwort in der Leipziger Volkszeitung, zweifellos aus
der Feder von Franz Mehring (es hatte unmittelbar vorher
die Reichstagswahl mit dem großen Sieg der Sozialdemo-
kraten und ihren 110 Mandaten stattgefunden). Diese
Mehring. 81
Rede von Delbrück, sagte etwa Mehring, den ich, beiläufig
bemerkt, für den bei weitem befähigtsten wissenschaftlichen
Kopf in der Sozialdemokratie halte, diese Rede ist gleich-
sam eine Antwort auf unseren Wahlsieg. Es ist zwar
nicht ausgesprochen, aber es ist so gemeint. Indem ich
dargelegt hätte, wie kraftlos die Massen an sich seien,
meint Mehring, hätte ich zu verstehen geben wollen, daß
wir uns nicht vor ihnen zu fürchten brauchten. Denn mit
der Organisation könne man sich einmal auseinandersetzen;
mit den Führern ließe sich auf diese oder jene Weise irgend-
ein Abkommen treffen. Ich habe diese Schlüsse nicht ge-
zogen, kannte auch damals das Buch von Michels noch
nicht, aber in der Tat, Mehring hatte nicht schlecht in meiner
Seele gelesen. Ich war begierig, wie der Artikel enden
würde, wie er den von ihm selbst gezogenen, sozusagen in
mich hineinprojizierten Schluß wieder aufheben, wie er
ihm entgehen würde. Mehring hofft, daß infolge der
außerordentlichen Steigerung der Produktivität der Arbeit
im Zukunftsstaat eine Gesellschaft ohne Ausbeutung ent-
stehen werde. Wo aber die Ausbeutung fehle, fehle auch
die Herrschaft einer ausbeutenden Klasse; da fehle also
auch das Monopol der geistigen Bildung, und diese würde
zum Allgemeingut werden. Wenn aber erst die Masse
dieselbe Bildung habe, wie die Führer, dann bedürfen sie
auch keiner Führer mehr, sondern führen selbst. Mit dieser
Masse gäbe es dann auch kein Paktieren und keine Kom-
promisse, sondern bloße Übergabe.
Seien wir Mehring zunächst dankbar für den Blick, den er
uns in den sonst so ängstlich hinter dem Schleier des Geheim-
nisses verwahrten Zukunftsstaat hat tun lassen. Daß der
Reichtum der Menschheit dann ins Unermeßliche steigen werde,
ist schon früher zuweilen versichert worden. Während man
82 Der Zukunftsstaat.
sonst annimmt, daß gerade der Kapitalismus mit seinem
Lohn für Fleiß und Intelligenz die Vervollkommnung der
Technik und die ungeheure Steigerung der Produktion
hervorgerufen habe, soll in Zukunft ohne solchen Lohn für
den Einzelnen und bei viel geringerer Arbeit der Masse die
Produktion noch viel mehr steigen. Unterdrücken wir unsere
Zweifel und hören, was der Reichtum für Bildungsfolgen haben
wird. Alle Menschen werden der gleichen, höchsten Bildung
teilhaftig werden. Alle Volksschulen also werden in Gymnasien
verwandelt und dann strömen die Massen, Männlein wie
Fräulein in die Universitäten. Was würden die Auditorien
da voll werden! Wo aber ist gesagt, daß die Menschen,
wenn sie erst gebildet genug sind, keiner Organisation und
keiner Führer mehr bedürfen? Sollte Mehring wirklich
den Genossen haben sagen wollen, daß sie ihrer heutigen
Führer nur bedürften, weil sie selber noch zu dumm seien?
Ein erfahrener Mann dürfte sagen, daß ganz umgekehrt
die Gebildeten erst recht der Organisation und der Führer
bedürfen, um einen einheitlichen Willen herzustellen, weil
jeder einzelne sich zur Selbständigkeit berufen wähnt. Die
Gebildeten des Zukunftstaats mögen vielleicht anders sein —
aber für unsere Frage handelt es sich ja gar nicht um den Zu-
kunftsstaat, sondern um die Gegenwart, um die Frage, ob
in den nächsten zehn, zwanzig, dreißig Jahren die Führer der
Sozialdemokratie für Kompromisse zu haben sein werden
oder nicht. Für diese Übergangszeit, wie wir sie Mehring
zu Gefallen einmal nennen wollen, ehe wir die gymnasiale
und akademische Massenbildung durchgeführt haben, bedarf
es ja auch nach ihm der Organisation und also auch der
Führer, und ob diese Führer ihre Macht benutzen werden,
die Revolution zu machen und einen allgemeinen Umsturz
herbeizuführen auf die Gefahr hin, nicht den bestehenden
Methode der Gesetzgebung in England. 83
Staat und die bestehende Gesellschaft, sondern sich selbst
zugrunde zu richten, oder ob sie vorziehen werden von Fall
zu Fall Kompromisse zu schließen, das ist die Frage, deren
zweite Eventualität Mehring als verkehrt und ausgeschlossen
nachweisen wollte. Hat er das getan? Wir dürfen das ge-
trost verneinen und halten dafür das Zugeständnis fest,
das auch dieser Vertreter der radikalsten Sozialdemokratie
wenigstens mittelbar nicht hat vermeiden können, daß das
Volk im politischen Sinne, wie es jetzt ist, immer nur aktiv
werden kann in Organisationen, und wir fügen hinzu, daß
sogar die sozialdemokratische Partei, die demokratischste,
die es gibt, sich eine Organisation gegeben hat, die ihre
Anhängerschaft aus den Entscheidungen tatsächlich aus-
schaltet und das Regiment ganz und gar in die Hände
einer sich selbst ergänzenden Führerschaft legt.
Nachdem wir nunmehr das Wesen der repräsentativen
Regierungen auch nach der positiven Seite aufgehellt haben,
können wir uns der Frage zuwenden, ob bei dem englischen Wo ist der Ein-
System des Parlamentarismus oder bei dem deutschen fluß des Volkes
System des Konstitutionalismus das Volk einen größeren auf die Regierung am
Einfluß auf die Gesetzgebung hat. Wir wollen uns das gößten?
gleich mit einer ganz konkreten Erscheinung beantworten.
Im Burenkrieg beantragte am 5. März 1900 die Regierung
in London, die Kosten des Krieges aufzubringen durch eine
Erhöhung der Einkommensteuer auf 5%, einen sehr hohen
Satz, durch neue Stempelsteuern, Biersteuer, durch eine
Spiritussteuer, durch eine Tabaksteuer, durch einen Teezoll.
Namentlich der letztere belastet die große Masse in England
sehr stark. Am 5. März wurde das Gesetz im Unterhaus
eingebracht, am 7., ohne ein Wort daran zu ändern, an-
genommen und am nächsten Tage in Kraft gesetzt. Ebenso
im April 1901 für die weiteren Kriegskosten nochmals Er-
84 Methode der Gesetzgebung
höhung der Einkommensteuer um fast 1% und ein Zucker-
zoll. (Zucker wird in England sehr viel konsumiert). Dazu
kam, nach einer eigentümlichen neuen Idee, ein Kohlenaus-
fuhrzoll, über den sich nicht nur von finanzieller, sondern
auch vom wirtschaftlichen Standpunkt aus sehr viel sagen
läßt. Am 18. April wurde das Gesetz eingebracht, ange-
nommen, eingeführt, ohne daß das Unterhaus gegen diese
kolossalen wirtschaftlichen Lasten und die Art der Verteilung
wie die Organisation irgendwelche Einsprüche erhoben
hätte.
Soeben haben wir das Gegenstück bei uns erlebt.
Alle Welt ist erstaunt, daß der Reichstag binnen wenigen
Wochen eine ganz außerordentlich große Steuervorlage
direkter wie indirekter Steuern bis zur Gesetzesreife ge-
bracht hat, und zwar hat er nicht die von der Regierung
eingebrachten Vorlagen einfach angenommen, sondern sie
durch und durch umgearbeitet. Jeder Paragraph ist in
der Kommission durch zwei oder drei Lesungen durchge-
hechelt worden, oft sind die gefaßten Beschlüsse wieder ver-
worfen, wieder neue Verhandlungen geführt worden; noch
zwischen der zweiten und dritten Lesung ist Wesentliches ge-
ändert worden. 1900 sind sogar vom Reichstag ganz neue
Prinzipien aufgestellt, ganz andere Steuern, als von der
Regierung beantragt, erdacht und beschlossen worden. Ganz
so war es bei vielen anderen Gesetzen, besonders bei der
Sozialgesetzgebung. Jede einzelne Bestimmung dieses Kom-
pleres von Gesetzen ist mit der gesamten Volksvertretung
bis ins einzelne durchgearbeitet worden. Und das ist nicht
etwa ein Ausnahmefall, sondern wird bei uns als das
Natürliche und Notwendige angesehen. Auch die Oppositions-
parteien geben sich doch alle Mühe, Gesetze, die sie im ganzen
verwerfen, wenigstens im einzelnen so verständig wie mög-
in Deutschland. 85
lich zu gestalten, und oft werden ihre Verbesserungs-
anträge angenommen. Selbst im Plenum werden die
Gesetze so eingehend beraten, daß sich ein großer Teil auch
der politisch interessierten Staatsbürger in Deutschland ab-
gewöhnt hat, die Reichstagsverhandlungen zu lesen, wenigstens
sehr genau zu lesen, weil die Details den einzelnen nicht
interessieren.
Wer hat diese Gesetze beschlossen Immer anders kom- Regierung und
binierte Majoritäten. Vor 1½ Jahren wurden drei große Parteien in Deutschland
Gesetze ziemlich gleichzeitig zum Abschied gebracht, eins im
preußischen Landtag, zwei im Reichstag. Im Landtag
wurde das Feuerbestattungsgesetz angenommen mit Hilfe
eines Teils der Konservativen, der Freikonservativen, der
Nationalliberalen, der Freisinnigen und der Sozialdemokraten.
Die Majorität war so gering, daß die sechs Sozialdemokraten
den Ausschlag gaben gegen das Gros der Konservativen,
das Zentrum und die Polen. Gleichzeitig wurde die neue
Verfassung für die Reichslande Elsaß-Lothringen im Reichs-
tag beschlossen gegen einen Teil der Konservativen, einen
Teil der Freikonservativen, die Antisemiten und Polen, mit
Hilfe eines anderen Teils der Freikonservativen, des Zentrums,
der Nationalliberalen, der Freisinnigen und wieder der Sozial-
demokraten. Derselbe Reichstag schuf gleichzeitig das Riesen-
werk der Reichsversicherungsordnung. Das Gesetz wurde
angenommen in einem Zusammengehen der Konservativen,
der Freikonservativen, des Zentrums, der Nationalliberalen
und eines kleinen Teils der Freisinnigen gegen das Gros
der Freisinnigen und die Sozialdemokraten. Sie sehen
also, daß die Majorität nicht nur ganz verschieden zusammen-
gesetzt war, sondern daß gleichzeitig verschiedene Majoritäten
in Bewegung gesetzt wurden. Man kann also bei uns von
Freunden und Gegnern der Regierung schlechthin gar nicht
86 Einfluß des Volkes in England.
sprechen, was in England immer der entscheidende Punkt
ist. Bei uns stimmen alle Parteien zeitweilig für, zeit-
weilig gegen die Regierung. Gestern haben wir das bei-
nahe ungeheuerliche Bild gehabt, daß eine große Steuer
angenommen wurde mit allen Stimmen, die Sozialdemo-
kraten eingeschlossen, gegen die Konservativen und die Polen.
Kommen wir nun auf die Frage: Wo hat die Volks-
vertretung eine stärkere Einwirkung auf die Gesetzgebung,
in London oder in Berlin? Man müßte sagen, in London,
solange man daran festhält, daß die Regierung dort nichts
ist als der Ausdruck des Volkswillens. Der Dualismus
existiert ja nicht, sondern die Führer der Majorität bringen
die Gesetze ein und ihre Gefolgschaft nimmt sie an, solange
sie sich gegen ihre Führer nicht auflehnt. Es wäre also
alles in Ordnung, wenn es wahr wäre, daß das Unterhaus
den Volkswillen repräsentiert. Wir wissen ja aber, daß
das nur mit großer Modifikation gilt. Es repräsentiert
nicht das Volk, es repräsentiert nicht einmal die Wähler-
schaft, es repräsentiert auch häufig nicht einmal die Majo-
rität der Wählerschaft, sondern, wie wir wissen, handelt es
sich in Wirklichkeit um ein Gremium von Politikern, das
sich in freier Weise selbst ergänzt und nur in dauernder
Fühlung mit einem größeren oder kleineren Teile des
Volkes ist. Wenn die herrschende Partei dauernd an der
Regierung bliebe, würde die Minorität, vielleicht sogar die
Majorität der Wähler dauernd ausgeschlossen sein. Aber
indem die Regierung wechselt, die Parteien — bald diese,
bald jene — das Ruder in die Hand nehmen, so kann
man doch wohl sagen, daß das gesamte Volk, wenn es
auch nicht gleichzeitig, wie bei uns, mitwirkt, doch eben in
der Abwechslung stark auf die Regierung einwirkt. Ob
stärker, das ist die Frage, weil man es nicht abmessen
Einfluß des Volkes in Deutschland. 87
kann, wie weit wirklich der Wille der Millionen einzelner
Wähler bei den Wahlen den Ausschlag gibt. Die radikalen
Kritiker sind ja, wie ich vorgetragen habe, so weit gegangen,
zu behaupten, daß das Volk überhaupt ausgeschaltet sei;
in Wirklichkeit sei das Wählen die Mache von Demagogen,
die dem Volk einen blauen Dunst vormachten. Das ist
offenbar zu viel behauptet. Denn immerhin müssen diese
Demagogen so geschickt sein, daß sie die Massen bei den
Wahlen hinter sich herziehen, und immer muß darauf
Rücksicht genommen werden, daß, wenn man die Massen
gegen sich erregte, sie zu der konkurrierenden Partei über-
gehen würden. Darum besteht, um es zu wiederholen, in
England die stärkste Einwirkung, die das Volk ausübt,
nicht sowohl in der Abgabe der Wahlzettel als in der
Besorgnis der regierenden Männer, die aus Ehrgeiz, des
Vorteils wegen und auch aus Überzeugung die Regierung
zu behalten wünschen und nach ihren Ideen den Staat
lenken wollen. Wenn sie eine starke Stimmung gegen sich
erregen, werden viele Wähler aus ihrer Partei übergehen
in die andere, und somit würde die Regierung in andere
Hände kommen. Es handelt sich, wie wir gesehen haben,
umgar nicht viele, die bei einem solchen Wechsel den Aus-
schlag geben. Ich gebe also auf die Frage, wo das Volk
einen stärkeren Einfluß auf die Gesetzgebung hat, in Eng-
land oder bei uns, keine positive Antwort. Es hat ihn offen-
bar in England; es hat ihn offenbar auch bei uns. Wenn
im allgemeinen die Meinung herrscht, daß England ein
mehr populares Regiment habe als Deutschland, so ist darin
etwas Wahres, aber nicht eigentlich in bezug auf die Ge-
setzgebung. Diese Meinung ist in der Hauptsache darauf
zurückzuführen, daß der ganze Staatsorganismus in Eng-
land viel lockerer ist als bei uns. Wir haben den ungeheuer
Geschichtliche
Analogien.
Die Verfassung
des alten Athen.
88 Staffheit und Lockerheit des Staats- Organismus.
straffen Aufbau unseres ganzen Staatswesens, von der all-
gemeinen Wehrpflicht und allgemeinen Schulpflicht an,
während drüben alles viel lässiger, breiter ist. Nicht bloß
in England, auch in anderen Staaten kommt derselbe Unter-
schied in Betracht. Dieses Verhältnis wird es hauptsächlich
sein, was die Vorstellung erweckt, daß das Regiment über-
haupt dort populärer sei. Wenn wir uns aber in die
Wirksamkeit der Arbeitsmaschine der Gesetzgebung versetzen,
dann sehen wir, wie außerordentlich bedeutend, weil auf
die Einzelheiten wirkend, gerade bei uns die gewählten
Volksvertreter tatsächlich sind.
Die Frage, die ich hier aufgestellt habe, lautet wohl-
gemerkt nicht: „Wo ist ein besseres Regierungssystem?,
sondern sie lautet: „Wo hat das Volk eine stärkere Ein-
wirkung auf die Regierung?“ Die Fragen sind nicht iden-
tisch, was natürlich nicht ausschließt, daß ich später auch
noch zu entwickeln suche, welche Vorzüge das eine System
und welche das andere hat.
Ehe wir aber dazu schreiten, lade ich Sie ein zu einem
Spaziergang durch die Weltgeschichte. Ich werde Ihnen
eine Reihe von Abschnitten vorführen, in denen die jetzt
gewonnenen Begriffe vom Wesen der Repräsentation, der
Wahl, der Majorität im Verhältnis zur Regierung, in
früheren Epochen schon bemerkbar wurden. Wir wollen
unsere Kenntnisse zu erweitern und zu vertiefen suchen, weil
das uns helfen wird, zuletzt ein Schluß- und Endurteil
zu fällen. Ich will gleich hinübergehen bis in die aller-
älteste Zeit, bis in das klassische Athen.
Das klassische Athen erhielt seine Verfassung, wie Sie
sich erinnern wollen, nach der Vertreibung des Tyrannen
Hippias, nur 20 Jahre vor der Schlacht bei Marathon.
Nach einigem Schwanken wurde eine rein demokratische
Athen. 89
Verfassung eingeführt durch den Alkmäoniden Kleisthenes,
also durch den Sohn eines der vornehmsten aristokratischen
Geschlechter Athens, der sich an die Spitze der Demokratie
gestellt hatte. Wie sieht nun diese Demokratie aus? Die
entscheidende Behörde ist die allgemeine Volksversammlung.
Die allgemeine Volksversammlung ist aber bis auf einen
gewissen Grad eine Fiktion. Die athenische Bürgerschaft
wird damals etwa 25 000 Mãnner stark gewesen sein. So viel
können auf einem Fleck überhaupt nicht zusammenkommen
und von einer Stelle nicht gleichmäßig angesprochen werden.
Schon zu 10000 Menschen gleichzeitig zu sprechen, erfordert
eine ganz gewaltige Stimme, und es läßt sich kaum eine
längere Rede zu einer so großen Menge halten. Schon zu
4—5000 in einer längeren Auseinandersetzung zu sprechen,
ist sehr schwer, und daß die Menge mehrere Stunden einer
Diskussion folgt, ist nahezu ausgeschlossen. Sie wird schon
zu unruhig, um zu verstehen. Eine Volksversammlung
von 3000 Personen ist schon sehr groß. Wenn also einfach
die Souveränität auf die Volksversammlung in Athen über-
tragen wurde, so war da von vornherein die Voraussetzung,
daß immer nur ein kleiner Teil, nicht entfernt auch nur
die Hälfte der Bürgerschaft, sich dazu einfand. Es war
auch geographisch unmöglich, daß sie sich alle versammelten.
Denn die Grenzorte von Attika sind 7—6 Meilen
von der Hauptstadt entfernt. Man wird nicht erwarten
können, daß der kleine Weinbauer oder Köhler einen oder
zwei Tage lang marschiert, und dort mal die Hand aufzu-
heben, für dies oder jenes zu stimmen um dann wieder nach
Hause zu pilgern. Eine Verfassung, die der Versammlung
in der Hauptstadt die Entscheidung gibt, legt sie also ganz
vorwiegend in die Hand der Staatsbürger, die in der
Hauptstadt wohnen. Um das auszugleichen und dem Gros
90 Athen.
der Bürger, die draußen im Lande wohnten, ihren Einfluß
zu sichern, schuf man neben der Volksversammlung den Rat
von 500 Mitgliedern, die Boulé. Um den Rat zusammen-
zusetzen, wird das Volk in zehn Phylen geteilt, jede Phyle
zu drei Dritteln, die nicht beieinander liegen, sondern so,
daß ein Drittel in der Stadt liegt, eins mehr am Meer
für die Seebevölkerung und eins mehr im Lande, also ganz
künstlich. Diese so künstlich aus drei auseinandergezogenen
Dritteln zusammengesetzte Phylen sind die Grundlage für
die Organisation der Regierung. Aus jeder Phyle kommen
50 Bürger zusammen, also in Summa 500, die die Re-
gierung bilden. Und nun würden wir einsetzen und sagen:
„Also gewählt von den Bürgern.“ Keineswegs. Hier fehlt
der Repräsentativ- und der Wahlgedanke, sondern es wurde
statt dessen eine Liste angelegt von denjenigen, die sich zur
Boulé meldeten, und aus diesen wurden die Mitglieder
ausgelost. Das ist die wahre, extrem demokratische Ver-
fassung. Ein Bürger ist so gut wie der andere. Wenn
sich zuviel melden, wird gelost, und von diesen erlosten
500 sind 50, eine Phyle, immer versammelt, um für alle
Fälle sofort Entscheidungen treffen zu können, und werden
auf Staatskosten gespeist. Es galt als eine besondere Ehren-
bezeugung, wenn Bürger das Recht erhielten, an dem Frei-
tisch der Abgeordneten im Prytaneum teilzunehmen. Heute
ist der Freitisch verloren gegangen; Robespierre aber pries
es in seinen Reden an die Franzosen noch gern als die
höchste Ehre, die einem Manne zuteil werden könne.
Die Voraussetzung dieses Regierungsmodus ist, daß in
der ganzen Bürgerschaft eine einheitliche Gesinnung herrscht,
nicht feste Parteien einander gegenüberstehen. Bei uns,
wo es auf Majorität und Minorität ankommt, könnte
dieses System überhaupt nicht funktionieren.
Athen. 91
Um nun zu verhindern, daß ganz Unwürdige in die
Ehrenstellen kämen, gab es einen eigenen Prozeß gegen
solche, die sich gemeldet hatten und aus irgendeinem Grunde
für unwürdig erachtet wurden. Wer nicht angefochten wurde,
kam zum Los und kam dann auch in die Boulé. Die Boulé
hat neben der Funktion, die eigentliche Verwaltung zu
führen, die Vorbereitungen und Vorberatungen für die
Beschlüsse der Volksversammlung zu treffen. Allmählich
sind auch alle die anderen Amter losbar geworden. Nur
bei einem ging allerdings das Losen nicht — nämlich
bei den Generalen. Einen General durch das Los zu be-
stimmen, ist doch für jeden einzelnen Bürger, der sich seiner
Führung anvertrauen soll, äußerst bedenklich; da also, wo
das unmittelbare Interesse des athenischen Bürgers in
Frage kommt, wo er, der den Speer in die Hand nehmen
soll, es auszubaden hat, wenn die Sache schief gehen
sollte, überläßt man das Amt nicht dem Lose, sondern über-
weist jeder Phyle die Wahl eines Strategen.
Da haben wir eine Spur von dem, was uns der natür-
liche Repräsentationsgedanke sein würde, aber nur eine sehr
schwache. Nach allem, was wir gehört haben, erkennen wir
deutlich, warum für die Boulé und für die Regierung über-
haupt ein Wahlsystem nicht eingeführt wurde. Wahlen hätten
eben keineswegs die Tüchtigsten, sondern die lautesten Schreier
und die Demagogen in den Rat gebracht. Da ist man also
in der Voraussetzung der absolut gleichen Gesinnung in der
Bevölkerung auf jenes Losungssystem gekommen. Ideal
gewirkt hat es freilich nicht. Schon Sokrates hat seinem
Spott darüber Ausdruck gegeben, daß man die Männer,
die berufen sein sollen, den Staat zu regieren, durch das
Los bestimme. Aber bei allem Respekt vor Sokrates (ich
halte durchaus daran fest, daß die Tradition über seine
Delbrück, Regierung und Volkswille. 7
92 Rom.
Größe berechtigt ist) ist er doch auch in den Fehler ver-
fallen, der uns allen so naheliegt: zu kritisieren, ohne etwas
besseres an die Stelle setzen zu können. Denn ob es in
Athen besser gewesen wäre, wenn die Regierung gewählt
worden wäre, muß zum wenigsten sehr bezweifelt werden.
Für uns ist es aber ein schönes Beispiel dafür, daß der
Repräsentativgedanke nicht so natürlich gegeben ist, wie es
uns und unserer Umwelt erscheint.
Gehen wir von Athen hinüber nach Rom. Da finden
wir ja nun von vornherein ganz andere Verhältnisse. Die
römische Geschichte wird dauernd bestimmt durch den tief-
gehenden Gegensatz von Patriziern und Plebejern, der dann
allmählich übergeht in den Gegensatz von Nobilität und
Masse. Die erste Frage ist also, woher diese tiefe ständische
Differenzierung gekommen ist. Mommsen ist der Meinung
gewesen, daß die Patrizier die Urgemeinde waren und die
Plebejer die Einzöglinge, die sich auf dem Grund und
Boden, der der Urgemeinde gehörte, angesiedelt hatten.
Mommsen gesteht aber auch zu, daß diese seine Auffassung
den Quellen nicht entspricht. Er glaubte aber, keine andere
Lösung finden zu können. Ich glaube nun doch, im Zu-
sammenhang mit meinen kriegsgeschichtlichen Studien eine
bessere Lösung geben zu können.
Die Patrizier sind nach meiner Meinung die alten
Häuptlingsfamilien, ungefähr so wie in der urgermanischen
Geschichte die Prinzipes, von denen uns Cäsar und Tacitus
berichtet haben. Diese Häuptlinge, vergleichbar etwa den
Helden von Troja, Hektor und Achill, haben ein ritterliches
Kriegertum hervorgebracht, während die große Masse von
den kriegerischen Eigenschaften allmählich mehr und mehr
verlor. Es reflektiert sehr schön in der Ilias, wie un-
kriegerisch die Masse der Bürger ist gegenüber den wenigen
Das römische Patriziat. 93
Helden. Das ist wohl eine Hyperbolie, aber doch nicht
bloß poetische Fiktion, um die Kraft und die Vorzüge der
Ritter mehr hervortreten zu lassen, sondern es ist wirklich
der Niederschlag der historischen Tatsache.
Diese kriegerischen Häuptlingsfamilien, die ursprünglich
natürlich in ihrem Stamm gesessen haben, haben sich durch
einen Vorgang, der uns vielfach aus dem Altertum unter dem
Namen Synoikismos berichtet wird, an eine Stelle, eben
nach Rom, zusammengezogen, und es hat sich nun ein
weiterer Kreis entwickelt durch das städtische Leben und
den damit verbundenen Kapitalismus. Es ist nicht richtig,
wie z. B. ein so hervorragender Gelehrter wie Eduard Meyer
meint, daß die niedere Schicht des Volkes, die Armen,
zuerst angefangen haben, sich mit Handel abzugeben. Um
Handel zu treiben, dazu muß man Kapital haben, muß
Waren haben, die man austauscht, muß Schiffe haben,
muß Mannschaften haben, die Schiffe zu besetzen, muß
Vorschüsse geben können. Wenn fremde Händler an die
Küste Griechenlands gekommen sind, haben sie nicht mit
den kleinen Leuten gehandelt, um ihnen Purpurzeug oder
Waffen oder Schmuck zu liefern, sondern haben ihre Waren
den Häuptlingen angeboten. Und diese wiederum, die zu
Hause nichts zu tun fanden, sind auf das Meer hinaus-
gefahren, Handel zu treiben oder auch Seeraub. Krieg,
Handel und Piraterie — dreieinig sind sie, nicht zu trennen.
Der alte Handel ist immer mit Seeraub verbunden, wie
ja auch in der Odyssee ganz harmlos gefragt wird: „Bist
du Kaufmann oder Seeräuber?“ Vom Kauf zum Seeraub
ist nur ein Schritt; vom Kauf zum Krieg ist es auch gar
nicht so weit, wie man denken sollte. Neben den Häupt-
lingsfamilien kamen noch andere empor, die durch Talent,
Kühnheit und Glück ebenfalls zu Wohlstand gelangt waren,
7*
94 Die römische Bauernschaft.
die sozialen Gewohnheiten jener annahmen und in ihren
Kreis eintraten. Die Anzahl blieb aber immer klein. Der
Wohlstand dieser Familien bestand aus Vorräten, Edel-
metall und namentlich auch Sklaven, die für sie arbeiteten,
und der Wohlstand, der in der Stadt geschaffen wurde,
ging nun weiter sehr bald aufs Land hinaus. Zu der Zeit,
wo die Stadt sich bildete, da löst sich auch der ursprünglich
vorauszusetzende Agrarkommunismus auf, von dem im
späteren römischen Staat noch einige Spuren zu finden
sind. Sobald durch Auflösung des Agrarkommunismus
der kleine Bauer geschaffen ist, zeigt sich die besondere
Schwierigkeit, ihn selbständig zu erhalten. Eine Feuers-
brunst, ein Viehsterben, ein Einfall des Feindes, eine Wassers-
not, ein Hagelschlag, eine Dürre, machen ihn sofort voll-
kommen mittellos; er steht vor dem Hungerstod. Bei
Agrarkommunismus hilft man sich untereinander; der kleine
Bauer aber mit Privateigentum an seinem Acker ist auf
sich angewiesen. So kommt im Laufe der Jahre
unzweifelhaft immer irgendein Moment, wo er mit
seiner Familie nicht bestehen kann, wo er verhungern muß,
wenn ihm nicht geholfen wird. Wir haben in unserer
Zeit einen außerordentlich künstlichen Aufbau geschaffen,
um ein selbständiges kleines Bauerntum zu erhalten: Feuer-
versicherung, Versicherung für die Schweine und anderes
Vieh, Hagelversicherung, Lebensversicherung; namentlich aber
Darlehns- und Hypothekenbanken, so daß der Bauer, wenn
er mal in Not ist, für wenige Zinsen einen Vorschuß be-
kommt, den er in einigen Jahren abarbeiten kann. Noch
vor 10—40 Jahren ist in solchen Fällen der Bauer das
Opfer von Wucherern geworden. Was sollte er machen?
Er war ganz und gar in den Händen des Kapitalisten,
von dem ihn erst die Gesetzgebung und Wirtschaftsordnung
Römischer Kapitalismus. 95
unserer Tage befreit hat. Versetzen Sie sich mit dieser
Anschauung von Agrarverhältnissen in das alte Rom, so
erkennen Sie, daß diese kleinen Bauern schließlich in Ab-
hängigkeit kommen mußten von den Familien in der Stadt,
die reich genug waren, Vorschüsse zu geben. Die römischen
Legenden zeigen uns den römischen Patrizier immer wieder
nicht bloß als einen vornehmen Mann, sondern als einen
Mann, dem der Plebejer etwas schuldig ist. Der Patrizier-
stand ist durch einen ganz unabweislichen Wirtschaftsprozeß
Herrscher über die Plebs geworden.
Rom liegt vier Meilen vom Ausfluß der Tiber an der Stelle,
wohin damals noch die Seeschiffe gerade gelangen konnten.
Alle großen Handelsstädte liegen ja nicht unmittelbar am Meer,
nicht Hamburg, nicht Bremen, nicht Stettin, nicht London,
sondern immer so weit im Lande, daß die Schiffe von der
See noch hinkommen können. Rom ist der große Umschlags-
platz, das natürliche Emporium für ganz Mittelitalien.
Auf der Tiber konnten in kleinen Nachen die Sabiner bis
nach Rom kommen, um dort einzutauschen, was sie
brauchten. Rom ist — das hat Mommsen von Anfang
an mit Scharfblick erkannt, obgleich die Tradition dagegen
spricht und immer von Rom als reiner Landmacht spricht
— Rom ist in Wahrheit von Anfang an eine Handelsstadt
gewesen; Handel ist immer mit Kapital verbunden, und
mit diesem Kapital machten sich die kapitalistischen Familien
zu Herren der Bauernschaft. Warum ließ sich die Bauern-
schaft das gefallen? Warum griff sie nicht zum Schwert,
um ihre Freiheit zu verteidigen? Diese Wucherer waren
doch ihre Stammesgenossen? Die Antwort haben wir
bereits gegeben: weil die Wucherer gleichzeitig die Häupt-
linge, die Vorkämpfer, die ritterliche Kriegerschaft waren.
Es ist nicht eine rein kapitalistische Herrschaft, aber auch
96 Römische Verfassung.
nicht eine rein feudale, sondern es ist beides zusammen.
Die Patrizier sind ursprünglich nichts absolut Geschlossenes;
wir finden jüngere und ältere Geschlechter. Später galt
es für eine Unmöglichkeit, daß ein Plebejer Patrizier werden
könne. Die deutsche Geschichte kennt denselben Vorgang.
Im alten Reich war es möglich, durch Standeserhöhung
in den fürstlichen Hochadel einzutreten. Heute ist das nicht
mehr möglich. Der Kaiser hat nicht die Befugnis, das
Recht der Ebenbürtigkeit zu verleihen; der Kreis der eben-
bürtigen Familien hat sich geschlossen. Auch in Rom wurden
die Zwischenheiraten zwischen Plebejern und Patriziern ver-
boten. Die Patrizier bildeten einen Stand höherer Art,
der von den Göttern abstammte, allein die wahren Kult-
handlungen vollziehen konnte, die richtigen Augurien beob-
achten, und natürlich dadurch auch von Gottes Gnaden
berufen war, die Masse zu regieren. Militärische, wirt-
schaftliche, schließlich auch religiöse Momente wirken zu-
sammen, daß aus der ursprünglich gleichen Rasse, dem
gleichen Stamme, sich eine solche Oberschicht als regierende
herausgebildet hat, und ich zweifle nicht, daß das Eupatriden-
tum in Athen ganz dasselbe gewesen ist, wie das Patrizier-
tum in Rom. Warum ist es in Athen zugrunde ge-
gangen? Wir haben da die extreme Demokratie gefunden.
Warum hat die Aristokratie sich in Rom allezeit gehalten?
Ich habe darüber eine Vermutung, die aber viel Wahr-
scheinlichkeit für sich hat. Rom ist noch viel kriegerischer,
als irgend ein griechischer Kanton, vielleicht ausgenommen
Sparta. Sparta aber ist keine Handelsstadt, hat keine
wirtschaftlichen Kräfte. Rom war eine Stadt mit einer
Bauernschaft latinischen Blutes, die in der unmittelbaren
Nachbarschaft einer fremden Rasse, der Etrusker saß und
unausgesetzte Kriege auch mit den anderen stammverwandten
Wesen des Rittertums. 97
Kantonen zu führen hatte. Erinnern Sie sich nun, daß
in der Ilias das Reitpferd noch nicht als Kriegswaffe be-
nutzt wird. Im 10. Buch kommt es einmal vor, daß es
zum Reiten benutzt wird; sonst wird es nur vor den Wagen
gespannt. Der Kampf zu Pferde verstärkt nun ganz un-
gemein die Möglichkeit der Bildung eines Heroentums, einer
Ritterschaft. Es ist uns zunächst etwas fremdartig, wenn
wir Hektor und Achill als Ritter betrachten sollen. Der
Ritter ist aber nicht bloß der Reiter, sondern der Krieger,
der kraft seiner persönlichen Eigenschaften, Kraft, Schnellig-
keit, Ehrgefühl als Einzelkrieger weit über die Massen heraus-
ragt. Setzt er sich noch zu Pferde, wird der Wert aller
dieser Eigenschaften vervielfältigt. Es sind also die Patrizier
eine Ritterschaft und Kaufmannschaft zugleich. Das ist
verwischt dadurch, daß später, als die Patrizier sich ganz
als Stand abgeschlossen hatten, sich bloß als Herrscher
fühlten, sich vom Handel und Gewerbe zurückzogen, sich
unter ihnen wieder eine neue Kaufmannschaft bildete, die
von den alten Geschlechtern nicht als gleichwertig und nicht
als gleichberechtigt anerkannt wurde. Den Beweie für die
ganze Hypothese zu führen, ist hier nicht unsere Aufgabe;
man muß dazu meine „Geschichte der Kriegskunst“ studieren,
nicht bloß den ersten Band, der vom Altertum handelt,
sondern namentlich auch den dritten, der die Ursachen der
Überlegenheit der mittelalterlichen Ritterschaft über das Volk
aufzeigt. Welches aber auch immer der Werdegang gewesen
sei, jedenfalls haben wir in der kleinen Kommune Rom
eine Herrschaftskaste, die militärisch, religiös und wirt-
schaftlich die Masse beherrscht. Der Kanton Rom, wie wir
ihn in der ältesten Zeit kennen, ist ungefähr so groß, wie
unsere Insel Rügen. Die Stadt mag etwa 12000, der
ganze Kanton 60000 Seelen gezählt haben. Es waren
98 Ursprung der Legionen.
also kleine Verhältnisse und darin eine kleine Anzahl von
vorherrschenden Familien, nach der Überlieferung 134.
