G 108 20 tes der Welt, in dem sich jede große wirtschaftliche Bewegung spiegelt, leichter geworden als uns, und die Aufgabe, die ich mir gestellt habe und zu deren Lösung ich Sie alle miteinander einlade und auffordere, ist für uns Deutsche um so schwerer, als es sich nicht nur darum handelt, der Nation die Richtung zu geben, in welcher koloniale Ziele verfolgt werden müssen, sondern diese Richtung geradezu umzudrehen und eine neue Bahn zu zeigen und einzuschlagen. Nichts ist schwerer als der Kampf gegen eine einmal etablierte Meinung, gegen ein zur Doktrin gewordenes Schlagwort, und das ist die Geschichte unserer Kolonien und zum Teil ihr Unglück. Unsere koloniale Entwicklung hat begonnen unter dem Fürsten Bismarck, einem nationalen Politiker unerreichten Ranges, aber einem Manne, dem die Interessen der Seefahrt und des Handels fernlagen und der kein besonderes Vertrauen hatte zu der Fähigkeit des Deutschen, sich diesen Dingen anzupassen, weder des deutschen Bürgers noch des deutschen Beamten. Und er hat des- halb den Satz aufgestellt, daß es der Kaufmann sein muß, der die Kolonien entwickle, der mit seinem Gelde sie befruchte, und er hat die Grund- lage gelegt zu jenen Monopolgesellschaften, welche, wenn sie stark und kräftig genug gewesen wären und ihrer Pflichten hinreichend eingedenk, wohl manches hätten erreichen können, die aber so, wie sie geschaffen waren, sich wie eine Art Mehl- tau nicht nur über die ihnen gehörenden Länder, sondern auch über das deutsche Nationalgefühl zugunsten unserer Kolonien gelegt haben. Dieser Fehler ist denn auch bald eingesehen worden, aber wir kämpfen gegen ihn heute noch. Schließ- lich mußten die Hoheitsrechte der Gesellschaften mit teurem Gelde abgelöst werden, die politische Gewalt mußte das Reich an sich nehmen und mit dieser politischen Gewalt kamen auch alle die politischen Aufgaben, und auf das Reich fiel der Schutz der deutschen Anlagen gegenüber einer wilden Eingeborenen-Bevölkerung und schlimmen Naturgewalten. Das war die zweite Enttäuschung, und aus dieser zweiten Enttäuschung wurde ge- boren die dritte, wie ich schon erwähnt habe, daß wir Deutsche den Wert unseres kolonialen Besitzes unterschätzt haben, daß wir ihn uns verstümmeln ließen, bis manche unserer Kolo- nien auf der Landkarte wie eine Ironie aussahen auf den gesunden Menschenverstand, und es kam jene Zeit, in welcher weder Volk noch Regierung noch Beamte, die mit den Kolonien zu tun hatten, an deren Zukunft irgendwie glauben konnten. Das aber war das Schlimmste. Denn nur jemand, der von der Güte soder mindestens von der Zu- kunst seiner Aufgaben überzeugt ist, wird kräftig und werbend für sie eintreten können. Und so ist denn allmählich jene Stimmung Dentschlands gegenüber seinen Kolonien entstanden, weil das Regiment das Wichtigste versäumt hat, was eine kolonisierende Regierung tun muß, nämlich das Volk aufzuklären über das Wesen seines kolonialen Besitzes, über die Aufgaben, über die Ver- antwortungen, über die Auslagen und über die Früchte. Das also müssen wir jetzt ändern und wir müssen die öffentliche Meinung umdrehen; ich bilde mir nicht ein, daß das von heute auf vierundzwanzig Stunden geschehen kann, aber wenn Sie mir helfen, wird es geschehen und vielleicht in einer kürzeren Frist, als es mancher Zweifler glaubt und manchem Böswilligen lieb ist. Aber noch ein anderes müssen wir uns an- eignen, das ist das Verständnis für die Zwecke, für welche kolonisiert wird. Die Zwecke sind materiolle und merkantilistische. Sie müssen er- zielt werden mit jener Vornehmheit, die das Kriterium eines seiner wirtschaftlichen und kultu- rellen Aufgabe gewachsenen Kaufmannes sind und nicht umsonst, sondern es muß der Austausch stattfinden, Güter und Menschen gegen Kultur und Lebenserleichterung. Diese beiden letzteren müssen wir der Eingeborenen-Bevölkerung bringen, und wir erreichen da mehrere Ziele zugleich, denn eines der wichtigsten Güter, die ein zivili- siertes Volk zu verleihen in der Lage ist, ist die Freude an der Arbeit und an der Betätigung. Der nationalökonomische Zweck dieser kaufmänni- schen Betätigung ist aber der Erwerb und die Anzucht von Rohstoffen, die uns in unserer nationalen Wirtschaft fehlen, und der Absatz, ohne den ein auf Industrie angewiesenes Volk mit eigenen, engen, nationalen Grenzen und einer großen jährlichen Bevölkerungsvermehrung nicht die notwendigen Mittel für das Bestehen der Nation anschaffen kann. Auch dieser Teil einer Kolonialpolitik ist nicht mit dem nötigen Zielbewußtsein verfolgt worden, und daher kommt es, daß wir jetzt noch einen verhältnismäßig nicht sehr großen Handel mit den Kolonien haben. Die Kolonien haben im Jahre 1905 ein= und ausgeführt für praeter propter 100 Millionen Rohstoffe und Fabrikate, und davon haben wir an andere Nationen immerhin noch 40 Prozent abgetreten, trotzdem der Anteil des deutschen Handels sich von Jahr zu Jahr hebt. Aber wir könnten mit all' diesen Dingen sehr viel weiter sein, wenn wir unsere Nation auch rechtzeitig dazu erzogen hätten, die Mittel zu kennen und zu würdigen, die die Kolonisation befördern. Meine Herren, jene 100 Millionen Handel sind erzielt worden nahezu ohne Verkehrswege, ohne Eisenbahnen, ohne die angewandte Technik, ohne Maschinen. Am 1. Januar 1905 — und die genannten Ziffern