IV. Der Kampf um die Militärreform. Was uns in Wahrheit die Caprivi-Zeit für den Weltkrieg hinterlassen hat, liegt nicht auf dem Gebiete der auswärtigen Politik, sondern auf militärischem Gebiet und ist keine schwere Schuld, sondern ein unschätzbares Guthaben. Dreimal sind im Laufe des vorigen Jahrhunderts die Heeres- einrichtungen in Preußen und Deutschland in großem Stile ver- bessert worden. Einmal, als nach den Stürmen, die am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts über Preußen hereingebrochen waren, an Stelle des Systems der Aushebung das System der allgemeinen Wehrpflicht mit dreijähriger Dienstzeit beim aktiven Heere trat, aber ohne daß die allgemeine Wehrpflicht in den folgenden Jahr= zehnten wirklich durchgeführt worden wäre. Das zweitemal durch die Neuorganisation unter König Wilhelm I., deren leitender Ge- danke war, einerseits die Feldtruppen durch Mehreinstellung von Rekruten und Ausdehnung der Reservepflicht zu verjüngen, anderer- seits die persönliche Militärlast sowohl durch Abkürzung der Gesamt- dienstzeit als auch durch Vermehrung der Dispositionsurlauber zu erleichtern. Das drittemal durch die Reform von 1893, die dem doppelten Zwecke diente, die vorhandenen Schäden (Mangel an Friedensstämmen, Zersetzung der Truppen bei der Mobilmachung, Ungleichheit der Dienstzeit bei den Fußtruppen) zu beseitigen und zugleich bei der auf der Basis der zweijährigen Dienstzeit für die Fußtruppen zu erreichenden Erhöhung der Friedensstärke des Heeres die Kriegstüchtigkeit des einzelnen Soldaten zu sichern. Als General v. Caprivi das Reichskanzleramt übernahm, fand er einen vom Kriegsminister von Verdy und dem Chef des General- stabes, Grafen Waldersee, entworfenen, von dem Fürsten Bismarck 42