Diese Aristokratie übt ihre Herrschaft aus, indem sie
einen von sich mit der absoluten Macht auf Lebenszeit be-
kleidet, den König, der beraten wird von den Häuptern
der vornehmen Familien, die vereinigt sind im Senat.
Der König hat, abgesehen von diesem Rat der Senatoren,
unbeschränkte Macht, auch Macht über Leben und Tod, und
er hat diese Macht benutzt, dem Volke eine neue Kriegsver-
fassung zu geben. Im Grunde beruht, wie wir gesehen
haben, das Patriziat auf ritterlichem Kriegswesen; es ist
eine kleine Schar von Elitekriegern. Neben dieser römischen
Ritterschaft finden wir in der Überlieferung die Legionen,
d. h. ein Aufgebot des Fußvolks in der Form der
Phalanx, wie wir sie auch in Griechenland kennen; eine
Infanterie mit blanken Waffen, die in festen Reihen und
Gliedern geordnet, zu einem taktischen Körper zusammen-
geschlossen ist. Wie eine solche geschlossene Infanterie gegen
Ritterschaft kämpft und sie überwindet, das können wir
erkennen im hellen Lichte der Geschichte an der Art, wie
sich aus demjenigen Teil des deutschen Schwabenstammes,
der im Hochgebirge wohnt, die schweizerischen Gevierthaufen
bildeten und erst Österreichs, dann Burgunds Ritterschaft
aufrieben. Von dieser Beobachtung bin ich einst ausge-
gangen bei meinen Studien in der Kriegsgeschichte. Meine
erstere größere Arbeit auf diesem Gebiet hat den Titel:
„Die Perserkriege und die Burgunderkriege, zwei kombinierte
kriegsgeschichtliche Untersuchungen“, wo ich die Beobachtung,
daß sich in diesen beiden Kriegen die gleichen Waffen-
gattungen gegenüberstanden, quellenkritisch verwertete
und ausarbeitete. Das Heer der Perser bestand aus Bogen-
schützen und Reitern, die Burgunder sind ebenfalls Ritter
Ritter und Fußvoll. 99
und Bogenschützen oder Armbrustschützen, neben einigen
Feuergewehren. Drüben die Griechen bestanden aus der
Phalanx, d. h. dem taktischen Körper schwer bewaffneten
Fußvolks mit dem Spieß, die Schweizer bestanden auch aus
Fußvolk mit Spieß oder Hellebarde. Es ist also genau die-
selbe Gegenüberstellung, und so ließen sich aus dem Gang der
Schweizer- und Burgunderschlachten Rückschlüsse gewinnen
über das Zusammenstoßen einst der Perser und der Griechen
bei Marathon und Platää; und davon auch auf die Römer,
die in der ältesten Zeit zweifellos dieselbe kriegerische Phalaux
gehabt haben. Die Legionar- Phalanx war notwendig ge-
worden aus demselben Grunde, der zuerst die außerordentlich
starke Ritterschaft geschaffen hatte, nämlich weil die Römer
einen unversöhnlichen Feind, einen Rassenfeind, die Etrusker,
in ihrer unmittelbaren Nähe hatten. Sie sind ja auch zeit-
weilig unter der Herrschaft der Etrusker gewesen, haben sie
aber wieder abgeschüttelt. In diesem Kampfe genügte die
Ritterschaft nicht, sondern sie mußte sich ergänzen durch ein
geordnetes Fußvolk. Fußvolk war freilich wohl auch früher
dabei, aber in der Weise, wie die Trojaner und Achäer
Hector und Achill unterstützten, oder die begleitenden Knappen
im Mittelalter die Ritter. Über das Verhältnis von Fuß-
volk und Reiterei haben wir zwei Aussprüche von Aristoteles
und Friedrich dem Großen, die fast wörtlich übereinstimmen,
obgleich Friedrich den Ausspruch von Aristoteles sicher nicht
gekannt hat. Sie sagen beide*): „Fußvolk taugt erst etwas,
wenn es fest zusammengeschlossen ist; ist es aufgelöst, so
genügt eine schwache Abteilung Kavallerie, es zu vernichten.“
Die römischen Könige haben also mit ihrer großen politischen
Autorität die des Kriegertums halb entwöhnte latinische
Bauernschaft zu einem festen, geschlossenen disziplinierten
*) Geschichte der Kriegskunst II, 424.
100 Abschaffung des Königtums in Rom.
Haufen zusammenzufassen und damit eine brauchbare Krieger-
schaft zu Fuß zu schaffen verstanden. Mit dieser Schaffung der
Legionar- Phalanx kommt nun ein Gegensatz in die Ver-
fassung des römischen Staats. Das römische Volk ist bis
dahin völlig einflußlos gewesen. Es lebte in der Furcht
des Herrn. Die Überordnung der gottbegnadeten Familien
des Patriziats und die strenge Gewalt des Königs, der
immer mit den Liktoren mit Beil und Ruten hinter sich
einherging und jedem Befehl unbedingten Gehorsam ver-
schaffte, hatte das Volk mit dem Geist des Gehorsams bis
in das letzte Nervenbündelchen erfüllt. Nun aber ist diese
Bauer- und Kleinbürgerschaft wieder zu kriegerischer Tüchtig-
beit heraufgebildet worden. Wird diese Kriegerschaft sich
weiter dauernd so unter das gottbegnadete Regiment des
Patriziats und seiner Führer unterordnen? Diese Spannung
ist aber nicht die einzige, die den Staat bewegt. Indem
die Patrizierschaft einen von sich mit jener furchtbaren
Autorität bekleidete, um die Massen in Ordnung zu halten
und zu bändigen, hat sie damit dem König ja auch über
sich selbst Gewalt gegeben, und namentlich, die Überlieferung
zeigt davon gewisse Spuren, liegt in dem Königtum eine
natürliche Tendenz, sich erblich zu machen. Diese Neigung
der einmal existierenden Gewalt, sich erblich zu machen,
und überhaupt die Möglichkeit für den regierenden König,
das Mitregiment des Senats beiseite zu schieben, hat von
je zwischen dem König und seiner Genossenschaft einen
Gegensatz hervorgerufen, neben den nun die zweite Spannung
tritt, zwischen dem Patriziat und dem militärisch organisierten
Plebejertum. Das hat dann unter Umständen, die uns
nur rein legendär berichtet sind, endlich zur Abschaffung
des Königtums geführt; d. h. statt des einen lebens-
länglichen Oberbeamten wurden von jetzt an zwei gewählt
Konsular- Verfassung. 101
und diese nur auf ein Jahr; sie wurden Konsuln (ursprüng-
lich Prätoren) genannt. Im übrigen aber bleibt die höchste
Gewalt, was sie ist, nur beschränkt dadurch, daß sie sich
zwischen zwei teilt, von denen jeder das Recht hat, dem
anderen eine Interzession anzusagen, d. h. eine Amts-
handlung zu verhindern, und mit der Verpflichtung, am
Schluß des Jahres das Amt zugunsten eines Nachfolgers
niederzulegen. Diese beiden Konsuln sollten gewählt werden
durch das Heer, d. h. also, durch das militärisch organisierte
Volk, durch die Plebs.
Mit der Konsulatsverfassung kommt in die römische
Verfassung, die bisher rein aristokratisch- monarchisch ist, das
demokratische Element als unausweichliche Folge der kriege-
rischen Organisation des Volkes, die auf die Länge not-
wendig eine politische Geltendmachung hervorbringt. Wir
haben von nun an in der römischen Verfassung ein Doppel-
spiel: Das hohe Beamtentum, das Konsulat, das sich
nachher noch in weitere Amter differenziert, und die Volks-
versammlung, die diese Konsuln wählt, besser ausgedrückt:
designiert. Denn das römische Staatsrecht besagt nicht
etwa, daß der, den das Volk gewählt hat, nun Konsul ist,
wie bei uns ein Reichstagsabgeordneter gewählt ist an
dem Tage, wo der Wahlkommissar festgestellt hat: die
Mehrheit ist für ihn gewesen — sondern der Konsul tritt in
sein Amt erst dadurch, daß der Vorgänger ihm unter ge-
wissen heiligen Zeichen und Kulthandlungen seine Gewalt
übergibt. Wenn der vorige Konsul nicht niederlegte, so
könnte der neue nicht antreten, dann hätte er nicht den
heiligen Charakter und die wahre Autorität seines Amtes.
Wir haben also in Rom eine sich selbst fortpflanzende,
von den Göttern, nicht vom Volke, stammende, höchste
obrigkeitliche Gewalt in Wechselwirkung mit einer Demo-
102 Die Servianische Verfassung.
kratie, insofern, als die Männer, die die Gewalt gerade
ausüben sollen, von der Masse der Wähler bestimmt werden.
Die Fabel von Das Bild, das ich Ihnen hier vorgeführt habe, steht
in einem starken Widerspruch zu dem, was Sie wohl alle
in der Schule und noch später auf der Universität gelernt
haben, das ist die servianische Verfassung. Der König
soll hiernach nicht das Volk in seiner Masse zur Wahl be-
rufen, sondern es erst künstlich in fünf Klassen eingeteilt
haben nach dem Vermögen und dadurch nicht, wie ich es
Ihnen vorgeführt habe, ein Nebeneinander von Aristokratie
und Demokratie, sondern eine Herrschaft des Mittelstandes
eingeführt haben. Das wäre allerdings etwas durchaus
Anderes. Aber es verträgt sich nicht mit dem ganzen Gang
der römischen Geschichte, die nie etwas von einem solchen
Mittelstand zeigt. Nachdem mir schon lange der Verdacht
aufgegangen war, daß hier in der Überlieferung ein Fehler
stecken müsse, hat einer von meinen Schülern, Francis
Smith, daraufhin die römischen Quellen noch einmal genau
durchgeforscht, und was hat er festgestellt? Diese berühmte
servianische Verfassung ist eine Erfindung der Catonischen
Zeit, und zwar eine Tendenzerfindung. Der alte Cato, der
Censor, als er sah, daß das römische Staatswesen degenerierte,
hat den Versuch einer, wie wir es heute nennen, Mittel-
standspolitik gemacht, und um das dem Volke plausibler
und genehm zu machen, da entdeckte ein kluger Antiquar
eines Tages ein Blatt mit der servianischen Verfassung.
Nicht vermöge einer Neuerung, sondern unter Wieder-
herstellung der alten Sitte der Väter sollte das Volk nicht
mehr nach allgemeinem gleichen Stimmrecht abstimmen,
sondern in Klassen eingeteilt werden. Das geschah im
Jahre 179, wie es uns Livius berichtet, welche Stelle man
früher nicht zu verstehen vermochte. Den Vorfall, daß eine an-
Analogien zur Servianischen Verfassung. 103
geblich gefundene alte Urkunde benutzt wird, um eine irgendwie
reformierte oder sonstwie neugeschaffene Politik damit zu
begründen, haben wir im Altertum wenigstens drei- bis
viermal. Als bei den Juden die Frommen den Jahvedienst
durchführen und gegen alle bisherigen Anfechtungen sichern
wollten, da wurde unter König Josias, etwa im Jahre 600 v.Chr.,
ein Stück Gesetzbuch gefunden, das wir heute im fünften
Buch Moses haben. Und als wiederum die Juden zurück-
kamen aus der babylonischen Verbannung und nun das
Volk in den festen Formen der theokratischen Verfassung
zusammengehalten werden sollte, da fand man abermals
eine heilige Schrift, den Priester- Koder, der heute einen
großen Teil des Pentateuch ausmacht. Als die Aristo-
kraten in Athen einen Verfassungsumsturz machen wollten,
im Jahre 411, da fand man die Verfassung des Drakon.
Als in Sparta eine Reformgesetzgebung gemacht werden
sollte, fand man die Gesetzgebung des Lykurg.
Alle diese Gesetzgebungen sind also Fiktionen einer
späteren Zeit, die einer bestimmten Tendenz dienen sollten
und so geschickt gemacht waren, daß sie die Jahrhunderte
wirklich genasführt haben. Sobald aber einmal erkannt
ist, daß in Rom niemals ein Mittelstand als politische
Potenz hervortritt, sondern immer nur aristokratische
Magistratur auf der einen, Demokratie auf der anderen
Seite, kommt man bald zu dem Schluß, daß auch die
vielgerühmte Verfassung des Königs Seroius Tullius in
die Sammlung dieser frommen Täuschungen gehört.
Die römischen Staatsrechtslehrer haben den Grundsatz
aufgestellt, daß die Souveränität beim Volke sei, d. h.,
wie wir es jetzt besser ausdrücken, da uns der Begriff
„Volk“ zu mystisch ist, bei der Wählerschaft. Es ist vor-
gekommen, daß eine Volksversammlung sich über die
Der römische
Dualismus.
104 Aristokratie und Demokratie in Rom.
bestehenden Gesetze und staatsrechtlichen Bedenken hinweg-
gesetzt hat kraft der dem Volk zustehenden Souveränität.
Danach wäre Rom eine reine Demokratie gewesen. Un-
mittelbar daneben aber finden wir, daß die hohen Ämter,
die Magistratur, nicht vom Volk vergeben werden, sondern
sich selbst fortpflanzen, und daß das Volk nur die Träger
dazu designiert, und zwar das Volk in seiner militärischen
Organisation. Kompagnieweise, centurienweise treten die
Wähler an und geben offen ihre Stimme vor dem höchsten Vor-
gesetzten zu Protokoll. Wir haben also eine Demokratie unter be-
hördlicher Autorität, und wo die militärische Autorität nicht
genügte, da half die priesterliche nach. Man beobachtete bei
den Römern immer mit großer Aufmerksamkeit den Vogel-
flug, der den Alten Unglück oder Glück bedeutete, wie wir
schon aus der Ilias wissen, wo Hektor sich dagegen auf-
lehnt. Wenn ein Konsul vor der Volksversammlung steht
und merkt, daß die Volksversammlung nicht so arbeitet,
wie er es wünscht, so kann es geschehen, daß er plötzlich
am Himmel unheilverkündende Vögel erblickt. Sie waren
zwar schon weg; aber er hatte sie gesehen und mußte zu
seinem Bedauern die Volksversammlung wieder nach Hause
schicken. Oder wenn es zur Schlacht gehen sollte und es
darauf ankam, daß der Soldat Vertrauen zum Siege habe,
so hatte man dafür heilige Vögel mit in einem Käfig.
Wenn die heiligen Hühner die Körner, die ihnen vorgeworfen
wurden, begierig aufpickten, dann war das ein gutes Zeichen,
und der Augenblick für die Schlacht günstig. Wenn sie
aber keinen Appetit hatten und das Korn nicht aufnahmen,
so war das ein deutliches Zeichen, daß keine günstige Ge-
legenheit zur Schlacht war. Ein Konsul Claudius soll
einmal bei einer Seeschlacht, als die Vögel nicht fressen
wollten (der Vogelwärter hatte vielleicht die Anweisung des
Die Volkstribunen. 105
Konsuls über die Fütterung mißverstanden) gerufen haben:
„Wenn sie nicht fressen wollen, so mögen sie saufen!“ und
warf sie über Bord. Er verlor aber auch die Schlacht.
Um so besser wußte nun das römische Volk, von welchem
Nutzen die Religion für den Staat sei, und wählte gern seine
Obmänner aus den Familien, die von den Göttern stammten
oder sich doch mit den Göttern in einen wunderbaren Rapport
zu setzen verstanden und von ihnen die Zukunft erfuhren,
und gehorchte ihnen.
Imperium und Augurium, wie Cicero es ausdrückt,
oder wie wir heute sagen, die Blauschwarzen regierten das
römische Volk, und wenn es hierbei geblieben wäre, so
hätte, obgleich das Volk die Magistrate wählte, die Demo-
kratie in Rom wenig zu bedeuten gehabt. In langen
Kämpfen schuf sie sich deshalb neben der staatlichen Wahl-
und Abstimmungsorganisation, den Centuriat- Komitien, eine
eigene Organisation der Plebs in den Tribut- Komitien, mit
den Volkstribunen an der Spitze. Diese haben aber ur-
sprünglich keine obrigkeitlichen Befugnisse, sondern nur Be-
fugnisse etwa vergleichbar einer modernen Volksvertretung;
ihnen gegenüber steht die Magistratur, die die Staatshoheit
als solche repräsentiert. Das tun die Volkstribunen nicht.
Die Doppeltheit des römischen Staates prägt sich vortreff-
lich aus in der bekannten Formel, ich möchte sie die Staats-
formel nennen, „Senatus Populusque Romanus“. Was
ist der Senat? Der Senat ist in der ältesten Zeit die Ver-
einigung der Patrizier. Er wird jetzt zur Vereinigung aller
hohen Beamten. Alle, die einmal Konsul, Prätor, Aedil
gewesen sind, die bilden zusammen den Senat. Also wenn
wir einen Senat heute in unseren Verhältnissen in Preußen
bilden wollten, so wären es nicht die Mitglieder des Ab-
geordnetenhauses, nicht die des Herrenhauses, sondern ein
Die Volks-
tribunen.
106 Der Senat.
Senat im römischen Sinne würde entstehen, wenn wir die
sämtlichen Regierungspräsidenten, Oberpräsidenten, Gerichts-
präsidenten, General-Superintendenten, Bischöfe, Generale
in und außer Dienst (der römische Konsul vereinigt ja alles das
in sich; er hat auch priesterliche Funktionen) zu einem
großen Staatsrat vereinigen würden. Was würde eine
solche Versammlung für eine gewaltige Autorität ausüben,
wo alle politische Intelligenz vereinigt ist, und um so mehr
war sie das in Rom, als mit der Zeit die strengen Kreise des
Patriziertums sich auflösten, das Plebejertum das Recht ge-
wann, auch in die hohen Amter gewählt zu werden und damit
der Unterschied zwischen Patrizierium und Plebejertum sich
allmählich verwischte! Aber das Patriziertum hält sich so
lange, daß die neu aufkommende Oberschicht des Plebejer-
tums ebenfalls aristokratischen Charakter annimmt. Man
nennt diese neue Aristokratie Nobilität. Die Nobilität
bilden also diejenigen großen Familien, die die hohen Ämter
gewohnheitsmäßig innehaben. Sie haben sich zu diesem Zweck
längst von Handel und Wandel, Industrie und Vermögens-
gewinnung auf kapitalistischem Wege losgelöst und leben
nur dem Staat — aber auch vom Staat. Der Kern der
Nobilität ist der Senat. Man fragt schließlich gar nicht
mehr, ob ein Mann Patrizier oder Plebejer ist, wenn er
in ein hohes Amt kommt. Der Unterschied zwischen
Patrizier und Plebejer verschiebt sich so sehr, daß der
typische Vertreter der stolzen römischen Aristokratie in der
Tradition ein Plebejer ist, nämlich Cato. Die Porcier
sind ein plebejisches Geschlecht, das aber im Laufe der
Generationen ganz in den Kreis der regierenden Familien
eingetreten ist. „Senatus Populusque Romanus“ ist
deshalb die Staatsformel, etwa wie wir sie jetzt brauchen,
wenn es heißt: „Wir Wilhelm von Gottes Gnaden
Die Wahl-Maschinerie in Rom. 107
König von Preußen verordnen mit Zustimmung beider
Häuser des Landtags.“ Der Dualismus der römischen
Verfassung bringt es mit sich, daß die inneren Kämpfe
niemals aufhören. Immer wieder suchen die Volkstribunen
ihre Macht zu erweitern und bei den Wahlen auch ihre
Freunde ins Konsulat zu bringen. Die Nobilität wehrt
sich dagegen vermöge ihres Ansehens, ihres Reichtums und
ihrer Klientel meist mit Erfolg. Unter dieser Verfassung
ist Rom nicht nur groß geworden, sondern hat es die Welt
erobert. Die Verfassung funktionierte trotz der dauernden
inneren Spannung und der ewigen Streitigkeiten sogar
sehr gut, so lange der Kanton Rom klein war. Wie nun
aber Rom wächst, allmählich über ganz Italien hinaus,
wächst auch die römische Bürgerschaft, und zwar wächst sie
ganz besonders schnell, weil in diesem Punkt, vielleicht dem
einzigen, der römische Senat außerordentlich liberal ist,
nämlich in der Erteilung des Bürgerrechts. Die athenische
Demokratie war darin sehr kleinlich und wünschte nicht,
daß andere Griechen, die in Athen einwanderten, gleich
das athenische Bürgerrecht bekämen. Aber in Rom ent-
scheidet als höchste Verwaltungsbehörde der Senat, und
dem ist es gerade recht, daß er ganze Gemeinden und
ganze Stämme schließlich in das römische Bürgerrecht
aufnehmen kann. Denn je größer die Masse der Bürger
wird, desto leichter ist sie zu manipulieren, desto leichter
sind die Wahlabstimmungen zu machen. Wie können
denn überhaupt all die Bürger, vielleicht 270 000, auf
dem Marsfeld zusammenkommen und abstimmen? Das Abstimmungs-
ist der reine Spott, wo doch der größte Teil der Bürger- Modus in Rom.
schaft weit ab, bis ans Adriatische Meer, bis an den
Po, wohnt. Was ist überhaupt diese Abstimmung für
die Bürger, die mehr als einen Tagemarsch weit von Rom
Delbrück, Regierung und Volkswille. 8
108 Römische Wahlen.
wohnen? Diesem Hindernis kam man von Anfang an
dadurch entgegen, daß nicht nach Köpfen abgestimmt wurde,
sondern nach Tribus oder nach ihren Unterabteilungen, nach
Centurien*), d. h. also, nicht soviel tausend Nein gegen
soviel Ja, sondern soviel Tribus resp. Centurien für und
soviel gegen. Die Centurien oder Tribus der Stadt Rom
haben also nicht mehr zu bedeuten, als eine Tribus etwa
oben bei den Umbriern oder unten in Lukanien, von denen
nur ein kleiner Teil der Bürger zufällig in Rom ist und
seine Stimme abgibt.
Die letzte Tribus ist errichtet worden zwischen dem
ersten und zweiten punischen Kriege, das war die 35.
Später sind keine mehr errichtet worden, sondern neue
Bürger wurden den schon bestehenden Tribus zugeteilt.
Man erkennt, daß nunmehr die Abstimmung ganz und
gar davon abhängt, wie die Wahlorganisation Leute hinein-
bringt in die Tribus, die nicht in Rom ansässig sind. Wie
diese Wahlorganisation, der Kaukus, in Rom organisiert
gewesen ist, und wie er funktioniert hat, davon wissen wir
leider nichts. Er muß aber in ganz durchgreifender Weise
existiert haben. Denn die führenden Familien haben ein
großes Interesse daran, wer in das Konsulat kommen soll.
Dem Volk wird es ziemlich gleichgültig gewesen sein, wer
gewählt wurde, ob ein Fabius oder ein Claudius, ein
Cornelius oder ein Cäcilius; aber diesen Familien lag sehr
viel daran, ob sie die richtige Zahl der Centurien manipuliert
hatten. Denn der Gewählte hatte für das nächste Jahr
ein hohes und zugleich, wenn es Krieg gab, durch die Beute,
später besonders durch die Verwaltung der Provinzen im
*) Daß die Centurien nichts als Unterabteilungen der Tribus sind,
glaube ich in der zweiten 2 Auflage der „Geschichte der Kriegskunst“
nachgewiesen zu haben.
Römischer Bundesgenossenkrieg. 109
Prokonsulat, auch äußerst einträgliches Amt. Wir haben
freilich einen Brief des Quintus Cicero an seinen Bruder
Marcus, wie man das Konsulat in Rom erwerben müsse.
Aber gerade von den Geheimnissen der Wahlmache ist in
dem Brief ganz und gar nicht die Rede, sondern es wird
immer nur von der Ehre und dem Glück, Konsul des welt-
beherrschenden Rom zu sein, gesprochen. Gewiß war diese
Ehre sehr groß, aber die Demokratie wird in dieser Aus-
gestaltung eigentlich zum Spott ihrer selbst. Sie kann gar
nicht mehr demokratisch funktionieren, und wir sehen sofort,
warum. Es fehlt ein Gedanke, der ja uns in einer solchen
Lage auf der Zunge schweben würde: die Repräsentation.
Weshalb müssen die Bürger aus dem ganzen Reich jedes-
mal persönlich in Rom abstimmen? Warum wird nicht
durch Wahlen im ganzen Land eine Repräsentation des
römischen Volkes gegenüber dem Senat geschaffen? Diese Fehlen des
Frage wiederholt sich noch intensiver, wenn wir sehen, wie
die Teile Italiens, denen das römische Bürgerrecht vorent-
halten wird, endlich dagegen rebellieren. Allmählich waren
auch die Römer engherzig geworden, wollten Andere nicht
an ihren Vorteilen teilnehmen lassen und versagten auch
langbewährten Bundesgenossen das Bürgerrecht. In der
Empörung darüber wollten die Bundesgenossen die Herr-
schaft Roms abschütteln, und schufen einen eigenen Staat
mit der Hauptstadt Corfinium. Wir haben Münzen, die
dort geprägt sind, worauf das Wahrzeichen Italiens, ein Stier,
einen Wolf, das ist das Wahrzeichen Roms, mit seinen Hörnern
niederstößt. Wir wissen auch, wie diese neue Republik
ihre Verfassung gestalten wollte. Sie war ganz einfach
der römischen nachgeschrieben. Auch hier wurde verlangt,
daß der Bürger, der sein bürgerliches Recht ausüben wollte,
zur Abstimmung in die Hauptstadt pilgerte. Es ist lange schon
8
110 Zentralisation in der Stadt Rom.
die Frage aufgeworfen worden, warum wenigstens hier nicht ein
Repräsentatiosystem organisiert wurde; aber eine Antwort ist
darauf bisher kaum gegeben worden. Einen der wesentlichsten
Gründe haben wir im Eingang dieser Betrachtungen kennen
gelernt: daß nämlich die Schöpfung eines Volkswillens auf dem
Wege einer Repräsentation eine Illusion ist. Das Fiktive einer
solchen Einrichtung war den Alten von vornherein so klar, daß
sie es gar nicht erst damit versucht haben, um so mehr, da ihnen
ja die technischen Mittel, zwischen Wählern und Gewählten
einen Rapport, eine Kontrolle zu unterhalten, besonders
die Offentlichkeit vermöge einer weitverbreiteten Presse, noch
fehlten. Die Repräsentation war des weiteren unmöglich,
weil keine genügend einheitliche Gesinnung in diesem Ge-
misch verschiedener Stämme auf italienischem Boden
existierte. Hätte man in den einzelnen Landschaften wählen
lassen, so wäre sofort die Gefahr entstanden, daß sie wieder
zu ihrer Selbständigkeit zurückzukehren wünschten. Nur
durch die schärfste Zentralisation der Wahl in der einen
Stadt wurde die Einheit aufrecht erhalten. Wir wollen
uns aber darein nicht vertiefen, sondern nur feststellen, daß
das Altertum den Repräsentativgedanken nicht gekannt hat,
sondern nur die direkte Bürger- Abstimmung mit der eigen-
tümlichen kleinen Konzession der Abstimmung nach Tribus
oder Centurien statt nach Köpfen. Wir wissen ja jetzt,
daß auch unter den heutigen Verhältnissen die Repräsentation
ein sehr dürftiger Gedanke ist, wo Ausführung und Idee sehr
weit auseinander klaffen. Im Altertum hielt man es mit
Recht für unmöglich, auch nur so weit zu gehen. Auch in
Athen war uns die Feststellung von Interesse, daß die
Boulé keine Wahlrepräsentation ist, sondern durch das Los
aus dem Volke bestimmt wird.
An der Umöglichkeit, die Demokratie zu organisieren,
Untergang der Republik in Rom. 111
ist schließlich die römische Republik zugrunde gegangen. Die
Verfassung, die im Stadtstaat funktioniert hatte, versagte
in dem jetzt durch die Eroberungskriege geschaffenen ge-
waltigen Flächenstaat. Die Maschine fängt an zu schleudern;
sie arbeitet nicht mehr. Man stürzt aus einer Revolution
in die andere, aus einem Staatsstreich in den anderen. Die
Macht geht endlich über auf einen Feldherrn, den Imperator,
der sich nicht König nennt, auch nicht König ist, sondern
seinen Titel nimmt von dem ersten Inhaber der Gewalt,
Cäsar. Das Cäsartum oder Kaisertum, das dauernd mehr
den Charakter eines Amtes als eines erblichen Königtums ge-
habt hat, ist der Erbe der römischen Demokratie. In der ganze Das Kaisertum als Erbe
römischen Imperatorepoche ist nur dreimal ein Sohn auf der römischen
den Vater gefolgt. Das Kaisertum sucht allmählich die Demokratie.
ganze Staatsgewalt an sich zu ziehen, nachdem es anfäng-
lich noch dem Senat wesentliche Funktionen überlassen hat.
Zu einem wirklich organischen Zusammenwirken zwischen
Imperator und Senat, wie einst zwischen der Volksver-
sammlung etwa und der Magistratur, ist es nicht gekommen.
Unser Ergebnis ist: Rom ist groß geworden mit einer Derednolte
dualistischen Verfassung, einer Verfassung, in der es niemals peutschland.
zum Ausgleich zwischen zwei entgegengesetzten Prinzipien ge-
gekommen ist, nie zu der Entscheidung der Frage, wo
eigentlich die Souveränität liegt. Wenn auch die Staats-
rechtslehrer sagen, wie wir gehört haben, das Volk ist
souverän, so haben wir gesehen, daß eine dauernd heilig
gehaltene Praxis dem direkt widerspricht. Auch heute im
deutschen Reich zerbrechen sich die Staatsrechtslehrer die
Köpfe, wo eigentlich die Souveränität liegt, ob bei den
einzelnen Bundesfürsten, ob beim Reich, ob beim Kaiser,
ob bei der Gemeinschaft der Fürsten. Die Frage ist un-
lösbar. Das römische Beispiel mag uns darüber trösten,
Das
Frankenreich.
112 Die Merowinger.
wenn das deutsche Volk nur im übrigen erfolgreich geführt
wird. Eine starke Autorität von Gottes Gnaden und der
Wille der großen Masse, die beide fortwährend aufeinander
einwirken, dauernd in einem schwebenden Gleichgewicht
bleiben, das machte die Stärke Roms und hat ihm die
Herrschaft erst über den latinischen Stamm, dann über
Italien, dann über die Welt gegeben.
Vom römischen Kaisertum wollen wir übergehen zu
den germanischen Reichen auf römischem Boden, und zwar
sofort zu demjenigen von ihnen, das allein dauernden Be-
stand gehabt hat, zu dem Frankenreich. Alle anderen ger-
manischen Reiche auf römischem Boden sind gegründet
worden durch wandernde, erobernde Völker. Das Frankenreich
dagegen ist gegründet worden durch einen erobernden König.
Chlodwig und seine Söhne brachten zuerst eine Reihe von
kleineren fränkischen Stämmen unter ihre Oberhoheit und unter-
warfen dann das ganze noch römische Gallien, indem von
den Franken selbst nur ein geringer Teil den heimischen
Boden verließ und einige Gebiete an der Grenze in Besitz
nahm, in der Hauptsache aber das römische Land als unter-
worfenes Gebiet behandelt und mit der dünnen Schicht
eines neuen regierenden germanischen Krieger- und Herren-
standes überzogen wurde. Die einzige Einheit in diesem
Staat war also die Dynastie. Der bei weitem größere
Teil der Volksmasse war romanisch, und selbst die germa-
nischen Teile hatten unter sich sehr wenig Berührung und
wenig Gemeinsames.
Die Dynastie hatte den Staat gemacht, und infolgedessen
behandelte sie ihn auch als ihr Eigentum. Wäre die Dynastie
fortgenommen worden, so wäre gar kein Zusammenhalt
mehr in dem Staat gewesen. Der König also sieht sein
Reich an wie ein Gut; verteilt es je nach der Zahl der
Die erste Magna Charta. 113
Söhne, die er gerade hat, unter sie als Erbe. Es kann
keinen stärkeren Beweis von der Urgewalt des König-
tums geben, als daß es den Staat behandelt wie einen
Privatbesitz. Die ersten 100 Jahre der Merowingischen
Herrschaft sind deshalb auch eine Epoche des allerextremsten
Despotismus. Obogleich die alten germanischen Begriffe,
daß das Heer neben und über dem König steht und seinen
Willen kundgibt — und das Heer ist das Volk — weiter be-
stehen, so können sie doch gar keine praktische Wirkung
haben, da ja in dem riesigen Frankenstaat, vom Ozean bis
an die mittlere Donau, von der Nordsee bis an die Pyrenäen,
immer nur ein ganz minimaler Teil des wirklichen Heeres
oder der heerfähigen Krieger zusammenkommen kann. Über
hundert Jahre haben sich die Franken diesen Despotismus
gefallen lassen; endlich aber empören sie sich dagegen und
die Dynastie gibt ihnen dazu die Möglichkeit durch ihre
Familienzwistigkeiten.
Als König Clothar lI., der Sohn der Fredegunde, die
Feindin seiner Mutter, die Königin Brunhilde in seine
Gewalt gebracht und zu einem gräßlichen Tode (sie wurde
von einem wilden Perde zu Tode geschleift) verurteilt hatte,
mußte er den Franken, die ihm zu dem Siege verholfen
hatten, ein verfassungsmäßiges Versprechen geben, dessen
Hauptbestimmung war, daß er in Zukunft zu Grafen nur
eingesessene Großgrundbesitzer ernennen würde. Dieses Edikt
von Paris vom Jahre 614 ist die erste der zahllosen Ur-
kunden in der romanisch-germanischen Geschichte, für die
600 Jahre später in der englischen Geschichte der Name
„Magna Charta“ gebraucht worden ist, und die alle be-
stimmt sind, die Gewalt des Königs irgendwie einzuschränken.
Wieviel Großgrundbesitzer wird es in einer Grafschaft geben,
die die Qualifikation haben, die Grafschaft zu verwalten?
Das
Edikt von 614.
114 Den mittelalterlichen Staaten
Indem der König gebunden ist, nur einen von diesen zum
Grafen zu ernennen, gibt er einen wesentlichen Teil der
Gewalt an diesen Stand ab, und das Grafenamt umfaßt
alles, die Verwaltung, das Gericht, das militärische Kommando.
Von diesem Edikt von 614 an entwickelt sich in den
germanisch- romanischen Ländern wieder eine Art Dualismus
in der Staatshoheit, wie wir ihn im republikanischen Rom
kennen gelernt haben, eine Doppelgewalt, die sich gegen-
seitig einschränkt.
Im römischen Imperium ist es zu einer solchen Ein-
schränkung des Kaisertums durch den Senat nicht gekommen
und konnte dazu nicht kommen, obgleich es angestrebt
wurde. Denn der Kaiser ist der Herr der gewaltigen diszi-
plinierten Söldnerarmee und des Prätorianerkorps in
Rom, das ihm unbedingt gehorcht, ihn, wenn es nicht mit
ihm zufrieden ist, vielleicht umbringt; aber, solange es ihn
als Kaiser anerkennt, alles ausführt, was er befiehlt. Was
will jede konstitutionelle Bestimmung, jede andere Gewalt
gegen ein solches Söldnerheer? Gegen eine aus Germanen
bestehende Leibwache?
Das gibt es im Frankenreich nicht; denn es gibt kein
stehendes Heer, es gibt kein diszipliniertes Heer. Das
römische disziplinierte Heer ist zusammengebrochen bereits
im dritten Jahrhundert, und damit ist das römische Reich
dem Barbarentum auzsgeliefert. An die Stelle der römischen
disziplinierten Legionen treten zuerst die barbarischen
Soldaten, dann kommen barbarische wandernde Völker,
und endlich bemächtigen sich diese der Herrschaft. Denn
der Barbar ist der natürliche Krieger. Der zivilisierte
Mensch verliert notwendig von den kriegerischen Eigen-
schaften, je höher seine Kultur steht, und nur durch das
Kunstgebilde der Disziplinierung, ist die kriegerische Kraft
fehlt die Armee. 115
gleichzeitig wieder herzustellen und mit der Kultur in Ver-
bindung zu halten. Darum hat Scharnhorst das schöne
Wort gesprochen, daß das stehende Heer die Grundlage jeder
Zivilisation sei, weil es die höher gebildeten Völker be-
fähige, sich gegen die roheren zu behaupten.
Das römische Reich hat es schon erfahren: als es kein
diszipliniertes Heer mehr hatte, war es dem Barbarentum
ausgeliefert, und die barbarischen Krieger haben sich als
Kriegerstand des größten Teils des römischen Reichs be-
mächtigt und dort neue Staatswesen aufgerichtet. Was
hatten sie für eine Kriegsverfassung? Ein diszipliniertes
Heer gibt es nicht mehr, kann auch nicht mehr aufgestellt
werden, weil seit dem dritten Jahrhundert die Welt aus
der Geldwirtschaft zurückgestürzt ist in die Naturalwirtschaft.
