— 14 — Nach Artikel 76 I ist nun der Bundesrat — anders wie nach Art. 11 Abs. 4 der Bundesakte die Bundesversamm- lung kompetent war — nur zuständig, falls Streitigkeiten zwischen verschiedenen Bundesstaaten nicht privatrecht- licher Natur zu erledigen sind. Die Erfordernisse für die Anwendung des Art. 76 I sind, wie wir schon in der Ein- teilung gesehen haben, teils materiell, teils formell, dann aber auch sowohl positiv wie negativ. Zunächst müssen wir einmal untersuchen, da das Wort „streitigkeit“ in beiden Absätzen des Art. 76 vorkommt, was wir unter „Streitigkeit“ verstehen wollen. Es ist klar, daß Streitigkeiten im Sinne von Art. 76 nur dann entstehen, wenn verschiedene Staaten „Ansprüche“ haben, mag es sich nun um Interessen oder Rechtsansprüche handeln. Diese An- sprüche müssen von den verschiedenen Staaten auf denselben Gegenstand erhoben werden, wobei jeder einzelne Staat auf die Erfüllung seiner Ansprüche bestehen muß. Je nachdem nun diese Ansprüche sich gegenüberstehen, kann man von Streitigkeiten oder einer bloßen Meinungsverschiedenheit sprechen. Eine umfassende Definition für diese beiden Be- griffe zu geben, ist bei der Flüssigkeit der Grenzen sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich. Ich würde die Unter- scheidung darauf abstellen, ob noch die Möglichkeit einer gütlichen Beilegung der Differenzen besteht. Wenn ja, dann würde es sich m. E. um eine bloße Meinungsverschiedenheit handeln, dieser Fall also nicht unter Art. 76 fallen, sonst würde allerdings eine Streitigkeit im Sinne von Art. 76 in Betracht kommen. Natürlich kann aus einer Meinungsver* schiedenheit leicht eine Streitigkeit entstehen, dann z. B., wenn sich die gegenseitigen Ansprüche derartig zugespitzt haben, daß eine gütliche Vermittlung ausgeschlossen er- scheint. In einem solchen Falle würden also unabhängige Staaten zu dem äußersten Mittel greifen, d. h. zur Aus- tragung ihrer Streitigkeit mit Waffengewalt. Da dieser Weg den deutschen Bundesstaaten aus oben erwähnten . .