— 450 — der Höhe eines Gebirgsrückens und am ganzen niichsten Tage konnte nur das Thal erreicht werden, um das nächste Nachtlager dort aufzuschlagen. Die Träger, schutzlos dem strömenden Regen aus- gesetzt, konnten nicht liegen und schlafen, sondern hockten jeder an einer möglichst geschützten Stelle nieder und versuchten in solcher Stellung wenigstens zu ruhen. Nach viertägigem Marsch wurde in einem Thale wieder ein nach Osten fließender Fluß durch Schwimmen passirt und nach weiteren drei Tagen war ein dritter größerer, ebenso fließender Fluß zu überschreiten. Schon gleich nach Abgang von dem oben er- wähnten Dorfe trat die Plage der Blutegel ungemein lästig auf. Die Schwarzen mit ihren nackten Leibern waren ihnen schuplos überliefert, während die beiden Europäer in der ersten Zeit etwas günstiger gestellt waren, wenn auch die Kleidung ihnen keinen unbe- dingten Schutz gegen diese Quälgeister gab. Die liejen Bißwunden dieser Thierc bluteten nach Abreißen derselben noch sehr lange nach und heilten, immer wieder aufgerissen durch das Durchzwingen der Körper durch den dichten Busch, fast gar nicht. Dazu kam vielfach fast undurchdringliches Dickicht von Rottang, dessen kleine Dornen die nackten Körper der Schwarzen blutig kratzten und den Europäern die Kleidung förm- lich vom Leibe rissen. Der mächtige Hochwald mit seinen riesigen Stämmen und himmelhohen Baumkronen war tief schweigend, kein Vogel ließ seine Stimme hören, und auch der niedere Busch beherbergte kein jagdbares Thier. Obgleich Ehlers sowohl wie die Schwarzen auf das Emsigste suchten, ob nicht irgend ein Vogel oder ein anderes jagdbares Thier für die Jagdflinten erreichbar war, um den mitgeführten Proviant zu ergänzen, so war Alles vergebens, nur das feierlichste Schweigen umgab sie bei Tag und bei Nacht, höch- stens durch den auf die Blätter der Bäume klatschen- den Regen in sehr trübseliger Weise unterbrochen. Unter diesen Beschwerden waren nach Verlassen des gastlichen Dorses etwa 24 Tage verflossen, da trat das schreckliche Gespenst des Nahrungsmangels an die Expedition heran. Immer noch waren die Beschwerden des Weges dieselben und schienen kein Ende zu nehmen und immer noch strömte der Regen herab, nur zeitweise durch feuchte Nebel unterbrochen. Ehlers sprach seinen Leuten Muth ein und vertröstete sie darauf, daß nothwendigerweise in wenigen Tagen ein großer Fluß erreicht werden müsse und daß dort viele Dörfer liegen, in denen man Essen genügend vorfinden werde. Ehlers lebte sicherlich auch dieser Hoffnung, und diese Hoff- nung hat ihn augenscheinlich noch wenige Tage vor dem wirklichen Erreichen des erwarteten Flusses, der die Expedition leider auch in der Hoffnung auf be- wohnte Gegend tänschen sollte, nicht verlassen. Mittlerweile war der Nahrungsmangel vollständig geworden, der Hunger plagte die Leute sehr und zusammen mit den äußerlichen Leiden, welche durch die Bisse der Blutegel verursacht waren und noch immer weiter verursacht wurden, zeigte die Expedition bald ein sehr trauriges Bild körperlicher Schwäche und moralischer Niedergeschlagenheit. Auch die Euro- päer hatten nun noch kaum über Kleider zu verfügen, der Nässe, den Dornen des Busches und den vielen fast fortwährend zu überkletternden Felsen hatten sie nicht Stand halten können. Immer noch thürmte sich ein Waldgebirgszug nach dem anderen vor der ermatteten Expedition auf, die kaum mehr den An- strengungen gewachsen war. Eine neue sehr böse Plage hatte sich nun all- mählich eingestellt, die, verbunden mit Hunger, mangel- hafter und schließlich schlechter Nahrung, das Unglück der Expedition voll machte. In die durch die Blut- egel gebissenen Wunden hatten Insekten Eier gelegt, aus denen röthliche kleine Maden ausgekrochen waren; die Wunden gingen in Eiterung über und aus ihnen floß sehr bald ein übelriechender Eiter heraus, der nicht nur physisch recht lästig war, sondern besonders auch die moralische Kraft ungemein lähmte. So waren die Körper nicht nur der Schwarzen, sondern besonders auch der beiden Weißen bald vollkommen durch diese eiterigen Geschwüre bedeckt und Alles litt auch unter dieser schrecklichen Plage furchtbar. Die einzige Nahrung, welche nur genossen werden konnte, war Gras oder die Blätter der Bäumc des Waldes. Wenn es Ehlers und Piering auch in der ersten Zeit meist gelang, das Gras oder die Baumblätter zu kochen, so konnten die Schwarzen der großen Nässe wegen kein Feuer bekommen und aßen Gras und Blätter roh. Zwei Leute hatten Früchte gefunden und aßen sie gierig vor Hunger, doch müssen diese Früchte giftig gewesen sein, denn nach wenigen Stunden traten böse Vergiftungserscheinungen ein und sie starben unter großen Schmerzen. Nach etwa fünf Tagen der nahrungslosen Zeit wurde eines Morgens entdeckt, daß drei Leute — Neu-Mecklenburger aus Potmilac — an der Ostküste von Neu-Mecklenburg — desertirt waren unter Mit- nahme eines kleinen Stahlkoffers. In demselben hatte sich an Nahrungsmitteln nur ein wenig Mehl und ein Stückchen Mehlkuchen befunden, sonst waren Teller, Messer und Gabeln sein Inhalt. Jedenfalls sind diese Leute im Busch irgendwo ge- storben, da die Möglichkeit, sie könnten bewohnte Gegenden erreicht haben, nahezu ausgeschlossen er- scheinen muß. Die Gras= und Blätternahrung hatte auf Alle die Wirkung, daß sich ernste Darmleiden neben son- stigen Erscheinungen des Verhungerlseins entwickelten. „Die blutigen Erscheinungen der rothen Ruhr (Dys- enterie) waren fast überall aufgetreten“ — einige Schwarze starben auch sehr bald daran. Besonders Ehlers schien sehr zu leiden und seine Kräfte nahmen sichtbar ab. Nach acht Tagen der nahrungslosen Zeit war die allgemeine Schwäche so groß geworden, daß das