Zu einem disziplinierten Heer gehört eine regelmäßige Geld-
wirtschaft, eine regelmäßige Steuererhebung und regelmäßige
Soldzahlung. Weit über 1000 Jahre ist die Kulturwelt
in der Naturalwirtschaft geblieben, und damit läßt sich kein
stehendes Heer vereinigen. An dessen Stelle tritt nun zu-
erst der barbarische Kriegerstand, der in das Reich eindringt
und es sich unterwirft, und der sich dann umsetzt in den
Feudalkriegerstand, indem der König, die Grafen, auch
einzelne Großgrundbesitzer und später auch Bischöfe und
Äbte auf ihren Gütern Krieger erhalten. Diese Verfassung
bekommt dann die breitere Grundlage durch das Lehns-
wesen. An den Höfen können immer nur wenige Krieger
unterhalten werden, und der Krieger, dem der König um
ihn zu halten, ein erbliches Gut gibt, verbauert. In
ein bis zwei Generationen ist er kein brauchbarer Krieger
mehr. Darum schuf das fränkische Reich die Form des
Lehnswesens, d. h. die überlassung eines Gutes an einen
Krieger auf Lebzeiten; es fällt an den Thron oder an den
Feudal-
verfassung.
116 Beschränkung der
sonst Vergebenden zurück, wenn der Mann stirbt. Es muß
immer von neuem verliehen werden, braucht also nur an
solche verliehen zu werden, die die rechte Gegenleistung
bieten, nämlich einen brauchbaren Krieger.
Diese Lehnsverfassung wiederum gibt dem König nicht
die starke Hand des disziplinierten Heeres, sondern nur
insofern Gewalt, als die Lehnsritterschaft, die in mehreren
Stufen sich aufbaut, dem Kriegsherrn wirklich folgt. In-
dem nun in Franken von Clothar ll. ab der König einen
wesentlichen Teil der Staatsgewalt an die Großgrundbesitzer,
die auch Lehnsleute — Vasallen — halten können, abgibt,
da entsteht jener Dualismus, den der König nicht wieder
beseitigen kann, weil ihm die Machtmittel dazu fehlen.
Umgekehrt aber wird auch durch diese Beschränkung das
Königtum in seinem Bestande gesichert. Einen römischen
Kaiser konnte man durch keinerlei Versprechungen wirklich
binden, denn er hatte die Söldnerarmee; der fränkische
König blieb tatsächlich gebunden, denn die, denen er das
Versprechen gegeben, waren selbst der wesentliche Teil der
bewaffneten Macht. Sie brauchten den Herrscher nicht um-
zubringen, wenn sie mit ihm unzufrieden waren, sondern
konnten sich mit ihm schlagen und auch wieder vertragen.
Es bildet sich der fundamentale Grundsatz der Legitimität.
Die Franken erkennen keinen anderen König an als einen
Merowinger. Sie können gar keinen anderen anerkennen,
denn die Dynastie hat den Staat gegründet, hält allein
den Staat zusammen. Auch wenn sie sich gegen den König
empören und ihn los sein wollen, können sie die Königs-
krone doch nur einem aus demselben Geschlecht geben. Sie
können sich aber mit dem König auch wieder vertragen
und ihn wieder anerkennen, weil sein Recht von keiner
Seite angefochten wird. Das ist der Unterschied zum
Monarchie durch den Feudalismus. 117
römischen Kaisertum. Das Kaisertum ist entstanden durch
Taten der Gewalt und ist immer weiter ausgebaut
worden durch Taten der Gewalt. Das germanische König-
tum ist ein erbliches. Nur dreimal, wie ich schon gesagt
habe, ist im ganzen römischen Imperium ein Sohn auf
den Vater in der Herrschaft gefolgt. Die merowingische
Dynastie hat sich ein Vierteljahrtausend hindurch behauptet.
Ein erbliches Königtum, das in seinem Recht so sicher ist,
kann sich Beschränkungen gefallen lassen. Dem römischen
Imperium, das nur eine faktische Macht ist, ist jede Be-
schränkung seiner Gewalt gefährlich. Der fränkische König
kann auf eine gewisse Abgabe seiner Gewalt eingehen, ohne
sich in seiner Existenz zu gefährden, und so bildet sich ein
Wechselspiel verschiedener Gewalten und setzt sich fort in
hundertfacher Gestalt durch das ganze Mittelalter und alle
mittelalterlichen Staaten. Der Repräsentant der Freiheit
im Mittelalter ist der trotzige Vasall, der gleichzeitig seinem
Herrn Treue gelobt und hält, aber auch immer bereit ist,
gegen ihn an sein Schwert zu greifen, wenn er sich in
seinen Rechten verletzt fühlt. Die mittelalterliche Ge-
schichte bewegt sich in diesem Gegensatz, daß man zwischen
der fürstlichen Gewalt und der ständischen Beschränkung
immer aufs neue Ausgleiche sucht, und diese Bestrebungen
komplizieren sich mit dem Gegensatz zwischen Kirche und
Staat und wiederum der Rivalität der großen Reiche
untereinander.
Bis ins 16. und 17. Jahrhundert haben wir allenthalben
die ständische, dualistische Verfassung. Dann hält sie nicht
länger vor, und zwar ist das neue Moment, das eintritt, woani.t
das Neuaufkommen der stehenden Heere. Indem im 16. fassung durch
und 17. Jahrhundert stehende Heere geschaffen werden, egende Heere.
wächst den Fürsten ein Instrument in die Hand, mit dem
Kein Majoritäts=
prinzip.
118 Ständische Verfassungen.
sie jeden Augenblick in der Lage sind, dem ständischen Mit-
regiment ein Ende zu machen. Das Heer ist deshalb in
den ständischen Kämpfen das eigentliche Streitobiekt. Wer
dieses nicht mehr zu entbehrende stehende Heer in der
Hand haben soll, darum wird gekämpft. In England hat
es damit geendet, daß das Königtum niedergeworfen, der
König aufs Schafott geschickt und das Schwergewicht der
Staatsgewalt den bisherigen Ständen übertragen wurde.
Auf dem Kontinent allenthalben hat es damit geendet, daß
die ständische Mitregierung beseitigt und auf Grund der
stehenden Armee das absolute Königtum errichtet wurde.
Um die 1000 Jahre hat also der ständische Dualismus
bestanden und immer wieder in dieser Epoche wird ver-
langt und geschieht es, daß der Fürst in irgendwelcher Be-
schränkung regiert mit dem Rate seiner Getreuen. Wie
weit unterwirft er sich dem Rat? Wer sind die Getreuen,
die ihm den Rat zu geben haben? Dafür gibt es unend-
liche Formen. Aber eins ist sicher. Eins kennt man nicht,
wo die Getreuen stehen oder die Fürsten zusammenkommen,
um den Kaiser zu beraten. Das ist die Majorität. So,
wie dem Altertum der Repräsentativgedanke unbekannt war,
so ist dem Mittelalter unbekannt der Majoritätsgedanke.
Zuerst wacht er auf bei der Papstwahl. Als es sich durch-
gesetzt hatte, daß die Kardinäle berechtigt seien, den Papst
zu wählen, wird unter Papst Alerander III., dem großen
Gegner des großen Barbarossa, festgesetzt, daß Zwei Drittel
Majorität notwendig sei, um einen Papst rechtmäßig zu
wählen. Also wohl gemerkt, auch jetzt nicht der einfache
Mojoritätsgedanke. Bis dahin wird immer festgehalten an
dem Grundsatz der Einstimmigkeit, Einmütigkeit, wie man
wohl besser sagt; denn es wird überhaupt nicht abge-
stimmt.
Kein Majoritaͤtsprinzip. 119
Das berüchtigte polnische liberum Veto ist ursprünglich
allen ständischen Verfassungen gemein. Als auch bei der
Wahl der deutschen Könige das Wahlrecht auf ein kleines
Kollegium von sieben bevorrechtigten Kurfürsten beschränkt
wurde, galt anfänglich auch noch das Prinzip der Ein-
mütigkeit und solange das herrschte, hatte das Kurfürsten-
recht gar keine sehr große Bedeutung. Denn wenn die
Kurfürsten alle einig waren, war anzunehmen, daß auch
unter den anderen Fürsten keine wesentliche Opposition sein
würde, und wenn sie nicht einig waren, gab es einen
Bürgerkrieg und da zählten die Truppen anderer Fürsten
so gut wie die der Kurfürsten. Erst durch die goldene
Bulle Karls IV. ist bei der Königswahl das Majoritäts-
prinzip eingeführt worden, und damit erst eigentlich der
Wert des kurfürstlichen Wahlrechts geschaffen.
Der Dualismus, der alle romanisch- germanischen Staaten
beherrscht, nimmt im 17. Jahrhundert, wie wir gesehen
haben, ein Ende. In England in der Weise, daß das alte
Königtum, das legitime Königtum der Stuarts, gestürzt
wird. Aber im englischen Volk hatte sich eine Richtung
gebildet, die so erfüllt ist von dem Gedanken an die Heilig-
keit der höchsten Gewalt, so erfüllt ist von Furcht vor den
Gefahren, in die das Volk gestürzt wird, wenn es sich
losreißt von seiner Geschichte und aus sich heraus eine
obrigkeitliche Gewalt schaffen will, daß es nicht möglich
war, nach der Vertreibung der Stuarts eine Republik oder
ein Wahlkönigtum zu errichten, sondern es blieb schließlich
nichts anderes übrig, als einen Kompromiß zu finden
zwischen der eigentlich ständischen Partei und der konser-
vativen Partei, die so sehr als irgend möglich an der Über-
lieferung festhalten wollte. Für die eine Partei hat sich
der Spitzuame „Whigs"“, für die andere „Tories“ ge-
Ursprung der
jetzigen eng-
lischen
Verfassung.
120 Die englische Verfassung
bildet*). Der konservative Gedanke stützt sich vornehmlich auf
die Kirche. Die Tories sind die staatskirchliche, die angli-
kanische Partei, die sich freilich von König Jakob lI. hat
trennen müssen — ganz gegen ihren eigenen Wunsch
und innere Überzeugung — weil König Jakob das Land
wieder katholisch machen wollte. Da widersetzt sich die
religiöse überzeugung und zwingt die Tories, mit den Whigs
zusammenzuarbeiten, um König Jakob lI. zu entfernen, und
es ist nun sehr merkwürdig, wie die beiden Parteien
von Punkt zu Punkt nach Kompromissen suchen, um das
legitimistische und das revolutionäre Prinzip zu vereinigen.
Man machte die Fiktion, daß König Jakob (abgesetzt
konnte er nicht werden, da er von Gottes Gnaden
war) freiwillig dem Thron entsagt und das Land zu ver-
lassen habe, und mit ähnlichen Fiktionen wurde immer
weiter gearbeitet und die Krone endlich übertragen nicht an
irgend jemand, der dem Parlament gerade zusagte, sondern
an den nächsten Verwandten, der wenigstens ein eventuelles
Erbrecht hatte und nicht katholisch war, Wilhelm III. Noch
heute gilt im englischen Staatsrecht der Grundsatz, daß
das Erbrecht begrenzt ist durch Nichtzugehörigkeit zur
katholischen Kirche, weil die Erfahrung gelehrt habe, in
welch ungeheure Gefahren die Verbindung zwischen König
und katholischer Kirche das Land stürzen könne. An die
Stelle des eigentlichen legitimen Königtums tritt ein anderes,
dass nun nicht mehr das absolute Recht der Legitimität
des Königtums von Gottes Gnaden für sich in Anspruch
nehmen kann, und dadurch wird auch ein Ausgleich mög-
lich in der Armeefrage. Denn diesem neuen König, dem
*) Über die „Whigs und Tories" wie überhaupt über die Verfassungs-
entwicklung Englands vergleiche meine Untersuchungen in meinen
„Historischen und politischen Aufsätzen“.
seit 1688. 121
kann man die Armee anvertrauen. Warum? Weil
er sie nicht mißbrauchen kann, weil er nicht an sein Schwert
schlagen kann und sagen: „Gott und mein Recht!“ und
damit die Freiheit Englands über den Haufen werfen.
Denn er hat ja nur ein beschränktes Recht; seine Macht ist
nicht legitim, nicht getragen durch die Überzeugung der
Millionen, daß er ein von Gott gegebener König sei, sondern
er ist nur durch ein gewisses Unrecht auf den Thron ge-
langt, und um sich zu behaupten, darf er keinen Konflikt
mit dem Lande hervorrufen. Er ist, gerade weil er nicht
legitim ist, bei weitem für die öffentliche Freiheit nicht
so gefährlich, wie es der legitime König hätte sein können.
Und so ist es den Engländern gelungen, trotz zweier großer
Revolutionen und trotz der Vertreibung des ersten Königs-
geschlechts die historische Kontinuität ihres Verfassungslebens
einigermaßen aufrecht zu erhalten. Das neue Königtum
brachte zuerst für England große Ungelegenheiten, weil es
durch Wilhelm llI. in Personal- Union mit Holland kam und
später, seit Georg l., in Personal- Union mit Hannover, was
England in festländische Händel verwickelte, mehr als ihm
lieb war. Aber man wollte von dem Geburtsrecht nicht
weiter abweichen, als es absolut notwendig war, und
so ist es wirklich gelungen, einen großen Teil des alten
englischen Staatsrechts trotz des großen Bruchs bis in die
heutige Zeit hinüberzunehmen, und die bloß quasi- legitimen
Könige haben immer noch eine recht bedeutende Stellung
eingenommen im ganzen 18. Jahrhundert. Obgleich eigent-
lich mit der Vertreibung Jakobs ll. das begründet ist, was
wir heute den Parlamentarismus nennen, daß nämlich das
Schwergewicht der Macht im Parlament liegt, hat es Gene-
rationen gedauert, bis auch nur theoretisch dieser neue Zu-
stand erkannt worden ist. Noch als Montesquien, der doch
Frankreich.
122 Der Absolutismus in Frankreich.
wirklich einen scharfen Blick für politische Dinge hatte, im
Jahre 1748 über die englische Verfassung schrieb, wußte
er nichts von Majoritätsregierung und hat sogar gewarnt
davor, weil es Tyrannei sein würde, wenn die Majorität
im Parlament regiere. Tatsächlich ist die parlamentarische
Regierung auch erst durchgeführt und die Macht des König-
tums so gut wie völlig ausgeschaltet worden im Laufe des
19. Jahrhunderts, nämlich seit der Reformierung des Wahl-
rechts im Jahre 1832, und in jüngster Zeit sind auch dem
Oberhaus die Funktionen, die es früher ausgeübt hat, zum
großen Teil genommen worden.
Wie war es nun in Frankreich? Dort, haben wir ge-
sehen, hat umgekehrt der Absolutismus gesiegt, und zwar
hat er gesiegt deshalb, weil auch hier wieder ganz ähnlich,
wie wir es von Chlodwig gesagt haben, die Monarchie es
ist, die die Einheit des Staates vertritt. Die Könige,
die ursprünglich nur Herzoge von Isle de France waren,
haben im Laufe der Jahrhunderte alle die anderen Land-
schaften ererbt, erheiratet, erworben, erhandelt, erobert und
so allmählich Frankreich national geeinigt. In noch stärkerem
Maße haben wir dasselbe in Österreich und in Preußen.
Preußen ist durch die Familienpolitik der Hohenzollern,
durch ihre Erwerbungs- und Eroberungspolitik zusammen-
gebracht worden. Die Dynastie hat den Staat geschaffen,
und deshalb siegte auch die Dynastie im Kampfe mit den
Ständen. Die Stände suchen immer nur Schaden abzu-
wenden von ihrer Landschaft, aber den einigen Staatsge-
danken vermögen sie nicht zu fassen. In Preußen leuchtet das
auf den ersten Blick ein. Aber auch in Frankreich ist es tat-
sächlich so, und das ist der Grund für den Sieg des Ab-
solutismus, nicht etwa, daß die Franzosen weniger Freiheits-
bedürfnis gehabt und den Despotismus weniger bekämpft
Die Revolution in Frankreich und England. 123
hätten als die Engländer — sie haben sich aufs äußerste da-
gegen gewehrt; aber schließlich mußten sie sich unterwerfen,
weil allein das Königtum den nationalen Gedanken reprä-
sentierte. Als nun die Zeit kam, wo man mit dieser
Regierung durch das absolute Königtum nicht mehr zu-
frieden war, und man die alte ständische Beschränkung,
diesen uralten germanisch- romanischen Gedanken des Dualis-
mus wieder hervorholte, zeigte sich die neue Verfassung
als nicht brauchbar. Ludwig XVI. wurde gefangen ge-
nommen, die Republik erklärt, der König auf das Schafott
geschick und in Frankreich der Zusammenhang mit der
Vergangenheit abgeschnitten. Zwölf Verfassungen hat Frank-
reich seitdem gehabt, und das Ende ist gewesen, daß nach
rein demokratischem Prinzip Frankreich als Republik or-
ganisiert ist.
In England haben wir noch gewisse, wenn auch sehr
unbedeutende Reste des Dualismus, wie wir ihn kennen
gelernt haben, besonders in der Form. Wer auf die wirk-
liche Macht sieht, der findet, daß sie in England, ebenso
wie in Frankreich ruht in einer, wenn auch nicht von der
Gesamtheit, so doch von einem großen Teil des Volkes ge-
wählten Versammlung. Weder in England noch in Frank-
reich sind es aber die Massen gewesen, die Majorität des
Volkes, die die Revolutionen durchgeführt haben. Die
Engländer hätten nicht die Kraft gehabt, durch eigenen In England wie
Willen König Jakob lI., den Stuart, zu vertreiben, (er hatte
bereits eine bedeutende Armee aufgestellt), sondern es kam gegen, nichtdurch
ihnen zu Hilfe Wilhelm lll. mit der krieggeübten holländischen
Armee. Und warum sollte und wollte nun er den Engländern
helfen? Weil ganz Europa England brauchte zum Kampf
Ludwig XIV., weil Europa ohne England seine Freiheit
gegen die Franzosen nicht hätte verteidigen können, die Stuarts
Delbrück, Regierung und Volkswille. 9
124 Die auswärtige Politik und die Revolutionen.
aber im Solde Ludwig XIV. standen. So war es eine all-
gemeine europäische Bewegung, die in England den Ständen
zum Siege verhalf. Auch der Große Kurfürst beteiligte sich,
indem er seine Soldaten nach Holland schickte. In England
aber war die neue Regierung des Volkes durchaus nicht sicher.
Als das Parlament, in dem beide Parteien einig ge-
wesen waren, König Jakob zu entfernen, nun die neuen
Verfassungsbestimmungen alle fertiggestellt und Wilhelm Ill.
gewählt hatte, da traute man sich doch nicht gleich ein neues
Parlament wählen zu lassen, weil man fürchtete, die öffent-
liche Meinung würde sofort wieder umschlagen und den
echten König, was er sich auch hatte zuschulden kommen
lassen, wieder zurückverlangen. Gegen die Masse also ist
die Revolution gemacht worden durch führende Schichten.
Und genau so ist es in Frankreich gewesen. Auch die fran-
zösische Revolution ist ganz und gar nicht durch die große
französische Masse bewirkt worden. Die wollte wohl Reformen
und Beschränkung, aber keinen Sturz des Königtums, und
die Versammlung, die das Königtum abgeschafft hat, wurde
gewählt wieder im Zusammenhang mit der auswärtigen
Politik, weil Frankreich in Konflikt geraten war mit Europa.
Es ist nicht richtig, daß die europässchen Mächte ausgezogen
seien, die neue französische Freiheit zu erwürgen. Man
hatte Frankreich nur diplomatisch bedroht, nicht mehr, und der
wirkliche Krieg war von Frankreich ausgegangen. Aber wie
auch immer dieser Krieg entstanden war, das französische
Volk hatte die Empfindung, daß das Herz ihres Königs
im Lager der Feinde sei. Das verträgt kein Volk. Das
Wesen des Königtums beruht darauf, daß es durch und
durch sich eins fühlt mit seinem Volk. Wenn das nicht
wäre, könnte ein Volk niemals Vertrauen haben zu seiner
Dynastie. Wir haben gesehen, die meisten Dynastien sind
Entscheidung der französischen Revolution durch die Armee. 125
sogar die Schöpfer der Staaten; die Zukunft und der Ruhm
der königlichen Familie hängt zusammen immer mit der
glücklichen Führung des Staates. Und nun war man in
Frankreich dahin gekommen, daß als, die Preußen heran-
zogen, König Ludwig XVI. darauf hoffte, sie sollten nach
Paris kommen, um ihn von dem Mitregiment des Volkes
zu befreien. Das war eine moralische Unmöglichkeit, und
die Armee, derjenige Teil des Volkes, der bei auswärtigen
Konflikten am stärksten erfüllt sein muß von dem Gedanken
der Macht und der Sicherheit des Vaterlandes, fiel von
Ludwig XVI. ab und stellte sich in den Dienst des Konvents.
Dadurch ist Ludwig XVI. gestürzt worden. Nachdem der
auswärtige Feind zurückgeschlagen war, erfolgte eine starke
Reaktion in Frankreich. Fast das ganze Land war gegen
den Konvent; man wollte die Republik nicht. Nicht bloß
die Vendee, sondern nicht weniger als 60—70 von
den 83 Departements waren gegen den Konvent im
Aufstand, und sie sind niedergeworfen worden durch
die Guillotine, indem hinter dieser die Truppen standen.
So hat sich der Konvent immer wieder gegen das
Volk (von 1792—99 gab es unausgesetzt Revolutionen)
behauptet, und seine Siege wurden immer wieder
entschieden durch die Armee. Der Konvent traut sich
nicht, sich aufzulösen und die Entscheidung über die
Regierung dem Volke zu überlassen; dann würden ganz
andere Leute gewählt worden sein. Es kam aber, daß
schließlich die Armee sich sagte: Dann können wir auch
selber regieren, wenn wir bloß für Andere die Ordnung
herstellen sollen, und ihren Liebling, den General Bonaparte
an die Spitze des Staates brachte, dem sofort das ganze
Volk, glücklich den einst von ihm selbst gewählten Konvent
los zu sein, mit Begeisterung zufiel.
9*
Verschieden-
heiten in den
modernen
Staaten.
126 Das preußische Dreiklassen- Wahlrecht.
In England allmählich, in Frankreich plötzlich und
radikal, ist der Bruch mit der Vergangenheit vollzogen und
die reine parlamentarische Majoritätsregierung eingeführt
worden. Wir wollen das nun nicht durch alle Staaten
hindurch verfolgen. In jedem herrscht eine etwas andere
Färbung, sei es in Dänemark, oder in Norwegen, oder in
Holland, oder in Belgien, oder Italien, oder Spanien,
oder Portugal, oder in Amerika — allenthalben ist mehr
oder weniger vollständig eine einheitliche Regierungsgewalt
geschaffen worden und der Dualismus überwunden. Selbst
in Italien, wo das Königtum eine bedeutende Stellung
hat, kann es doch gegen den Parlamentarismus nicht auf-
kommen. In Österreich-Ungarn aber, in Rußland, auch in
Schweden und in Deutschland, steht es anders. Die Ver-
hältnisse in Österreich- Ungarn sind zu kompliziert, um sie
hier zu behandeln; Rußland kann überhaupt noch nicht als
ein wahrer Verfassungsstaat angesehen werden. Das eigent-
liche normale Gegenstück zu den parlamentarischen Staaten
bildet Deutschland. Hier ist es gelungen, den uralten
germanisch- romanischen Verfassungstypus auf dualistischer
Grundlage wieder zu erneuern. In Preußen bildet das
Dreiklassenwahlrecht neben dem Herrenhaus noch ein Mittel-
ding zwischen der alten Ständeverfassung und der modernen
Volksvertretung. Im Reich aber ist die Kombination voll-
zogen zwischen dem monarchischen und dem demokratischen
Gedanken. Nicht gegen die Regierung aber ist diese volks-
tümliche Verfassung geschaffen worden, wie wir gesehen
haben, nicht um jener möglichst die Gewalt zu entreißen,
sondern sie ist geschaffen worden ihr zur Hilfe, mit der Gegen-
leistung, daß das Volk an der Regierung beteiligt werde.
Daran werden wir die Frage knüpfen können: Haben
wir zu erwarten, daß wir auch in Deutschland allmählich
Abwechselnd regierende Parteien. 127
in eine Verfassungsform hinübergleiten, die jenen parla-
mentarischen ähnlich ist, oder liegen die Dinge so, daß wir
im Gegenteil erwarten können, daß die neue politische Form
(kompliziert durch den bundesstaatlichen Charakter des
deutschen Reiches) in der Weltgeschichte sich als etwas
Dauerndes behaupten werde?
Gibt es eine Art natürlicher Fortentwicklung vom
konstitutionellen zum parlamentarischen System? Von zwei
Seiten wird heute nicht ganz selten diese Behauptung auf-
gestellt, erstens von der äußersten Linken, die darauf hofft,
und zweitens von der äußersten Rechten, die es der Regie-
rung zum Vorwurf macht, daß sie sich nicht genügend
dagegen stemme.
Um ein parlamentarisches Regiment zu haben, ist
Voraussetzung, daß die Parteien trotz ihres Gegensatzes sich
ziemlich nahe stehen. In Amerika gibt es die demokratische
und die republikanische Partei. Wie schon die beiden
Namen zeigen, ist ein sehr wesentlicher Unterschied zwischen
ihnen nicht. Die einen sind mehr unionistisch, die andern
sind mehr föderalistisch. In England haben wir die Whigs
und Tories, jetzt übersetzt in Liberale und Konservative.
Die Unterschiede sind so wenig tief, daß sehr häufig die
eine Partei wichtige Programmpunkte von der anderen
übernommen hat. Beide Parteien zusammen haben einst
die Stuartkönige vertrieben und die Wahlreform von 1867
wurde von den Konservativen gemacht*). Solche Parteien
können leicht, ohne den Staat aus dem Gleichgewicht zu
bringen, in seiner Leitung abwechseln. Nicht möglich ist
es aber, Parteien abwechseln zu lassen, die etwa so weit
*) Daß die beiden englischen Parteien trotz der ständigen Be-
kämpfung sich innerlich sehr nahe stehen, wird von vielen neueren Beob-
achtern, besonders auch von Belloc und Lowell betont.
Wird auch
Deutschland
parlamentarisch
werden?
128 Wo ist wechselndes Parteiregiment möglich?
einander entgegenstehen, daß die eine monarchistisch und
die andere republikanisch ist. Wenn man in Frankreich
wieder eine Majorität monarchisch Gesinnter hätte, und diese
die Monarchie wieder einführte, und nach einer Reihe von
Jahren käme eine republikanische Majorität und führte die
Republik wieder ein, und so fort im lieblichen Wechsel, so
müßte der Staat daran zugrunde gehen.
Wenn man das auf Deutschland überträgt, was würde aus
Deutschland werden, wenn wir abwechselnd eine klerikale
und eine sozialdemokratische Regierung hätten? Die klerikale
Regierung, die vor allem das Schulwesen, bei der Volks-
schule angefangen bis zur Universität, unter kirchlichen Ein-
fluß zu stellen sucht, und wenn sie das glücklich erreicht
und die Lehrerschaft in orthodoxem Sinne erzogen hat, dann
eine sozialdemokratische Majorität, die den Zukunftsstaat
einführt? Bei der ersten Majorität wissen wir doch un-
gefähr, was sie uns bringen wird; bei der zweiten wissen
wir das nicht einmal. Nur das eine ist ganz klar: eine
Abwechslung zwischen diesen beiden „Idealen“ ist schlechter-
dings unmöglich. In Frankreich ist ja noch immer eine
ziemlich bedeutende monarchistische Minorität. Sie hat sogar
auch in der Republik einmal wirklich die Majorität gehabt,
und zwar in den ersten Jahren nach 1871. Sie konnte
nur deshalb nicht zu ihrem Ziele kommen, weil sie in sich
gespalten war, weil sie drei Könige zu vergeben hatte.
Der erste war der legitime Erbe der alten Bourbonen, der
Graf von Chambord, der zweite der Prinz von Orléans,
Graf von Paris, und drittens die Bonapartes, die ja nach
der Niederlage von Sedan ausschieden. Aber die beiden
anderen waren ernsthafte Kandidaten, und es war sehr nahe
daran, daß der Graf Chambord zum König berufen wurde;
er wollte nur nicht die Bedingungen annehmen, die man
Parteiregierung in Frankreich. 129
ihm bot. Seitdem sind nun, da sie zu einer Monarchie
nicht kommen konnten, die Monarchisten in Frankreich eine
bloße Oppositionspartei geworden. Aber was ist die Folge
davon? Daß sie in der Lage sind, jede Regierung zu
stürzen, sobald diese nicht einen sehr großen Teil der
Republikaner hinter sich hat. Es ist schon die Forderung
aufgestellt worden, daß die Regierung nicht bloß die
Majorität der Kammer, sondern auch die Majorität der
Republikaner hinter sich haben müsse. Bald hält man
sich an diesen Grundsatz, bald nicht, z. B. das Gesetz über
die Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit ist soeben
nur angenommen mit Hilfe der Monarchisten gegen einen
sehr wesentlichen Teil der Linken. Ob auf die Weise ein
so großes Gesetz sich wirklich durchführen läßt, muß sich
zeigen. Jedenfalls ist das Zweiparteiensystem, wie es in
England und auch in Amerika herrscht, in Frankreich dadurch
ausgeschlossen, daß ein sehr großer Teil des Volkes die
Republik überhaupt nicht wünscht, sie innerlich gar nicht
anerkennt. Die Folge ist der völlige Mangel an Stabilität
in der Regierung. Wenn gegenüber den Monarchisten alle
anderen eine Partei bildeten, würde die ja immer regieren
müssen. Das wäre aber ganz unerträglich. Das Partei-
regiment ist ja nur dadurch volkstümlich, daß die Parteien
abwechseln. Wenn eine immer die Regierung hätte, würde
es eine Despotie werden. Also die Folge davon, daß die Monar-
chisten für die französische Regierungsbildung ausscheiden, ist,
daß die anderen auch nicht zusammenhalten, sondern immer Vielheit der
neue Gruppierungen sich bilden. Man zählt etwa neun Parteien in
Fraktionen in der französischen Kammer, die Royalisten, ge
die Rechte, die konservativen Republikaner, die bürgerlichen
Republikaner, die demokratischen Republikaner, die sozialistisch
angehauchten Republikaner, die wirklichen Sozialdemokraten
130 Die Parteien in Deutschland.
und die intransigenten Sozialdemokraten. Aus denen werden
immer neue Gruppen zusammengesetzt, und immer neue Majo-
ritäten komponiert. Dieselbe Vielheit der Parteien wie in Frank-
reich haben wir auch in Deutschland. Im ersten Reichstag (1867)
gab es acht Fraktionen: Konservative, Freikonservative, Alt-
liberale, bundesstaatlich Konstitutionelle (in dieser Fraktion
waren u. a. vereinigt Windthorst, Hänel, der Führer der Frei-
sinnigen, und Günther, ein Sachse, der nachher mein Partei-
genosse geworden ist in der Reichspartei), dann die National-
liberalen, dann die Freisinnigen, dann die eigentliche Linke,
dann die Polen. Wer aufmerksam der Liste gefolgt ist,
die ich eben vorgetragen habe, wird bemerkt haben,
daß zwei Parteien damals noch fehlten, von denen wir
uns heute kaum denken können, daß sie nicht im Reichs-
tag waren, nämlich das Zentrum und die Sozialdemo-
kraten. Beide Parteien haben sich erst später gebildet.
Die Sozialdemokratie war damals noch zu schwach,
um eine Fraktion zu bilden, und das Zentrum ist erst
1871 gebildet worden; beide Parteien aber haben nun
natürlich auf die Umwandlung der anderen auch den
stärksten Einfluß gehabt. Es ist sehr unwahrscheinlich,
daß sich jemals im deutschen Reichstag eine Partei bilden
wird, die für sich die Majorität hat. Ja es ist unwahr-
scheinlich, daß sich auch nur eine Kombination bilden ließe
von einiger Dauer, die die Majorität hat. Das kommt
von der konfessionellen Spaltung des deutschen Volkes.
Die Zersplitterung der Parteien ist nichts Willkürliches, auch
nichts dem deutschen Volkscharakter Eigentümliches, sondern
etwas durch unsere Geschichte notwendig Gegebenes. Zum
wenigsten fünf Gruppen müssen auf absehbare Zeit bei uns
notwendig existieren: Konservative, Liberale, Zentrum, Sozia-
listen, Polen. Bildet sich noch eine gemäßigt- konservative,
Das Zentrum. 131
eine gemäßigt- liberale und vielleicht auch einmal eine ge-
mäßigt- sozialistische Gruppe, so haben wir acht. Ob das
Zentrum mehr zur Rechten oder mehr zur Linken gehört,
steht dahin. Im Grunde ist es eine demokratische Partei,
aber das starke Autoritätsprinzip der katholischen Kirche
und das Festhalten an den überlieferten Glaubensformen
verbindet es mit den Konservativen. Alle unsere Zeitungen
waren voll von dem natürlichen Zusammengehen des Zen-
trums mit den Konservativen, dem schwarz- blauen Block,
aber jetzt haben wir gesehen, daß sie sich bei der fundamental
wichtigen Einführung des Vermögenszuwachs- Steuergesetzes
im Reichstag gegeneinander gekehrt haben. Der viel zitierte
„schwarzblaue Block“ ist eine Fabel, war nichts als eine
vorübergehende Kombination.
Die Vielheit der Fraktionen, von denen keine die
Majorität hat, schließt einen wirklichen Kampf gegen die
monarchische Regierung, um an deren Stelle die Parteien
zu setzen, aus. Damit haben wir aber das Wesen der Dinge,
die Frage, weshalb in Deutschland nicht die Parteien re-
gieren, noch keineswegs erschöpft. Weshalb regieren denn
in England, Frankreich und den anderen parlamentarischen
Staaten die Parteiorganisationen? Sie regieren, weil sie
gewisse Massen hinter sich haben. Weshalb regieren die
Massen? Weil sie weise sind? Die Frage haben wir schon
einmal aufgeworfen. Es gibt ja erfahrene Leute, die sagen,
wofür die große Masse ist, das wird immer das Verkehrte
sein. Das wollen wir nicht gerade annehmen. Aber daß,
wo die große Menge ist, immer die große Weisheit ist,
daran werden heute auch nur noch wenige glauben. Die Masse
regiert, nicht, weil sie weise ist, sondern weil sie Macht ist.
Der jüngst verstorbene Philosoph Gompertz in Wien
hat hieraus eine ungünstige Folgerung für das Frauen-
Masse und
Macht.
132 Frauen- Wahlrecht.
Massenregierung stimmrecht gezogen. Sieht man in dem Parlament eine
und Frauen-
Wahlrecht.
Das Geld.
Volksvertretung, so ist das Frauenstimmrecht konsequenter-
weise zuzugestehen, denn die Frauen gehören ganz gewiß
ebenso zum Volk wie die Männer. Erkennt man aber,
daß dies Gesetz der Majorität nichts anderes bedeutet, als
daß in friedlicher Weise stets die größere Macht regieren
soll, so ist das Frauenstimmrecht abzulehnen, zum wenigsten
für Deutschland. Denn in Deutschland gibt es, obgleich
mehr Knaben als Mädchen geboren werden, doch über
800 000 Frauen mehr als Männer und mit der Einführung
des Frauenstimmrechtes würde also die gesetzliche Herrschaft
von den Männern auf die Frauen übergehen. Sind die
Frauen aber vermöge ihrer Mehrzahl auch stärker als die
Männer? Schwerlich. Käme es zum Kampfe zwischen der
männlichen und der weiblichen Partei, so würden die
modernen Amazonen vermutlich am Ende ebenso unterliegen
wie die antiken. Die stärkere Stimmenzahl ist, sobald die
Frauen dabei sind, nicht mehr die stärkere Macht. Das
Majoritätsprinzip hätte mit der Einführung des Frauen-
stimmrechtes seinen inneren Sinn verloren und damit seine
Berechtigung. Form und Inhalt des Staates geraten in
Widerspruch zueinander. Das muß zu Konvulsionen,
Revolutionen führen; wer sie vermeiden will, suche die
Frauen von dem Kampfboden der Politik fernzuhalten.
Wie es sich nun auch mit dieser Argumentation ver-
halte, erschöpft ist das Problem jedenfalls damit nicht.
