W 1044 20 hand mit Erschießen bestrafte. Daß ihm die nachdrängende Kultur diese alten Gewohnheits- rechte genommen hat, ist dem Burentypus, den ich im Klein-Namaland kennen lernte, ein Haupt- motiv, die englische Herrschaft (die ihn im übrigen so frei als nur denkbar gewähren läßt) zu ver- abscheuen. Diese Buren waren komisch enttäuscht, als sie erfuhren, daß auch auf deutschem Gebiet, in das sie auswandern wollten, der Hottentott Rechte habe. Näher mit den Buren bekannt geworden, suchte ich mir im Gespräch Aufklärung darüber zu verschaffen, wie wohl in ihren Augen der Gott, vor dem sie dreimal am Tage auf den Knieen liegen, ihre Auffassung der Nächstenliebe farbigen Menschen gegenüber ansehen möge? Man verwies mich auf die Bibel. Ich würde ihre Argumentation aus dem alten Testament nicht ernst genommen haben, wenn sie mir nicht so ernst vorgetragen worden wäre und sich in der Tat, auch an anderem Ort, als Richtschnur ihres Handelus erwiesen hätte: Im neunten Kapitel der Genesis verflucht Noah den Sohn Hams, Kanaan, und seine Nachkommen zur Knechtschaft. Der Bur dehnt diesen Fluch auf alle Hamiten aus, den Hottentotten rechnet er dazu, sieht also in ihm einen geborenen Sklaven. Wer ist nun der Herr, den Gott über sie gesetzt hat? Was das Volk Israel im alten Bunde war, das ist der Christ im neuen. Im 7. Kapitel des 5. Buches Mose wird die Austilgung der Kanaaniter ge- boten. So hat Gott den christlichen Buren als den Erben Israels zum Herren über Leben und Tod der verfluchten Nachkommen Kanaans bis in ihr jüngstes Glied (das sind die Eingeborenen Südafrikas) gesetzt. An dieser Auffassung hängt der Bur um so fester, je beschränkter und rassen- stolzer er ist. Den freier Denkenden ist diese Art Evangelium ein Deckmäntelchen, das selbst am klarsten zeigt, was es verbergen soll: den maßlosen Egoismus des Buren, der bald dem Hottentotten nichts anderes übrig ließ, als den langsamen Würgekrieg auch seinerseits schonungs- los zu führen. Wer in der gegebenen Situation die Oberhand hatte, handelte und handelt noch jetzt, wo das Gesetz nicht hinreicht, nach diesem Grundsatz. In ein extrem entgegengesetztes Verhältnis trat der Hottentott zu einer anderen Klasse weißer Männer, zu den Vertretern der christ- lichen Mission, die heute im Groß-Namalande von den Sendboten der Rheinischen Missions- gesellschaft zu Barmen ausgeübt wird. Wer die älteren Berichte dieser Gesellschaft liest, ermißt den Abstand der heutigen Namamission von der vor fünfzig Jahren. Damals war die Tätigkeit unter den Hottentotten im herrenlosen, von Kämpfen der Eingeborenen untereinander heim- gesuchten Land ein Opfer ersten Ranges. Ohne jeden Schutz einer Regierung lieferte sich der Missionar dem Volf auf Gnade und Ungnade aus, folgte den ruhelosen Stämmen auf ihre Wanderzüge, teilte mit ihnen Hungersnot und Durst. Um in engster Fühlung mit dem Volke zu bleiben, scheute der Missionar selbst vor der Ehe mit einer Eingeborenen nicht zurück. Allmäh- lich führte die Erschließung des Landes zur An- lage fester Missionsstationen; der Schutz des Reiches gab für Leben und Eigentum neue Garantien, und heute sind die Missionshäuser dank der vorzüglichen Handwerkerschulung der Missionare die besten und schmucksten Bauten im Lande, Stätten nicht nur der Arbeit, sondern zugleich auch der Behaglichkeit und, wie ich mit aufrichtigem Dank hervorhebe, auch liebevoller Gastfreundschaft für den Reisenden. Dieser Um- schwung zum Besseren in den äußeren Lebens- bedingungen der Mission hat sicherlich nicht wenig zur Festigung ihres Ansehens unter den Hotten- totten beigetragen. Aber auch hiervon abgesehen bringt der Hottentott dem Missionar in der Er- kenntnis, daß er in ihm den besten Vertreter seiner geistigen und leiblichen Interessen hat, ein großes Maß von Ehrfurcht und (wo er religiösen Anstoß nicht zu scheuen hat) auch Vertrauen ent- gegen. Nur ein blinder Missionsfeind wird die Be- deutung dieser Brücke, die das Christentum hier zu friedlicher Verständigung zwischen zwei hetero- genen und doch aufeinander angewiesenen Men- schenrassen schlägt, in ihrer Tragweite für die kulturelle Entwicklung des Landes verkennen. Aber ebenso sonnenklar ist, daß die Mission zum Fluch des Landes wird, wo sie in einseitiger Verfolgung geistlicher und hierarchischer Ziele das politische oder kolonialwirtschaftliche Wohl des Landes aus dem Auge verliert. Daß dieses Wohl zum großen Teil davon abhängig ist, wie weit der Interessenkampf der eingeborenen und der eingedrungenen Rasse nach Maßgabe der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Konkurrenten auf friedlichem Wege sich regulieren läßt, ist eine alte, aber von Humanitätsutopisten wie von brutalen Kraftaposteln gleich oft beiseite ge- schobene Wahrheit. Man muß sich die Kalami- täten der Eingeborenenarbeiterfrage in der Kap- kolonie vergegenwärtigen, um einzusehen, welche Ersparnis es bedeutet, seine Interessen mit denen der Eingeborenen (und sei es auch nur der ver- achtete Hottentott) verknüpfen zu können. Die erste Bedingung dazu ist selbstverständlich eine genaue Kenntnis der Daseinsbedingungen und Anschauungen der Eingeborenen; und solange bei uns die Missionare mit wenigen Ausnahmen die