Botschafter in Paris (1874 bis 1885) 137 Berlin, 25. Oktober 1874. Heute Audienz bei dem Kaiser. Wir sprachen anfangs von der Königin von Bayern und ihrer Konversion. ) Der Kaiser war darüber sehr ungehalten, um so mehr, als es sich nach Briefen der Prinzeß Karl von Hessen herausgestellt hat, daß die Königin gar nicht vorbereitet und unterrichtet gewesen ist und den Schritt getan hat, ohne recht zu wissen, was sie tue. In der Arnimschen:) Angelegenheit beklagte der Kaiser die Sache an sich wegen des Skandals, daß ein so hochgestellter Beamter solche Dinge tun könne. Das Bedauern für Arnim selbst habe er verloren, nachdem sich herausgestellt habe, daß dieser ihn in der An- gelegenheit der Wiener „Presse“ und in andern Dingen ohne Not belogen habe. Ich sagte dann, daß ich von Varzin komme, richtete die Empfehlungen des Reichskanzlers aus und beantwortete die Fragen nach dessen Gesund- heit. Auf die Frage, wann Bismarck kommen würde, rückte ich mit meinen Nachrichten bezüglich der Thronrede in möglichst schonender Weise heraus, sagte, der Fürst sei weit entfernt, daraus den Grund einer Bouderie gegen den Kaiser zu machen, aber wenn der betreffende Passus so abgeändert würde, daß er den Ansichten des Fürsten nicht entspreche, so glaube dieser, daß es ihm nicht übelgenommen werden würde, wenn er eine seiner Ueberzeugung nicht entsprechende Stelle, die sein Ressort angehe, nicht durch seine Gegenwart vertreten wolle. Der Kaiser zitierte dann die Stelle aus dem Gedächtnis und knüpfte daran die Befürchtung, es möchte daraus abgeleitet werden, daß wir mit Frankreich wieder Krieg anfangen wollten. Davon wolle er nichts wissen. Er sei zu alt, um noch Krieg anzufangen, und er befürchte, daß Fürst Bismarck ihn nach und nach wieder in einen Krieg hineinführen wolle. Deshalb sei er so mißtrauisch. Ich sagte darauf, von einer solchen Absicht des Fürsten müsse ich doch vor allem in Kenntnis gesetzt sein, ich habe aber davon nie das geringste gemerkt. Anderseits seien die Franzosen ungezogene Kinder, die man mit Güte nicht gewinnen könne und die immer in Schrecken gehalten werden müßten. Jene Stelle der Thronrede gehe nicht auf Koalitionen gegen uns, sondern auf die Verdächtigungen, die gegen uns geschmiedet würden. Der Kaiser strich seinen Bart und sagte, ohne auf meine Aeußerungen zu antworten: „Ich werde in dieser Beziehung noch mit dem Fürsten Bismarck in Streit kommen, und es wird mir lieb sein, wenn Sie in meinem Sinne mit dem Fürsten sprechen wollen."“ 1) Die Königin-Witwe von Bayern, geborene Prinzessin von Preußen, war am 12. Oktober zum Katholizismus übergetreten. 2) Graf Arnim war am 4. Oktober in Untersuchungshaft genommen worden.