Denn vor allem, und darauf müssen wir jetzt kommen,
es gibt noch andere Mächte als die Masse. Da sind z. B.
die verschiedenen Kirchen und da ist das Geld, oder modern
ausgedrückt, das angesammelte Geld, das Kapital. Das
Kapital hat sich ursprünglich gegen die Regierung der
Massen, als sie allmählich aufkam, gesträubt, sich aber
Geld, Kirche, Armee. 133
schließlich damit abgefunden aus einem sehr einfachen
Grunde, weil das Geld ja nirgends besser seine eigene
Macht in Anwendung bringen kann als gerade bei der
Einwirkung auf die Masse.
Wie viele haben schon gesagt, in Wirklichkeit habe Amerika
gar keine Demokratie, sondern eine Plutokratie. Die Wahlen
werden gemacht mit dem Gelde. Jedenfalls spielt das
Geld eine große Rolle — es sind nicht bloß direkt Be-
stechungen damit gemeint, sondern die ganze Wahlorganisation,
von der wir gesehen haben, daß ohne sie überhaupt keine
wirklichen Massenwahlen zustande zu bringen sind, kann es
nicht geben ohne Geld, und sie ist desto wirksamer, je mehr
Geld ihr zur Verfügung steht*). Wer das meiste Geld auf-
wendet und aufbringen kann, hat jedenfalls eine sehr ge-
wichtige Stimme bei der Bildung der Majorität, und mehr
braucht ja das Geld nicht. Aus ähnlichen Gründen haben
sich auch die Kirchen, insbesondere die katholische mit
ihrem ungeheuren Einfluß auf die Massen, mit der
Majoritäts- und Massenherrschaft abgefunden.
Aber es gibt ja noch andere Kräfte außer den Massen
und den Kirchen, und vor allem eine, die immer an letzter
Stelle den Ausschlag gibt. Wo liegt zuletzt die wahre
Macht? Sie liegt in den Waffen. Die entscheidende
Frage für den inneren Charakter eines Staates ist deshalb
immer: Wem gehorcht die Armee? In Frankreich und
England gehorcht sie heute der parlamentarischen Majorität.
In England ist das so gekommen, daß der rechtmäßige König
(wir müssen immer wieder daran erinnern) Jakob II., Stuart,
gestürzt wurde und an seine Stelle ein nicht berechtigter
*) Jüngst wurde veröffentlicht, daß die Nachwahl im Kreise Ragnit-
Pillkallen der nationalliberalen Partei 140000 Mk. gekostet habe. Das
ist ein Wahlkreis von 397.
Die Kirche.
Die Armee.
Die Armee
in England.
134 Meuterei- Bill.
König, erst Wilhelm lII., dann Anna, dann das Haus
Hannover auf den Thron berufen wurden. Zu diesen
Königen hatte die englische Armee, klein wie sie war, keine
innere Beziehung, und die englischen Verfassungsgesetze, die
damals gegeben wurden, sorgten dafür, daß auch eine
staatsrechtliche Form das zum Ausdruck brachte. Das geschah
in der sogenannten Meuterei- Bill, d. h. dem Gesetze, das die
Disziplin der Armee begründete. Es gibt keine Armee
ohne disziplinarische Gewalt. Wenn der gemeine Mann
sich herausnähme, seinem Hauptmann eine Ohrfeige zu
versetzen und dieser müßte dann hingehen ans Schöffen-
gericht und jenen verklagen, dann würden wir sagen, die
Armee existiert nicht mehr. Die Armee als solche kann
nur existieren vermöge einer besonderen in der Kommando-
gewalt verkörperten, organisierten Disziplin. Nun machte
man in England ein Gesetz über militärische Meutereien,
das diese wirkliche Gewalt schuf. Aber dieses Meuterei-
gesetz galt nur für ein Jahr und mußte jedes Jahr er-
neuert werden. Damit glaubte der Parlamentarismus sich
die Macht geschaffen zu haben, dem König jedes Jahr,
wenn er ihm gefährlich zu werden schien, die Macht ent-
reißen zu können, indem er die Meuterei- Bill nicht ver-
längerte, und Staatsrechtslehrer möchten daraus die Folge-
rung ziehen, das sei der Weg, wie man das Königtum,
wenn es despotisch zu werden drohe, ohnmächtig mache.
Ein solches Gesetz ist aber doch nur eine juristische Form.
Eine Armee, die einmal diszipliniert ist, die bleibt auch in
der Hand des Offizierkorps, mag das Parlament Meuterei-
gesetze geben oder nicht, und wenn also der König das
Offizierkorps hinter sich hat, dann hat er auch die Armee
hinter sich, und dann helfen keine Meutereigesetze. Aber eben
der wahre König existierte ja in England nicht mehr. Es ist jetzt
Die Armee in Frankreich. 135
nur ein quasilegitimes Königtum, daß durch die Revolution
geschaffen ist, dem die innere Beziehung zur Armee fehlt,
und so konnte ein solches Meutereigesetz, wenn es auch an
sich nicht so sehr viel zu bedeuten hatte, doch die Form
darstellen, die die Armee in die Hand des Parlamentes
legte.
Auch in Frankreich gehorcht die Armee heute der Majo-
rität der Kammer. Aber mit Knirschen. Ein Volksredner,
ein Sozialdemokrat, ein Journalist, ein Börsenmakler, ein
Rechtsanwalt sind abwechselnd in Frankreich Kriegsminister
gewesen und haben darüber zu befinden gehabt, wer von
den Regimentskommandeuren zum General avanciert, wer
schließlich und wann er den Abschied bekommt. Wie kann
eine Armee, die die Tradition des großen Napoleon mit
all ihren Siegen, mit all ihrem Ruhm hat, sich einer
solchen Regierung unterwerfen? — Weil sie die Besiegte
von Sedan ist! Darum muß sie jetzt in Frankreich
den Advokatenregierungen Gehorsam leisten. Aber laßt
sie einmal wieder siegen, wirklich siegen, dann ist es
mit dem parlamentarischen Regiment in Frankreich auch
vorbei. Der General, der etwa in Berlin eingezogen wäre
und von Berlin nach Paris zurückkäme, der gehorchte nicht
mehr einem Kriegsminister, der heute von dieser und morgen
von jener parlamentarischen Majorität eingesetzt wird. Aber
weil die Armee nicht mehr imstande war, den alten Ruhm
aufrecht zu erhalten, darum mußte sie auch von der Regierung
zurücktreten. Die Regierung Napoleons llI. war ja eine
Volksregierung; denn mit ungeheurer Majorität hat in all-
gemeiner Abstimmung das französische Volk dafür ent-
schieden, ihn erst zum Präsidenten, dann zum Kaiser zu
machen. Aber sie war gleichzeitig eine militärische Regierung.
Wenn das Volk nicht so gestimmt hätte, vielleicht hätte
Die Armee
in Frankreich.
Die Armee
in Deutschland.
136 Das deutsche Offtzierkorps.
Napoleon lll. sich doch zum Kaiser gemacht, weil er eben
die Armee hinter sich hatte, weil die Armee an ihre Nieder-
lagen von 1813 und 15 noch nicht endgültig glauben wollte
und auch nicht endgültig zu glauben brauchte, weil in ihr
noch eine solche Gewalt war, daß sie hoffen konnte, wenn
wieder ein Mann, der ganz mit ihrem Geist einig war,
an der Spitze Frankreichs stände, daß sie mit ihm regieren
und den ehrenvollen Platz, der ihr gebührt in der Ordnung
der Stände, einnehmen würde. So ist es ja auch gekommen.
Zunächst erwarb die Armee im Krimkrieg, dann in dem
italienischen 1859, wenn auch nicht sehr großartige, so doch
neue ehrenvolle Siege, bis sie 1870 zusammenbrach.
Nun übertragen wir das einmal auf Deutschland- Preußen.
Stellen wir uns ein parlamentarisches Regiment vor und
nehmen, wen Sie wollen aus dem Abgeordnetenhaus oder
Reichstag und lassen ihn bei uns Kriegsminister sein. Wer
auch nur die geringste Fühlung mit unserem Offizierkorps
und unserer Generalität hat, weiß, daß das eine Unmög-
lichkeit ist, daß unsere Armee auch erst ein Sedan von
der anderen Seite erlebt haben müßte, um das über sich
ergehen zu lassen. Wer ist die Armee? Die Armee besteht
aus drei Teilen: aus den Berufssoldaten, die ihr Leben
dem Waffendienst gewidmet haben, das sind die Offiziere;
aus zwei Jahrgängen des ganzen Volkes, fortwährend
wechselnd, das sind die Mannschaften; und aus dem Unter-
offizierkorps, das zwischen beiden eine Mittelstellung ein-
nimmt. Den Geist der Armee bestimmt natürlich nicht
der wechselnde Teil, sondern der dauernde, das Offizierkorps,
das die Mannschaft in seinem Geiste erzieht und vermöge
des Disziplinargesetzes in seinem Geiste regiert.
Versenken wir uns etwas in den Geist des Offizierkorps,
wie er bei uns schon seit Jahrhunderten lebt und früher
Das Offizierkorps als Gefolgschaft. 137
auch in allen anderen romanisch- germanischen Staaten lebendig
war. Die stehenden Armeen sind gebildet worden bei uns
im 17. Jahrhundert; in Brandenburg- Preußen durch den
Großen Kurfürsten, der eine Reihe zersplitterter Landschaften
geerbt hatte, von Preußen bis zum Rhein, und nun einen
Staat errichtete vermöge eines einheitlichen Beamtentums
und einer einheitlichen Armee. Auch seinem Sohn, Friedrich
Wilhelm lI. und Friedrich dem Großen dienten die Offiziere,
wie die Mannschaften nicht als dem Landesherrn, sondern
als ihrem Kriegsherrn. Es kommt dabei nicht darauf an, ob
einer Preuße oder Brandenburger oder Pommer oder aus
sonst einer Landschaft ist, er braucht gar nicht einmal ein
Deutscher zu sein, sondern er tritt in den Dienst irgend-
eines großen Kriegsherrn, in diesem Falle des branden-
burgisch- preußischen, und widmet sich ihm durch ein Treu-
gelöbnis, ihm, nicht dem Staat. Zum Staat hat der Soldat
des 17. und 18. Jahrhunderts nur eine mittelbare Be-
ziehung, weil nämlich sein Kriegsherr auch der Souverän
dieser oder jener Landschaft ist. Aber der, dem die Armee
dient, das ist der, dem sie die Treue geschworen hat, und was
er auch immer für politische Ziele verfolge, die gehen die Armee
nichts an. Diesen persönlichen Kriegsdienst wird man noch
besser verstehen, wenn man ihn noch weiter durch die Jahr-
hunderte der deutschen Geschichte verfolgt. Wir können
zurückgehen bis in die Urzeiten, wo uns Cäsar und Tacitus Germanische Ge-
schildern, daß der deutsche Fürst umgeben ist von einem folgschaft und
Gefolge besonders tapferer Krieger, die ihn in die Schlacht
begleiten, bei denen das Gesetz gilt, daß es die größte
Schande ist, aus der Schlacht zurückzukehren, wenn der
Fürst gefallen ist. Das Gefolge kämpft für den Fürsten,
der Fürst für den Sieg. Dieses eigentümliche Kriegertreu-
verhältnis, das wir übrigens nicht bloß bei den Germanen,
138 Die Gefolgschaft.
sondern auch bei anderen Völkern, z. B. auch bei den
Japanern finden, bei den Römern und Griechen aber nicht,
wenigstens nicht in dieser Art, das ist der Ausgangspunkt
des mittelalterlichen Staats geworden. Diese Gefolgschaft,
die dem Fürsten zu persönlicher, unverbrüchlicher Treue sich
verpflichtet hat (in pace decus, in bello praesidium), der
als letztes und höchstes Gesetz gilt, die Treue zu halten,
pflanzt ihren Geist fort. Das Verhältnis wird im Mittel-
alter hinübergeleitet in das Vasallitätsverhältnis der Ritter-
schaft zu ihrem Lehnsherrn mit derselben Auffassung, und
es setzt sich heute fort in unserem Offizierkorps. Der König
ist noch heute das Haupt seines Gefolges; er ist der Kamerad
seiner Offiziere und zu ihm als ihrem Kriegsherrn halten
sie sich, und das ist das Fundament unseres Staatswesens.
In der preußischen Verfassung steht nur, der König führe
den Oberbefehl über das Heer, und ebenso steht es in der
deutschen Reichsverfassung. Ich lasse hier aus die Kom-
plizierung, die eintritt durch die Eigenschaft Deutschlands
als Bundesstaat. Wie weit ist der Kaiser Kriegsherr auch
der kleineren Kontingente seit 1867 geworden? Ich habe
darüber in den Preußischen Jahrbüchern (Maiheft 1913)
einen Aufsatz veröffentlicht; wer sich näher darüber infor-
mieren will, mag es dort nachlesen.
Machen wir uns für jetzt klar, daß ein Verhältnis existiert,
das zwar in beinem Verfassungsparagraphen irgendwie for-
muliert ist, aber doch die stärkste Gewalt ist, die wir im ganzen
deutschen Reich überhaupt haben, unzerbrechlich von innen
heraus, von außen wäre sie nur zu zerbrechen durch die
allerfurchtbarste der Niederlagen. Ja, selbst die furchtbarste
der Niederlagen hat es ja überstanden. Der König von
Preußen, als er bei Jena und Auerstädt besiegt wurde,
konnte fliehen bis in die letzte Stadt seines Reiches, bis
Friedrich Wilhelm in Memel, Napoleon in Sedan. 139
nach Memel: König von Preußen und Kriegsherr blieb er
doch. Sein Volk verehrte in ihm den angestammten König,
und seine Armee in den kleinen Resten, die noch da ge-
blieben waren, hielt zu ihm, und aus ihr ist durch das
Genie Scharnhorsts und Gneisenaus die neue Armee gebildet
worden, indem die ganze Jungmannschaft des Landes dem
Offizierkorps zur militärischen Erziehung übergeben wurde.
Vergleichen wir einmal, welche unmittelbaren Folgen
es auch für die Kriegführung haben kann, ob ein solches
Treu- Verhältnis zwischen Fürst und Volk existiert oder
nicht. Als die Franzosen 1870 in den großen Schlachten
bei Metz geschlagen waren, und die Bazainesche Armee
nach Metz hineingeworfen war, da sahen Napoleon und
der Marschall Mac Mahon wohl ein, daß es das Rich-
tigste sei, mit der anderen geretteten Hälfte der Armee
nach Paris zurückzugehen. Wäre die Armee nach Paris
zurückgegangen, dann ist eigentlich nicht abzusehen, wie
wir Frankreich, wenigstens so vollständig wie wir es nach-
her gesehen haben, hätten besiegen können. Es kam aber
anders durch die Kaiserin und die Regierung in Paris, die
flehentlich baten, nicht nach Paris zu gehen; denn wenn
der Kaiser so weit zurückweichen müsse, dann sei die
Revolution sicher und das Kaisertum verloren, und darauf-
hin, aus diesem innerpolitischen Grunde, nahm die Armee
die Richtung nach Norden, in der Hoffnung, von dort aus
Bazaine in Metz zu Hilfe zu kommen. Sie wurde statt
dessen von der deutschen Armee besiegt und bis auf den
letzten Mann gefangen genommen. Wenn diese bei Sedan
gefangene Armee in Paris zur Verteidigung geblieben wäre,
hätten wir die Stadt nicht einschließen können. Der Grund
der völligen französischen Niederlagen also war, daß Napoleon
kein sicheres Verhältnis zu seinem Volk hatte, wie ja auch
Delbrück, Regierung und Volkswille. 10
Sedan.
Die preußische
Armee 1848.
140 Das preußische Offizierkorps
schon Napoleon l. darüber gestürzt ist, daß in dem Augen-
blick, wo die Verbündeten in Paris einzogen, seine Marschälle
von ihm abfielen. Weder die Österreicher, noch die Preußen,
noch die Russen waren von ihrem Herrscher abgefallen, als
der Feind die Hauptstadt genommen hatte. Diese Beziehung
des Volkes zum angestammten Herrscher hat nun ihre höchste
Potenz in der Beziehung des Offizierkorps zum Souverän
in seiner Eigenschaft als Kriegsherr. Wir haben ja den
Fall, daß diese Beziehung grundsätzlich gelockert werden
sollte, in unserer Geschichte tatsächlich gehabt. Im Jahre
1848 beschloß das Parlament, das in Frankfurt die neue
Verfassung zu schaffen beflissen war, daß alle Bundes-
kontingente dem Reichsverweser huldigen sollten. Reichs-
verweser war der Erzherzog Johann von Österreich; also
auch die preußische Armee sollte dem Erzherzog huldigen.
Welche erstaunliche Verkennung des Preußentums! In
Königsberg kommandierte ein Graf Dohna, Schwieger-
sohn Scharnhorsts; in Stettin kommandierte der General
von Wrangel, der schon als 23jähriger 1814 ein Kürassier-
regiment führte. Als er an dem Unglückstage von Vauchamps-
Etoges (14. Februar) rings eingeschlossen schien und der
französische Parlamentär, der ihn zur Übergabe aufforderte,
sich herausnahm, direkt die Mannschaft anzusprechen, rief
Wrangel seinem Wachtmeister zu: „Schieß ihn tot!“ nahm
das Regiment zusammen und brach durch.
In Münstier kommandierte Graf Gröben, der 1812, als
die Preußen mit den Franzosen gegen die Russen ziehen
mußten, zu denjenigen gehört hatte, die beim Abschied-
nehmen Gneisenau zugerufen hatten, er solle an die
Spitze der Patrioten treten, damit „Hermann in seinen
Enkeln lebe!“ In Breslau kommandierte Graf Brandenburg,
der in der Neujahrsnacht 1814 als Erster den Rhein über-
und der König. 141
schritten hatte. Diese Leute sollten dem vom Parlament
als Reichsverweser eingesetzten österreichischen Erzherzog
huldigen? Was war das für ein Verständnis für das
Wesen der preußischen Armee, in der noch die Sieger von
1813 lebten! Und wenn jetzt die Träger des Eisernen
Kreuzes von 1870 in der Armee allmählich aussterben, der
Geist lebt weiter. Es ist schlechthin unmöglich, daß eine
solche Armee sich von ihrer Vergangenheit losreißt und sie
verleugnet. An diesem Felsen branden alle Wogen vergebens.
Weder läßt sich die preußische Armee von ihrem König,
noch der König von seiner Armee losreißen. Wie sehr
irren sich jene Staatsrechtslehrer, die da glauben, das
Staatsleben aus den Paragraphen der Verfassung ablesen
zu können! Wie die lebendigen Kräfte des Parlaments in
den Parteien stecken, von denen in der Verfassung kein
Wort zu finden ist, so beruht das Wesen des Königtums
nicht in den Funktionen, die ihm die Verfassung zuweist,
sondern in Kräften, die weit jenseits aller formalen Rechtssätze
in den Jahrtausenden wurzeln, in den Beziehungen zum Heer.
Neben dem Offizierkorps steht das Beamtentum. Es Das
ist zwar nicht so unmittelbares Instrument der Macht wie Beamtentum.
die Armee, aber doch Instrument für die Ausübung der
Macht. Das Beamtentum, das dem König ebenso gehorcht
wie die Armee, das seinen Organismus über das gesamte
Volk ausbreitet, verlegt am letzten Ende jede politische Ent-
scheidung in die Hand des Königtums. Wie doktrinär muß
man sein, davor die Augen zu verschließen! Kann dagegen
die Macht, die die Massen in sich tragen, aufkommen? Freilich
auch hier ist Macht und sie ist nicht zu verachten. Aber diese
Macht, die im Reichstag zu ihrem Ausdruck kommt, ist nicht Der Reichstag.
einheitlich. Sie ist ihrer Natur nach, wie wir schon gesehen
haben, gespalten. Wir haben im deutschen Reichstag zur Zeit
10*
142 Dualismus in Rom und in Deutschland.
nicht weniger als sieben Fraktionen, die alle das politische Ziel
von einem besonderen Gesichtspunkt aus ansehen, und von
denen jede es sich überlegen kann, ob sie schließlich ihr
Ziel nicht besser erreicht, indem sie sich mit der Regierung
koaliert und durch Entgegenkommen und Kompromisse ihre
Freundschaft gewinnt, als wenn sie sich bemüht, selber das
Steuerruder in die Hand zu bekommen. Wenn wir das
alles zusammenhalten, so sehen Sie, daß von einem Hinüber-
gleiten in eine parlamentarische Regierung bei uns, weder
im pessimistischen noch im optimistischen Sinne, die Rede
sein kann. Sondern, soweit Menschenaugen vorauszusehen
vermögen, werden wir in Deutschland ein dualistisches
Regierungssystem behalten, für das wir ja nun auch das
große welthistorische Vorbild gefunden haben, nämlich in
Rom. Es ist durchaus nicht notwendig, daß sich schließlich
aus dem ewigen Streit um die Macht eine Partei als
Siegerin herausarbeite, sondern es kann geschehen, daß in
vielen Jahrhunderten ewigen Widerstreits doch immer wieder
ein Sichverstehen gefunden wird, eine Harmenie, bei der
bald die eine, bald die andere Macht mehr im Vorder-
grund stehen mag, aber die letzte Entscheidung, wer regiert,
niemals getroffen wird. Es gibt deshalb auch keine prin-
zipielle Grenze, bis wohin der parlamentarische Einfluß
gehen darf, oder umgekehrt; sondern das ist immer nur
eine praktische Frage von Fall zu Fall. Von Beginn des
Reichstags an war stets Streit und stets die Neigung,
möglichst viel von der Macht für die eine oder für die
andere Seite zu erraffen, und immer wieder hat man ein-
gesehen, daß man sich besser verträgt als schlägt. Es ist
auch falsch, zu meinen, daß etwa die heutige Regierung
dem Reichstag mehr nachgäbe, als es seinerzeit Bismarck ge-
tan hat. Bismarck hat die ungeheure Macht, die der Reichstag
Macht des Reichstages. 143
ausũbt, voll anerkannt und anerkennen mũssen. Namentlich
haben ja die Parlamente immer das eine große Instrument
in der Hand, die Geldbewilligung, und in diesem Punkte
hat Bismarck die allergrößten Konzessionen machen müssen.
Als wir das Schutzzollsystem einführten, da brachte das dem
Reich so viel Geld ein, daß es auf lange geit finanziell unab-
hängig gewesen wäre. Aus wirtschaftlichen, nicht aus finan-
ziellen Gründen war die Mehrheit des Reichstages dafür.
Aber damit die Regierung nicht unabhängig würde, wurde
die Klausel Frankenstein erfunden, die bestimmte, daß das
Geld, das einkomme, über eine bestimmte Summe hinaus
nicht in der Reichskasse bleiben dürfe, sondern an die Einzel-
staaten verteilt werden müsse, damit der Reichstag es immer
neu zu bewilligen hätte. Und als der Schutzzoll später
erhöht wurde und noch viel mehr Geld einkam, da war die
Furcht noch viel größer, die Regierung möchte zu unabhängig
werden, und es wurde beschlossen, in Preußen ein Gesetz zu
geben (Ler Huene), daß auch die preußische Regierung das
ihr zufließende Geld nicht behalten dürfe, sondern es mußte
an die Kreise verteilt werden. Zu diesem Zwecke wurde in
einer wahrhaft grotesken Weise Seelenzahl und Quadrat-
meilenzahl der Kreise miteinander multipliziert und nach
diesem festen Schlüssel der Ertrag jährlich verteilt. Manche
Kreise brauchten das Geld gar nicht, sondern bauten für
ihre Landräte prächtige Dienstwohnungen davon. Aber der
Zweck, die Macht der Geldbewilligung für die Reichstags-
fraktionen zu erhalten, wurde erreicht und Bismarck mußte
sich dem unterwerfen. Das Reich wurde künstlich in Geld-
not versetzt, damit der Reichstag den Knopf auf dem Beutel
halte und immer wieder seine Bewilligung machen mußte.
Natürlich, der geniale Erfinder dieses Systems war der
Führer des Zentrums, Windthorst.
Bismarck und
der Reichstag.
144 Macht des Reichstages.
Im übrigen wurde womöglich gar kein Geld bewilligt.
Steuervorlagen, wie das Tabaksmonopol, das Branntwein-
monopol usw. wurden immer wieder vom Reichstag abge-
lehnt. Was sich darin geändert hat, und worüber jetzt
die Leute klagen, ist, daß der Reichstag sich selber Steuern
ausdenkt. Unzweifelhaft hat er dabei bereits schwere Fehler
gemacht (Fahrkartensteuer, Grundwertzuwachssteuer), aber
prinzipiell ist es für das Reich ein Fortschritt, wenn der
Reichstag nicht bloß immer Steuern ablehnt, sondern, wenn
er gewisse Steuern nicht will, andere dafür an die Stelle
setzt. Und da kommen die Klageweiber und vergießen
Ströme von Tränen, daß nun der Parlamentarismus ge-
kommen sei, weil der Reichstag dem Bundesrat Steuern
aufoktroiere. Ich lasse mir vom Standpunkt des Reichs, der
wirtschaftlichen Zukunft und Gesundung der Finanzen es gern
gefallen, daß der Reichstag die Steuern macht, wenn ihm die,
die die Regierung vorschlägt, nicht passen. Ich bin sogar fest
überzeugt, daß der Reichstag die Steuervorlagen in diesem Jahr
sachlich sehr wesentlich verbessert hat. Um so lieber erkenne
ich an, daß seine Macht eine durchaus berechtigte ist, und
es kann keinen ungerechteren Vorwurf geben, als einen
Reichstag, der der Regierung die gewaltige Armeeverstärkung
und die dazu gehörige gewaltige Steuerbelastung bewilligt
hat, die der einzelne vielfach hart empfinden wird, zu be-
schuldigen, er treibe Machtpolitik und strebe zu einer
parlamentarischen Regierung. Die Vorgänge der letzten
Wochen bezeugen uns nur wieder von neuem, wie gesund
und kräftig das dualistische System bei uns arbeitet.
Unsere Betrachtung, ob anzunehmen sei, daß Deutschland
mit der Zeit zum parlamentarischen System hinübergleiten
werde, leitet uns über zu der anderen Frage nach den be-
sonderen Vorzügen oder Nachteilen des einen und anderen
Verantwortungsgefühl der Parteien. 145
Regierungssystems. Die Frage ist ja nicht identisch mit
jener anderen, ob anzunehmen ist, daß wir von dem einen
System zu dem anderen übergehen. Es könnte ein Über-
gang zum Schlechteren, könnte auch ein Übergang zum
Besseren sein.
Sehen wir erst einmal auf gewisse Schwächen unseres
deutschen Systems. Da ist das erste, daß den Parteien,
da sie nur die Regierung kontrollieren, aber sie nicht selbst
führen, leicht das volle Gefühl der Verantwortung abgeht.
Infolgedessen hatte Deutschland bis auf unsere Tage eine
überaus schlechte Finanzpolitik. Wir haben es ja fertig
gebracht, in 40 jährigem Frieden 7000 Millionen Mark
Schulden zu machen, weil der Reichstag sich nicht entschließen
konnte aus Rücksicht auf die lieben Wähler, die ungern
zahlen, im rechten Augenblick die notwendigen Steuern zu
bewilligen. Im Jahre 1909 berechnete der Nationalökonom
Professor Schanz in Würzburg, daß, wenn man im Jahre 1877
nur 70 Millionen Mark bewilligt hätte (etwa die Biersteuer,
wie sie heute existiert), das Reich schuldenfrei sein würde.
Nun haben wir an Zinsen und Amortisation jährlich an
200 Millionen mehr aufzubringen als sonst nötig wäre.
In diesem Punkt ist ja nun gerade jetzt eine wesentliche
Besserung zu berichten. Der Reichstag hat sich in diesem
Jahr endlich entschlossen, den Satz aufzustellen: Keine
Ausgaben ohne Deckung, und hat damit etwas geleistet,
was keiner seiner Vorgänger jemals fertig gebracht hat
— gerade der Reichstag mit den 110 Sozialdemokraten!
Was wurden die Patrioten alle blaß, als im Februar 1912
dieses Wahlresultat bekannt wurde! Ich darf wohl sagen,
daß ich mich nicht so habe täuschen lassen. Wer es will,
mag es nachlesen in den Preußischen Jahrbüchern, wo ich
damals schon geschrieben habe, der neue Reichstag habe eine
Schwächen des
dualistischen
Systems.
146 Schlechte Finanzpolitik in Deutschland.
so günstige Zusammensetzung, wie wir sie noch gar nicht er-
lebt hätten, und wie sie Bismarck niemals beschieden ge-
wesen sei. Diese optimistische Auffassung ist heute durch
die Ereignisse bestätigt. Die Parteien sind jetzt alle mehr
oder weniger in die Stellung eingerückt, die Vorlagen der
Regierung sachlich zu prüfen und ihre Entscheidung letzten
Endes nicht ausschließlich vom Partei- und Fraktionsinteresse,
sondern auch unter Berücksichtigung des Staatswohles zu
finden. Nichtsdestoweniger bleibt die prinzipielle Gefahr,
daß das Verantwortungsgefühl der Reichsboten zu schwach
ist, bestehen. Wir wissen ja nicht, ob die jetzige Stimmung
anhält, ob der Reichstag nicht einmal in den alten Fehler
zurückfallen wird. Die Natur der Dinge leitet eigentlich
darauf hin — der Reichstag hängt einmal von den Wählern
ab, ist berufen, die Regierung zu kritisieren, aber nicht sie
zu führen, und das schwächt das Pflichtgefühl dem Staate
gegenüber ab.
Eng hiermit hängt der zweite Nachteil unseres Regierungs-
systems zusammen, nämllich die stets verärgerte Volksstimmung,
weil niemand so ganz befriedigt ist, sondern immer Kom-
promisse geschlossen werden müssen, die immer auf beiden
Seiten eine gewisse Mißstimmung hinterlassen. Im 18. Jahr-
hundert schrieb einmal ein englischer Staatsmann, der draußen
angestellt war und von Zeit zu Zeit mal in seine Heimat
zurückkam: Wenn er nach Hause komme und öffne die
Augen und schließe die Ohren, so scheine ihm das Land in
der schönsten Blüte. „Schließe ich aber meine Augen und
öffne meine Ohren, so höre ich, daß England das elendeste
Land auf der ganzen Welt ist.“ So ungefähr hätte seit
vielen Jahren man auch wohl in Deutschland urteilen können.
Die ganz Naiven trösten sich damit, es sei erst so seit Bis-
marcks Abgang; zu Bismarcks Zeiten, da sei man zufrieden
Unzufriedene Stimmung. 147
gewesen; seitdem aber herrsche die fortwährend steigende un-
zufriedene Stimmung. Daran ist so viel wahr, daß die
Anhänger Bismarcks zufrieden waren, oder wenigstens ihre
Unzufriedenheit nicht laut äußerten, aber desto unzufriedener
waren die Sozialdemokraten, die Klerikalen und die Frei-
sinnigen, die in der allerschärfsten Opposition waren. Das
hat sich ja nun sehr ausgeglichen. Zentrum und Freisinnige
sind in ein positives Verhältnis mit der Regierung ein-
getreten; selbst die Sozialdemokraten haben so viel mit sich
reden lassen, daß ihnen eine gewaltige Opposition in ihren
eigenen Reihen daraus erwachsen ist. Aber in demselben
Verhältnis, wie diese Parteien beschwichtigt sind, ist die
Mißstimmung bei den anderen gewachsen, während auch
jene doch keineswegs befriedigt sind. Man brummt also jetzt
ringsum, und namentlich von links wird ja tagtäglich ver-
kündigt und geklagt, daß Deutschland ein zurückgebliebener
Polizei- und Klassenstaat sei.
Vergleichen wir einmal das deutsche Reich mit den das Demokra-
anderen Ländern. Deutschland ist derjenige Staat, der tische
zuerst von allen europäischen Großstaaten das allgemeine,
gleiche, geheime Stimmrecht, verbunden mit freiem Ver-
sammlungs- und Vereinsrecht, eingeführt hat. Frankreich hat
das Stimmrecht seit 1851, aber ohne Versammlungs- und
Vereinsrecht, das erst 1871, nach dem Sturz Napoleons III.,
eingeführt wurde. England, Italien, Belgien, Holland,
haben heute noch nicht das allgemeine, gleiche Stimmrecht.
Deutschland ist das Land, daß die weitgehendste und in
den meisten Gebieten früheste, organische Sozialpolitik gehabt
hat, wodurch für die unteren Stände eine Fürsorge ge-
troffen ist, die man jetzt anfängt, in anderen Ländern
einigermaßen nachzuahmen. Deutschland hat seit undenk-
licher Zeit die Schulpflicht, die allgemeine Volksschule und
148 Das sozialdemokratische Ideal.
seit lange den unentgeltlichen Schulunterricht. Deutschland
hat auch ein höheres Schulwesen, das es den begabten
Söhnen kleiner Leute ungemein erleichtert, bis in die höchste
Bildungeschicht aufzusteigen. Deutschland hat die demo-
kratischeste aller Institutionen, demokratischer als das all-
gemeine Wahlrecht, das ist die allgemeine Wehrpflicht, die
den höheren Klassen, obgleich sie einige Erleichterungen haben,
viel schwerere Lasten in wirtschaftlicher und sonstiger Be-
ziehung auferlegt als den breiten Massen.
Von diesem Staat behauptet die radikale Linke, daß er
ein zurückgebliebener Klassenstaat sei! Freilich, manchmal
finden die Sozialdemokraten ja jetzt auch Gutes bei uns;
namentlich die Sozialpolitik, die sie seinerzeit aufs Schärfste
bekämpft haben, findet jetzt eine gewisse Anerkennung. Wenn
man ihnen vorhält: „Seit 30 Jahren seid ihr eine große
Partei und habt schlechterdings nichts geleistet,“ dann berufen
sie sich darauf, daß sie indirekt diese Sozialpolitik gemacht
haben, eigentlich die geistigen Urheber waren. Wie sich das auch
verhalte, auf alle Fälle haben sie damit zugegeben, daß dieser
Staat selbst für die Ansprüche der extremsten demokratischen
Partei außerordentliches geleistet hat. Nichtsdestoweniger
ist die sozialdemokratische Partei eine intransingente; intran-
singent in dem Sinne, daß die Regierung sich mit ihr über
etwas Praktisches nicht oder nur ganz ausnahmsweise ver-
tragen kann. Viele stellen sich vor, es sei die Partei der
weitliegenden idealen Zukunft, der man sich schrittweise nähere.
Wer sich über sie lustig machen will, kann das gerade
Gegenteil feststellen. Es ist von allen unseren Parteien
die reaktionärste. Unsere Feudal- Konservativen, unsere
Klerikalen, haben ein ungewisses, verschwommenes Ideal
im Mittelalter. Das Ideal der Sozialdemokratie liegt noch
viel weiter zurück; es lebte in den Urzeiten. Vergleichen
Wirkung der Intransigenz der Sozialdemokraten. 149
wir einmal die Forderungen, die im Erfurter Programm
gestellt werden, mit den urgermanischen Zuständen. „Ver-
gesellschaftung der Produktionsmittel“ — Produktionsmittel
waren damals Grund und Boden; die gehörten dem Volk;
privaten Grund und Boden gab es nicht. „Direkte Geset-
gebung durch das Volk“ — eine andere Gesetzgebung
gab es nicht. „Rechtsprechung durch das Volk“ — ebenso.
„Wahl der Regierung durch das Volk“ — die Fürsten wurden
vom Volke gewählt. „Allgemeines Volksheer“ — jeder
Germane war ein Krieger. Entscheidung über Krieg und
Frieden durch das Volk. Fügen wir schließlich hinzu, daß
es kein stehendes Heer und keine Steuern gab, so haben
wir einen sozialdemokratischen Idealstaat, daß das Erfurter
Programm verblaßt dagegen. Wir brauchen jetzt nicht mehr
so sehr nach dem Zukunftsstaat zu suchen und zu fragen,
wir können ihn wirklich in der Historie finden. Ob wir
ihn dann noch einführen wollen, ist eine andere Frage, eine
Frage, die ich dem Einzelnen und der Zukunft überlassen
will.
Praktisch aber entsteht an dieser Stelle die Schwierig-
keit für das gute Funktionieren des dualistischen Regierungs-
systems. Wenn alle Parteien, wie es in diesem Augenblick
bis auf einen gewissen Grad der Fall ist, bereit sind, über
jede neu auftretende Forderung zu verhandeln, dann ist es
gar nicht schwer, so oder so eine Majorität zusammen zu
bringen. Wenn aber eine große, ganz intransingente Partei
da ist, dann kann es allerdings sehr schwer werden. Das
sind heute höchstens noch die Sozialdemokraten. Bismarck
hatte es darin noch sehr viel schwerer. Es gab damals noch die
sogenannte deutsch- freisinnige Partei unter der Führung des
Abgeordneten Eugen Richter, mit der so gut wie gar nicht
zu verhandeln war (Bismarck hat einigemale Versuche ge-
Caprivi und die
Freisinnigen.
