Achtes Buch Die Reichskanzlerschaft und das Lebensende 1894 bis 1901 Fin Hohenlohe hat über seine Reichskanzlerschaft ausführliche Auf- zeichnungen hinterlassen. Der Wert dieser Aufzeichnungen besteht, abgesehen von Aufschlüssen über den Gang der auswärtigen Politik des Deutschen Reichs, in der rückhaltlosen Darlegung der Kämpfe und Schwierig- keiten der inneren Politik, welche nicht so sehr in den Sachen als in den Personen ihren Grund hatten. Unabweisbare Rücksichten hindern daher zurzeit die vollständige Publikation. Doch sollen zum Abschluß dieses Lebensbildes einige Auszüge mitgeteilt werden, welche wenigstens einiger- maßen die Eindrücke und Erfahrungen des Fürsten während des letzten Abschnitts seiner Lebensarbeit, seine persönlichen Erlebnisse und die Stim- mung seines hohen Alters beleuchten. Am 26. Oktober 1894 Mittags wurde der Fürst durch ein Telegramm des Kaisers nach Potsdam berufen. Er ersah aus dem Wortlaut dieser Depesche nur, daß es sich um „wichtige Interessen des Reichs“ handle. Daß der Reichskanzler Graf Caprivi und der preußische Ministerpräsident Graf Eulenburg ihre Entlassung eingereicht und erhalten hatten, erfuhr der Fürst erst auf der Durchreise in Frankfurt aus der Zeitung. Nach der Ankunft in Potsdam am 27. Oktober Morgens, wo ihn der Kaiser am Bahnhofe empfing und in das Neue Palais geleitete, begannen die Verhandlungen, und am 28. Oktober entschloß sich der Fürst, den dringenden Bitten des Kaisers nachgebend, zur Uebernahme des Reichs- kanzleramts. Noch in letzter Stunde hatte die Fürstin in ihrer Besorgnis, daß unter der Bürde des Amts die Gesundheit des bereits fünfundsiebzig- jährigen Fürsten gefährdet werden könnte, vergebens versucht, ihn von seinem Entschlusse abzubringen, und hatte sogar in diesem Sinne an den Kaiser oder die Kaiserin telegraphiert. Am 29. Oktober wurde die Er- nennung des Fürsten zum Reichskanzler und Ministerpräsidenten durch den Reichsanzeiger verkündigt. Ein hoher Beamter schrieb dem Fürsten damals: „Euer Durchlaucht stehen vor einer großen patriotischen Aufgabe. Ich weiß nicht, wer außer Ihnen die jetzigen Gefahren beschwören kann. Ihr Name, Ihre Vergangenheit flößt ein Vertrauen ein, über das, vom Fürsten Bismarck abgesehen, kein deutscher Staatsmann verfügen kann.“ Das Gefühl einer