151 2 Koloniale FSinanzprobleme. Vortrag Seiner Exzellenz des Herrn stellvertretenden Kolonialdirektors Wirklichen Geheimen Rats Dernburg, gehalten in Frankfurt a. M. am 3. Februar 1907. Frankfurt hat von alters her viele Beziehungen über See gehabt, war es doch der bedeutendste Meß= und Stapelplatz des westlichen Deutschlands für viele Jahrhunderte und das Zentrum des deutschen Geldhandels schon über 100 Jahre vor der Errichtung des Deutschen Reiches. Diese aus- ländischen und überseeischen Beziehungen haben bei Frankfurt den eigentümlichen Grund, daß in einem verhältnismäßig kleinen Stadtgebiet, welches zu einer anderen als einer handelsmäßigen Tätig- keit keine Gelegenheit gab, viele unternehmende Familien entstanden, die ihre Ausbreitung in einem weiteren Nahmen suchten, einem Rahmen, en sie in dem zerklüfteten und zerspaltenen Deutschland nicht fanden, und die deshalb die Väter der verschiedensten großen Geldhandels- häuser der Welt geworden sind, Namen, die ich hier nicht besonders hervorzuheben brauche, die Rothschild und die Bethmann, die Speyer und die Ladenburg, die Erlanger und die Stern, die Neufville und die Sulzbach, sind alles Frankfurter Häuser, die auf nahezu jedem großen Weltplatz, in Paris, London und in New Vork, ihre Ab- leger errichtet haben. Und durch diese Häuser ist dann die Franksurter Börse und demnächst das deutsche Publikum mit den ersten überseeischen Werten bekannt gemacht worden, Werten, die nach mancherlei Enttäuschungen unserem nationalen Vermögen reiche Früchte gebracht haben. Und neben dem Geldhandel hat besonders der Metall- handel aus Frankfurt seine Emissäre gesandt; die größten und bestsundierten deutschen Gesellschaften haben hier ihren Sitz, und der überlebende Chef der weitaus größten Transvaal-Goldfirma, der gleichzeitig Außerordentliches für die Erschließung Britisch-Südafrikas, der Kapkolonie wie Rhodesias, getan hat, ist ein Franksurter. So sind denn der mancherlei Anknüpfungspunkte und ein weites erständnis für die Frage vorhanden, die ich zu behandeln habe. Ist doch Deutschland in einer gleichen Lage wie weiland die freie Stadt Frank- kurt, überschäumend in Unternehmungsgeist, stark in Kapitalskraft, ungemein fruchtbar an Menschen und verhältnismäßig eng an europäischen Grenzen. Da ist es denn leicht verständlich, wenn der Deutsche in nationalem Empfinden nunmehr ein größeres Interesse gewinnt für diejenigen Gebiete über See, die ihm lange eigentümlich gehören, katt, wie es in früheren Zeiten vielfach der Fall war, in ausländische Fremden zu wandern und für das deutsche Volkstum unterzugehen. Die vielfachen Beziehungen zur Finanz und die Tatsache, daß Frankfurt der zweitgrößte Börsen- platz des Deutschen Reiches ist, veranlassen mich, hier zu sprechen über das Thema „Koloniale Finanzpolitik“. Es ist das ein ungeheuer weites Gebiet, und es möchte manchem füglich scheinen, daß es bei dem gegenwärtigen Zustand unserer Kolonien verfrüht sein möchte, die Frage aufzunehmen. Aber man soll nicht vergessen, daß die Entwicklung der Kolonien ein kaufmännisches Geschäft ist, und daß ein vorsichtiger und voraus- schauender Kaufmann stets wissen will, wohin er geht, wenn er auch vielleicht eine oder die andere ÜUberlegung umsonst und vergebens anstellt. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika hatten bis zum Jahre 1900 keine Kolonien. Da fielen ihnen nach dem Ausgange des spanisch- amerikanischen Krieges die Philippinen gegen eine Zahlung von — ich glaube — 82 Millionen zu, und die Amerikaner hatten infolgedessen Veran- lassung, sich mit den Fragen der kolonialen Politik zu beschäftigen. Dieser Aufgabe unterzog sich eine Vereinigung, welche die besten amerikanischen Fachgelehrten einschließt, die „American Oeco- nomie Association“, die zunächst die koloniale Finanzpolitik sämtlicher bis dahin kolonisatorisch tätiger Nationen einschließlich der deutschen unter- suchen ließ, und diese Untersuchungen sind ver- öffentlicht. Als Resultat dieser Veröffentlichungen und als Empfehlung für die Art, in welcher die Amerikaner ihrer kolonisatorischen Aufgabe sich widmen sollten, sind jener Publikation eine Reihe von Leitsätzen vorangestellt, die man nahezu voll- inhaltlich unterschreiben kann, und die ich Ihnen in aller Ausführlichkeit im folgenden vortragen werde, indem ich mir vorbehalte, auf einen oder den anderen im Verlaufe dieses Vortrages zurück- äunkommen. Als Resultat seiner Studien glaubt das Komitce die folgenden allgemeinen Empfeh- lungen aussprechen zu dürfen. 1. Die Finanzen jeder Kolonie sollen aus- schließlich im Interesse der Kolonie und ihrer Entwicklung geleitet werden und nicht im Inte- resse des Mutterlandes. 2. Kein einheitliches System fiskalischer Wirt- schaft kann für eine Anzahl von Kolonien, die in verschiedenen Teilen der Welt liegen, einge- richtet werden. Jede Kolonie muß für sich be- trachtet und ihr System ihren natürlichen Be- dingungen angepaßt werden.