150 Die Krisis von 1892.
macht, die aber abgewiesen wurden), und das Zentrum,
dessen Hilfe nur um sehr hohen Preis zu haben war. Es
ist ũberaus schwer für Parteien, die einmal in der radikalen
Opposition sind, in eine positive Stellung hineinzurücken.
Ich kann da wieder eine Erinnerung aus meinem eigenen
Parlamentsleben einflechten. Die deutsch- freisinnige Partei
hatte sich gebildet im Jahre 1884, etwa 100 Mitglieder
stark, durch die Vereinigung der alten Fortschrittspartei mit
einer Absonderung von den Nationalliberalen, vielen höchst
bedeutenden Leuten darunter. Nun war Bismarck abge-
gangen. Caprivi suchte mit der Linken ein besseres Ver-
hältnis. Die Russen hatten schon in den 80er Jahren
begonnen, die drohende Stellung gegen uns einzunehmen,
die sie heute noch festhalten. Es war eine große Ver-
stärkung der Armee notwendig, und da bot im Jahre 1892
Caprivi der Linken die Konzession, um die sie 30 Jahre
vergeblich gefochten hatte, die zweijährige Dienstzeit. Kaiser
Wilhelm der Alte hielt es schlechterdings für unmöglich,
die Armee auf dem hohen Stand der Ausbildung zu halten
ohne die dreijährige Dienstzeit; darüber war im Jahre 1861
der Konflikt mit dem Abgeordnetenhause ausgebrochen. Jetzt
bot Caprivi, natürlich gegen Kompensation, gegen eine starke
Erweiterung der Aushebung, die ja weit hinter dem zurück-
bleibt, was wirklich geleistet werden könnte (auch heute sind
wir noch immer in der Lage, daß bei weitem nicht alle
Männer, die tatsächlich geeignet sind, eingezogen werden),
diese Konzession der zweijährigen Dienstzeit. Die Verkürzung
der Dienstzeit brachte also keine Ersparnis, sondern kostete
etwas, und daraufhin machte die freisinnige Volkspartei
diesem Vorschlag Opposition.
Mir schwebte damals schon jenes Ideal vor, daß der
Fürst Bülow für einen Moment durchgeführt hat im so-
Intransigenz der Freisinnigen. 151
genannten Block, das Zusammengehen der Konservativen mit
den Liberalen. Ich hatte einige Beziehungen zu angesehenen
Liberalen und ging hin zu Virchow und zu Hänel, die
neben Richter die hervorragendsten Führer der alten Fort-
schrittspartei waren. Von den ehemaligen Nationalliberalen
war anzunehmen, daß sie ohnehin geneigt seien, sich mit
Caprivi zu vertragen. Ich ging also zu Hänel und Virchow
und legte ihnen dar, wie doch die ganze Zukunft des Libe-
ralismus jetzt auf dem Spiel stehe, wenn sie dieses Angebot
der Regierung nicht annähmen, und nach einiger Unter-
redung brachte ich sie (Hänel ging gleich darauf ein, zögernder
auch Virchow) so weit, daß sie ja sagten. Ich ließ mich abends
um 10 Uhr noch bei Caprivi melden: „Ich bringe Ihnen
Virchow.“ Antwort: „Es ist zu spät; morgen wird auf-
gelöst.“ Es wurde doch noch nicht gleich am anderen Tag
aufgelöst, die Dinge blieben noch einen Moment in der
Schwebe. Aber der Führer der Konservativen, Hammerstein,
Redakteur der Kreuz- Zeitung, erzwang die sofortige Ab-
stimmung, weil er nicht wollte, daß die Regierung sich mit den
Freisinnigen vertrage, und schnitt dadurch weitere Verhand-
lungen ab. So wurde die Sache der Verständigung nicht reif.
Die Freisinnigen stimmten zum großen Teil gegen die Vorlage.
Der Reichstag wurde aufgelöst. Die Partei trennte sich in
zwei Teile, wurde vollkommen geschlagen, und seitdem führt
sie bis auf den heutigen Tag ein mehr oder weniger schatten-
haftes Dasein. Einige Jahre später trat einmal der Intimus
von Eugen Richter, der Abgeordnete Hermes, an mich heran
und sagte: „Ich habe ja damals auch gehört von Ihrem
Vermittlungsversuch und habe zu Richter gesagt: Wollen
wir nicht darauf eingehen?“ Darauf habe ihm Richter ge-
antwortet: „Dann sind wir keine Volkspartei mehr.“ Wie
unendlich charakteristisch ist dieser Ausspruch! Dieser Partei-
152 Vorteil der Opposition.
führer lehnte es grundsätztlich ab, eine positive Politik zu
machen. Er wollte in der Opposition bleiben; denn in der
Opposition sein, ist volkstümlich. Wer Positives leistet,
namentlich aber wer von den Bürgern verlangt, daß sie
Steuern zahlen sollen, ist ein sehr zweifelhafter Volksmann;
es sei denn, daß er es so eingerichtet hat, daß die Andern
die Steuern zahlen. Aber an dieser Überlegung: „Dann
sind wir keine Volkspartei mehr,“ daran ist damals das
Einschwenken gescheitert, das endlich die Natur die Dinge
doch herbeigeführt hat, aber erst im Jahre 1907, als es
für den Liberalismus bereits zu spät war. Zufällig gerade
heute las ich übrigens in der Frankfurter Zeitung (Nr. 207),
daß die Dinge noch weiter gewesen sein sollen. Da steht
nämlich, der Kaiser sei bereit gewesen, die Freisinnigen an
der Regierung teilnehmen zu lassen. Ob das wirklich wahr
ist, weiß ich nicht. Ich würde es damals dann wohl er-
fahren haben. Im Wesen kommt es ja auf das hinaus,
was ich gesagt habe. Denn ein solches Vertragen mit der
Regierung, wenn es auch nicht gerade Ministerposten be-
deutet, bedeutet doch immerhin einen sehr wesentlichen Ein-
fluß auf die Gesetzgebung. Aber es ist schwer, eine solche
Stellung zu gewinnen, wenn man eine ganze Generation
lang das Volk daran gewöhnt hat, sich vorzustellen, daß
die Regierung nichts als Böses treibe und Ungehöriges
verlange, und jeden, der zu der Regierung in Beziehung
tritt, als Höfling, „Wadenstrümpfler“, wie man es damals
nannte, verdächtigt hat. In dieser stets kritischen Negation
hat die Opposition eine große Stärke. Denn für den
Menschen gibt es keine größere seelische Lust, als schimpfen
zu können, oder wie Goethe das in seiner erhabeneren Weise
ausdrückt: „Der Handelnde hat immer unrecht; der Be-
trachtende hat immer recht.“ Sich in die Brust des Besser-
Ursache der Vorherrschaft der Agrarier. 153
verstehens, der Überlegenheit werfen, kritisieren, zeigen,
wie und wo Ersparnisse gemacht werden können, die Ge-
rechtsame des Volkes verteidigen, den Gewalthabern die
Wahrheit sagen, das alles kann man dann nicht mehr
so frei, wenn man selbst an der Regierung teilnimmt.
Darum finden Sie, daß in Frankreich und England, wo
doch auch viel Unzufriedenheit herrscht, sie doch nicht so stark
hervortritt wie bei uns. Namentlich nicht in England; weil
dort die eine Hälfte der Masse immer in der Regierung ist
und sich Mühe geben muß, zu verstehen, was die Minister
machen, und es einigermaßen verteidigen. Bei uns
herrscht statt dessen der Mittelweg, daß jede Richtung der
sog. bürgerlichen Parteien immer etwas mitwirkt, aber nie
ganz, während eine sehr große Partei, die sozialdemokra-
tische, fast stets ganz draußen steht. Das reizt natürlich die
Stimmung stets zur Kritik und diese wird zur Nörgelei. Schließ-
lich schadet das nicht so sehr viel; in großen Momenten kommt
man darüber hinweg. Wichtiger ist aber, daß durch die
Existenz intransigenter Parteien eine naturgemäße den
großen Tendenzen der Entwicklung konforme Regierung ver- Sosialdemokratie
hindert werden kann. Wir haben jetzt den eigentümlichen und Agrariertum
Zustand, daß wir einen scharf agrarischen Reichstag und eine
agrarische Regierung haben, obgleich nach der letzten Volks-
zählung vom Jahre 1907 nur 28,6% der Gesamtbevölke-
rung landwirtschaftlich sind. Im Jahre 1895 waren es
noch 35,7 %. So rapide ist der Anteil der landwirtschaftlichen
Bevölkerung am Gesamtwirtschaftsleben im Rückgang. Da
jetzt wieder sechs Jahre verflossen sind, ist noch kaum
ein Viertel, oder wenig mehr als ein Viertel der Bevölke-
rung agrarisch. Trotzdem haben die Agrarier die Majorität,
eine große Majorität, im Reichstag. Freihändlerisch sind
nur die Sozialdemokraten und die freisinnige Partei. Das
Die Agrarzölle.
154 Die Agrarzölle.
kommt einerseits von der veralteten Wahlkreiseinteilung, die
die volksschwachen Kreise bevorzugt, indem sie die seit 1867
emporgekommenen großen Industriestädte noch nicht mit
Mandaten bedacht hat. Aber das erklärt noch nicht eine
so kolossale Unterbilanz, sondern die kommt daher, daß die
Regierung und die Parteien, die zu ihr halten, unter keinen
Umständen mit den Sozialdemokraten positive Politik machen
können. Also wo es gilt, einen Vertreter einer positiven
Politik zu wählen, da sind auch Anhänger einer gemäßigten
Wirtschaftspolitik in sehr vielen Fällen gezwungen, mit den
Agrariern zu gehen, weil die immer den Kern der Gegen-
truppe gegen die Sozi bilden. Da sind es also meist die
Großgrundbesitzer, die den Ausschlag geben, wenn man nicht
die Sozialdemokratie heranlassen will. Nun halte ich das
durchaus für kein Unglück; ich bin selbst ein Stück von
einem Agrarier. Ich bin zwar bei den Agrariern sehr
wenig beliebt, weil ich ihnen zuweilen etwas harte Wahr-
heiten gesagt habe. Aber nichtsdestoweniger, die agrarische
Schutzzollpolitik halte ich bis heute im wesentlichen für
gerechtfertigt und für wohltätig, und zwar unter dem Ge-
sichtspunkt, daß sie die Preise der agrarischen Produkte
nicht erhöht hat, sondern nur das Sinken unter den
früheren Durchschnitt verhinderte. Das ist tatsächlich der
Fall. Mit Ausnahme weniger Jahre hat sich trotz unserer
enormen Zölle der Preis für Roggen, Weizen und andere
Landwirtschaftsprodukte meistens unter dem Durchschnitt der
Jahre 1851—80 gehalten, und ihn nur in wenigen Jahren
überschritten*). Solange das der Fall ist, sind die Zölle
*) In den Jahren 1871 bis 1880 war der Durchschnitt des Weizen-
preises 209,6 für die Tonne. Dieser Preis ist nur 1891 (mit 224,2)
und 1909 (mit 233,09) überschritten worden; heute steht er (Nov. 13)
auf 178. Der Roggen kostete im Durchschnitt 1851 bis 1880 163,7, hat
Herrschaft der Konservativen durch die Hilfe der Sozi. 155
gerechtfertigt. Denn wenn die Zölle nicht gekommen wären
oder plötzlich aufgehoben würden, würde ein ungeheurer
wirtschaftlicher Zusammenbruch auf dem Lande stattfinden,
der tatsächlich nicht nur alle ländlichen Familien, sondern
das ganze Wirtschaftsleben so stören würde, daß auch der
reine Konsument, der kaufende Arbeiter, in Mitleidenschaft
gezogen würde. Die agrarische Schutzzollpolitik verliert aber
diese Berechtigung, sobald die Preise wesentlich und dauernd
über das überlieferte Maß hinaus steigen, und es ist sehr
leicht möglich, daß das jetzt kommt, und dann müssen wir
die Zölle abbauen.
Aber ich will mich nicht in Zukunftsüberlegungen ein-
lassen, sondern nur eine Begründung geben zu dem Satz, daß
die agrarische Schutzzollpolitik auch von jemand, der weder
Ar noch Halm besitzt, als nicht nur gerechtfertigt, sondern.
auch als segensreich angesehen werden kann, daß wir also den
Sozialdemokraten für ihre intransingente Stellung, die den
Agrariern die Herrschaft in Deutschland gibt, noch dankbar
sein müssen. Im übrigen freilich ist von höheren Gesichts-
punkten aus dieses Verhalten einer großen Partei natür-
lich das Schädlichste und Verkehrteste, was es geben kann,
aber es ist sehr schwer, davon los zu kommen, wie wir das
an der Geschichte der freisinnigen Partei kennen gelernt
haben. Mögen die Sozi sehen, wie sie damit fertig werden.
Für uns ist das erfreuliche Ergebnis, daß die Schwierigkeit,
mit einem Reichstag mit intransingenten Parteien durch-
zukommen, sich bisher überwindbar gezeigt hat, und sie
diesen Durchschnitt bis 1909 sechsmal überschritten, ist aber auch 1896 trotz
Zoll bis auf 118,8 gesunken. Heute steht er auf 153. Der Konsum
von Roggen ist seit 1878 pro Kopf der Bevölkerung etwa derselbe ge-
blieben; gleichzeitig aber der Verbrauch von Weizen ganz gewalltig ge-
stiegen, die Gesamternährung durch Brotfrüchte also ungeheuer verbessert.
Delbrück, Regierung und Volkswille. 11
Die organisierte
Intelligenz.
156 Unzulänglichkeit der organisierten Intelligenz.
wird sich auch in Zukunft als überwindbar erweisen, hilft
uns sogar, die konservativen Elemente und Grundlagen des
Staates zu erhalten.
Aber ich muß jetzt auf einen anderen, ziemlich
dunklen Punkt eingehen. Wir haben uns den idealen
Aufriß gemacht, daß eigentlich zwei Potenzen bei uns
im Lande regieren: die organisierte politische Intelligenz
im Beamtentum und die Masse, die im Reichstag ihre
verschiedenen Instinkte kund gibt. Nun ist es aber mit der
Organisation der Intelligenz eine eigene Sache. Wir haben
gesehen, daß es eine psychologische Täuschung ist, im Reichs-
tag den Volkswillen zu sehen, weil der Volkswille sich gar
nicht organisieren läßt. Der demokratische Reichstag ist im
heutigen deutschen Reich etwas Unentbehrliches, aber die ideale
Forderung, den Volkswillen darzustellen, die kann er nicht
erfüllen. Bei der organisierten Intelligenz im Beamtentum
ist es etwas Ähnliches. Wenn man Intelligenz organisiert,
gerinnt sie, wird starr und steif, und es entsteht die Bureau-
kratie oder die Hierarchie. Was für einen unerfreulichen
Nebenklang haben diese Worte, und mit welch nieder-
schmetternder Charakteristik haben gerade unsere größten
Staatsmänner eben dieses preußische Beamtentum bedacht,
von dem wir uns klar gemacht haben, daß es den eigent-
lichen Aufbau unseres Staates bildet, und wie unendlich
viel wir ihm verdanken. Stein sprach nie anders als im
verächtlichsten Tone von den „bezahlten Offizianten“, und in
Bismarcks Augen waren die Beamten Drohnen, die Gesetze
machen und sich dafür vom Volke ernähren lassen; ja, er
hat sogar das schnöde Wort geprägt von jenem „Extrakt von
Dummheit und Bosheit, den man in Preußen den Geheimen
Rat nennt“. Ein Beispiel, daß man ein in der Laune
einmal ausgesprochenes Urteil auch von den allergrößten
Bureaukratie und Kommiß. 157
Politikern nicht als objektive, historische Charakteristik an-
nehmen darf. Aber wahr ist es, daß im Beamtentum
sich trotz der höchsten Sachkunde und Intelligenz eine
Verknöcherung des Denkens und Verengung des Gesichts-
kreises nur zu leicht herausbildet. Pedanterie, Forma-
lismus, Hochmut, Kleben am Überlieferten, Strebertum,
Unfähigkeit, sich in neue Aufgaben und Ausnahme-
zustände zu finden, das sind Eigenschaften, die sich nur zu
häufig zeigen und die uns den Zorn von Männern wie Stein
und Bismarck wenigstens erklärlich machen. Beim Militär
nennt man dieselbe Erscheinung „Kommiß“!
Wir haben sicherlich ein so tüchtiges und so hoch-
stehendes Beamtentum, wie nur irgendwo, aber daß es
gewissen Aufgaben nicht gewachsen ist, dafür haben wir
nun ein sehr bedeutendes und sehr bedauerliches Beispiel,
das ich etwas näher ausführen will. Das ist die Polen-
frage. Im modernen Nationalstaat ist es eine ganz be-
sonders schwierige Aufgabe, wenn wesentliche Elemente
einer fremden Nationalität eingeschlossen sind. Wie soll
sich ein Staat der Deutschen, der doch ganz und gar auf
das lebendige Bewußtsein des deutschen Volkes aufgebaut
ist, damit abfinden, daß er nicht weniger als 4 Millionen
Polen, und daneben noch Dänen im Norden, Franzosen im
Westen, in seinem Reichs- und Staatskörper hat? Eine
reine Lösung dieses Problems kann es wohl niemals geben.
Man pflegt zu sagen und wird immer mit einem gewissen
Recht sagen: die Polen sind schließlich nur Preußen auf
Kündigung. Sie leisten den Eid auf die Verfassung, tun
ihre Pflicht, arbeiten auch an den positiven augenblicklichen
Aufgaben des Staates — den polnischen Stimmen verdanken
wir ja im Reichstag die deutsche Flotte und die Armee-
reform von 1893 — und trotzdem, wenn man sich vorstellt,
11
Die preußische
Polenpolitik.
158 Polen-Frage.
daß die Weltgeschichte, oder, wie die Polen es ausdrücken,
„wenn es Gottes Wille ist“, einmal die Möglichkeit der
Herstellung eines polnischen Nationalstaates zeigt, so werden
sie das als ein höheres Gesetz ansehen und sich diesem
Staate zuwenden. Wie soll man sich mit einem solchen
Teil des Volkes abfinden? Entschlossene meinen, man
müßte sie germanisieren. Das wurde denn auch vor 27 Jahren
in Angriff genommen. Wir haben ja die Volksschule, den
deutschen Schulmeister. Vom sechsten Jahre an lernen die
polnischen Kinder das Deutsche, und was sie in der Schule
gelernt haben, wird vollendet in der Armee; die polnischen
Rekruten werden unter die deutschen Regimenter verteilt.
Die ganze Verwaltung ist deutsch, die Amtssprache deutsch, alle
höheren Beamten deutsch. Außerdem sind ungeheure Mittel
aufgewendet, polnischen Grundbesitz aufzukaufen und statt
dessen deutsche Bauern anzusiedeln. Wenn man das so
hört, möchte man sagen: Ja, das muß ja wohl auf die
Dauer helfen, um so mehr, als ja die Polen auf vier ver-
schiedene Provinzen verteilt sind; wir haben 1,2 Million
in Oberschlesien, in Posen ungefähr 1½ Millionen, ½ Million
in West-, und ½ Million in Ostpreußen, immer gemischt
mit Deutschen; wir haben nirgends großes, geschlossenes polni-
sches Gebiet, auch nicht einmal einen einzigen rein polnischen
Kreis. Wenn nun dies ohnehin gemischte Gebiet noch
mehr mit Deutschtum überzogen und ein kräftiges, deutsches
Bauerntum, wenn auch mit großen Opfern, hineingesetzt
wird, so sollte man meinen, daß der Erfolg auf die Dauer
nicht fehlen könne. Nun, wenn Sie heute mit jemand
darüber sprechen, der einigermaßen unbefangen ist, und dort
die Verhältnisse kennt, so sagt er Ihnen: „In den 25 Jahren
ist kein Fortschritt gemacht worden. Im Gegenteil.“ Zwar
sucht die amtliche Statistik hier und da ein paar tausend
Polen-Frage. 159
Deutsche mehr herauszurechnen; es sind bei weitem noch nicht
so viel, wie an deutschen Bauern hingeschafft worden ist.
Aber die Eingesessenen sind sehr skeptisch inbezug auf diese
Statistik, und wahrscheinlich ist das Deutschtum in den vier
Provinzen sogar im Rückgang. Wie neulich ein Großgrund-
besitzer von der Posenschen Grenze in den Preußischen
Jahrbüchern schrieb (Märzheft 1913): Während wir Bauern
ansetzen, polonisieren die Polen die Städte. Früher
waren die Städte wesentlich deutsch, wobei das Judentum
allerdings zu den Deutschen gerechnet ist, wie es auch
deutsch sprach und sich zu den Deutschen hielt. Im ganzen
Osten, im alten Königreich Polen, waren die Städte ehedem
zum großen Teil deutsch und daneben jüdisch. Aber diese
deutsche Bevölkerung ist im Abzug begriffen, und der
städtische Hausbesitz, das Handwerk, das Krämertum,
Apotheker, Buchhändler, Landmesser, was alles früher deutsch
war, wird polnisch. Wenn man eine Zeitlang darüber ge-
sprochen hat, pflegt schließlich immer die letzte Zuflucht zu
sein: „Ja, wenn wir aber unsere Östmarkenpolitik nicht
gehabt hätten, so wäre es noch viel schlimmer.“ Das ist
immerhin ein sehr fragwürdiger Trost, aber jedenfalls der
Beweis, daß diese 25jährige Politik, wenn überhaupt etwas, so
doch sehr wenig geleistet hat. Einer der klügsten Politiker im
Reichstag in der Bismarckschen Zeit war der Abgeordnete
von Kardorff, damals einer der Führer der freikonservativen
Partei, und auch ganz im Vertrauen Bismarcks. Der hat
eine Aufzeichnung hinterlassen (ich habe sie abgedruckt im
140. Band der Preußischen Jahrbücher), worin er bekennt,
daß, als Bismarck die erste Vorlage dieser Art im Abge-
ordnetenhaus einbrachte, er ihm vertraulich gesagt habe, die
Sache würde nicht gehen, und darauf habe Bismarck ihm
gesagt, er teile im Grunde seine Auffassung, aber aus ge-
160 Bismarck und die Polenfrage.
wissen Gründen der auswärtigen Politik, um seine Autorität,
die man in diesem Augenblick im Reichstag stark ange-
griffen hatte, zu stärken, müsse er die Sache machen.
Kardorff endet diese seine Aufzeichnungen: „Aber leider
haben meine derzeitigen Bedenken sich nach den heute ge-
machten Erfahrungen als völlig berechtigt erwiesen. Die
polnische Bewegung ist nicht zurückgegangen, sondern wesent-
lich gestärkt. Der Angriff hat einen Gegendruck hervorge-
rufen und vorläufig nur zur Kräftigung der großpolnischen
Agitation nicht allein in Posen, sondern auch in Westpreußen
und selbst in dem niemals doch dem Königreich Polen zu-
gehörigen Oberschlesien geführt.“ Neben dem Zeugnis von
Kardorff, verweise ich Sie auf die erst in diesem Jahr er-
schienene Schrift eines früheren Landrats im Posenschen, des
Kammerherrn Baron Puttkamer „Die Mißerfolge in der
Polenpolitik“, die ganz dasselbe besagt. Also die Germani-
sierungspolitik, das sieht man jetzt — abgesehen von den
fanatischen Hakatisten — ziemlich allenthalben ein, hat
Bankerott gemacht. Sie hat das Polentum numerisch
nicht geschwächt und es moralisch ungeheuer gestärkt. Vor
ein paar Jahren traf ich einmal in Scheveningen einen
polnischen Grafen aus dem Warschauischen. Ich kam mit
ihm in ein Gespräch. Er erzählte mir, auf der Herreise
habe er Station in Posen gemacht, das erzbischöfliche Palais
besucht, und dort seiner Verwunderung Ausdruck gegeben,
daß er Bauern und gemeine Leute habe Zeitungen lesen
sehen; das kenne man in Russisch- Polen gar nicht. Da sei
ihm geantwortet worden: „Das verdanken wir alles den
Preußen; sie haben uns wohlhabend gemacht, sie haben
uns gebildet gemacht, jetzt machen sie uns auch noch zu
Patrioten.“ Jetzt machen sie uns auch noch zu Patrioten —
nämlich zu polnischen! Welch ein blutiger Hohn! Wie geht
Die deutsche Schule in den Ostmarken. 161
das zu? Warum ist diese Politik, die durch ein so macht-
volles Beamtentum, mit so ungeheuren Mitteln (es sind
allmählich nahezu eine Milliarde Mark aufgewendet worden)
durchgeführt wird, unter Zustimmung eines sehr großen
Teiles des deutschen Volkes, wie ist es gekommen, daß
sie so vollständig Bankerott gemacht hat*)?
Das vornehmste Mittel der Germanisierung sollte die
Volksschule sein. Wie sieht es in ihr aus? Da sind vielleicht die Volksschule.
25 deutsche Kinder und 40—60 polnische. Der Lehrer weiß,
daß der Kreisschulinspektor auf nichts mehr Wert legt, als
daß die polnischen Kinder deutsch sprechen lernen, und sie
lernen wirklich etwas. Ich habe es anfänglich nicht für
Möglich gehalten, aber unsere Volksschullehrer sind so aus-
gezeichnet, die Methode so durchgebildet und schließlich
*) Auch viele Hakatisten geben jetzt zu, daß die Ostmarkenpolitik keinen
Erfolg gehabt hat. Im Gegensatz dazu soll Geheimrat Witting in einer
Rede in Bremen (Tägl. Rundschau v. 7. November d. J.) gesagt haben:
„Unwahr oder erlogen ist es, daß die positive Ostmarkenpolitik im Sinne
Bismarcks und Bülows versagt habe.“ Als ehemaliger Bürgermeister
von Posen könnte Herr Witting einige Autorität beanspruchen. Aber es
ist festzustellen, daß er in einer Broschüre „Das Ostmarkenproblem“ 1907
sich erheblich anders ausgedrückt hat. An ein Mißverständnis, meiner-
seits kann ich nicht glauben, denn eben finde ich auch in einem sehr
lesenswerten Artikel von Karl Jentsch über die Polenpolitik den Satz:
„Daß der Germanisierungsversuch völlig gescheitert ist und alle dahin ge-
richteten Bestrebungen aussichtslos sind, bekennt auch Herr Witting, der
zudem den Mißbrauch der Schule für politische Zwecke als einen Frevel
brandmarkt.“ Dieser Artikel steht in „Der Zukunft“ (4. Oktober 1913),
die von dem Bruder Herrn Wittings, Herrn Harden herausgegeben wird,
und es ist wohl kaum anzunehmen, daß Harden eine völlige Um-
kehrung der Ansichten seines Bruders in seiner Zeitschrift hätte durchgehen
lassen. Jedenfalls sieht auch Herr Witting auf die Erfolge unserer Ost-
markenpolitik mit solchem Zweifel, daß er den Vorschlag einer großen
Enquete gemacht hat, einen Vorschlag, den ich nur billigen kann.
162 Die deutsche Schule
der Wortschatz der Kinder so klein, daß es wirklich möglich
ist: sie lernen deutsch. Die deutschen Kinder aber
lernen so gut wie gar nichts, da zunächst einmal die Polen
so weit gebracht werden müssen, mit den Deutschen dem
Unterricht folgen zu können. Wenn die Kinder aus der
Schule kommen, sind die deutschen dumm geblieben, die
Polen haben wohl einiges gelernt, sind aber zugleich erfüllt
von der bitteren Erfahrung der Fremdherrschaft, denn eine
tiefere Kränkung des Nationalbewußtseins gibt es ja gar
nicht, — fragen Sie darüber unsere Landsleute in Ungarn
und Rußland —, als wenn eine Schulsprache erzwungen
wird, die nicht die Sprache von Vater und Mutter ist. Die
Polenkinder sind also erstens mit Nachhilfe des Beichtvaters
alle zu polnischen Patrioten erzogen. Zweitens, kommen sie
aus der Schule, so haben sie so viel gelernt, um allenthalben
die Deutschen zurückzudrängen. Denn der Zweisprachige ist
ja immer stärker als der Einsprachige. Jeder Krämer, der
einen Lehrling für seinen Laden braucht, muß einen suchen,
der beide Sprachen kann, und selbst in dem kleinen Beamten-
tum braucht man Anwärter, die mit den Leuten, die nicht
deutsch sprechen können, sich zu verständigen vermögen. Das
Aufzwingen der Sprache hat sich also nicht als ein Mittel
erwiesen, die polnische Bevölkerung dem Deutschtum zuzu-
führen, sondern im Gegenteil, sie auszustatten mit Kräften,
um dies desto intensiver zu bekämpfen. Das Aufzwingen
der deutschen Volksschule ist echte und rechte Bureaukraten-
Politik, die sich einbildet, mit ihrem Reglement alles machen
zu können, was sie sich vorsetzt, dieser Beamtenhochmut,
der gar nicht sieht, daß es auch noch andere Kräfte gibt
auf der Welt, die stärker sind als die seinigen. Der eigent-
liche Schöpfer dieser Volksschulpolitik war ein Ministerial-
direktor im Kultusministerium, Kügler, einer der befähigtsten
in den Ostmarken. 163
Beamten, die Preußen gehabt hat, und ein hochstrebender,
aufgeklärter Mann. Mit welcher Sicherheit hat er mir, als
ich schon damals meine Einwendungen aussprach, zuge-
schworen, ich solle ihm und seiner Erfahrung vertrauen,
wenn man nur fest bleibe, werde man mit Hilfe der Volks-
schule die Polen deutsch machen! Wo sind, nachdem das
System nunmehr eine Generation in Wirkung gewesen ist,
die germanisierten Polenkinder: Ein Gymnasiallehrer in
Posen sagte mir einmal, sein Beruf sei wirklich tragisch,
denn je mehr er das Gefühl habe, Erfolg zu haben bei
seinen polnischen Schülern, desto mehr habe er auch das
Bewußtsein, Feinde des eigenen Volkstums heranzuziehen
und sie mit Kräften zur Bekämpfung dieses Volkstums aus-
zustatten. Wie kann es anders sein? Diese Methode, durch
die Schule germanisieren zu wollen — übrigens wird sie
amtlich geleugnet; das wolle man gar nicht, man lehre nur
die Polen das Deutsche, weil sie in einem deutschen Staate
lebten — also diese Methode, durch die Schule einen Aus-
gleich der Nationalitäten herbeizuführen, ist ein rechtes Zeug-
nis für jene Eigenschaften der Bureaukratie, die ich vorhin
geschildert, und in der Provinz Posen ist auch nur eine
Stimme darüber, wie unermeßlich diese deutsche Volksschule
das Deutschtum schädigt*). Aber nun verlangen Sie mal von
unseren Land-, Schul-, Regierungs- oder Geheimen Räten,
daß sie zugestehen, seit 25 Jahren etwas Verkehrtes ge-
macht zu haben, um es nun zu ändern. Das ist gerade, wie
wenn man von den Sozialdemokraten verlangt, daß sie
Militärausgaben bewilligen sollen!
*) Sehr gut ist diese verderbliche Wirkung der deutschen Volksschule
dargelegt in dem Buche „Von einem unbekannten Volk in Deutschland“
von Ernst Seefried Gulgowski. Mit einem Geleitwort von Heinr.
Sohnrey, 1911. Vgl. Preuß. Jahrbüch. Bd. 143 S. 374.
Beamtentum.
164 Die deutschen Beamten und Offiziere.
Der Germanisierung der Volksschule parallel ging die
allmähliche Germanisierung des ganzen höheren Beamten-
standes. Während früher im höheren Beamtenstand,
auch im Offizierkorps, zahlreiche Polen waren, sind
sie allmählich so gut wie ganz daraus verschwunden. Was
ist die Folge davon gewesen? Den Polen ist eine Menge
leidlich bezahlter Posten nicht mehr recht zugänglich; aber
in Wirklichkeit haben wir ihnen, wie man es ausdrücken
kann, die Staatslast abgenommen. Machen wir uns das
an einem Beispiel klar. Stellen wir uns zwei Ritterguts-
besitzer vor, einen deutschen und einen polnischen; sie sind
Nachbarn, von demselben Wohlstand, beide haben drei
Söhne. Bei dem deutschen übernimmt einmal der älteste
das Gut, der zweite wird Regierungs- oder Gerichts-
assessor, der dritte wird Offizier; die Töchter verheiraten
sich dementsprechend. Der Vater ist belastet bis an sein
Ende mit hohen jährlichen Zulagen, und wenn einmal geteilt
wird, muß der Erbe große Hypotheken aufnehmen. Bei dem
Polen ist es so: der eine Sohn bekommt das Gut, der zweite ver-
waltet die Brennerei, Zucker- oder Stärkefabrik oder was sonst
Technisches auf dem Gute ist, der dritte geht in die Stadt und
wird dort Kaufmann oder Direktor einer landwirtschaftlichen
Genossenschaft; die Töchter verheiraten sich dementsprechend.
In der nächsten Generation ist die größte Wahrscheinlichkeit,
daß der Deutsche in der Lage ist, sein Gut verkaufen zu
müssen, und der Pole in der Lage, es zu kaufen. Der
Staatsdienst ist bei aller Ehre, die er bringt, eine Last. Er
wird doch nur sehr mäßig bezahlt, so daß bei Familien, die
ihre Söhne dorthin geben und ihre Täöchter in diese Kreise
verheiraten, das Vermögen, wenn welches vorhanden war,
allmählich verbraucht zu werden pflegt. Diejenigen Schichten
des Volkes, die sich ausschließlich dem Wirtschaftsleben
Kolonisation in den Ostmarken. 165
widmen, prosperieren am meisten, und auf dieses haben wir
die Polen gezwungen, sich zu konzentrieren: ein wesentliches
Moment, warum der Reichtum in den polnischen höheren
Ständen in der letzten Generation so außerordentlich ge-
wachsen ist.
Nun das Hauptmittel der Germanisierung der Ostmarken,
die deutsche Bauernansiedelung. Wir haben da im ganzen
über 120000 deutsche Bauern (Seelenzahl) angesiedelt und
dadurch ein wirklich bedeutendes Stück Deutschtum geschaffen.
Ja es ist sogar den Polen durch ein eigenes Gesetz sehr
erschwert, sich selber in ihrer Heimat anzusiedeln. Kauft
ein Pole ein Stück Land und will ein Haus bauen, so
kann es ihm verboten werden. Dieses so tief in das Privat-
eigentum eingreifende Ausnahmegesetz ist wirklich in seiner
ganzen Härte sehr oft angewendet worden. Trotzdem haben
die Polen so viel deutschen Grundbesitz erworben, daß die
ganze staatliche Kolonisation dadurch wieder wettgemacht
ist, ja die Polen sogar noch gewonnen haben sollen. Gerade
der Druck, der die Polen gezwungen hat, sich dem Wirt-
schaftsleben zuzuwenden, hat die „polnische Wirtschaft“ ver-
schwinden machen, und von der ungeheuren Menge Geld,
die über die Provinz ausgestreut worden, ist auch ein großer
Teil den polnischen Familien zugute gekommen. Einer der
Führer des Östmarkenvereins sagte einmal von Posen sehr
richtig: „Wenn dort die Sonne scheint, scheint sie immer
über einen Deutschen und zwei Polen.“ Die Polen haben
von der künstlichen Hochtreibung der Preise für Grund
und Boden den größten Vorteil gehabt, und namentlich ist
der Überschuß der besseren polnischen ländlichen Bevölkerung
in die Städte gegangen, und als Gegenwirkung gegen die
Überziehung eines gewissen Teiles des Landes mit deutschen
Bauern sind die Städte polonisiert worden. Der Minister
Kolonisation.
166 Niedergang des Deutschtums in den Städten.
v. Rheinbaben hat es einmal als Ideal aufgestellt, um
alle Posenschen Städte einen Kranz deutscher Bauerndörfer
zu legen; dadurch würden die Städte germanisiert werden.
Wie stellt man sich nun einen solchen Kranz vor? Die
Provinz hat beinah 150 Städte. Wenn wir nun einen
Kranz von einer Meile ringsherum nehmen, so ergibt das
gegen 600 Quadratmeilen, das ist mehr als die ganze
Provinz, die nur 525 Quadratmeilen umfaßt. Ein Kranz
um alle Städte, heißt also, die ganze Provinz mit deutschen
Bauern besiedeln. Daß das helfen würde, ist gar keine
Frage. Man setzt sämtliche Polen hinaus und Deutsche hinein.
Wozu dann aber die umständliche Redeweise mit dem Kranz
deutscher Dörfer? In Wirklichkeit steht es gerade umge-
kehrt, daß die deutschen Dörfer die Polen in die Städte
gedrängt und diese, die ehedem vorwiegend deutsch waren,
polonisiert haben.
