— 394 — alters her freiheitliebendes, eroberndes und maßlos stolzes Volk, wie diese Eigenschaften bis zum Extrem in den großen und reichen Geschlechtern verkörpert sind, auf der einen Seite die Ausbreitung der deutschen Herrschaft und ihre eigene Herabdrückung und Einengung von Jahr zu Jahr drückender emp- fanden — auf der anderen Seite aber, und das ist das Entscheidende, von dieser deutschen Herrschaft den Eindruck hatten, daß sie, die Hereros, ihr gegen- über im letzten Grunde der stärkere Teil seien. Wo- her dieser Eindruck bei den Hereros stammte, das ist elne Frage für sich, auf die hier nicht einzugehen ist; daß er aber vorhanden war, und daß sein Vor- handensein die treibende Ursache zum schließlichen Losbruch bildete, das anzuerkennen ist die Vorbe- dingung für das Verständnis der gegenwärtigen Situation und für die Verhütung zukünftiger ähn- licher Ereignisse. Der Ubergang vom Hereroland in weiße Hände, die Verarmung der mittleren und kleinen Viehbesitzer, die die Händler verschuldet haben, und was sonst noch angeführt wird, hat zwelfel- los die Entschlossenheit zum Aufstande geschürt; der Bondelzwartkrieg und die Entblößung des Herero- landes von Truppen haben die Verlockung, gerade im gegenwärtigen Augenblick loszuschlagen, groß ge- macht; Primärursachen der Empörung sind aber alle diese Dinge nicht gewesen. Die Mehrzahl der vom Ausstande betroffenen Personen hatten überdies mit dem Händlertum gar keinen oder nur einen sehr losen Zusammenhang. Ein großer Teil der Verluste, namentlich in den Gebieten von Windhuk, Outjo, Grootfontein, entfällt auf Leute, die überhaupt außerhalb des Herero- landes und des elgentlichen „Handelsfeldes“ wohnten. Unter diesen Umständen muß die Uberzeugung, des- halb ohne halbwegs ausreichende Entschädigung zu bleiben, weil die Volksvertretung und die öffentliche Meinung zu Hause einer irrtümlichen Vorstellung von den Ursachen des Aufstandes nachgeht, einer Vorstellung, die überdies der weißen Bevölkerung des Schutzgebietes als Ganzem schweres Unrecht zu- fügt — von der allerbedauerlichsten und verhängnis- vollsten Wirkung auf die Gesamtheit unserer Kolonial- bevölkerung sein und ihr allen Mut und alles Ver- trauen auf das Mutterland und sein Verständnis für ihre Nöte rauben. Der zweite, matertelle Faktor ist der tatsächliche Ruin des ganzen mittleren Teiles der Kolonie. Man muß sich vorstellen, was das heißt, für einen Mann, der eine Reihe von Jahren in harter Arbeit auf alle Kulturgenüsse verzichtet hat, in der begründeten Hoffnung, nun bald am Ende der Entbehrungen zu stehen und ein „menschenwürdiges“ Leben beginnen zu können, wenn mit einem Male die ganze Frucht seiner Arbekt weggewischt ist, und er selbst mit knapper Not nur sein nacktes Leben rettet. Man ermesse weiter, daß die Betroffenen — und größten- teils sicher mit Recht — der Uberzeugung sind, daß sie schuldlos von dem Unheil zerschmettert sind; daß sie im Vertrauen auf den unbedingten Schutz des Landfriedens durch die Regierung gekommen sind und zu arbeiten begonnen haben; und daß trotz alledem die Hoffnung auf Entschädigung und auf die Möglichkeit eines soliden und rationellen Wieder- beginnes der Arbeit so gut wie vereitelt wird! Wenn nicht billige Entschädigung gewährt wird, sondern nur ein unzureichendes Darlehen oder eine, ihrem Wesen nach geringe Unterstützung, so ist es höchst unwahrscheinlich, daß sich angesichts dieser moralischen und materiellen Eindrücke noch eine nennenswerte Zahl von Ansiedlern finden wird, die — mit unzureichenden Mitteln und neuen Ver- pflichtungen zu den großenteils noch unregulierten alten hinzu — ans Werk des Wlederaufbaues gehen würde. Sie werden es vielmehr vorziehen, wenn auch ganz oder halb ruiniert, das Land zu verlassen und sich anderswo (viele denken jetzt an Argentinlen, Chile, Australien, andere an Rückkehr nach Deutsch- land) eine Existenz zu gründen. Von welchen Folgen elne solche Landflucht aus den betroffenen Teilen Südwestafrikas rücksichtlich des Eindrucks auf die sonst etwa zur Auswanderung und Ansiedlung im Lande geneigten Elemente zu Hause, damit aber für die ganze zukünftige Besiedlung und materielle Ent- wicklung Südwestafrikas seln würde, braucht nicht weiter erläutert zu werden. Aber auch darüber hinaus würde der vollkommene wirtschaftliche Ruin der zentralen Landesteile, denn um einen solchen handelt es sich — mit Notwendigkeit auch den Zu- sammenbruch so vieler anderer Persönlichkeiten, Firmen und sonstigen Wirtschaftsfaktoren im Schutz- gebiet nach sich ziehen, daß sich eine ökonomische Katastrophe für das ganze Land daraus ergeben wird. Im Norden, den Gebieten von Grootsontein und Outjo, ist der angerichtete Schaden bedeutend geringer, und nur die Minderheit der Ansiedler ist wirklich schwer getroffen oder gänzlich ruiniert. Bei den verhältnismäßig bedeutenden natürlichen Hilfsquellen dieser Regionen, die freilich auf der anderen Seite erst im ersten Beginn der Besiedlung und wirt- schaftlichen Entwicklung steht, ist dort, zumal an- gesichts des Bahnbaues und der bevorstehenden Er- öffnung des Minenbetriebes, ein spontaner Wieder- ausschwung trotz des angerichteten Schadens an sich zu erwarten. Trotzdem ist der Eindruck des Schlages und der ersten dorthin gelangten, seinerzeit in der Südwestafrikanischen Zeitung veröffentlichten Aus- lassungen des Gouvernements über die Entschädigungs- frage und waos damit zusammenhing, bereits ein so niederschmetternder gewesen, daß ein großer Teil der Ansiedler daraufhin den Entschluß faßte, das Land zu verlassen, ein Entschluß, den von dort aus mehrere bereits haben zur Tat werden lassen. Dieselbe hoch- gradige Verbitterung der Leute, dieselbe Verzweiflung, es unter den herrschenden Verhältnissen in Südwest- afrika je wieder zu etwas bringen zu können, die- selbe Entschlossenheit, das Land zu verlassen, falls