Die Bewohner der Küste von Ostafrika waren Unterthanen der Dynastie Ja rub. Soweit wir wissen, haben sie nie andere Muslims als Ibaditen, ihre Glaubensgenossen, zu Beamten oder Richtern gemacht, denn das entgegengesetzte Verfahren wäre 1 ein Verstoß gegen die Grundlehren ihrer Sekte, so- wie jeder anderen Sekte des Islams gewesen, wie wir oben ausgeführt haben. Nachdem dann die Herrschaft von den Jarrub auf unsere jetzigen Fürsten, die Sajjids, übergegangen war, handelten sie ver- muthlich aus politischen Rücksichten für ihre Unter- thanen, indem sie?) ihnen schafltische Richter gaben, da die Zahl der in Ostafrika wohnenden Schafiiten größer ist als diejenige der Ibaditen. Dabei ist aber zu beachten, daß die Herrschaft der Sajjids von Anfang an eine unbestrittene war (soll wohl heißen: daß sie die Macht gehabt hätten, ihr iba- ditisches Recht ihren Unterthanen zu octroyiren) und daß sie, indem sie ihren Unterthanen eine Konzession machten, dies lediglich aus Rücksicht, Milde und Edelmuth thaten. Die angesehensten ibaditischen Religions= und Rechtsbücher, nach denen Du gefragt hast, sind sehr zahlreich, ja unzählbar. Ich will Dir nur die be- kanntesten nennen: 1. Bajan-alsar, mehr als 70 Bände, verfaßt von Muhammed Ibn Ibrahim Ibn Sulaimänk?). 2. Almusannaf, mehr als 40 Bände, von Ahmad Ibn Müsa'"). Diese beiden Verfasser sind Kinda- Araber, und ihre beiden Werke genießen unter den Ibaditen in Oman wie anderswo unbedingtes Ver- trauen. ,3. Kitäb-alistikama und Almu 'tabar von Abu- Said Muhammed Ibn Sa'id. Diese beiden Werke handeln von den Prinzipien der Rechtsbildung und sind in ihrer Art ohne gleichen. Die späteren Gelehrtengenerationen haben viele weitere Werke verfaßt. Um 1240 oder 1260 d. Fl. erstand dann ein kenntnißreicher Mann, der den Inhalt des Bajän-alsar und des Almusannaf sowie der späteren Litteratur zu einem großen Bande unter dem Titel 4. Kämüs-alsar##a vereinigte. Es ist ein ge- waltiges Werk von 90 Bänden, das in der Gegen- wart allgemeines Vertrauen genießt. 5. Lubäb-aläthär an-al'ulama’' al'akhjär, vier storle Theile, dessen Inhalt zum größten Theil der späteren Litteratur entnommen ist. 6. Kitab gawäbät (— Liber responsorum) von Alkhalili, ein Werk, dessen Inhalt (d. i. die von dem Verfasser ertheilten Rechtsgutachten) von ver- Hüdenen Seiten her zusammengebracht wurde, vier e. — Siehe weiter unten. Lne ) Gestorben A. H. 508 nach dem Kasf-alghumma, izneine Abhandlung über eine arabische Chronik aus San- si vv. Studien 1898, S. 15). *) Gestorben 557. 409 Dies sind die Rechtsbücher der östlichen Iba- diten. Die Bücher unserer westlichen Glaubens- genossen (in Nordafrika), die ebenfalls zahlreich sind, führen wir nicht an. Was die angesehene schafütische Rechtslitteratur betrifft, so sind die folgenden Werke zu neunen: 1. Alminhäg, von geringem Umfang, aber sehr gefeiert, von Alnawawi, dem Kommentator des großen Traditionswerkes von Muslim. Kommentare dieses Werkes sind: 2. Altuhfa von Ibn Hagar in zwei oder mehr Bänden, sehr angesehen im Higäz, in Hadramaut und in Ostafrika; und 3. Alnihäja, 8 Theile in 6 Bänden, von Alramli, sehr angesehen bei den Schafiiten Aegyptens. Es giebt außerdem viele andere Werke, von deren Aufzählung ich absehe, damit dies Schreiben nicht zu lang wird. Dies ist die Antwort, die ich Dir auf Deine Fragen zu geben hatte, die ich Dir präsentire in der Hoffnung, daß sie Dir wenigstens für den Anfang nütze. Ist Dir darin etwas unklar, so gieb mir Nachricht, und ich werde Dir in deutlichen Worten antworten. Eigenhändig von dem gottesbedürftigen Jahjä Ibn Khalfän Ibn Abi Nabhän Alkharüft.“ Geheimer Rath Sachau bemerkt hierzu: Diese Darlegung des Schaichs Jahjä bedarf keines Kommentars. Sein Hinweis auf den Sultan der Türkei ist materiell richtig; der Satz aber, den dies Beispiel beweisen soll, daß nämlich das moham- medanische Staatsoberhaupt secundum regulam nur Mitglieder seiner Sekte zu Richtern ernennen kann, gilt zwar für die Ibaditen, indessen für die Orthodoxen oder Sunniten nur in beschränktem Maße. Es entspricht dem intransigenten Charakter des ibaditischen Islams, daß für ihn ein jeder Richter, der über die Grundprinzipien des Rechts (und des ganzen Islams) andere als ibaditische UAnsichten hat. eine absolute Unmöglichkeit ist. Anders innerhalb des orthodoxen oder sunnitischen Islams. Er hat kein Gesetz, das einen hanefitischen Landes- herrn verhindert, z. B. einen malikitischen Richter anzustellen, wie thatsächlich die Khedive von Aegypten, die als Türken dem Ursprunge nach der Lehre Abü Hanifas folgen, stets sowohl schafiitische wie mali- kitische Richter angestellt haben. Insofern aber sind die Sunniten nicht minder rigoros als die Ibaditen, als die Ernennung eines Richters, der außerhalb des orthodoxen Islams steht, z. B. eines Schiiten, auch für sie eine gesetzliche Unmöglichkeit ist. Für eine etwas ausführlichere Mittheilung über die schafiitische Rechtslitteratur, auch diejenige, die besonders in Ostafrika verbreitet ist, verweise ich auf das Vorwort zu meinem „Mohammedanischen Recht“ (Lehrbücher des Seminars, Band XVII) S. XIX ff. Die Angaben des Schaichs Jahsä sind durch die Antworten der auf dem deutsch-ostafrikanischen Fest-