In der Schicht der selbständigen Gewerbetreibenden der Pro-
vinz haben die Deutschen von 1895 schon bis 1907 um fast 7%
abgenommen, die Polen um fast 6% zugenommen. Unter
den selbständigen Handeltreibenden haben sich die Polen um
46% vermehrt, die Deutschen sind um etwa 10% zurückge-
gangen. In der Hochburg des Deutschtums, in Bromberg stellten
die Polen im Jahre 1887 8 % des Handswerks, heute 24,2%.
Man berufe sich nicht darauf, daß dieses große Koloni-
sationswerk, an sich ein sehr großes Kulturwerk, von Bismarck
ausgegangen sei, und sich auf seine Autorität stütze. Ich
erinnere Sie an jene Aufzeichnung von Kardorff, durch die
festgelegt ist, daß Bismarck durchaus innerlich dagegen ge-
wesen ist und nur, von den Parteien gezwungen, sich dazu
bereit gefunden hat. Auch später, bis an sein Lebensende,
hat er in einer Reihe von öffentlichen Äußerungen die
Ansiedlung immer als etwas ganz Verfehltes verworfen,
Das polnische Nationalgefühl. 167
ja sogar die polnischen Bauern als zuverlässige preußische
Untertanen in Schutz genommen“).
Alle die ungewollten Folgen der schlecht durchdachten
Germanisierungs- Maßregeln, der deutschen Volksschule, des
deutschen Beamtentums, der deutschen Kolonisationen treffen
nun in einem Brennpunkt zusammen: der Aufreizung des
polnischen Nationalgefühls. Das polnische Nationalgefühl
war früher bekanntlich außerordentlich schwach und gelähmt
durch den berüchtigten polnischen Parteigeist. Die Masse
des Volks, der Bauernstand war völlig stumpf oder erfüllt
von einer Art dumpfer Dankbarkeit gegen das preußische
Königtum, dem es Befreiung aus der Hörigkeit und Eigen-
tum verdankte. Heute ist das alles ganz anders: der Partei-
geist ist unterdrückt, und in gefestetem Nationalbewußtsein
hält das ganze Volk einmütig zusammen. Was für ein
Feld für geschickte Agitatoren ist die deutsche Kolonisation!
Wie soll sich der Bauer dem entziehen, wenn ihm gesagt
wird: dem Deutschen wird diese Wohltat gegeben; er be-
kommt das Gut zum halben Wert von der Ansiedelungs-
kommission. Dein Vater hat auch 1866 für den König von
Preußen mitgefochten, dein Onkel ist in der Schlacht bei
*) Ich habe die Beweise, daß Bismarck bis an sein Lebensende die
Bauernkolonisation als Mittel der Germanisierung der Östmark ver-
worfen hat, zusammengestellt im „Neuen Deutschland“ vom 30. No-
vember 1912. L. Raschdau hat darauf erwidert mit einem längeren
Nachweis, daß Bismarck amtlich mehrfach für die Kolonisation ein-
getreten sei. Das bedurfte freilich keines Beweises, aber es soll schon
öfter vorgekommen sein, daß ein Staatsmann amtlich anders spricht als
privatim, und in diesem Falle wissen wir ja aus der Aufzeichnung von
Kardorffs (Bd. 140 d. Preußischen Jahrbüch. Seite 374), aus welchen
taktischen Gründen Bismarck es in einem gewissen Moment für geraten
hielt, die Kolonisation zuzulassen und amtliche Denkschriften in diesem
Sinne anfertigen zu lassen.
Polnisches
Nationalgefühl.
Der Boykott.
168 Der Boykott.
Wörth gefallen, du hast selber deine Zeit treulich gedient
und bist dennoch von der Gleichberechtigung, die doch in der
Verfassung verbürgt ist, ausgeschlossen; ja, wenn einer von
euch sich mit seinem Schweiß etwas erworben und erspart
hat, ein Äckerchen gekauft und sich ein Häuschen darauf
bauen will, so wird es ihm von der Regierung verboten.
Nehmen Sie dazu die tägliche Reizung durch die Volks-
schule, den peinlich empfundenen Zwang, vor Gericht und
in der Verwaltung in fremder Sprache verhandeln zu müssen,
endlich den geistigen Rückhalt, den die katholische Kirche dem
Polentum gewährt, so wird keine Verwunderung mehr dar-
über statthaben, weshalb die Polen nicht nur eine so starke
Defensivkraft, sondern sogar Öffensivkraft zeigen.
Die Offensive besteht in dem sog. wirtschaftlichen Boykott,
der die deutschen Geschäftsleute und Handwerker brotlos
macht und aus dem Lande treibt. Dieser Boykott ist be-
reits sehr alt, aber seine volle Kraft hat er erst als Gegen-
zug gegen den Hakatismus in der letzten Generation ge-
wonnen. Hausfrauen gehen im allgemeinen dahin, wo sie
glauben am besten und billigsten kaufen zu können, und
kümmern sich nicht um Politik und Partei. Es gehörte die
täglich erneute Reizung des Nationalitätenkampfes dazu, um
das Wort „Jeder zu den Seinen“ zur Wahrheit werden zu
lassen. Dabei sind die Deutschen naturgemäß unterlegen;
sie sind die Minderzahl und saßen an der Stelle, die an-
gegriffen wurde, in den städtischen Gewerben. Der Boykott
schafft dem wachsenden polnischen Wohlstand, der wirtschaft-
lichen Betriebsamkeit, dem Zug vom Lande in die Stadt
die Möglichkeit der Ausbreitung und Festsetzung, die Kund-
schaft, von der der Handwerksmann und der Krämer
sich nährt.
An alle solche Folgen hat unsere Bureaukraten-Politik,
Das Schloß in Posen. 169
als sie den neuen Kurs in der Polen- Politik inaugurierte,
nicht gedacht.
Von diesen großen Maßregeln wenden wir den Blick
noch zu einer Reihe von kleineren, die auch ganz dieselbe
Kurzsichtigkeit der Bureaukratie zeigen.
Da hat man ein wundervolles Schloß in Posen gebaut,
ein Art Zwingburg, um den Polen immer vor Augen zu
halten, daß sie unter preußischer Herrschaft seien. Nun ist
das Schloß fertig und könnte bezogen werden. Seine
natürliche Bestimmung wäre, daß ein preußischer Prinz in
Posen eine militärische Funktion übernähme und in dem
Schlosse wohnte. Aber in dem Augenblick, wo man über
eine solche Möglichkeit in Erwägungen eingetreten ist, haben
die Hakatisten sich auch klar gemacht, daß sie sich damit
selber ins Fleisch schneiden würden. Ein junger preußischer
Prinz und fast mehr noch die Frau Prinzessin könnten doch
nicht immer bloß mit den Exzellenzen- Damen und Herren
der Regierung und Garnison verkehren. Die natürliche
Stellung eines Prinzen, der zeitweilig in einer Provinz resi-
diert, ist, daß er mit den vornehmen eingesessenen Familien
in gesellschaftliche Beziehungen tritt, mit den Herrschaften
auf den Schlössern, wo Jagden und Bälle gegeben werden.
Das sind in Posen die großen polnischen Adelsfamilien,
die ihre berühmte Gastfreundschaft pflegen, deren Töchter
die besten Tänzerinnen der Welt sein wollen. Aber was
wird aus dem Hakatismus, wenn ein Vertreter des Königs-
hauses mit den polnischen Grafenfamilien solche Beziehungen
pflegt? Entweder die Polen weigern sich, überhaupt auf den
Verkehr einzugehen, solange Gesetze bestehen, die sie von
ihrer heimatlichen Scholle vertreiben sollen, oder aber, wenn
sie es tun, so werden sie damit einen Einfluß gewinnen,
der die Durchführung der bisherigen Politik bald mehr und
Das Schloß.
Akademie und
Bibliothet in
Posen.
170 Akademie und Bibliothek.
mehr abdämpfen wird. An solche Folgen hat unsere Ost-
markenpolitik nicht gedacht, als sie die vielen Millionen für
den Bau der Trutzburg in Posen forderte und bewilligte.
Dann ist in Posen eine Akademie gegründet worden,
und kann nicht leben und nicht sterben. Einige Semester
haben die Posener Deutschen die Vorlesungen, die ihnen
geboten wurden, mit Vergnügen gehört. Jetzt ist das Inter-
esse erschöpft, und die Professoren haben keine Zuhörer.
Eine Universität kann man aus der Akademie nicht machen;
eine deutsche geht nicht, eine polnische will man nicht.
Schon der berühmte Ministerialdirektor Dr. Althoff hat
sich vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, wie er
dem verkrüppelten Ding zu irgendeinem vernünftigen Dasein
verhelfen könne.
Da ist außer der Akademie mitten in der Stadt eine
herrliche Bibliothek errichtet worden, zu der einst alle
deutschen Buchhändler im patriotischen Sinne ihre Verlags-
werke zu stiften aufgefordert wurden. Wie oft aber kommt
ein Gelehrter nach Posen und fordert Bücher? Gewiß ist
in der Provinz und in der Haupstadt immer auch ein ge-
wisser Gelehrtenbedarf; aber der Hauptvertrieb ist doch, wie
auch die amtlichen Berichte dartun, die moderne Belletristik*),
oder mit anderen Worten, wie die Posener in mokantem
Ton sagen: „Es ist die Leihbibliothek für unsere jungen
Mädchen.“ Für solche Zwecke haben die preußischen Steuer-
zahler Millionen und aber Millionen aufbringen müssen,
während für die preußischen Universitätsbibliotheken und
selbst für die Königliche Bibliothek in Berlin die wenigen
*) Mir liegt der amtliche Bericht über das Jahr 1908 vor. Aus-
geliehen wurden 27000 Bände wissenschaftlicher Natur neben 69000 Bän-
den volkstümlicher Natur, und diese 69000 Bände wurden hauptsächlich
bestritten mit nicht mehr als 5000—6000 Bänden der neueren Literatur.
Aufriß einer anderen Polenpolitik. 171
Hunderttausende, die für die allerdringendsten wissenschaft-
lichen Bedürfnisse von unserer Gelehrtenwelt verlangt wurden,
nicht zu beschaffen waren.
Ein österreichischer Staatsmann hat einmal über gewisse
österreichische Maßregeln gesagt, es sei nächst der Fabel der
Zauberflöte die größte Dummheit der Weltgeschichte. Wer
weiß, wie zukünftige Staatsmänner dieses Wort einmal
variieren werden! Unsere Polenpolitik gleicht dem Manne,
der schwimmen wollte und sich dabei ersäufte, weil er die
Schwimmblasen an die Füße band, da er den Kopf ja
ohnehin oben halte.
Da wir uns nun einmal so weit auf unsere Polen-
politik eingelassen haben und zu dem Ergebnis gekommen
sind, daß sie dem Deutschtum nicht nur nichts genützt,
sondern trotz eines erheblichen Gewinnes durch die Bauern-
ansiedelung, im ganzen genommen sehr wesentlich geschadet
hat, so darf ich auch wohl nicht ganz die Frage umgehen,
wie man es hätte anders machen sollen.
Zunächst ist ganz abzuweisen der Satz: Da wir diese
Polenpolitik einmal angefangen hätten, müßten wir sie auch
durchführen. Konsequenz sei die Hauptsache, vor allem
keinen Zickzackkurs. Das ist etwa ebenso weise, wie wenn
jemand einen Berg hinauffahren will, seinen Wagen aber
immer weiter hinuntergleiten sieht und sich zuruft: „Nur
immer weiter so — endlich werden wir doch oben ankommen.“
Das ziel einer richtigen Polenpolitik kann natürlich Aufriß einer
niemals sein, was man nennt, die Polen zu versöhnen. besseren Polen-
Die Polen als Ganzes kann man niemals versöhnen; ein politik.
radikal nationaler Teil wird immer übrig bleiben, der sich
bewußt ist, daß gerade der Kampf für das Polentum das
Nützliche ist, der deshalb unter allen Umständen weiter
kämpft und immer wieder suchen wird, uns von neuem
Delbrück, Regierung und Volkswille. 12
172 Divide et impera.
in den Fehler des nationalen Kampfes hinein zu reizen
und zu verlocken. Eine richtige deutsche Politik muß dieser
Versuchung widerstehen und statt dessen den Grundsatz
„Divide et impera“ ins Auge fassen. Indem man darauf
verzichtet, die Polen als Ganzes sowohl zu bekämpfen als
auch zu gewinnen, muß man darauf ausgehen, Verhältnisse
zu schaffen, die das Entstehen einer preußisch- polnischen
Partei ermöglichen. Die Aussichten für die Bildung einer
solchen Partei unter unseren Polen sind auch heute noch
nicht schlecht. Es braucht nicht jedem Volke beschieden zu
sein, daß es einen großen Nationalstaat bildet. Auch wir
Deutsche haben ja dieses Ziel insofern nur teilweise erreicht,
als ganz gewaltige Bruchteile unseres Volkstums, in Öster-
reich und der Schweiz, außerhalb des Reichs bleiben müssen
und vermutlich für alle Zeiten bleiben werden. Realpolitisch
denkende Polen mögen sich darein finden, daß sie verschiedenen
Staatswesen angehören, wenn sie nur innerhalb der fremden
Staatswesen nicht in ihrer Nationalität und in ihrer Reli-
gion gekränkt werden*). Unsere Polen haben nirgends ein
geschlossenes Gebiet, sondern sind mit ihren vier Millionen
auf vier verschiedene preußische Provinzen, unter etwa acht
Millionen Deutschen, verteilt. Entstünde ein polnisches
Nationalreich und suchte auch die preußischen Polen an
sich zu ziehen, so wäre es geographisch gezwungen, auch
viele Millionen Deutsche mit hinein zu nehmen; mit anderen
Worten: die Herstellung eines solchen polnischen National-
reichs ist nur denkbar unter der Voraussetzung einer völligen
Zerstörung des deutschen Reichs. Daß darauf keine Aus-
sicht ist, sehen auch sehr viele Polen ein. Sie sehen es
*) In Osterreich hat dieser Gedanke die praktische Probe bereits
bestanden. Vergleiche den höchst instruktiven Aufsatz von E. Zwey-
brück, Zur österreichischen Polenpolitik. Preuß. Jahrb. Bd. 140 S. 115.
Die polnischen Stände. 173
nicht nur ein, sondern sie wünschen die Zerstörung gar nicht
mal, da sie ja mit Hilfe der Russen erfolgen müßte und ihnen
die preußische Herrschaft doch immer noch besser scheint als
die Herrschaft der russischen Knute. Die Forderung, daß
sie sich als Polen der deutschen, d. h. der abendländischen
Kultur anschließen sollen, ist für sie keineswegs eine kränkende
Zumutung, sondern etwas Selbstverständliches; seit 1000
Jahren leben sie darin. Sie wollen weder mit Moskowi-
tismus noch Panslawismus etwas zu tun haben.
Das polnische Volk zerfällt in vier Stände, und von
diesen vier Ständen sind drei von vornherein für ein ver-
ständiges Zusammenleben mit den Deutschen disponiert.
Da ist der Adel, der sich so sehr danach sehnt, wieder die
Beziehungen zum Hofe aufnehmen zu können und seine
Söhne wieder dem Offizierstand zuzuführen. Zu Bismarcks
Zeiten, als die Polen noch auf eine Herstellung ihres
Nationalreichs durch die Franzosen hofften, hatte der Adel
die Führung der separatistischen Tendenzen. Heute, seit
Frankreich sich auf Gedeih und Verderb mit Rußland ver-
bunden hat, ist es gerade der Adel, der sich so gern mit
dem preußischen Staate aussöhnte. Da ist weiter die Geist-
lichkeit, deren höchster Glaubenssatz ist, daß sie zur latei-
nischen, westlichen Kirche und Kultur gehöre, und daß ihr
bösester und gefährlichster Feind und Verfolger die russische
Orthodorie sei. In Deutschland spielt die katholische Kirche
eine — wir wissen es ja alle — nur gar zu bedeutsame
Rolle in der Regierung. Ganz natürlich, daß auch der
polnische Klerus sich zu einem zu so großem Teil katholischen
Reiche hingezogen fühlt. Endlich der Bauer sieht, wie vor-
trefflich in Deutschland für alle agrarischen Bedürfnisse und
Forderungen gesorgt ist, und hat auch heute noch nicht ver-
gessen, wieviel er den preußischen Königen verdankt. Das
12*
174 Polen und Katholiken.
ist ein Punkt, den auch Bismarck in seinen Reden immer
wieder betont hat und weshalb er die Kolonisation in Posen
eigentlich nicht gewollt, sondern ihr nur mit innerem Wider-
streben zugestimmt hat. Der vierte polnische Stand ist
der erst in unseren Tagen aufgeblühte und gerade ver-
möge unserer falschen Politik zur Entfaltung gebrachte
bürgerliche Mittelstand, und dieser bildet den wirklich unver-
söhnlichen Teil des polnischen Volkstums. Er lebt davon,
daß er den deutschen Bürger aus der Provinz verdrängt.
Ihn zu gewinnen, wird wohl für alle Zeiten aussichts-
los sein.
Auch die versöhnten Polen bleiben natürlich in der Idee,
wie wir es ausgedrückt haben, „Preußen auf Kündigung“.
Das ist nicht zu ändern, da sie einmal keine Deutschen sind,
und es kein Mittel gibt, sie zu Deutschen zu machen. Es
kommt nur darauf an, eine Politik zu verfolgen, die die
ideell mögliche Kündigung niemals zu einer faktischen werden
läßt. Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß es so kommen
wird. Auch im Kulturkampf wurden wir immer wieder
darauf hingewiesen, daß unsere katholischen Mitbürger keine
zuverlässigen Staatsbürger seien, da ja nach ihrem Dogma
der Papst sie in jedem Augenblick vom Eide der Treue
entbinden könne. Das ist ideell vollkommen richtig; das
Dogma besteht. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß der Papst
jemals von der Befugnis bei uns Gebrauch machen werde,
ist so gering, daß kaum jemand überhaupt noch daran denkt,
und die einst auf Grund ihrer kirchlichen Anschauungen als
„Reichsfeinde“ verfolgten Anhänger des Zentrums stehen
heute im Zentrum der gouvernementalen Parteien geschart
um die Regierung.
Die hakatistische Politik hat dem Deutschtum in Posen
schwere Wunden geschlagen; sie hat es numerisch geschwächt
Polen und auswärtige Politik. 175
und das Polentum gestärkt; sie hat das Deutschtum auch Der Halatismus
moralisch schwer geschädigt, da, was es davon noch in das Deugsch
den Ostmarken gibt, zum nicht geringen Teil aus Persön-
lichkeiten besteht, die nach nationalen Trinkgeldern schnappen
und die unlautersten Mittel anwenden, um sich ihren Grund-
besitz möglichst teuer von der Ansiedelungs- Kommission ab-
kaufen zu lassen, und dann die Provinz zu verlassen. Die
hakatistische Politik hat uns endlich auch im Auslande
außerordentlich geschädigt. Es ist von hoher Bedeutung
für jede auswärtige Politik, welches Ansehen ein Volk bei
den anderen großen Kulturvölkern genießt. Das deutsche
Volk ist, darüber darf man sich keiner Täuschung hingeben,
von allen das unbeliebteste, und es ist keineswegs bloß der
Neid der anderen Völker, wie man sich gern entschuldigt,
der sie so scheel auf uns sehen läßt. Es ist zum nicht ge-
ringen Teil unsere falsche Nationalitätenpolitik, die uns
allenthalben so verhaßt gemacht hat. Die Polen und Dänen
haben mit Eifer dafür gesorgt, daß jede einzelne Härte, die
vorgekommen, durch die ganze Welt getragen worden ist.
Immer wieder haben sie bis nach Amerika hin gegen den
barbarischen preußischen Polizeistaat gehetzt und aufs Sorg-
samste verschwiegen, wieviel sie uns trotz allem doch auch
verdanken.
Der Schade, der uns so nach allen Richtungen durch
die falsche Politik zugefügt worden ist, ist unabsehbar und
wird niemals wieder ganz ausgeglichen werden können.
Trotzdem möchte ich es doch nicht schlechthin bedauern, daß
der Versuch, die fremden eingesprengten Nationalitäten mit
Gewalt niederzuhalten und sie womöglich zu germanisieren,
einmal gemacht worden ist. Denn auch, wenn man ein-
mal zu einer vernünftigen Politik gelangt, so wird darum
der nationale Streit, wie ich schon sagte, niemals ganz
176 Fortdauer des Kampfes.
aufhören. Immer wird es Unversöhnliche geben, die weiter
kämpfen, und dann wird auch immer wieder die Forderung
erhoben werden, es einmal mit Gewaltmaßregeln im großen
Stil zu versuchen. Wenn man es so theoretisch ansieht, müßte
man ja meinen, dem preußischen Staat mit seinen unge-
heuren Mitteln könnte es schließlich nicht fehlen, die fremden
Fragmente ins Deutschtum überzuführen. Darum mußte
einmal der praktische Versuch gemacht werden und mag
nun meinetwegen so lange dauern, bis auch der Unbe-
kehrbarste eingesehen hat, daß diese Politik keinen Erfolg
gehabt, daß sie Fiasko gemacht hat. Das sichert uns dann
wenigstens für die Zukunft vor der Wiederkehr solcher un-
seligen Erperimente, wie wir sie nun diese 25 Jahre erlebt
haben.
Ich habe dieses Kapitel der Polenpolitik etwas breiter
ausgeführt, erstens weil es mir besonders am Herzen liegt,
wo sich eine Gelegenheit dazu bietet, das deutsche Volk
immer von neuem darauf hinzuweisen, wie sehr es sich
hier gegen sein eigenes Wohl versündigt hat. Seit dem
Jahre 1887 habe ich dieser Politik widersprochen, ihre Er-
folglosigkeit und ihre unglückseligen Rückwirkungen voraus-
gesehen und vorausgesagt, und mancher gute Patriot
hat sich gewundert, daß gerade eine Zeitschrift, die sich die
„Preußischen Jahrbücher“ nenne, einer solchen, wie die
guten Leute glaubten, echt preußischen und echt deutschen
Politik widerspreche. Jetzt greift ja die Ansicht, daß man
sich auf einem Irrweg befunden, allmählich mehr und mehr
um sich*).
*) Namentlich in den Ostmarken selbst hat die große Mehrzahl der
Deutschen das längst eingesehen. Als Zeugnis diene ein von einem eifrigen
Hakatisten geschriebener Artikel in den „Grenzboten“ (1913; 23. Quartal
S. 357): „Jedem Kenner der posenschen und ostmärkischen Verhältnisse
Hakatismus und Bureaukratie. 177
Ich bin aber noch aus dem zweiten Grunde auf die
Nationalitätenpolitik eingegangen, weil sie ja wesentlich
Bureaukratenpolitik ist, und ich zeigen mußte, wo die Grenzen
für die Leistungen auch der besten Beamtenpolitik liegen.
Fast der Hauptgegenstand dieser meiner Vorlesung ist es ja,
die Verdienste unseres Beamtentums als des eigentlichen
Trägers der Staatsidee ins rechte Licht zu stellen. Aber
auch ein Verherrlicher braucht darum kein blinder Lobredner
zu sein, und so ist es nichts anderes als die Wahrheit, die
mich zwang, auch den schwachen und wohl schwächsten Teil
in der politischen Geschichte unseres Beamtentums mit in
meine Betrachtungen hineinzuziehen.
Nachdem wir uns nunmehr dieser unerfreulichen Auf-
gabe entledigt haben, gehen wir über zu der abschließenden
prinzipiellen Vergleichung der Vorteile unseres, wie ich es
genannt habe, dualistischen Regierungssystems mit den
parlamentarischen Systemen.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst, daß sie sich in ge- Versteckte
wisser Beziehung viel näher stehen, als es auf den ersten Ähnlichkeit der
Blick erscheint. Wir haben in Deutschland den Dualismus, monistischen
beruhend auf dem Zusammenwirken, wie ich es aus- Staats-Systeme.
gedrückt habe, einer organisierten politischen Intelligenz
mit den breiten Schichten des Volkes, die im Reichstag
vertreten sind. Drüben in Frankreich, Amerika, England
haben wir den Aberglauben, daß das Volk sich selbst
ist es bekannt, daß hinter dieser Politik in den Ansiedelungsprovinzen im
wesentlichen nur eine Anzahl von Beamten und Lehrern mit ihrem Anhang
sowie ganz wenige Großgrundbesitzer und Angehbörige der freien Berufe
stehen. Diese Kreise hat der Ostmarkenverein zu einer ziemlich einflußreichen
Organisation zusammengefaßt. Die Mehrzahl aber der eingesessenen
deutschen Landwirte, Gewerbetreibenden, Arzte und Anwälte steht dieser
Politik leider mit Mißtrauen gegenüber.“
Fehler der
Partei-
regierungen.
178 Berufspolitiker hüben und drüben.
regiere, ausgekehrt, die einst so viel gerühmte Regierung
mit dem Volk, für das Volk, durch das Volk (nach
einem Ausdruck des Präsidenten Lincoln), und haben uns
statt dessen klar gemacht, daß auch dort gewisse Korpora-
ationen von Politikern regieren, die sich tatsächlich selbst
ergänzen, indem sie dabei mit breiten Schichten des
Volkes Fühlung halten. Der Unterschied ist also, daß es
bei uns eine geschlossene Körperschaft unter monarchischer
Spitze ist und drüben freie, historisch gebildete Gruppen,
die in der Regierung miteinander abwechseln"); in England
und Amerika im wesentlichen nur zwei, in Frankreich sehr
viele. Die Folge ist, daß das individuelle Wollen und
Mögen im englischen und amerikanischen Parlamentsleben
überaus beschränkt ist. Man muß entweder in die eine
oder in die andere Gruppe hinein. Als ein amerikanischer
Politiker einmal einem Wähler abraten wollte, doch nicht
so blind seinen gedruckten Wahlzettel abzugeben, es könne ja
der Teufel drauf stehen, antwortete der Mann: „Auch dann
gebe ich ihn ab.“ So muß man sich drüben unter allen Um-
ständen zu seiner Partei halten, in Frankreich freilich nicht ganz
so streng wie in Amerika oder England. Denn bei der Viel-
heit der Parteien hat die Individualität dort einen größeren
Spielraum. Aber diese Vielheit ist ja auch das Verderben.
Sie bringt den Mangel an Stabilität in die Regierung;
*) Die Ahrlichkeit zwischen dem deutschen und englischen System
wird insofern allmählich immer größer, als auch drüben das fachmäßig
gebildete, außerhalb der Parteien stehende Beamtentum fortwährend zu-
nimmt. Im alten parlamentarischen Staat wurden alle Beamtenstellen
einfach durch Patronage besetzt; gegen heftigen Widerstand, auch der
Königin Viktoria, wurden statt dessen Eramina eingeführt, 1855, wie
bei uns, und auch besoldete Beamte an Sitelle von bloßen Ehren-
beamten geschaffen. Graham Wallas, Human Nature in Politics
p. 249 ff.
Verhältnis der Parteien zum Staat. 179
durch die leiseste Schwankung in der Volksstimmung, durch
jede Intrige des Führers einer Gruppe, wird das Land
von einer Regierung zur anderen getrieben. Das ist nur
deshalb noch nicht so sehr schädigend, weil die Parteien, die
tatsächlich abwechseln, sich so sehr nahe stehen. Der Unter-
schied zwischen ihnen ist manchmal kaum zu sehen.
Aber nichts destoweniger, die Unsicherheit bleibt.
Die Parteien sind ja nicht bloß Teile des Volkes, so
daß man, einfach alle Parteien zusammenfassend, das Volk
in seiner Gesamtheit hätte, sondern jede Partei ist eine
Organisation, erfüllt von einem besonderen Geist, regiert
von allgemeinen Prinzipien, die nicht unbedingt der Staats-
idee untergeordnet sind. Alle Parteien haben eine gewisse
Verwandtschaft und deshalb Sympathie mit ausländischen
Parteien, die ähnlichen Ideen huldigen. Die Konservativen
in Deutschland lieben naturgemäß die englischen Tories
mehr als die Whigs, und bei manchen Parteien geht
das so weit, daß sie als international bezeichnet werden
können oder sich sogar selbst so nennen. Man spricht
von einer schwarzen, roten und goldenen Internationale.
Der Parteibegriff steht also stets in einer gewissen
Spannung mit dem nationalen Begriff. Man spricht
wohl bei uns von den „nationalen Parteien“, aber dieser
Begriff hat doch nur eine relative Wahrheit. Der einzelne
Parteimann kann unbedingt national sein, die Partei als
solche hat immer ihr eigenes Interesse, was mit dem natio-
nalen Interesse nicht unbedingt zusammenfällt. Der Begriff
der „nationalen Parteien“ in Deutschland ist deshalb auch
sehr unsicher abgegrenzt: manche rechnen das Zentrum und
die Freisinnigen dazu, manche nicht; manche behaupten, daß
auch die meisten Sozialdemokraten im Herzen sehr gute
Deutsche seien, und zuweilen behaupten diese es sogar selber.
Wesen der
Parteien.
180 Die Parteien in Osterreich.
Es kann also nicht anders sein, als daß jede Partei-
regierung die Gefahr mit sich bringt, daß der Staat nicht
ganz nach seinem eigenen inneren Bedürfnis, sondern nach
einem in tiefstem Grunde abweichenden regiert wird, und
der Wechsel in dieser Abweichung, indem er diesen Fehler
korrigiert, erzeugt doch gleichzeitig einen anderen und bringt
dazu noch die Unsicherheit, die eben im Wechsel selber liegt.
Die höchste Potenz dieses Zwiespalts zwischen der Partei-
idee und der Staatsidee sehen Sie jetzt in Österreich. Hier
sind die Parteien selbst wesentlich nach Nationalitäten orientiert
und die Folge ist, daß sie, ihre Idee über die Staatsidee
stellend, die Staatsmaschine selbst zum Stillstand gebracht
haben. Hier hat das System der parlamentarischen Partei-
regierung in völligem Bankerott geendet und nur der Ab-
solutismus, die monarchische Beamtenregierung kann den
Staat retten.
Man lasse sich nicht durch den Ausdruck täuschen, daß
die Regierungen in England, Frankreich und Amerika
wechselten je nach der Entscheidung des Volkes. Selbst
wenn bei Neuwahlen eine andere Majorität in der
Kammer erscheint, so ist es nicht das Volk, das anders
gewählt hat, sondern ein kleiner Bruchteil, der von einer Seite
zur anderen übergegangen ist, und oft gewiß gar nicht einmal
ein besonders wertvoller Bestandteil des Volkes.
Die Parteien selber sind nichts Konstantes, so daß es
etwa zu allen Zeiten und bei allen Völkern eine liberale
und eine konservative Partei gegeben hätte oder geben müßte.
Nur das äußerlich Formale, daß z. B. eine Partei erhalten,
die andere etwas ändern will, wiederholt sich naturgemäß
immer wieder. Es hat aber auch stockkonservativ demokratische
Parteien gegeben, und die Jakobiner sind in erster Linie
nicht sowohl die Partei des städtischen Proletariats, als die
Beamtentum und Sozialpolitik. 181
Patrioten- und Kriegspartei bis zum äußersten. Parteien
sind immer spezifische Produkte ihrer Zeit und ihres Volkes.
Immer aber muß ihnen eine gewisse Einseitigkeit in der
Auffassung der Staatsaufgabe notwendig anhaften, sonst
wären sie keine Parteien, und das legt der von ihnen ge-
leiteten Politik starke Beschränkungen auf.
Von allen diesen Schwächen und Einseitigkeiten ist das
monarchische Regierungssystem frei und das gibt ihm einen
großen Vorsprung. Wie ist es gekommen, daß Deutschland in
der Sozialpolitik allen anderen Ländern soweit voraus gewesen
ist? Zuerst natürlich, weil wir einen Staatsmann wie Bismarck
hatten, der einen solchen Gedanken durchführen konnte,
weiter aber, weil das Beamtentum in unserem Staate
einen Indifferenzpunkt bildet, weil der Beamte zwischen
allen Ständen und Interessen steht und darauf angewiesen
ist, das Wohl des Ganzen im Auge zu haben. Dahin-
gegen eine Partei kann nie unparteiisch sein. Sie können
in England, Amerika, Frankreich, die Dinge immer nur
unter einem gewissen beschränkten Gesichtspunkt ansehen
und nicht so unbedingt unter dem Gesichtspunkt des Ganzen.
Ohne eine Art von unparteiischem Schiedsrichtertum, wie
es dem König und seinen Beamten zwischen den streitenden
Interessen der verschiedenen Klassen naturgemäß innewohnt,
ist es kaum möglich, zu einer guten Sozialpolitik zu kommen.
Dann gibt ja die Sozialpolitik auch eine gewisse Gewalt
in die Hand der Regierung. Die kann man nicht in die
Hand einer Partei geben. Wir sehen das an einem der
wichtigsten Punkte, dem Eisenbahnsystem, der Frage der
Staats- oder Privatbahnen. Das Staatebahnsystem ist
nicht nur deshalb das bessere, weil es den Gewinn aus
den Bahnen der Gesamtheit zuführt und nicht in der Hand
von einzelnen läßt, sondern weil die Eisenbahn eine große
Trusts.
182 Beamtentum und Eisenbahnen.
wirtschaftliche Macht ist, eine so große, daß man das ganze
Wirtschaftsleben damit einigermaßen regulieren kann. Unser
Beamtentum steht unparteiisch genug zwischen den verschiedenen
Interessen, zwischen Export und Import, Industrie, Handel
und Landwirtschaft, Osten und Westen, Süden und Norden,
um die Tarife verständig und gleichmäßig anzuwenden.
England, Frankreich, Amerika können das Staatsbahnsystem
nicht einführen, weil dann diejenige Partei, die die Eisen-
bahn in die Hand bekommt, sich so befestigen würde, daß
sie gar nicht wieder zu stürzen wäre, jedenfalls einen unge-
heuren Druck auf ihre Gegner ausüben würde. Wir haben
jetzt in Deutschland, durch unser ausgebildetes System der
Staatsverwaltung, etwa 1 370000 Beamte, das ist etwa
der zehnte Teil der Zahl aller Reichstagswähler, deren
wir im Jahre 1907 13 300 000 gehabt haben. Also allein
schon in ihrer Stimmenzahl werfen die Beamten ungeheuer
viel in die Wagschale. Aber noch viel bedeutender ist die
Beherrschung des Wirtschaftslebens, die das Beamtentum
ausübt.
Das wird für die zukünftigen Generationen noch wichtiger
werden als für die vergangenen. Es ist ja ganz klar, daß
sich allenthalben die ungeheure Konzentration von wirt-
schaftlicher Macht bildet, für die der Name „Trust“ auf-
gekommen ist. In Amerika ist man damit schon am
weitesten. Die Trusts beherrschen nicht nur das Wirt-
schaftsleben, sondern durch ihr Geld auch in hohem Grade
die Wahlen und die Volksvertretungen. Es ist völlig
hoffnungslos, gegen die Trusts zu kämpfen, alle Gesetze
haben gar keinen Erfolg gehabt, so daß Präsident Roosevelt
schon das Programm aufstestellt hat, nicht gegen die Trusts
zu kämpfen, sondern zu versuchen, sie unter Staatskontrolle
zu nehmen. Das läßt sich aber in Staaten mit Partei-
Konservativer Charakter des Beamtentums. 183
regiment nicht machen, weil man einer Partei eine so un-
geheure Macht nicht anvertrauen kann. Wir hingegen
brauchen vor den Trusts keine Furcht zu haben, obgleich
sich ja bei uns schon starke Ansätze dazu bilden. Aber
unser Staat könnte schon durch seine Eisenbahn, verbunden
mit der Zollgesetzgebung, einen so großen Druck ausüben,
daß die Trusts nie eine so große Gewalt bei uns bekommen
werden wie etwa in Amerika.
Vielleicht wendet man ein, es sei eine Fiktion, daß
unser Beamtentum außerhalb der Parteien stehe; es sei viel-
mehr konservativ. Daran ist etwas Wahres. Ganz abgesehen
von dem naturgemäß konservativem Zug, der dem Beamten-
tum immer innewohnen muß, weil es berufen ist, den Staat
als solchen zu erhalten, wird das Konservative gerade in unserem
Beamtentum noch durch zwei besondere Motive verstärkt:
erstens, daß unser Staat sich aus feudalistischen Verhältnissen
historisch entwickelt hat und daher im Beamtentum eine Tradi-
tion herrscht, die den Zusammenhang mit den reaktionären
Mächten bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz abgestreift
hat; zweitens infolge unserer parlamentarischen Einrichtungen,
die die Regierung oft mehr, als ihr selbst lieb ist, darauf
anweisen, mit den konservativen, agrarischen und kirchlichen
Kreisen so gut wie möglich zu stehen, um sich gegen den
Ansturm der radikalen Demokratie zu behaupten. Insofern
hat wirklich unser Beamtentum einen Zug von Parteinahme
für alles Konservative. Trotzdem ist meine Charakteristik
prinzipiell richtig, und der Beweis ist, daß, wenn die Libe-
ralen klagen, die Beamten seien grundsätzlich konservativ,
die Konservativen, zwar nicht so sehr öffentlich, aber sehr
stark im stillen auf den Liberalismus der Beamten schelten.
