— 274 — Dr. Briart schlug vor, die Hälfte der Expedition mit seinem ungefähr am 1. Januar von Mbangbi zurückerwarteten kleinen Schraubendampfer „La France“ zu befördern, den Rest übernahm er mit nächster sich bietender Gelegenheit nachzusenden. Unter den obwaltenden Umständen konnte ich nichts thun als das Anerbieten mit Dank anzunehmen und vorläufig zu warten. Ein schönerer Punkt für diese an sich eintönige Beschäftigung wie das gastliche Kinshassa im Schatten seiner berühmten Baobabs läßt sich freilich kaum denken. Meerähnlich wirkt der glänzende, weithin- gestreckte Spiegel des Pool mit seinen zahlreichen Inseln und Wirbelströmungen, in stets wechselnder Beleuchtung dehnt sich gegenüber das französische Ufer aus; man unterscheidet die Häuser von Brazza- ville, der Mission der Péres du St. Esprit, des holländischen Hauses. Verhandlungen und Be- sprechungen mit den französischen Behörden, Vor- bereitungsarbeiten, Umpacken, Exerziren der Eskort- mannschaften, Schreibarbeit und dergleichen füllten die Zeit aus. Ich besuchte den Kommandanten des Distrikts in Leopoldville, den Generalkommissar für den franzö- sischen Kongo, Herrn Henrion, in Brazzaville, den Bischof Angonard in seiner schön gelegenen und vorzüglich gehaltenen Missionsstation und hatte Gelegenheit, meinen Namen in das allen Afrikanern bekannte Fremdenbuch des nicht minder bekannten Hauptagenten der Nieuve Africaansche Handelsvenoot- shap Herrn Anton Greßhof einzutragen; ich empfing die Gegenbesuche dieser Herren und studirte, so gut es ging, Land, Leute und Einrichtungen. Der Kongostaat, der sich ja die Pflege und Ver- mittelung des Verkehrs zur ganz besonderen Auf- gabe gemacht hat, verfügt über eine stattliche Flottille von mehr als 30 Dampfern von verschiedener Größe. Trotzdem ist aber der Staat nicht im Stande, allen an seine Transportleistungen gestellten Anforderungen zu entsprechen. So bauen jetzt wieder alle hier etablirten Handelshäuser eigene Dampfer, auf allen Werften herrscht rege Thätigkeit. Die Energie und der praktische Sinn, mit dem hier gearbeitet wird, verdient höchste Anerkennung; nirgends befindet sich eine größere maschinelle Anlage mit Dampfbetrieb oder gar ein Patentslip wie in Kamerun. Kleine und große Dampfer werden in Stücken per Bahn herbefördert, auf hölzernen Unterlagen zusammengesetzt und von Stapel gelassen. Ingenieure und Maschinisten sind, abgesehen von einigen Belgiern, vielfach aus Norwegen und Schweden. Die Ausfuhrartikel sind Elsenbein und Gummi. Besondere Erwähnung verdient die ganz vorzüg- lich eingerichtete Mission des Bischofs Angonard in Brazzaville. Auf Hügeln am Seeufer gelegen, sind sämmtliche Gebäude geräumig und luftig aus selbstverfertigten Ziegeln hergestellt. Geradezu muster- gültig sind die Kirche und das Wohnhaus der Patres. Die Zöglinge der Mission treiben unter Anleitung der Missionare eifrig Gartenbau; weithin erstrecken sich Anlagen von europäischem und einheimischem Gemüse, von Obstsorten aller Art, durchschnitten von breiten Alleen, die mit Mandarinen und Mango be- pflanzt sind. Rindvieh, Schafe und Hühner werden gezüchtet; mit ganz besonderem Erfolg auch Esel, die der rührige Bischof vor Jahren von den kanarischen Inseln her eingeführt hat; der Stall weist zwei Zuchthengste und einige 20 Stuten auf; eine Menge junge, dort geborene Thiere gedeihen vortrefflich. Die Esel finden als Last= und Reitthiere Verwendung. Am 9. Januar d. Is. konnte ich endlich auf dem kleinen Schraubendampfer „La France“ mit Leutnant Kramsta, Sergeant Gruschka und der Hälfte der Expedition die Weiterreise antreten. Nach Erledigung der letzten Zollformalitäten führte unser Weg durch den Stanley Pool, an den vielgenannten Dover Cliffs vorbei in den „Kanal“, eine durch auf beiden Seiten herantretende Berge bewirkte Verengung des gewal- tigen Strombettes auf durchschnittlich ungefähr 1 km Breite. In tiefem felsigen Bett schießt das braune Wasser, theilweise strömschnellenartig, dem Pool zu; die Schifffahrt ist der Felsen und Wirbelströmungen halber nicht ganz ungefährlich. Die Uferberge sind theils bewaldet, theils mit Grasflächen bedeckt; san- dige Uferstellen bieten erwünschte Gelegenheiten zu nächtlicher Rast, da auf dem Dampfer hierfür kein Raum vorhanden. Während der Nacht wird von den Mannschaften bei diesen Flußreisen Holz gefällt und an Bord genommen, das Heizmaterial für die folgende Tagesreise. Der Staat hat für seine Dampfer neuerdings Holzstationen eingerichtet, wie dies auf dem Niger schon seit lange üblich ist. Abends und nachts wurden wir hier gewöhnlich von einem heftigen Tornado mit schwerem Regen überfallen. Am 12. Januar passirten wir Kuamoutu, die Mündung des Kassai und bewunderten von fern die ausge- dehnten Anlagen der belgischen Missionsstation Berghe St. Marie. Hier beginnt der Fluß sich zu verbrei- tern, bis er bei Tshumbiri in eine seeartige Erwei- terung mit zahllosen Inseln übergeht und diesen Charakter bis weit stromauf beibehält. In Tshumbiri besuchte ich die englisch-amerikanische Missionsstation des Herrn Billington, in Bolobo am 14. die englische Baptistenmission des bekannten Missionars und Reisenden Gomfell. Letzterer selbst war mit seinem Dampfer „Goodwill“ nach Stanley Falls ge- fahren, dagegen empfing uns seine Frau, eine Negerin aus Victoria (Kamerun) sowie die übrigen weißen Mitglieder der Missionsstation. Auch hier Ziegel- bauten und sehr weitläufige Gartenanlagen. Beson- ders interessant ist die Buchdruckerei und Buchbinderei. Es werden hier unter Leitung eines Weißen durch die schwarzen Zöglinge der Mission Bibeln, Unter- richtsbücher und dergleichen in sieben Sprachen ge- druckt. Die französische und die kongostaatliche Re- gierung lassen ihre amtlichen Bekanntmachungen und Veröffentlichungen in Bolobo drucken; auch unsere