Schon der alte Marwitz hat ja immer von neuem ver-
kündigt, die wahren Jakobiner seien nicht die Demagogen,
Das Konser-
vative des Be-
amtentums.
Vorteil einer
Parteiregierung.
184 Gesamtleistung des Beamtentums.
sondern diese säßen in der Kanzlei des Staatskanzlers. Was
Marwitz jakobinisch nannte, was auch der junge Bismarck
in seiner feudalen Zeit noch häufig wütend „bonapartistisch“
nannte, das ist eben das, was wir das außerhalb der
Parteien stehende Beamtentum nennen, und die moderne
Probe auf dieses Beamtentum ist eben die Sozialpolitik.
Überhaupt dürfte, wenn man die Leistungen der Gesetz-
gebung seit der Begründung des deutschen Reiches zu-
sammenstellt, sich ergeben, daß bei weitem das Meiste und
Beste darin von der Regierung, vom Monarchen und vom
Beamtentum ausgegangen ist, oft nur mit Mühe beim Reichs-
tag durchgesetzt. Aber dessen bloße Existenz wirkte im
höchsten Grade anregend und treibend auf die Regierung,
und im einzelnen hat er auch viel verbessert und zuweilen
auch selbst gute Gedanken und Anregungen hervorgebracht.
Neben den sehr schwerwiegenden Nachteilen hat das
Parteiregierungssystem auch einen Vorteil, den wir nicht über-
sehen wollen. Weil das ganze politische Wesen lockerer ist
als bei uns mit dem streng hierarchischen Aufbau des
Beamtentums, ist es auch leichter möglich, daß politische
Talente hochkommen. Das scheint ja nur für wenige
wirklich bedeutend zu sein, ist aber doch für das gesamte
öffentliche Leben eine sehr wichtige Sache. Es ist bei uns
durch ein strenges Beförderungssystem im Beamtentum
auch für den talentierten Mann unmöglich, in jungen
Jahren, mit einer gewissen jugendlichen Frische an die
Spitze zu kommen. In allen parlamentarischen Staaten
ist das viel eher möglich. Das ist ein Vorzug, den ich
sehr hoch anrechne, der ganz gewiß hauptsächlich das Ver-
dienst hat, daß trotz der großen Mängel des Parteiregierungs-
systems es doch noch immer das seinige leistet, ja sogar
gewisser Vorzüge vor dem unsrigen sich rühmt.
Mängel der Parteiregierung. 185
Aber nun betrachten wir eins: Vor eine wirklich große
Probe, in einen großen Konflikt, ist noch keiner dieser
Staaten gestellt worden. England hat die großen Kämpfe
gegen das Frankreich des 18. Jahrhunderts unter dem
alten aristokratischen Parlament durchgefochten. Das 19. Jahr-
hundert hat nicht entfernt solche Anforderungen gestellt
wie das 18. bis zum Jahre 1815. Frankreich wartet noch
immer auf die große Probe, die es einmal bestehen soll.
Die Amerikaner haben, so stolz sie auch auf ihre Ver-
fassung sind, den großen Bürgerkrieg doch nicht vermeiden
können, und wenn sie in die imperialistische Politik
einmal eintreten, — sie tun es ja immer noch zögernd —
dann ist die Frage, ob dieses Staatswesen mit dem
Mangel einer einheitlichen, sicheren Spitze und eines
unbedingt festen Rückgrats solchen Aufgaben gewachsen
sein wird. Da können wir wieder auf den Vergleich mit
dem alten Rom zurückgreifen. Rom ist allen anderen
Staaten überlegen gewesen, weil es in seiner Magistratur
und seinem Senat den festen Mittelpunkt der politischen
Autorität und der politischen Tradition hatte, und daneben
in der Demokratie das populäre Element, das dem Staate
Saft und Kraft gibt. Auch die reine Demokratie kann
zeitweilig eine gute auswärtige Politik machen, wenn gerade
ein Mann von wirklicher Einsicht und Talent in die Leitung
gekommen ist. Aber große Politik auf die Dauer erfordert
immer weite Vorbereitungen und häufig in hohem Maße die
Tugend der Geduld. Und das beides ist natürlich in Staaten,
die in soviel höherem Maße auf die Popularität und auf die
Zustimmung von größeren Massen angewiesen sind, sehr schwer
zu erreichen, und gar bei irgendeinem Rückschlag, den doch
auch das Genie erlebt, ist die Masse gar zu sehr geneigt,
die Schuld auf den leitenden Mann zu werfen und ihn
Parteiregierung
und auswärtige
Politik.
180 Die deutsche Verfassung von
zu beseitigen. Die öffentliche Stimmung ist ja heute bei
uns mit großer Ungeduld erfüllt und will verzweifeln, ob
überhaupt irgendwelche Ziele verfolgt werden. Nun ist aber
das eine sicher, daß, wenn man solche Ziele wirklich hat, sie
darum doch nicht immer von heute auf morgen erfüllt
werden können, daß dafür nicht bloß die Rüstungen aus-
reichen müssen, sondern daß vor allem der rechte Augen-
blick abgewartet werden muß, und daß diese Politik leichter
durchführbar ist, wenn, wie bei der unfrigen, die Autorität
an einer Stelle liegt, die die Dinge weit voraussieht und
nicht aller Welt mitteilt, das leuchtet ja ohne weiteres ein.
Ohne die Augen zu verschließen vor den inneren Mängeln,
die auch unserem Regierungssystem anhaften, muß ich doch
sagen, daß ich in ihm eine weit höhere und bessere Form
der politischen Gestaltung sehe als in irgendeinem anderen
Staate der Gegenwart. Aber wohlgemerkt, immer indem
beide Momente der Regierung anerkannt werden und ihr
Recht ausüben. Die Anträge, welche von der Volksvertretung
eingebracht werden, die Kontrolle, die das Volk ausübt, die
Notwendigkeit, sich vor der Volksvertretung zu rechtfertigen,
mit ihr zu verhandeln, bald mit diesem, bald mit jenem
Teil sich auseinanderzusetzen, auch Kompromisse zu schließen,
das Volk — wenigstens in seiner Mehrheit — auf einen
Punkt zusammenzuführen, das macht die Eigentümlichkeit
unserer Kraft und gibt uns das sichere Gefühl, daß unserem
Volke noch eine große Zukunft beschieden ist. Sonst würde
man sich ja leicht auf den Gedanken zurückziehen können:
das Beamtentum ist die politische Intelligenz, ihm und
dem König, der für sich und seine Familie am besten sorgt,
wenn er für das Wohl des Staates sorgt, ihnen wollen
wir uns anvertrauen. Aber die Rechnung würde nicht
stimmen, weil die Organisation der politischen Intelligenz
allen bestehenden die beste. 187
im Beamtentum immer nur in einem gewissen Maße wirk-
lich durchgeführt sein kann, und der Monarch immer den
zufälligen Schranken seiner Subjektivität unterliegt. Des-
halb ist der stete Antrieb und die Kontrolle der öffentlichen
Meinung, ausgeprägt in den Wahlen der breiten Massen
zu einer Volksvertretung unentbehrlich. Wollte man den
Reichstag unterdrücken oder ihn durch gewaltsame Änderung
des Wahlrechtes entseelen, so würde das dem deutschen
Reich ebenso zum Verderben gereichen, wie wenn der Reichs-
tag die Befugnisse einer sogenannten parlamentarischen
Regierung gewönne. Wenn aber beide zusammen wirken,
Regierung und Reichstag, dann können sie das höchste er-
reichen, mehr jedenfalls als die Staaten, die immer wieder
darauf angewiesen sind, bald dieser bald jener Partei zu
folgen, das heißt also die Politik nicht vom Standpunkt
des Ganzen, sondern vom Standpunkt eines Teiles des
Ganzen zu treiben. Sieht man die deutsche Politik unter
diesem Gesichtspunkt, so sieht man manches, was einen
am Tage ärgert, mit viel größerem Gleichmut an. Gewiß,
gegen Fehler sind wir ebensowenig geschützt, wie irgend-
ein anderes Volk. Es ist nicht notwendig, daß immer
gerade die Volksvertretung der Regierung hilft, Fehler zu
vermeiden, im Gegenteil, sie treibt sie auch oft in Fehler
hinein. Aber das Vermeiden von Fehlern ist nicht das
Entscheidende. Das Entscheidende für die Wirksamkeit
und die Erfolge einer Staatsverfassung ist, daß die historisch
gebildeten Kräfte im Volke, indem sie miteinander ringen,
doch schließlich immer für den Staatszweck möglichst
umfassend zusammenwirken. In je höherem Grade das
erreicht wird, mit um so mehr Recht kann man sagen,
daß im Staatswillen, in der Regierung der Volkswille
zum Ausdruck komme.
Delbrück, Regierung und Volkswille. 13
Register.
bgeordnetenhaug, preußiches, Kon-
flikt — Dreiklassen-
zonehl 550 — Stendisches
Element 126. — Indirekte Wahl
38—39. — Unselbständigkeit der
Wahlmänner 39. — Feuer-
bestattungsgesetz 85. — Finanz-
politik 143.
Absolutismus und Reaktion 43.—
Der A. und sein Verhältnis
zum Volk 44—45. —Entstehung
des Absolutismus in der Neu-
zeit 117—18. Verhältnis zum
stehenden Heer 117—18. —
Sturz des A. in England, 119
bis 21, 123—26. — A. in Sster-
reich 122. — In Preußen 55—57,
122. — In Frankreich 122—26.
Achill als Anfährer 92. — Als
Ritter 97, 99.
Aedil in Rom, Anteil am Senat 105.
mterkauf in Amerika 47—48. —
Schweiz 48.
Agrarier in Deutschland. Ab-
neigung gegen die Flotte 33.—
hr Einfluß 153—56. — Gegen-
atz gegen die Sozialdemokraten
153—56.
Agrarkommunismus in Nom 94.—
In Urgermanien 140. — Im
sozialdemokr. Zukunftsstaat 149.
Akademie, Posener 170.
Alemannen in Elsaß-Lothringen 2.
Alerander III. u. d. Papstwahl 118.
A#deusch, ihre Stimmung 185 bis
Allgemeines Stimmrecht, Gedanke
des, in Deutschland 40. 58,
61—65,147.— Cngland 13, 147.
— Frankreich, Italien, Belgien,
Holland 147.
Allgemeine Wehrpflicht, Verhältnis
zum allg. Stimmrecht 57—59.
— In Preußen 45. 139. — In
Deutschland 88. 148, nicht voll
verwirklicht 150.
Altenstein, Kultusminister 51.
Altersversicherung, Deutsche 35.
Altertum. Regierung und Volks-
wille 45, 88 —112.— Finanzieller
und militzrischer Zusammenbruch
114—15.
Althoff u. d. Posener Akademie 170.
Amerika. Proporz21.— Referendum
29. — Indirekte Wahl 38—39.
— Bürgerkrieg 46. 185. — Kor-
ruption 46—48. 182. — New
Encyclopedia otdr Social
Reform 46. Wahlmache
46—48. 133. 17. 182.— Wahl-
modus 7—8.— Wahlbeteiligung
8. — Präsidentenwahl 7—8.—
Negerstimmrecht 47. — Trusts
und Wahlen 47. 132.— Richter-
stellen käuflich 47. — Veteranen=
Fürsorge und Korruption 48. —
Bauern weniger bestechlich als
Städter 47. — Prinzipielle Stel-
lung des Parlaments z. Regierung
59. 126. — Kaukus 71. — Die
führenden Parteien 127. —
„Plutokratie“ 133. — Parteidiszi-
plin 178. — Eisenbahnen 181
bis 83. — Verfassung und
Imperialismus 185.
Analphabeten in Italien 16.
Register.
Anfragen beim Minister im eng-
lischen Parlament 75.
Anglikaner in England 120.
Anna, Königin von England 134.
Ansiedlungspolitik, Deutsche, unter
den Polen 158—59. 164—67.
174—75. — Rheinbabens An-
sicht 166. — Bismarcks Ansicht
159—61. 166—67. 174.
Antisemiten. Verfassung für Elsaß-
Lothringen 85.
Araber als reine Rasse 4.
Arbeiterschaft, Deutsche, und die
Flotte 33—34. — Soziale Gesetz-
gebung 34.
Arbeitgeber und Sozialpolitik 36.
Aristoteles über Infanterie 99.
Armin, Groeben über ihn (1812)
140.
Arndt, E. M., der Regierung miß-
liebig 53 —54
i- und die Parlamentsreform
Athen. Volk autochthon? 4.
Verfassung 88—92. — Burger-
zahl und Gebiet 89. — Eupatri-
dentum 96.— Gottesgnadentum
96. — Verfassung Drakons ge-
fälscht 103. — Bürgerrecht 107.
Attika, Umfang 89.
zundee helbtnt 1892. 150.
Aufruf "an mein Volk“ (1813)
Augurien in Rom 96. 104—05.
Australien, Referendum 31.
Babplonische Verbannung der
Juden 103.
Bogehot- hbe- Wahlen in Eng-
land 7
nai0n und Landwirtschaft 94.
Barbarossa, seine nationale Be-
deutung 42. Gegensatz zu Aler-
ander III. 118.
Basel, „Majorz“ u. „Proporz“ 21.
Bauernstand in Deutschland 153.
— Polen 173—74. — Schweiz
49. — Amerika 47. — Im
römischen Reich 94. — Modernes,
189
landwinschaßliches Versiche=
rungswesen 94.
Bayern (Stammt imn alten Reich 5.
Bazaine (1870) 1
Bebel der snn 19. — Flotten-
frage 3
Belzien, uan und Regierung
59. — Kein allgemeines
Micher Seimmrecht 147.
Belloc und Chesterton, party
eystem 69—70. — über Kor-
wuption in England 73.— Cng-
lische Parteidisziplin 75. — Ver-
ältnis zwischen Wighs und
ories 1
Bennigsen, seine Laufbahn 67.
Besitzsteuer in England 49.
i mreßische 170—71.—
In Posen
Biersteuer in Clnan 83. — In
Deutschland 145.
Bismarck. Sohialpolii 84—356,
62—64. 181. — Schutzpollge
setzgebung 4. — Ständische
Volksvertretung 309—40. —
Kaiser Wilhelm lI. 61. 64. —
Kaiser Wilhelm II. 61—66. —
Jeigung ½ Rußland 64. —
öffentliche Meinung
— — Polenfrage 159 bis
159—60. — über Bureaukratie
156. — Über forrschrittliches
Beamtentum 183—84. — Seine
Kraft im Alter 64. — Stellung
zur Reichsverfassung 61—66. —
Zum allg. Stimmrecht 58. 61 bis
83 — Staatsstreichpläne 61 bis
— Entlassung 60—66. —
urn zum Neichstas 60 bis
66, 142—43. 146. 149—50. —
Seine Entlassung u. d. Sozial=
demokraten, Freisinnigen, Eugen
Fichter, Zentrum 61.— Stellung
zu den Konservativen 61—63, den
Freikonservativen 159, den Sozial-
demokraten 61—66. 147, Zentrum
147, Freisinnigen 147. 149— 50.
13*
190
Helldorf 61—63 — 80. Ge-
burtstag 65.
Block, schwarzblauer, in Deutsch-
land 131.
Blücher bei Auerstädt 45. — Ver-
hältnis zu Hardenberg 51.
Bonapartes als jetzige französische
Prätendenten 128.
„Bonapartismus“ im Sinne Bis-
marcks 183—84.
Bordeaur, franz. Nationalversamm-
lung 1871 3.
„Boß“, Wahlmacher in Amerika 46.
Boulé (Athen) 90—92.
Bourbonen im gegenwärtigen
Frankreich 128.
Boyen, Verhältnis zu Hardenberg
51
Boykot, Kampfmittelder Polen 168.
Brandenburg, Graf, 1814 u. 1848
140
Brantweinmonopol in Deutsch-
land 144.
Braunschweig, reingermanisches
Blut 3.
Braunschweig, Herzogvon (1806)45.
Bremen, Geographische Lage 95.—
Rede Wittings 161.
Breslau (1848) 140.
Bromberg, Zunahme der Polen 166.
Brotpreis in Deutschland 154—55.
Brunhilde (Merowingerin) 113.
Bryce, J., über amerik. Korruption7.
Buckingham, Herzog von 11.
Bälow, Fürst, und d. Reichstag 60.
— Sein „Block“ 150. — Sein
Rücktritt 60. — Polenfrage 161.
Bureaukratie siehe Beamtentum.
Bürgerrecht, athenisches 107. —
Römisches 107—09.
Bundesgenossenkrieg gegen Rom
109—10.
Bundesratsbeschluß über d. föde-
rativen Charakter des Reichs
(1884) 63.
Bundesstaatlicher
Reichs 63. 138.
Charakter des
Register.
Burdett, Plan einer Parlaments=
reform 1809 14.
Burenkrieg u. d. englischen Steuern
83—84
Burgund, Kampf gegen die Schweiz
im Mittelalter 98—99. — Heer-
wesen 98—99.
Burke (1790) 13.— Über Wahlen
(1791) 70. — Französische Re-
volution 70.
Byzantinismus in der Sozialdemo=
kratie 79.
Caesar über germanische Fürsten 92.
— Schöspfer der Caesarengewalt
111.— Über germanische Gefolg=
schaft 137.
Caprivi in d. Flottenfrage 31—32
— In der Ostmarkenpolitik 32.
— Verhältnis zum Reichstag 60.
— Zu den Freisinnigen 65. 150
bis 52. — Zweijährige Dienst-
zeit 150.
Cato der Altere. Mittelstands=
politik 102. — Aus plebejischem
Geschlecht 106.
Caub (1814) 140.
Centuriatcomitien in Rom 105.
Centurien in Rom, Unterabteilungen
der Tribus 108.
Chambord, Graf v., französischer
Prätendent 128.
Chaplin geg. Wilson unterlegen 7.
Chicago, Wahlbestechungen 47—48.
Ehlodwis, seine Staatsgründung
112.
Chlotar II. (Merowinger) 113. 116.
Cicero. „Imperium ct augurium“
105. — Sein Bruder über die
Wahlen 109.
Claudius, Appius El. Pulcher
(249a. C.) 104—05.
Contrat social (Nousseau) 20.
Corfinium im Bundesgenossenkrieg
9.
Crewe, Lord, u. d. Parlaments=
reform 1911 37.
Dänemark, Parlament u. Regierung
59. 126
Register.
Danen als deutsche Naich eangehori
157. — Polenpolitik
kr. — De Dänen und
Deutschl. Ruf im Auslande 175.
Danzig fällt an Preußen 1815 52.
Darlehnsbanken u. Landwirtschaft
94
Dauerreden 40.
Debs gegen Wilson unterlegen 7.
Demagagenwerfolgung in Preußen
r½ #erhal des Reichs, in
Osterreich 1. 192.— In Ungarn 1.
— In der Schweiz 1. 172. —
In Rußland und Amerika 1.
Deutscher Bund, sein Heerwesen
140—4s
Deutsches Reich. Rassenmischung
3— 4. — Späte Einigung der
Nation 5. — Nation. Bedeutung
d. Schriftsprache 5. — National=
versammlung 1848 140 — Heer-
wesen d. Deutschen Bundes 140
bis 141. — Reichsgründung 53
bis 59. — Dualistiche Verfassung
66— 68. 111 —12. 126. 144.
177—87. — Wo liegt d. Sou-
veränität? 111. — Das Kaiser-
tum, militärisch 136— 141, be-
sonders 138. — Bundesstaatl.
Charakter d. Reichs 127. 138.—
Gottesgnadentum 55 —59. 66.
106—07.— Offizierkorps 66.136
bis 41.— Unteroffizierkorps 136.—
Beamtentum s. unter Preußen.—
Zahl der Beamten u. Zahl der
Reichstagswähler 182. — Bis-
marck u. Reichsverfassung 61—66.
— Bedeutung des allg. Stimm-
rechts für Deutschland 58. 147.
— Allgem. Wehrpflicht 88. 148.
Heeresvermehr 1892 149—33.
1913 144. — Konfession. Spal-
tung u. Parteiwesen 130. (Vgl.
„Kirche“ u. „Zentrum“.) — Viel-
zahl der Parteien 130—31. —
Wahlmache 133,. — Wahlbetei-
ligung 71/—72. — Veraltete
191
Wahlkreiseinteil. 154. — Frauen-
stimmrecht 131—32. — Reichs-
tag siehe dort. — Deutschland
als „zurückgebliebener Polizei= u.
Klassenstaat" 147—48. — De
mokratische Elemente der Reichs-
verfassung 147—48.— Versamm-
lungs= und Vereinsrecht 147. —
Schulwesen 88. 147—48. —
Sozialpolitik 34—6. 147. 181.
183—84. — Finanzpolitik 84.
1#— 46. — Schutzoollsystem
143. 153—56. — Zölle und
innere Politik 183. — Agrarier
153—56. — Kolonialpolitik 31.
— Flottenfrage 31—34. — Die
Opposition und ihre Nolle
183. — Das Großkapital u. seine
politische Rolle 182 — 83. —
Preuß Polenpolitik 157—77. —
Nationale Parteien 179.— Eisen-
bahn 181—83. — Volksstimmg.
146—47. 185—86. — Deutsch-
lands Ruf im Ausland 175.
Dausches Volk das unbeliebteste
Wi franzssischer Krieg 1870/71.
Zusammenbruch d franz Armee
136. — Innere Politik Frankreichs
139 —40. — Eisernes Kreuz 141.
Deutsch-Freisinnige, s „Freisinnige“.
Deutschland, Werden der nationalen
Idee 53—59.
Diaeten in Frankreich 22.
Disziplin und Zivilisation 114—15.
Dohna, Graf (1848) 140.
Drakon, seine Verfassung gefälscht
103.
Drehährige Dienstzeit in Frankreich
. In Deutschl and 150.
’i enwahlrecht in Preußen,
ein Überrest ständisch. Wesens 126.
Drcpang. Schlacht (249 a. C.) 104
bis 105.
Dualismus im alten Nom 103
bis 112. 142. 185. — In der
ständischen Verfassung vom 7.
bis 17. Jahrh. 114—19. — In
192 Register.
Deutschland 66—68. 111—12.
126. 144. 177—87. — Gesamt-
kritik 177—87.
Durham, Wahlkreis 15.
Dynastie, ihre Bedeutung in Rom
100. 111. 116—17. — Franken=
reich 112—17. — Frankreich bis
1789 122. — England 119—21.
Osterreich 122. 140. — Rußland
140. — Preußen 122. 140. —
Kämpfe mit den Ständen in der
Neuzeit 117 18.
Edikt von Paris (614) 113—14.
Edinburg, Wahlrecht 11.
Einjährig-Freiwillige in Frank-
reich 25
Einkommensteuer in England 49.
Eisenbahnfragen in Deutschland,
England, Frankreich, Amerika
181—83. — Staatsbahnen oder
Privatbahnen? 181—83.
Eisernes Kreuz, überlebende In-
haber 141.
Elektoren in Amerika 39.
Elsaß-Lothringen. Stimmung der
Bevölkerung 1. — Politische An-
sprüche 2. — Die neue Ver-
fassung 85.
Encyclopedia of Social Re-
form 46.
England. Blutmischung im Volke 4.
— Parlamentarisches Vorbild
für den Kontinent 13. — Magna
Charta 113. — Parlament, Ge-
schichte 10—15. 70—75. —
Entstehung der gegenwärtigen
Verfassung 119—26. — Sturz
des Absolutismus 119—26. —
Legitimitätsgedanke 119—21.—
Gottesgnadentum 120. — Wil-
helm III. 120—24. — Personal-
union mit Holland und Han-
nover 121. — Das neue König-
tum und seine Stellung zur
Armee 133. — Der König und
die Parlamentsreform von 1911.
37. — Zur Wehrwerfassung 88,
120—21, 133—35. — Das
Parlament verfügt über das Heer
135. — Volkswohlfahrt und
Volksstimmung im 18. Jahr-
hundert 146. — Montesquien
über England 121—22. — Das
Oberhaus und seine Entwicklung
im Verhältnis zum Unterhaus 11.
13. 36—38. Jetziger Zustand 122.
— Wighs und Tories: Ursprung
119—20. Ihr Verhältnis zuein-
ander 12. 127. Ihre Stellung
zum Referendum 36—38. Jetzige
Sorgen der Tories 49. — Ge-
schichte d. Wahlrechts 10—15.
Dessen jetzige Ausdehnung 15.
— Jetziger Wahlmodus 70—75.
— Proporzgedanke 19—20. —
Gedanke d. allg. Stimmrechts 13.
147. — Wahlbeteiligung 17. —
Korruption 11—14. 73—74;
heute verschwunden 49. — Kau-
kus 72—74.— Parlamentsreform
von 1832 14—15. 122. Von
1867 15. 19. 127. Von 1872
u. 1884 15. Von 1911 37.122
— Suspensives Veto 37. —
Obstruktion 40. — Parteidis-
ziplin 68. 71—75. 178. — Inter-
pellationen und Anfragen beim
Minister 75. — Gesetzgeberische
Leistungsfähigkeit d. Parlaments
83—84. — Macht d. Parl. 59.
86—88. — Charakter d. Oppo-
sition 153. — Die neue Demo-
kratie und ihre Führer 19. 73 bis
75. Demokratie u. auswärtige
Politik 49. — Abänderung des
Kapitals, Enteignungspraris,
Niedergang d. Landwirtschaft 49.
— Eisenbahn 182. — Kirche 120.
— Beamtentum 178.— Steuern:
Erbschaftsst. 33.49. Einkommenst.
49. 83—84. Besitzst. 40. Stem-
pelst., Bierst., Spiritusst. 83. —
Teezoll, Zuckerzoll, Kohlenausfuhr-=
zoll 83. Kampf geg. Frankreich bis
3. franz. Revolution 12. 46. 123
Negister.
bis 124. — Einwirkung d. franz.
NRevolution 13—14. 46. 70. —
Napoleon 12. 46.
Enquete über d. Polenfrage 161.3
Enteignungspraris in England 49.
Epidemiegesetz in d. Schweiz 30.
Equites in Rom 97.
Erbrecht, fürstiches, siehe Dynastie.
Eroschaßtssteue in Deutschland 33
34.— Bülows Rücktritt ihret-
** 60. — In England u.
Frankreich 33.
Erbteilungen des Frankenreichs 116
bis 117.
Erfurter Programm d. sozialdemokr.
Partei 149.
Erzherzog Fohann als Reichsver-
weser 140—41.
Etoges C#s#eh1 Haltung Wrangels
140.
Etela Verhaͤltnis zu Rom 96
is 97. 99.
echiere Kaiserin (1870) 139.
Fabrikarbeiter in d. Schweiz. 49
Fälschungen 1 Urkunden 103.
Faguet über d. franz. Parlamen=
tarismus 24.
Fahrkartensteuer i. Deurschland 144.
Fasces in Nom 100.
Feudalkriegertum des Mittelalters
115—
Feuerbestattungsgeset u. d. Frak-
tionen in Preußen 85.
Feuerversicherung, moderne 94.
Finanzieller Zusammenbruch des
Römerreichs 115.
Einanzpolt deutsche. Die Reform
Neichstags 84. — Peinji=
pien des Reichstags 143—46.
Preußen: Lex Hüne 143.
Flottenfrage in Deutschland 31—34.
Fortschrittspartei, ihr Aufgehen in
Deutsch-Freisinnigen 150.
Fraktionen. Ihre Anzahl in der
französischen Kammer 129. —
J norddeurschen Reichstag von
1867 130. — Im gegenwärtigen
Reichstag 43. 142.— Bedeumung
193
der Vielzahl 130—31. — Ihre
Eigenart 141—56.
France, Anatole, über die Depu-
tierten 22
Franckenstein und Sozialpolitik 36.
Franken in Eilc= Lothringen 2. —
Im alten Reich 5.
Frankenreich 112—17.
Frankenstein, Klausel 143.
Frankfurt. Nationalversammlung
(1848) 140.
Frankfurter Frieden i. J. 1871 2.
Frankfurter Zeitung über englische
Parteidistiplin 75.
Frankreich. (Pgl. „Frankenreich“).
berblick über die Entwicklung
122—26. — Universales Macht-
streben im 17. Jahrh. 124—25.
— Kéönigtum 67—68. Dessen
Untergang 123—26. — Ze-
volution: König als Repräsentant
d. Volkswillens aufgefaßt 67 bis
68. Träger d. Revolution 124
bis 26. Haltung d. Armee 125.
Antike Republiken als Vorbild 90.
Einwirkung auf Cngland 13
bis 14. 46. 70. — Kämpfe
gegen England 12. 46. 123—24.
apoleon I. und III. siehe dort.
— Volksabstimmungen für d.
Bonapartes 8—9. — Gesch. d.
Wahlsystems 21. — Indirekte
Wahl 1789 38—39. — Wahl-
reformen von 1875. 1884. 1889
21. — Proporzgedanke 21—28.
— Referendum 8—9. 28. —
Diäten 22. — Soziale Stellung
d. Deputierten 22. Parlamen-
tarische Korruption 23—28. —
Allg. Stimmrecht 147. — Prin-
zipielle Stellung der Kammer zur
Regierung 59. — Eigenart des
franz. Parlamentarismus 129bis
31. — Parlamentarismus und
Beamtenkarriere 66 — 67. —
Charakter der Opposition 153.
— Vielheit der Fraktionen in d.
Kammer 129—31. — Nolle de:
194
Monarchisten 128 — 129. —
Jetzige Prätendenten 128. —
Parteidisziplin 178. — Wahlbe-
teiligung S. — Versammlungs-
und Vereinsrecht 147. — Die
Demokratie u. ihre Führer 75.
— Heerwesen: Dienstzeit 25. 129.
Einjährig-Freiwilligen= Institut
abgeschafft 25. Die Kammer
verfügt über das Heer 135—36.
Die letzten Kriegsminister 135.
Das Heer in der Revolution
125. Unter Napoleon III. 139
bis 40. — Eisenbahn 181—83.—
Erbschaftssteuer 33. — Verhält=
nis zu Polen u. zu Rußl. 173.
Franzosen als deutsche Reichsange-
hörige 1. 157. «
Fcary,N.,überd.ftanzösischeDe-
mokratie 79—80.
Frauen, ihre politische Rolle 6. —
Über ihr Sümmrecht Gompertz
131—32. — Deutschland 131
bis 32. — Jtalien 17.
Fredegunde (Merovingerin) 113.
Freihandel in Deutschl. 153—56.
Freiheit als volkstüml. Postulat
45—46.
Kreiheit der Wissenschaft in Deutsch-
land 76. ·
Freiheitskriege, Nachwirkung in
Deunchland 42.57—59. 141.—
Nachwirkung in Frankreich 136.—
Die preuß. Armee 45. — Ver-
hältnis zur Konstituiion 57—59.
FKreikonservative Partei. Stellung
zu Bismarck 159 — 160. —
Feuerbestattung 85.— Verfassung
f. Elsaß-Lothrigen 85. — Reichs-
verfassungsordnung 85.
Freisinnige Partei und Sozialpolitik
36. — Freihändler 153—156.
— Unter Bismarck 147. 149—50.
— Bei seiner Entlassung 61. —
Stellung zu Caprivi u. Hohen-
lohe 65. — Feuerbestamung 85.
Verfassung für Els.-Lothr. .
I# 5P
Register.
— Gegenwärtige Stellung zur
Regierung 147. — Krise von
1892 149—153. — Stellung
zum Kaiser 1892 152.
Friedrich I. König v. Preußen, als
Kriegsherr 137.
Friedrich d. Gr., sein absolutes
Regiment 44—45. 57. — Über
Infanterie 99. — Als Kriegs-
herr 137.
Friedrich Wilhelm, d. Große Kur-
fürst unterstützt Wilhelm III. von
Oranien 124. — Gründet Armee
und Beamtentum 137.
Friedrich Wilhelm I., sein absolutes
Regiment 44. — Als Kriegs-
herr 137.
Friedrich Wilhelm III. 1806—13.
138. — Nach 1815 50—58.—
Kritik Hegels 55.
Friedrich Wilhelm IV., seine Re-
gierungsweise 56—57.
Frontbank, ihre Bedeutung in
England 72. 75.
Fürstenrang im alten und neuen
Deutschen Reich 96.
Gefolgschaft, germanische 137—38.
„Geheimrat“ nach d. Definition
Bismarcks 156.
Geldwirtschaft, Untergang der an-
tiken, 115.
Generalstreik auf d. Parteitagen 79.
Gentz über d. engl. Parlament 13.
Georg l. von England 121.
Germanen, Die alten. Ihre Für-
sten 92. — Urverfassung 113.
— Gefolgschaft 137—38. —
Heerwesen 137—38. 149. Ver-
gleich mit dem sozialdemokr. Zu-
kunftsstaat 148—49. — Agrar-
kommunismus, Gesetzgebung,
Rechtsprechung, Firsemwaht 149.
Germanisches Blut in Deurschl. 3.
Gewerlvereine, Verhäáltnis zur So-
zialdemokratie 77—79.
Gierke über d. Majoritätsprinzip 18.
Giolitti und d. Wahlrecht 16—17.
Gneisenau, seine nationale Be-
Register.
deutung 42. — Verhaͤltnis zu
Hardenberg 51. — Heeresreform
139. — Im Jahre 1812 140.
Gneist über englische Verfassung 70.
Goethe 42. 152.
Goldene Bulle (1356) 119.
Gompertz über Frauenstimmrecht
131—32.
Gottesgnadentum in Athen 96.
Rom 96. 100. 101. 104—06.
112. England 120. Preußen-
Deutschland 55—59. 66. 106
bis 107.
Grafenamt im Frankenreich 113
bis 114.
Griechenland. Handel 93. — Heer-
wesen 138. Vgl. Athen, Sparta,
Homer.
Griechisch= Katholisch, Gegensatz
gegen Römisch-Katholisch 173.
Groeben, Graf (1812 u. 1848) 140.
Großer Kurfürst unterstätzt Wil-
helm III. von Oranien 124. —
Gründet Armee und Beamten-
tum 137.
Grote (LHistoriker) Vertreter des
demokr. Gedankens 19—20.
Grundwertzuwachssteuer in Deutsch-
land 144
Guillotine 125.
Gutgowski über d. Polenfrage 163.
Haenel u. d. Heeresvorlage 1892
151
Hagelversicherung, moderne, 94.
Hagenbach, Proporz-System 21.
Hahn, D., u. d. Flottenfrage 33.—
Hakatismus 157—77.
Hakatistische Politik u. d. Ausland
175
Hamburg, Proporz-System 21. 26.
Geographische Lage 95.
Hammerstein, Krisis von 1892 151.
Handelspolitik u. Flon#e in Deutsch-
land 33.
Hannover, reingermanisches Blut
3. — Personialunion mit Eng-
land 121. 134.
Harden und die Polenfrage 161.
195
Hardenberg. Seine Bedeutung 51.
Verhältnis zu Scharnhorst, Gnei-
senau, Blücher, Bop#en 51. —
Anteil an den Reformen 54. 57.
— Auf d. Wiener Kongreß 58.
Hare, Vertreter des Proporz-Ge-
dankens 20.
Hasbach, Moderne Demokratie
49. 6
9. 68.
Hector als Anführer 92. — Als
„Ritter“ 97. 99. — Gegen den
Vogelflug als Omen 104.
Heereszahlen in der Geschichte 80.
Heerwesen. Trojanischer Krieg 92
bis 93. 97. 99. 104. — Perser
98—99. — Griechen 99. 138. —
Athen 91. — Sparta 96. —
Rom 92—112. 114—15. 133.
— Germanen 113. 137—388.
149.— Frankenreich 114—77.—
Lehnswesen 115—17. 138. —
Stehendes Heer und seine Be-
ziehung zum Absolutismus 117.
bis 118. 137. — Schweiz im
Mittelalter 98—99. — Burgund
98—99. — England 88. 120
bis 121. 133—35. — Frankreich
25. 129. 185—36. 139—40.—
Holland 17. Jahrh. 123. —
eutscher Bund 140—41. —
Deutsches Reich und Preußen
51—57. 66. 136—41. 143—53.
157.
Hegel über den Volkswillen 41. —
UÜber das preußische Königtum 55.
Heinrich I., Kaiser 5.
Helldorf und Bismarck 61—63.
ermann (Armin), Groeben über
ihn (1812) 140.
Hermes, Freund E. Richters 151.
Herrenhaus in Preußen, sein stän-
discher Charakter 126.
Hippias, Tyrann von Athen 88.
Historische Urkunden, gefälschte 103.
Hochdeutsche Schriftsprache, ihre
Bedeutung, 5
offmann von Fallersleben der
Regierung mißliebig 54.
196
Hohenlohe (Reichskanzler) u. d.
Flottenfrage 32. — Verhältnis
zum Neichstag 60. — Seine
Memoiren über Bismarck 62. —
Die Freisinnigen 65.
Hohenzollern, die Schtper der preuß.
Königsmacht 122.
Holland, —“* * Blut 5.
— Personalunion mit England
121. — Armee im spaäteren 17.
Jahrhundert 123. — Parlament
und Regierung 59. 126. — Kein
allgemein. gleiches Stimmrecht
1
47.
Homer, Odyssee 93. — Ilias 92
bis 93. 97. 99. Vogelflug. 104
Hondt, D', Proporz-System 21.
Hühner, heilige, d. NRömer 104—05.
Hüne, Lex 143.
Humboldt, Wilh. v., als Minister 51.
Hyothekenbanken und Landwirtschaff
94.
Jae Dien, Durchführungbei den
Jah #l 8 Sengland. Sein Sturz
120—21. 123—24. 133.— Ver-
hältnis zu Frankreich 123—24.
Jaobiner!“. 180. — Nach Marwitz
Japaner, Gefolgstreue 138.
„Idealstaat" 50—53.
Jellinek, G. Allgem. Staatslehre 68.
Jena u. Auerstädt. ie preußische
Armee 44—45. — Uberwindung
der Folgen 138— 39. — Ver-
gleich mit Sedan 139—40.
Jena, Universität 76.
Jenks, Prof., über Korruption in
Newyork 47.
Jentsch, K., über d. bolenßeage 161.
Ilias 92—93. 97.
Illinois, KS. Ian or
Indirekte Wahl 38—39.
Industrie und Flotte in Deutsch-
land 33.
Infanterie, Wesen der, 99.
Initiative zur Gesetzgebung aus
dem Volk 31.
Register.
Internationale,
goldene 179.
Interpellation im englischen Par-
lament 75.
Interzession in Rom 101.
Inyg lititatsversi cherung,
schwarze, rote,
Deutsche
Johann, henos- als Reichsver-
weser 140—
Josias, König 1. Joben, sein Ge-
sebbuch gefaͤlscht 10
Irland im Jahre u8 10
isle de France, Herzland Frank-
reichs 122.
Italienischer Wieg 50 Leistungen
der Franzosen 136.
Italien, Geschichte des Wahlrechts
15—1 Parlamentsreformen
von 1882 u. 1913 16. — Allg.
Stimmrecht u. Frauenstimmrecht
1913 abgelehnt 17. 147. — An-
alphabeten 16. — Erbliche Wahl-
site 78. — Kéönigstum durch
Volksabstimmung gewählt 15
bis 16. Sein Verhältnis zum
Parlament 59—60. 126.
Juden als reine Rasse 4. — Heilige
Geschichte 103. — Fälschungen
ihrer Gesetzbücher 103. — Polen=
frage 159.
Kadavergehorsam in der Sozial-
demokratie 79.
Kaiser, der deutsche, kann nicht
Fürstenrang verleihen 96
Kaisertum, Deutsches, seine inner=
politische Stellung, militärische
136—41, besonders 138. —
Gesamtkritik 177— 87. Ver-
gleiche Dualismus, Deutschland,
Preußen.
Kaisertum, römisches. Eigenart
seiner Gewalt 111—12. — Ille=
gitimer Charakter 116—17.
Kantorowicz, Proporz-System 21.
Kapital. Abwanderung aus Eng-
land 40.
Kapitalismus in Rom 95—96.—
. und Massenregierung 132
Register.
bis 133. — Seine innerpolitische
Macht 132—33. — Einfluß auf
d. Parlamentarismus in Ame-
rika 182 —83.
Kardorff, Verhältnis zu Bismarck
u. zur Polenfrage 159—160.
Karl l. v. England, sein Tod 18.
Karl IV. Kaiser, und d. Goldene
Bulle 119.
Katholiken, Deutsche, ihre Stellung
in der Nation 174 179.
Kaukus, Herkunft des Wortes 71.
uiche Blut in Deutschland 3.
Kirche u. Kultus. Römisches Reich
96. 101. 104—06. — Kirche u.
Staat im Mittelalter 117. —
England 120. — Gegensatz der
römisch= katholischenundgriechisch-
katholischen Kirche 173. Ka-
lhonliziemus u. Polenfrage 162.
173. — Stellung zu Ruß-
18 173. — Zu Deutschland
173. — Verhaͤltnis zwischen
Zentrum und kath Kirche 174.
— Einfluß d. Papstes in Deutsch-
land 174. — Kirche u. Massen-
regiment, die Kirche als
innerpolitische Macht 132—33.
Kleisthenes Verfassung des, 89
Aie. . Grotes Urteil 19.
Koalitionskriege, wer beginnt sie?
124.
Kohlenausfuhrzoll in England 84.
Kolonisation, Deutsche, in polnischen
Gebieten 158—59. 164—67.
174—75. — Rheinbabens An-
sicht 166. — Bismarcks Ansicht
159—61. 166—67. 174.
Kommiß, Vergleich mit Bureau-
kratismus 157.
Ksniggrätz 52.
Kniasberg ,(1848) 140.
Königtum in Rom 98—100.
Kongreß, amerikanischer, seine Kor-
ruption 47.
Konservative, ihre Haltung in der
Flottenfrage 33. — Ihr Einfluß
197
in Deutschland 153—56. —
Ihr mittrlalzerliches Ideal 148.
— Verhältnis zum Beamtentum
183—84.— Zu Bitmarck61—63.
— Sogzialpolitik 34—36. — So-
“mlz-e 62—63. — Feuer-
bestattung 85. — Verfassung für
Elsaß-Lothringen 85. — Reichs-
versicherungsordnung 85.— Ver-
mögenszuwachssteuer 86. 131.—
Stellung zum Zentrum 131.
Konstitution, Entstehung der preu-
Kßischen, 57—59.
Konstitutionalismus, Gegensatzzum
Parlamentarismus 59.
Konsuln in Rom. Höchste Beamte
101. — Anteil am Senat 105.
— Ihre Funktionen 106.
Konvent als Führer der französi=
schen Revolution 124—25.
Kornpreis in Deutschland 154—55.
vereheruns esed in der
chwe
Krieg 5ron. 5 iehe Deutsch-fran-
zösischer K
Adegeministert Panzönt sche 135.
Krimkrieg, französische Leistungen
im, 136.
Kägler und die Holenffase 163.
Kulturkampf 17
Kultus, siehe Ke#6
Korsirienkolgium, Wahlmodus
braanwann in der Schweiz
käuflich 48.
Landräte, ihre Dienstwohnungen
Landvägte in der Schweiz 48.
tandwietschaft und Versicherungs-
wesen 94.
Lebenevers cherung und Landwirt-
schaft 9
Lechfeld, Shace auf dem, 5
Legionen in Urrom 98. — Ihre
lehnns 99. — Ihr Unter-
gan
geeon 114 der Fürstenherrschaft,
siehe Dynastie.
198
gehnzwesen des Mittelalters 115 bis
— Vasallität und Offizier=
gsn 138.
Leipziger Volkszeitung über Demo-
kratie u. d. Zukunfisstaat 81 —83.
Liberale u. Sozialpolitik in Deutsch-
land 34—36.
Liperum veto u. ständisches Wesen
119.
Liktoren in Rom 1
Liebknecht (Vater) 9. den Reichs-
tag 59.
Lincoln über Parlamentarismus 178.
Literatur über Parlamentarismus
und Demokratie 70, 76.
Lithauer 4.
Livius über. die servianische Ver-
fassung 1
London i. - 1809 12. — Geo—-
graphische Lage 95.
Lonsdale, Lord 11.
Lorimer, Senator, seine Bestechungen
47.
Los entscheidet über Amter in Athen
90.
Lowel, Constitution of England 69.
Derrbiln zwischen Wighs und
Tories 127.
Ludwig XIV. und sein Hof 79. —
Universales Machtstreben 123—24.
Ludwig XVI., sein Tod 123. —
Verhältniszum Ausland während
der Revolution 124—25.
Luther 42.
Lykurg, seine Gesetze gefälscht 103.
Maaßen, seine Bedeutung 51.
Mac Kechnie, Neue Demokratie
69 —0.
Mac Mahon (1870) 139.
Magna Charta (1215) 113.
Magyaren in Ungarn 6.
Majoritätsprinzz im Mittelalter
118. — Bei der Papstwahl 118.
— Bei der Kaiserwahl 119. —
Theoretischer Begriff 18—19.
„Majorz“ in Basel 21.
Marathon, Schlacht 88. 99.
Marwitz über Beamte 183—84.
Register.
Marrismus und Kapitalismus 78.
Massenheere in der Geschichte 80.
Mehring, Fra, über den Zukunfts-
staat 8
Menzel eie 139.
Merckel, Oberpräsident 51.
Merovinger 112—17.
Metternich, Verhältnis zum engl.
Parlament 13.
Met (1870) 139.
Meutereibill. englische 134—35.
Meyer, Eduard, über Altrom 93.
Michels, N., über d. mederne Demo-
kratie 76—80.
Mill, Stuart, Vertreter d. demokr.
Gedankens 19—20.
Minister, abgehende 67.
Migquel, früherer Abgeordneter 67.
Mischrassen, Charakter der, 5.
Mittelalter, Regierung und Volks-
wille 112—19.
Mommsen über röriche Patrizier
92. — Noms Handel
Monarchisten im gegenwärtigen
Frankreich 128—29.
Montesquien über England 121.
Moses, fünf Bücher 103.
Mot, seine Bedeutung 51.
Mätheusen im Elsaß, früher schwei-
zerisch 2
Münster (1848) 140
Mulhall über amerik. Korruption 47.
Napoleon I., Volksabstimmungen
für ihn 8—9. — Ausspruch über
den Volkswillen 41.— Sieg. über
Preußen 45. — Von d. Armee
emporgetragen 125. — Nach-
wirkung in Frankreich 135.—
Seine treulosen Marschälle 140.
— Kampf gegen England 12.
Napoleon III., Volksabstimmungen
für ihn 8—9. — Despotismus
— Durch Armee gestätzt
15—. — Verhältnis zu Heer
und Volk 1870/71 139—40.
„Natiangle Parteien“ in Deutsch-
land 179
Nationalliberale Sozialpolitik 35
Register.
bis 36. — Feuerbestattungsgesetz
85. — Verfassung für Els.-Lothr.
85. — Reichsversicherungsord-
nung 85. — Ihre Wahlkosten
133. — Abschwenken zu den
Freisinnigen (1884) 150.
Nationalversammlung (1848) 140.
Naturalwirtschaft des Mittelalters
115
Neger, ihr Stimmrecht 47.
Newcastle, Herzog von, 10—11.
Newyork, Wahlkorruption 47.
Niederlande rein germanisch 5. —
Personialunion mit England 121.
— Armee im späteren 17. Jahr-
hundert 123. — Parlament und
Regierung 59, 126. — Kein
allgemeines gleiches Stimmrecht
Nobilität in Rom, ihre Ent-
stehung 106.
Norddeutscher Reichstag 58—59.
Norwegen, Parlament und Re-
gierung 59. 126.
Ebspuksoon, parlamentarische 40
is 41.
dyssee 93.
ffentliche Meinung in Deutsch-
land, gegenwärtige 116—48.—
Zu Bismarcks Zeit 146—47.
sterreich, Nationalitätenmischung
5—6. 181. — Eigenart der
Parteien 180. — Verhälmis zu
Kaiser Wilhelm II. 64. — Kampf
gegen die Schweiz im Mittelalter
98. — Bedeutung der Dynastie
und Epoche des Absolutismus
122. — In d. Jahren 1805,
1809 140. — Polenpolitik 172.
— Bankerott der Parteiregierung
180. — Notwendigkeit der Be-
amtenregierung 126. 180. —
Obstruktion 40.
Offizierkorps, Deutsches 136—41.
— olen, ihr Eintritt 164. 173.
Oldenburg, reingermanisches Blut 3.
Orleans, Familie, im gegenwärtigen
Frankreich 128.
199
Ostmarkenpolitik, siehe Polenpolitik.
Ostmarkenverein 177.
Ostrogorsky, Democratie et partis
politiques 69.
Otto I., Kaiser 5.
Panamist, panama-Skandal22, 25.
Panfslavismus in Preußisch-Polen
173
Papst, sein gegenwärtiger Einfluß
in Deutschland 174.
Papstwahl und Majoritätsgedanke
118
Paris, Graf von, französischer Prä-
tendent 123.
Paris (1870/71) 139.
Pariser Frieden 1814 52. — 1815:
2. 52. — Edikt 614: 113—14.
Parteidisziplin in England 69. 71
bis 75. 178. — Amerika 178.
— Frankreich 178.
Parteien, Produkte ihrer Zeit 180.
Parteiidee im Gegensatz zur Staats-
idee 179.
Parteitage der Sozialdemokratie.
Generalstreik 79. — Zukunfts-
staat 149.
Patrizier in Rom, ihr Gegensatz zur
Plebs 92—106. — Mommsens
Ansicht von ihnen 92. — Zahl
der Patrizier 98.
Pennsyloania, Korruption 47.
Pensionsgesetz i. d. Schweiz 29—30.
Pentateuch teilweise gefälscht 103.
Perikles nach Grotes Urteil 19.
Perserkriege
und Heerwesen der
Perser 98—99.
Phalanr d. Griechen u. Rämer 99.
Phylen (Athen) 90—92.
Piemont, Königtum durch Volks-
abstimmung auf Jtalien erweitert
15—16. — Sein Verhälmis zum
Parlament 59—00.
Pitt, William, der Jüngere. Sein
Wahlkreis 11,. — Plan einer
Parlamentsreform 13. — Ver-
hältnis zur französisch. Revolution
Matäc, Schlach: 99.
200
Platos Idealstaat 50—53.
Plebiszit siehe Referendum.
Poincaré, Wahl= und Verwaltungs-
reformer 23—28.
Polen, Königreich. Liberium veto
119.
Polen, Fraktion. Flottenfrage 31
bis 32. 157.— Feuerbestattung 85.
— Verfassung für Els.-Lothr.
85. — Vermögenszuwachssteuer
86.
Polenpolirik, preußische 157—77.—
Verteilung der Polen in Deutsch-
land 1. 158. 172. — West-
preußen und Schlesien 160. —
Deutsche Kolonisation 158—59.
164—67. 174—75. — Die
Städte 159. 165—66. 168. 174.
— Judentum 159. — Bismarcks
Auffassung 159—61. 166—67.
174. — Schule u. Sprachenfrage
160—63. — Germanisierung des
Beamtenstandes 164—65. —
Kathaucche Kirche 162. 168. 173.
osten der Polenpolitik 161.—
Wachsender Reichtum der Polen
164—65. — Ihr Nationalgefühl
167—68. Boykott 168. —
Polenim Offizie corh 164. 173. —
Pyhischer Adel 178. — Kardorff
159. — Puttkamer 160. —
Witting 161.— Jentsch 161. —
Bölow 161. — Harden 161.—
Kügler 162. — Gutgowski 163.
— Scharey 163. — Nheinbaben
166. — Kaschdau 167. —
Zweibrücken 172. — Vorschlag
einer Enquete 161.— Besserungs-
vorschlag 171—74. — Der miß-
verstandene Versöhnungsgedanke
171—74. — Polen und Russen
160. 173. — Polen, u. d. Pan-
slavismus 173.— Ssterreichische
Polenpolitik 172. — Polen und
Franzosen 173. — Der polnische
Bauer 173.— Mittelstand 174.
— Deutschlands Ruf im Aus-
land und die Polen 175.
Register.
Pommern als „Nation“ 5.
Portugal, Parlament u. Regierung
126.
Posen, Schloß 169—70, Akademie
170, Bibliothek 170. Val. Polen-
politik.
Präsidentenwahl in Amerika 7—8.
Präsidentenwahl in Frankreich 128.
Prätoren in Rom. Alter Name
für Konsuln 101. — Anteil am
Senat 105.
Prätorianer, römische 114.
Presse, ihr Fehlen im Altertum 110.
— Ihre Nolle bei den Wahlen! 10.
Preußen. Altpreußen, Absolutismus,
Bedeutung der Dynastie 44 bis
45. 55—57. 122. — Gottes-
gnadentum 55—59. 106—07.
166. — Königtum und Armee
136—41. — Beamtentum vom
Großen Kurfürsten gegründet 137.
— Organisierte Intelligenz 51
bis 57. Organ d. Krone 66. 141.
Kritik 156—77. In der Ostmark
164—65. Innerpolitische Farbe
181—87. Verhältnis zur Kon-
servativen Partei 183—84.
Offizierkorps 51—57. 136—41.
— Landtag siehe Abgeordneten-
haus und Herrenhaus. — Die
Epoche 1806—13 und ihre Re-
formen 45. 51. 54. 57. 139—40.
— Allg. Wehrpflicht 45—46.
— Entstehung der Konstitution
57—59. — Demagogerverfol-
gung 53—59. — Verhältnis zu
Deutschland seit 1815 53—59.
— Hegel und Friedrich Wil-
helm III. 55. — Revolution 1848
52. — Konflikt 1861 150. —
Polenpolitik 157—77. — Biblio-
thekswesen 170—71. — Rassen-
mischung 4.
Preußen (Volksstamm) 4.
Preußische Jahrbücher. Vorwort u.
Seite 176.
Piiester-Koder der Juden 103.
Register.
Privabahnen oder Staatsbahnen
181—
* in Nom einträglich
9.
rndend Proportionalwahl 19—28.
—In Engl. —19—20.— Schweiz
21. — Amerika 21. — Ham-
burg 11. 26. — Württemberg
21. 26. — Entstehung des
Namens 21. — In Frank-
reich 28.
Prytaneum (Athen) 90
Puttkammer über die Mißerfolge
der Polenpolitik 160.
„Quinze mille“, Spitzname für
Deputierte 22.
Ragnit- Pillkallen, Nachwahl in 133.
Naschdau über d. Polenfrage 167.
Rasse, rein oder gemischt 5.
Ratsherrenstellen käuflich in der
Schweiz 48.
Reaktion u. Absolutismus 43.
Rechtsprechung in Urgermanien 140.
Referendum 28—38. — In der
französ. Revolution 28. — Fär
die Bonapartes 8—-9. — In
Amerika 29. — In talien. 16.
— In der Schweiz 28—31. —
zn Basel 29. — In Australien
31.
Reformin preußen 1806—13. 45.51.
Reichsgründung 53—59.
Reichsschub,, ihr Urheber der Reichs-
tag 145.
Reichstag. Seine Entstehung 58bis
59. — Politische Stellung 59 bis
67. — Einfluß auf Gesetz-
gebung 60—67, 87—88. — Die
Fraktionen 141—56. — Mehr-
heitsbildungen 85—86. — Die
Opposition 145—56. — Fehlen
des Verantwortungsgefühles 145
bis 46. — Keine Korruption 66.—
Subalterner Zug 66—67. —
Große gesetzgeberische Arbeits-
kraft 81#—85. — Ausführlichkeit
der Verhandlungen 84. — Die
Rechte des Abgeordneten fließen
201
allein aus der Wahl 101. —
Finanzpolitik 84. 143—46.
Verhältnis zu den Ministern
60—67.— Bismarcks Entlassung
60—66. — Stellung zu Capxrivi,
Hohenlohe, Bülow 60. — 7 s
1892 150—52.— Wahlen 1912
146. — Zahl der Wähler 182.
— Wogl. Flottenfrage, Erschafts-
steuer usw.
342 . à g im
Reichstag Fors
Reichsverweser Erzherzog Johann
140—41.
Neiterei, ihre Entstehung 97.
Neitpferd noch nicht in der Jlias 97.
Repräsentationsgedanke. Sein Feh-
len im Altertum 110. — In
Ahen0— 92.— In Rom 109bis
ni.ien 1848. Parlament
in Frankfurt 140—41. — Der
Neeichs verweser 140. — Die
Felgen in Preußen überwunden
i- Blut in Deutschland 3.
Rheinbaben über Ansiedelungen in
der Ostmark 166.
Rheinübergang (1814) 140.
Nheinufer, linkes (1815) 52.
Richmond, Herzog von, beantragt
allg. Stimmrecht (18.Jahrh.)
NRichter, Eugen, u. Bismarcks en
lassung 61. — Heeresvorlage von
1892 119—53.
NRichterstellen käuflich in Amerika
47. — Schweiz 48.
Richterstand in Rom 97.
—ide als militärischer Begriff
— Im Mittelalter 97. 99.
Nellspier. sein antikes Vorbild 90.
Roggenpreise in Deutschland 154
bis 155
Nom. Verfassungsentwicklung 92
bis 112. — Gegensatz Patrizier-
Plebs 92—106. — Entstehung
der Nobilität 106. — Ihr Ver-
hältnis zum Plebs 107.— Agrar-
202
kommunismus 94. — Bauern-
stand 94. — Königtum 98—100.
— Liktoren 100. — Kapitalit=
mus 95—96. — Handel 93. 95.
Sauies (Mitterstand 97.— Nasse
96. — Geographische Lage
* — Kultus 96. 101. 104—06.
Got#egnadentum 96. 100—01,
104—06. 112. — Heerwesen 92
bis 112. 114—15. 138. — Le-
gionen 98. 99. 114. — Verhält-
nis zu den Emuskern 96—97. 99.
— Ursprünglicher Umfang und
Volkszahl 97. — Konfuln 101.
105. — Prätoren 101. — Senat
98. 100. 105—07. 111. 114.—
Interzessiomn 101. — Demo-
kratisches Element 101—11. —
Volksversammlung 101. 105.
107—08. — Servianische Ver-
fassung gefälscht 102—03. —
Mittelstand 102—03.— Dualis-
mus 103—12. 142. 185. —
Volkssouveränität! 103—04. 111.
— Imperium et augurium 105.
— Centuriatkomitien 105. 107
bis 108.— Tributkomitien 105.
— Senatus Populusque Ro-
manus 105—07. — Bürger-
recht und Wahlrecht 107— 57 —
Centurien 108. — Tribus als
Stimmkörper 108. — Wahl-
modus 101. 104—05, 107—08.
Kaukus 108—09. — Prokonsulat
108—09. — Bundesgenossen-
krieg 109—10. — Kaisertum
111—12, 114. 116—17. —
Roms Untergang 110—12. 114
bis 15. — Nachwirkung in
Deutschland 4.
Romford, Wahlkreis 15.
Roosevelt gegen Wilson unterlegen
7. — Seine Wahlbestechungen
4#|8.— — Stellung zu den
Trusts 182.
Rothschild, W., Handbuch der
Polinik 69.
„rotten boroughs“ 10 —15.
Zegister.
Rousseau, Ansicht über Wahl-
repräsentation 20.
Rublandi in Bismarcks letzter Politik
J. Jahre 1812 140. —
ices Verhaͤltnis zu Deutsch-
land 150. — Polenfrage 160.
173. — Freundschaft mit Frank-
reich 173. — Kirche 173. —
Parlament und Regierung 126.
Sachsen (Stamm), seine Bedeutung
für Deutschland 5
Sack, Oberpräsident 51.
Sardinien-Piemont, Ksnigtum
durch Volksabstimmung auf
Italien erweitert 15—16. —
Sin Verhältnis zum Parlament
60.
SS * brfefeo über die Reichs-
chuld
Scharen 144. die Polenfrage 163.
Scharnhorst bei Auerstädt 45. —
Vechklrnis zu Hardenberg 51 —
Seine Reformen 54. — Über
Wert der stehenden Heere 115.
— Heeresreform 139. — Sein
Schwiegersohn 140.
Schlesien, Polenfrage 160.
Schön, Oberpräst dent 51.
Schottland i. J. 1793 10.
Schuldentilgung im Feich 145.
Schulenburg-Kehnert (1806) 44.
Schulwesen in Deutschland, Ten-
denz der Klerikalen 128. — Hohe
Enwicklunge 10—4 Polen-
frage 160
erten 32. 143. 183. —
Kritik 153—56.
Schwaben (Stamm), seine Be-
deutung für Dentschland 4. 5.
Schweden, Parlament u. Regierung
126.
Schweiz. Proporz 21. 29. Wahl-
eteiligung 29—30. — Pensions-=
gesetz für Beamte, Epidemiegesetz,
Krankenversicherung, Unfalloer-
sicherung 29—30. — Deutsche
Sozialgesetzgebung als Vorbild
30. — Referendum 29—31. —
Register.
Frühere Korruption 48—49. —
Aristokratische u. demokr. Kantone
48. — Landvögte 48.— Städt.
Intelligenz zwischen Bauern u.
Arbeitern 49. — Kriegswesen im
Mittelalter 98—99. — Kampf
gecen Osterreich u. Burgund 98
is
Sedan, Schlacht bei, Nachwirkung
in Frankreich 135. — Zustande-
kommen 139—40.
Seeraub im Altertum 93.
Senat in Rom. Rat des Königs
98.— Korporation der Nobilität
105—07. — Im Kaisereich
111. 114.
Senatus populusque Romanus
05—07
Servianische Verfassung 102—03.
Sezessionskrieg. Veteranen und
Hinterbliebene 48.
Siebenjähriger Krieg 45. 57.
Siegfried, Proporz-System 21.
Simmel über die Majeoritäts-
prinzip 18.
Singer und das Flottenfrage 34.
Slavisches Blut in Deutschland 3.
Smith, Francis, über Servianische
Verfassung 102.
Sokrates 91—92.
Soldatenkaiser in Rom 114.
Souveränität in Rom 103. 111.
— In Deutschland 111—12.
Sozialdemokraten, 110 im deutschen
Reichstag 145—46. — Ent-
stehung der Fraktion 130. —
Zukunftsstaat 81—83. 128. 148.
Vergleich mit urgarmanischen
Zuständen 148—49. — Er-
furter Programm 149. — Oppo-
sitionspartei 149—50. — Frei-
händler 153—56. — Stellung
zu den Agrariern 153—56. —
Wirkung ihrer Intransigenz 153
bis 56. — Sind sie eine natio-
nale Partei? 179. — Unter Bis-
marck 147. — Seine Entlassung
61—64. — Gegenwäriige Stel-
Delbrück, Regierung und Volkswille.
203
lung zur Regierung 147. — Ihr
Parteileben 76—83. — Bildung
81—83. — Verhältnis zu den
Gewerkvereinen 77—79. — By
zantinismus und Kadavergehor-
sam 79. — Macht der Führer
76—83. — Ihre Beamten 77
bis 83. — Sozialpolitik 35—36.
148. — Flotte 34. —. Erbschafts-
steuer 33—34. — Gedanke einer
ständischen Volksvertretung 39.
— Generalstreik 79. — Feuer=
bestattung 85. — Verfassung f.
Els. Lothr. 85. — Reichsver-
sicherungsordnung 85. — Ver-
mögenszuwachssteuer 86.
Sozialistengesetz 62—63.
·—# 11## D A.I *X2c. *X
Stellung 30. 147. 181. — Das
Verdienst gehoͤrt der Beamten-
schaft 34—36. 183—84. —
Sozialpolitik u. Volksstimmung.
31
Spanien, Parlament u. Regierung
126.
Sparta, mit NRom verglichen 96.
— Verfassung Lykurgs gefälscht
103
Spiritussteuer in England 83.
Sprachenfrage in der Polenpolitik
161—63.
Staatsbahnen oder Privatbahnen
181—83
Staatsdienst, seine wirtschaftlichen
Lasten 164.
Staatsstreichspläne Bismarcks 61
bis 66.
Städte, ihre Rolle in der Polen-
frage 159. 165—656. 168. 174.
Stände, ihre Rolle in Minelalter
und Neuzeit. Kampf mit den
Dynastien 117—18. — Das
Majoritätsprinzip 118—19.
Ständische Volksvertretung 39—40.
Stehendes Heer. Im Zeitalter des
Absolutismus 117—18. 137.
Ausspruch Scharnhorsts 115.
Vgl. „Heerwesen“.
14
204
Stein. Seine Reformen 54. 57.
— Seine Entlassung (1807) 56.
— Uber Bureaulratie 156.
Stellenjäger in Amerika 47.
Stempelsteuer in England 83.
Stettin. Geographische Lage 95. —
Im Jahre 1848 140.
Stnerpolitit in Deutschland 144
s 145.
St. 14 Korruption 47.
Stuarts, E der, 119—21, 123
bis 124.
Suspensi ves in England 1911
—. 93.
Tabaksteuer in England 83. —
Monopol in Deutschland 144.
Tacitus über germanische Fürsten
92. — Germanische Gefolgschaft
137—38.
Taft gegen Wilson unterlegen 7. —
Seine Wahlbestechungen 47—48.
Tecklenburg, A., Wahlrecht in
Frankreich 68 v69.
Teekonsum und Zoll in England 8).
Tiber, seine Schiffbarkeit 95.
Tories. Ursprung 119—20. —
Verhällnis zu den Wighs 12.
127 — Stellung zum Referendum
36 —38. — Miige Sorgen 49.
Treitschke über Mischrassen 4—5.—
Über Preußen 1815—40. 52.
Tribus in Rom. Stimmkrper 108.
Tributcomitien in Rom 105.
Trojanischer Krieg siehe Ilias.
Trusts und Wahlmache 47. 182
bis 83. — Ihre politische Rolle
in Amerika 182—83. — In
Deutschland 182—83. — Roose-
velts Maßnahmen 182.
Turin, Universität 76.
Unfallversicherungsgesetz in der
Sthwet 3 30. — Deutschland
35—
* Nationalitätenmischung
5—6. — Parlamentarische Ob-
struktion 40.
Universitäten, Deutsche 76.
Register.
Unold, J., Politik und Entwick-
lungslehre 69.
Unteroffizierkorps, Deutsches, 136.
Urkunden, Historische, gefälscht 103.
Vasallu des Mittelalters 115 bis
— Verhältnis zum Offizier=
1 138.
Vauchamps (1814),
Wrangels 140.
Vendee, Aufstand während der
französischen Revolurion 125.
Vereinsrecht in Deutschland und
Frankreich 147.
d—n im Reichs-
tag 85. 131.
Versammlungsrecht, in Deutsch-
land und Frankreich 147.
Veteranenfürsorge in Amerika 48.
Viktoria, Königin, u. d. englische
Beamtentum 178.
Viehversicherung, moderne, 94.
Vinke, Ob erpras dent 52.
Virchow u. d. Heeresvorlage 1892.
151
Haltung
Vogelflug, religioͤse Bedeutung im
Altertum 104.
Volk. Bestift des Deutschen V.
1—4. — Das V. üöberhaupt
1—6. — Volkswille wissenschaft-
lich aufgefaßt 41—50. — Aus-
sprüche Napoleons und Hegels. 41.
Volksschule, denische, vorbildlich
147—48. 161. Polenfrage
160—63.
Volkssouvernität, Begriff der 43
bis 44. — In Rom 103. 111.
Volkstribun in Rom 105. 107.
Volksversammlung, ihr möglicher
Umfang 89.
WMadunstchmpfer (Höfling) 152.
Wagner, Adolf und die Flotten-
frage 34.
Wahl, indirekte 38—39.
Wahlbeteiligung in Deutschland
71—72. — England 17. 72.
— Schweiz 29. — Amerika 8.
— Frankr. 9. — Allgem. 17.
Wahlmänner in Preußen 39.
Register.
Wales im Jahre 1793 10.
Wallas, G., Human nature in
politics 17. 178.
Warschau, Großherzogtum 52.
Weizenpreise in Deutschland 154
bis 155.
Weizenverbrauch in Deutschland ge-
stiegen 1 54— 5.
Wellington in Spanien 12.
Welgeschichllicher Überblick 88 bis
Wliscbuen, reingermanisches Blut 3.
Westfalen, Ksnigreich 52.
Westpreußen, Polenfrage 100.
White, A., über amerikanische Kor-
ruption. 47.
Wiener Kongreß Deussche innere
Gegensätz tze Haltung
easate 5. — Preußens
Gebietszuwachs 52.— Versprechen
einer preußischen Volksvertretung
8.
Wigh- Ursprung 119—20.— Ver-
hältnis zu den Tories 12. 127.
— Stellung zum Referendum
37—38.
Wilhelm I., Deutscher Kaiser. Ver-
hältnis zu Bismarck 61. 64.
Attentat auf ihn 62. — Swei-
jährige Dienstzeit 150.
Wilhelm II., Deutscher Kaiser.
Bismarcks Entlassung 61—66.
Stellung z. Reichstag 61—66.—
— Bundezgenossenschaft mit
sterreich 64. — Krisis von
1892 152. — Stellung zu den
Freisinnigen 152.
Wilhelm III. von Oranien in Eng-
land 120—21. — Grund seines
Eingreifens 123. — Englische
Volksstimmung über ihn 124.
— 5Verhältnis zur engl. Armee
mis Praͤsi dem seine Wahl 6
8. — Uber Korruption 46.
205
Windthorst u. Sozialpolitik 36. —
Bismarcks Entlassung 61. —
Finanzpolitik 143.
Wissenschaft, ihre
Deutschland 76.
Witting über die Polenfrage 161.
Wrangel, Feldmarschall (1814 und
1848) 140.
Freiheit in
Württemberg auf dem Wiener
Aengarb 5. — Proporz--System
geal2. Die Fraktion gebildet
1871 130. — Konfessionelle
Spaltung Deutschlands 130. —
Melalsrliches Ideal des 8.
148. — Stellung zur kathol.
Kirche 174. 179. — Kulturkampf
174. — Unter Bismarck 147. —
Dessen Entlassung 61. — Krise
1892 150. — Gegenwaͤrtige
Stellung zur Regierung 147.
174. — Demokratischer Grund-
naralter 131. — Stellung z d.
onservativen 131. — Schul-
wesen 128. — Finanzpolitik 143.
Flottenfrage 32—33. — Sozial=
gesetzggebung 35—36. — Feuer=
bestattung 85. — Verfassung für
Els.-Lothr. 85. — Reichsver-
sicherungsordnung 85. — Ver-
mögenszuwachssteuer 131.
Zerboni, Oberpräsident 51.
Zölle siehe Deutschland u. England.
Bollgesetzgebung und innere Politik
in Deutschland 183
Zuckerkonsum und Zoll in England
„Zukunft" über die Polenfrage 161.
Zukunftsstaat der Sozialdemokraten
81— 83. 128. 148.
werhäheige Dienstzeit in Frankreich
— In Deutschland 150.
*# über Österreichs Polen-
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lan von Kolberg.
elbriücks „Gnelsenau“ ist nicht bloss eine Biographie, sondern
— eine milltärisch-polltische Darstellung der ganzen Epoche der
preussischen Reform und, der Freiheitskricge. „Gnelsenau Ist stra-
tegisch der eigentliche: Oberwinder Napoleons; von allen Feldherren,
die mit dem Gewaltigen gerungen haben, ist er der einzige gewesen,
der den Geist und die Kraft der napoleonischen Kriegsführung ganz in
sich aufgenommen, den Korsen mit seinem eigenen Feldherrnschwerte
geschlagen bat. Es musste darum in seiner Blographie der strategische
und darum aueh der politische Zusammenhang der Befreiungskriege
vollständig vorgeführt werden. So begegnet uns also in geiner Bio-
Fraphie die ganze Zeit der Erhebung und des Kampfes gegen den
französischen Weltherrscher mit ihren tiefgehenden Gewenzälzen in der
inneren und äusseren Politik. Die Liebe und Wärme, mit der deas
Charukterbild Gneisenaus gezeichnet worden ist, die Sergaalt mit der
der Charakter aller derjenigen skizziert worden' ist, die mit Gneisenan
reichtum machen diese Biographie überaus wertvoll und empfehlen sie
jedem, der sich eln klares Bild der gewaltigen Zeit verschaffen will.“
rundlage zur Darstellung der Freiheitskriege im Unterricht
und in Vereinen ist dies Werk vor anderen geeignet. Wir weisen auch
auf die vortrefflichen und übersichtlichen Kertensklzzen hin. Die An-
schaffung des Werkes für Bibliotheken sowie zu Geschenkzwecken
kann daher dringend empfohlen werden.
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dem die strategischen Verbälinbe sder Freiheitskriege am richtigsten
dargestellt werden; zugleich bildet es für jeden Erwachsenen, ob jung
oder alt, eine berzerquickende ha. erhebende Lektüre: die, vielen ab-
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